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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Uonstantinopolitanischc Reiseerlebnisse

sprächen an den Beutel fortgesetzt. Wer aber sein Geld am raschesten los werden
will, der braucht nur nach -- der Retirade zu fragen. Dann weist man ihn in
einen schmalen Gang, ein Diener reißt eine Tür auf, man durchschreitet einen
zweiten winkligen Korridor, passiert noch eine Tür und sieht sich plötzlich in --
einem Spielzimmer, wo Roulette- und Pharaotisch von einer bunt gemischten
Gesellschaft umstanden werden. Ich habe selten im Leben eine größere Überraschung
erlebt, als in dem Augenblicke, als ich statt in das gesuchte Lokal in diesen Glücks¬
tempel eintrat, wo es von allen Sprachen durcheinanderschwirrte.

Trotz dieser Enropttisierung gibt es in Pera eigentlich nur zwei Straßen,
die europäischen Ansprüchen annähernd genügen, nämlich die an dem türkischen
Friedhof und dem Munizipalpark entlang führende, in der die meisten Hotels wie
teure Perlen an einer Schnur aneinander gereiht sind, und zweitens die eigent¬
liche Haupt- und Schlagader der Stadt, die den pompösen Namen xrimäg ruf as
?sia führt und genau auf der Wasserscheide zwischen Bosporus und Goldnem
Horn dahinläuft. Die übrigen Straßen, die sich nach rechts und links senken, sind
winklige und schmale, schlecht gepflasterte und noch schlechter beleuchtete Gassen,
ohne Geschäftsverkehr und zum Teil von liederlichen Volke bewohnt. Aber auch
die Al'Arae, ins selbst ist keineswegs einwandfrei. Die südliche Hälfte der Straße
nach Galata zu ist ohne Trottoirs und so schmal, daß sich hier zwei Wagen kaum
ausweichen können. Auch in den Teilen, wo es Bürgersteige gibt, sind diese viel
zu eng und ebenso, wie das Straßenpflaster, immer an einer oder mehreren Stellen
aufgerissen, ohne daß man sich mit der Wiederherstellung irgendwie beeilte. Auf
der Perastraße liegen ferner, so gut wie in allen andern, Haufen von Müll und
mannigfaltigem Unrat, den die gelbgrauen Straßenhunde mit ihren Schnauzen
durchwühlen.

Merkwürdig, daß einen jedermann, sobald er hört, man sei in Konstantinopel
gewesen, immer zuerst nach diesen Hunden fragt, gerade als ob sie die größte
Sehens- und Merkwürdigkeit der ganzen Stadt wären! Auch unser albancsischer
Führer schien zu glauben, daß wir uns für diese Bestien mehr als für alles andre
interessierten. Er machte uns unausgesetzt auf ihr Leben und Treiben aufmerksam.

Keine Furcht, beißt nicht, sagte er, wenn sich ein Hund dicht vor uus auf¬
richtete, nur nicht auf Schwanz treten! Dann machte er uns darauf aufmerksam,
daß jeder Huudestaat sein eignes Gebiet habe, das von keinem Angehörigen des
Nachbarstaats betreten werden dürfe. Um einen großen, ergiebigen Kehrichthaufen
mitten in der Al^naiv ruf hatte sich eine Schar wühlender und fressender Hunde
versammelt. Wenig Schritte davon am Eingang einer Seitengasse stand ein andrer,
der sehnsüchtig mit gespitzten Ohren herüberschaute.

Sehen Sie, darf nicht mit fressen, gehört zu andern, Staat. Da ist auch eine
Wache aufgestellt -- und er zeigte auf einen großen Köter, der einige Schritte
davon zähnefletschend ein Paar lüsternen Ncbenstaatsangehörigen gegenüberstand.

Man gewöhnt sich übrigens bald an diese Hunde und beachtet sie kaum noch.
Lästig werden sie jedoch durch ihr oft scheußliches Geheul und in der Dunkelheit,
wo man sie leicht übersieht und auf sie tritt -- denn sie legen sich ebenso un¬
geniert aufs Trottoir wie auf den Straßendamm. Im ganzen sind sie heutzutage,
wo der Unrat jeden Morgen aufgeräumt und abgefahren wird, eine unnütze Land¬
oder vielmehr Stadtplage; durch ihre Exkremente fördern sie vielmehr die Un-
reinlichkeit als durch ihr Fressen die Reinlichkeit. Man hat auch wiederholt versucht,
sie zu beseitigen. Viele Hunderte wurden auf Schiffen nach der wüsten Jelseninsel
Oxia gebracht, wo sie dem Hungertode preisgegeben werden sollten. Was sich dort
für Szenen unter den verzweifelnden Bestien abspielten, kann man sich leicht aus¬
malen. Aber den Türken schlug bald das Gewissen. Denn der Koran empfiehlt
den Hund, obwohl er ein unreines Tier ist, dem Schutze der Gläubigen. So
wurden denn die noch Lebenden zurückgebracht und in ihr altes Gebiet wieder ein¬
gesetzt. In Stambul und den Türkenvierteln mögen sie immerhin eine gewisse


Uonstantinopolitanischc Reiseerlebnisse

sprächen an den Beutel fortgesetzt. Wer aber sein Geld am raschesten los werden
will, der braucht nur nach — der Retirade zu fragen. Dann weist man ihn in
einen schmalen Gang, ein Diener reißt eine Tür auf, man durchschreitet einen
zweiten winkligen Korridor, passiert noch eine Tür und sieht sich plötzlich in —
einem Spielzimmer, wo Roulette- und Pharaotisch von einer bunt gemischten
Gesellschaft umstanden werden. Ich habe selten im Leben eine größere Überraschung
erlebt, als in dem Augenblicke, als ich statt in das gesuchte Lokal in diesen Glücks¬
tempel eintrat, wo es von allen Sprachen durcheinanderschwirrte.

Trotz dieser Enropttisierung gibt es in Pera eigentlich nur zwei Straßen,
die europäischen Ansprüchen annähernd genügen, nämlich die an dem türkischen
Friedhof und dem Munizipalpark entlang führende, in der die meisten Hotels wie
teure Perlen an einer Schnur aneinander gereiht sind, und zweitens die eigent¬
liche Haupt- und Schlagader der Stadt, die den pompösen Namen xrimäg ruf as
?sia führt und genau auf der Wasserscheide zwischen Bosporus und Goldnem
Horn dahinläuft. Die übrigen Straßen, die sich nach rechts und links senken, sind
winklige und schmale, schlecht gepflasterte und noch schlechter beleuchtete Gassen,
ohne Geschäftsverkehr und zum Teil von liederlichen Volke bewohnt. Aber auch
die Al'Arae, ins selbst ist keineswegs einwandfrei. Die südliche Hälfte der Straße
nach Galata zu ist ohne Trottoirs und so schmal, daß sich hier zwei Wagen kaum
ausweichen können. Auch in den Teilen, wo es Bürgersteige gibt, sind diese viel
zu eng und ebenso, wie das Straßenpflaster, immer an einer oder mehreren Stellen
aufgerissen, ohne daß man sich mit der Wiederherstellung irgendwie beeilte. Auf
der Perastraße liegen ferner, so gut wie in allen andern, Haufen von Müll und
mannigfaltigem Unrat, den die gelbgrauen Straßenhunde mit ihren Schnauzen
durchwühlen.

Merkwürdig, daß einen jedermann, sobald er hört, man sei in Konstantinopel
gewesen, immer zuerst nach diesen Hunden fragt, gerade als ob sie die größte
Sehens- und Merkwürdigkeit der ganzen Stadt wären! Auch unser albancsischer
Führer schien zu glauben, daß wir uns für diese Bestien mehr als für alles andre
interessierten. Er machte uns unausgesetzt auf ihr Leben und Treiben aufmerksam.

Keine Furcht, beißt nicht, sagte er, wenn sich ein Hund dicht vor uus auf¬
richtete, nur nicht auf Schwanz treten! Dann machte er uns darauf aufmerksam,
daß jeder Huudestaat sein eignes Gebiet habe, das von keinem Angehörigen des
Nachbarstaats betreten werden dürfe. Um einen großen, ergiebigen Kehrichthaufen
mitten in der Al^naiv ruf hatte sich eine Schar wühlender und fressender Hunde
versammelt. Wenig Schritte davon am Eingang einer Seitengasse stand ein andrer,
der sehnsüchtig mit gespitzten Ohren herüberschaute.

Sehen Sie, darf nicht mit fressen, gehört zu andern, Staat. Da ist auch eine
Wache aufgestellt — und er zeigte auf einen großen Köter, der einige Schritte
davon zähnefletschend ein Paar lüsternen Ncbenstaatsangehörigen gegenüberstand.

Man gewöhnt sich übrigens bald an diese Hunde und beachtet sie kaum noch.
Lästig werden sie jedoch durch ihr oft scheußliches Geheul und in der Dunkelheit,
wo man sie leicht übersieht und auf sie tritt — denn sie legen sich ebenso un¬
geniert aufs Trottoir wie auf den Straßendamm. Im ganzen sind sie heutzutage,
wo der Unrat jeden Morgen aufgeräumt und abgefahren wird, eine unnütze Land¬
oder vielmehr Stadtplage; durch ihre Exkremente fördern sie vielmehr die Un-
reinlichkeit als durch ihr Fressen die Reinlichkeit. Man hat auch wiederholt versucht,
sie zu beseitigen. Viele Hunderte wurden auf Schiffen nach der wüsten Jelseninsel
Oxia gebracht, wo sie dem Hungertode preisgegeben werden sollten. Was sich dort
für Szenen unter den verzweifelnden Bestien abspielten, kann man sich leicht aus¬
malen. Aber den Türken schlug bald das Gewissen. Denn der Koran empfiehlt
den Hund, obwohl er ein unreines Tier ist, dem Schutze der Gläubigen. So
wurden denn die noch Lebenden zurückgebracht und in ihr altes Gebiet wieder ein¬
gesetzt. In Stambul und den Türkenvierteln mögen sie immerhin eine gewisse


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[0523] Uonstantinopolitanischc Reiseerlebnisse sprächen an den Beutel fortgesetzt. Wer aber sein Geld am raschesten los werden will, der braucht nur nach — der Retirade zu fragen. Dann weist man ihn in einen schmalen Gang, ein Diener reißt eine Tür auf, man durchschreitet einen zweiten winkligen Korridor, passiert noch eine Tür und sieht sich plötzlich in — einem Spielzimmer, wo Roulette- und Pharaotisch von einer bunt gemischten Gesellschaft umstanden werden. Ich habe selten im Leben eine größere Überraschung erlebt, als in dem Augenblicke, als ich statt in das gesuchte Lokal in diesen Glücks¬ tempel eintrat, wo es von allen Sprachen durcheinanderschwirrte. Trotz dieser Enropttisierung gibt es in Pera eigentlich nur zwei Straßen, die europäischen Ansprüchen annähernd genügen, nämlich die an dem türkischen Friedhof und dem Munizipalpark entlang führende, in der die meisten Hotels wie teure Perlen an einer Schnur aneinander gereiht sind, und zweitens die eigent¬ liche Haupt- und Schlagader der Stadt, die den pompösen Namen xrimäg ruf as ?sia führt und genau auf der Wasserscheide zwischen Bosporus und Goldnem Horn dahinläuft. Die übrigen Straßen, die sich nach rechts und links senken, sind winklige und schmale, schlecht gepflasterte und noch schlechter beleuchtete Gassen, ohne Geschäftsverkehr und zum Teil von liederlichen Volke bewohnt. Aber auch die Al'Arae, ins selbst ist keineswegs einwandfrei. Die südliche Hälfte der Straße nach Galata zu ist ohne Trottoirs und so schmal, daß sich hier zwei Wagen kaum ausweichen können. Auch in den Teilen, wo es Bürgersteige gibt, sind diese viel zu eng und ebenso, wie das Straßenpflaster, immer an einer oder mehreren Stellen aufgerissen, ohne daß man sich mit der Wiederherstellung irgendwie beeilte. Auf der Perastraße liegen ferner, so gut wie in allen andern, Haufen von Müll und mannigfaltigem Unrat, den die gelbgrauen Straßenhunde mit ihren Schnauzen durchwühlen. Merkwürdig, daß einen jedermann, sobald er hört, man sei in Konstantinopel gewesen, immer zuerst nach diesen Hunden fragt, gerade als ob sie die größte Sehens- und Merkwürdigkeit der ganzen Stadt wären! Auch unser albancsischer Führer schien zu glauben, daß wir uns für diese Bestien mehr als für alles andre interessierten. Er machte uns unausgesetzt auf ihr Leben und Treiben aufmerksam. Keine Furcht, beißt nicht, sagte er, wenn sich ein Hund dicht vor uus auf¬ richtete, nur nicht auf Schwanz treten! Dann machte er uns darauf aufmerksam, daß jeder Huudestaat sein eignes Gebiet habe, das von keinem Angehörigen des Nachbarstaats betreten werden dürfe. Um einen großen, ergiebigen Kehrichthaufen mitten in der Al^naiv ruf hatte sich eine Schar wühlender und fressender Hunde versammelt. Wenig Schritte davon am Eingang einer Seitengasse stand ein andrer, der sehnsüchtig mit gespitzten Ohren herüberschaute. Sehen Sie, darf nicht mit fressen, gehört zu andern, Staat. Da ist auch eine Wache aufgestellt — und er zeigte auf einen großen Köter, der einige Schritte davon zähnefletschend ein Paar lüsternen Ncbenstaatsangehörigen gegenüberstand. Man gewöhnt sich übrigens bald an diese Hunde und beachtet sie kaum noch. Lästig werden sie jedoch durch ihr oft scheußliches Geheul und in der Dunkelheit, wo man sie leicht übersieht und auf sie tritt — denn sie legen sich ebenso un¬ geniert aufs Trottoir wie auf den Straßendamm. Im ganzen sind sie heutzutage, wo der Unrat jeden Morgen aufgeräumt und abgefahren wird, eine unnütze Land¬ oder vielmehr Stadtplage; durch ihre Exkremente fördern sie vielmehr die Un- reinlichkeit als durch ihr Fressen die Reinlichkeit. Man hat auch wiederholt versucht, sie zu beseitigen. Viele Hunderte wurden auf Schiffen nach der wüsten Jelseninsel Oxia gebracht, wo sie dem Hungertode preisgegeben werden sollten. Was sich dort für Szenen unter den verzweifelnden Bestien abspielten, kann man sich leicht aus¬ malen. Aber den Türken schlug bald das Gewissen. Denn der Koran empfiehlt den Hund, obwohl er ein unreines Tier ist, dem Schutze der Gläubigen. So wurden denn die noch Lebenden zurückgebracht und in ihr altes Gebiet wieder ein¬ gesetzt. In Stambul und den Türkenvierteln mögen sie immerhin eine gewisse

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/523>, abgerufen am 01.07.2024.