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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Aonstantinopolitanische Reiseerlebnisse

der Schiffe mastenreicher Wald, und zahllose Boote, große Handels- und kleine
Vergnügungsdampfer kreuzen uach allen Richtungen die blauen Fluten, während
auf den Quais die Erzeugnisse dreier Weltteile zur Verladung bereit liegen.
Venedig ist eine tote oder wenigstens eine sterbende Stadt, Konstantinopel gleicht
einer jungen Riesin, die zurzeit noch dnrch eiserne Bande und engen Verschluß
an der vollen Entfaltung ihrer Kräfte gehindert, zu einer gar nicht abzusehenden
Große und Herrlichkett gelangen wird, sobald die hemmenden Fesseln einmal ge¬
fallen find. Eine für den Welthandel so unvergleichlich liegende, durch Natur und
Klima mit so unermeßlichen Hilfsquellen ausgestattete Stadt vermochten weder die
Eroberungen und Ausplünderungen, die sie dreimal im Altertum und dreimal im
Mittelalter erleben mußte, noch die ewigen Palastrevolutionen und Aufstände unter
den byzantinischen Schattenkaisern, noch die beständigen Angriffe zahlloser Barbaren¬
völker, noch endlich der harte Druck türkischer Paschawirtschaft und die dauernde
Mißregierung eines verfaulenden Staatswesens zu vernichten oder auch nur ihrer
Bedeutung zu berauben. Immer wieder erhob sich dieser "Augapfel aller Städte,"
wie sie der byzantinische Geschichtschreiber Nicetas nennt, aus Trümmern und Asche,
und in der Stille sich rüstend wartet die Königin des Bosporus des Tages, wo
Europa die Verlorne Tochter wieder zu sich nehmen und die asiatische Zwingherr¬
schaft auf Nimmerwiederkehr dahin zurückjagen wird, woher sie gekommen ist. Dann
Wird Konstantinopel wieder in demselben Glänze erstrahlen, wie einst in den großen
Zeiten des Konstantin und des Justinian.

Doch bis dahin hat es wohl noch gute Wege. Einstweilen ist die gewaltige
Dreistadt am Goldner Horn noch eine seltsame Mischung von asiatischem und euro¬
päischem Wesen, von Kultur und Barbarei, von Eleganz und Verkommenheit. Nach¬
dem wir sie von oben beschaut hatten, wollten wir sie möglichst rasch und vollständig
auch im Innern kennen lernen. Wir mieteten also gleich an dem Nachmittage
dieses Tages einen Wagen und engagierten als Erklärer und Wegweiser unsern
Anastas Dellio. Unsre Fahrt ging von unserm Hotel in Pera hinunter uach
Galata, dann über die "neue Brücke," wo jeder Wagen 2^ Piaster (5V Pfennige)
Brückengeld zu zahle" hat, nach Stambul zur Agia Sophia, zum Atmeidau, zum
Seraskeriat, zu verschiednen Moscheen und Mausoleen, dann in schier endloser
Fahrt durch die ganze Türkenstadt bis zur Tor von Adrianopel, wo noch eine
Moschee zu besichtigen war, dann wieder durch andre Straßen zurück zum großen
Basar und über die Brücke nach Galata und Pera. Eine solche Fahrt ist das
beste und schnellste Mittel der Orientierung und darum jedem Fremden anzuraten.
Aber die Fülle der Eindrücke, die sie mit sich bringt, ist so enorm, daß man sie
nicht alle aufzunehmen, geschweige denn zu verarbeiten vermag. Auch kann man,
da der Wagen auf Zeit genommen ist, die einzelnen Sehenswürdigkeiten nicht mit
hinreichender Muße betrachten, was um so ärgerlicher ist, weil die zu entrichtenden
Trinkgelder überall ziemlich bedeutend sind. Jedenfalls darf man die Besichtigung
der Stadt mit dieser Rundfahrt nicht etwa für abgeschlossen halten. Man muß
sich zu Fuß noch einmal hineinwagen und den größern Teil der gesehenen Merk¬
würdigkeiten zum zweitenmal aufsuchen.

Pera ist die Europäer- und Fremdenstadt. Hier liegen die Gesandtschaften
und die Konsulate, die Hotels und die Restaurationen sowie große französische und
deutsche Warenmagazine, in denen man alles haben kann, was das Herz begehrt. Hier
kann mau auch europäische Vergnügungen zweifelhafter Art genießen. Es gibt an¬
rüchige Lokale und Tingeltangel von jeder Gattung. Hier suchen holde Sängerinnen
-- oft ein Dutzend an Zahl und mehr, unter ihnen verhältnismäßig viele deutsch
sprechende und singende Zis- und Trausleithanieriunen -- den Fremdling zum Be¬
zahlen des teuern Biers und zu möglichst reichlichen Zigarettenspenden zu ver¬
anlassen. In demi sogenannten Foyer, einem saalartigen, mit Spiegeln und Divans
ausgestatteten Nebenraume, wird das Animiergeschäft von andern, eleganter und
freier gekleideten "Damen" mit noch größerer Unverfrorenheit und stärkern An-


Aonstantinopolitanische Reiseerlebnisse

der Schiffe mastenreicher Wald, und zahllose Boote, große Handels- und kleine
Vergnügungsdampfer kreuzen uach allen Richtungen die blauen Fluten, während
auf den Quais die Erzeugnisse dreier Weltteile zur Verladung bereit liegen.
Venedig ist eine tote oder wenigstens eine sterbende Stadt, Konstantinopel gleicht
einer jungen Riesin, die zurzeit noch dnrch eiserne Bande und engen Verschluß
an der vollen Entfaltung ihrer Kräfte gehindert, zu einer gar nicht abzusehenden
Große und Herrlichkett gelangen wird, sobald die hemmenden Fesseln einmal ge¬
fallen find. Eine für den Welthandel so unvergleichlich liegende, durch Natur und
Klima mit so unermeßlichen Hilfsquellen ausgestattete Stadt vermochten weder die
Eroberungen und Ausplünderungen, die sie dreimal im Altertum und dreimal im
Mittelalter erleben mußte, noch die ewigen Palastrevolutionen und Aufstände unter
den byzantinischen Schattenkaisern, noch die beständigen Angriffe zahlloser Barbaren¬
völker, noch endlich der harte Druck türkischer Paschawirtschaft und die dauernde
Mißregierung eines verfaulenden Staatswesens zu vernichten oder auch nur ihrer
Bedeutung zu berauben. Immer wieder erhob sich dieser „Augapfel aller Städte,"
wie sie der byzantinische Geschichtschreiber Nicetas nennt, aus Trümmern und Asche,
und in der Stille sich rüstend wartet die Königin des Bosporus des Tages, wo
Europa die Verlorne Tochter wieder zu sich nehmen und die asiatische Zwingherr¬
schaft auf Nimmerwiederkehr dahin zurückjagen wird, woher sie gekommen ist. Dann
Wird Konstantinopel wieder in demselben Glänze erstrahlen, wie einst in den großen
Zeiten des Konstantin und des Justinian.

Doch bis dahin hat es wohl noch gute Wege. Einstweilen ist die gewaltige
Dreistadt am Goldner Horn noch eine seltsame Mischung von asiatischem und euro¬
päischem Wesen, von Kultur und Barbarei, von Eleganz und Verkommenheit. Nach¬
dem wir sie von oben beschaut hatten, wollten wir sie möglichst rasch und vollständig
auch im Innern kennen lernen. Wir mieteten also gleich an dem Nachmittage
dieses Tages einen Wagen und engagierten als Erklärer und Wegweiser unsern
Anastas Dellio. Unsre Fahrt ging von unserm Hotel in Pera hinunter uach
Galata, dann über die „neue Brücke," wo jeder Wagen 2^ Piaster (5V Pfennige)
Brückengeld zu zahle» hat, nach Stambul zur Agia Sophia, zum Atmeidau, zum
Seraskeriat, zu verschiednen Moscheen und Mausoleen, dann in schier endloser
Fahrt durch die ganze Türkenstadt bis zur Tor von Adrianopel, wo noch eine
Moschee zu besichtigen war, dann wieder durch andre Straßen zurück zum großen
Basar und über die Brücke nach Galata und Pera. Eine solche Fahrt ist das
beste und schnellste Mittel der Orientierung und darum jedem Fremden anzuraten.
Aber die Fülle der Eindrücke, die sie mit sich bringt, ist so enorm, daß man sie
nicht alle aufzunehmen, geschweige denn zu verarbeiten vermag. Auch kann man,
da der Wagen auf Zeit genommen ist, die einzelnen Sehenswürdigkeiten nicht mit
hinreichender Muße betrachten, was um so ärgerlicher ist, weil die zu entrichtenden
Trinkgelder überall ziemlich bedeutend sind. Jedenfalls darf man die Besichtigung
der Stadt mit dieser Rundfahrt nicht etwa für abgeschlossen halten. Man muß
sich zu Fuß noch einmal hineinwagen und den größern Teil der gesehenen Merk¬
würdigkeiten zum zweitenmal aufsuchen.

Pera ist die Europäer- und Fremdenstadt. Hier liegen die Gesandtschaften
und die Konsulate, die Hotels und die Restaurationen sowie große französische und
deutsche Warenmagazine, in denen man alles haben kann, was das Herz begehrt. Hier
kann mau auch europäische Vergnügungen zweifelhafter Art genießen. Es gibt an¬
rüchige Lokale und Tingeltangel von jeder Gattung. Hier suchen holde Sängerinnen
— oft ein Dutzend an Zahl und mehr, unter ihnen verhältnismäßig viele deutsch
sprechende und singende Zis- und Trausleithanieriunen — den Fremdling zum Be¬
zahlen des teuern Biers und zu möglichst reichlichen Zigarettenspenden zu ver¬
anlassen. In demi sogenannten Foyer, einem saalartigen, mit Spiegeln und Divans
ausgestatteten Nebenraume, wird das Animiergeschäft von andern, eleganter und
freier gekleideten „Damen" mit noch größerer Unverfrorenheit und stärkern An-


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[0522] Aonstantinopolitanische Reiseerlebnisse der Schiffe mastenreicher Wald, und zahllose Boote, große Handels- und kleine Vergnügungsdampfer kreuzen uach allen Richtungen die blauen Fluten, während auf den Quais die Erzeugnisse dreier Weltteile zur Verladung bereit liegen. Venedig ist eine tote oder wenigstens eine sterbende Stadt, Konstantinopel gleicht einer jungen Riesin, die zurzeit noch dnrch eiserne Bande und engen Verschluß an der vollen Entfaltung ihrer Kräfte gehindert, zu einer gar nicht abzusehenden Große und Herrlichkett gelangen wird, sobald die hemmenden Fesseln einmal ge¬ fallen find. Eine für den Welthandel so unvergleichlich liegende, durch Natur und Klima mit so unermeßlichen Hilfsquellen ausgestattete Stadt vermochten weder die Eroberungen und Ausplünderungen, die sie dreimal im Altertum und dreimal im Mittelalter erleben mußte, noch die ewigen Palastrevolutionen und Aufstände unter den byzantinischen Schattenkaisern, noch die beständigen Angriffe zahlloser Barbaren¬ völker, noch endlich der harte Druck türkischer Paschawirtschaft und die dauernde Mißregierung eines verfaulenden Staatswesens zu vernichten oder auch nur ihrer Bedeutung zu berauben. Immer wieder erhob sich dieser „Augapfel aller Städte," wie sie der byzantinische Geschichtschreiber Nicetas nennt, aus Trümmern und Asche, und in der Stille sich rüstend wartet die Königin des Bosporus des Tages, wo Europa die Verlorne Tochter wieder zu sich nehmen und die asiatische Zwingherr¬ schaft auf Nimmerwiederkehr dahin zurückjagen wird, woher sie gekommen ist. Dann Wird Konstantinopel wieder in demselben Glänze erstrahlen, wie einst in den großen Zeiten des Konstantin und des Justinian. Doch bis dahin hat es wohl noch gute Wege. Einstweilen ist die gewaltige Dreistadt am Goldner Horn noch eine seltsame Mischung von asiatischem und euro¬ päischem Wesen, von Kultur und Barbarei, von Eleganz und Verkommenheit. Nach¬ dem wir sie von oben beschaut hatten, wollten wir sie möglichst rasch und vollständig auch im Innern kennen lernen. Wir mieteten also gleich an dem Nachmittage dieses Tages einen Wagen und engagierten als Erklärer und Wegweiser unsern Anastas Dellio. Unsre Fahrt ging von unserm Hotel in Pera hinunter uach Galata, dann über die „neue Brücke," wo jeder Wagen 2^ Piaster (5V Pfennige) Brückengeld zu zahle» hat, nach Stambul zur Agia Sophia, zum Atmeidau, zum Seraskeriat, zu verschiednen Moscheen und Mausoleen, dann in schier endloser Fahrt durch die ganze Türkenstadt bis zur Tor von Adrianopel, wo noch eine Moschee zu besichtigen war, dann wieder durch andre Straßen zurück zum großen Basar und über die Brücke nach Galata und Pera. Eine solche Fahrt ist das beste und schnellste Mittel der Orientierung und darum jedem Fremden anzuraten. Aber die Fülle der Eindrücke, die sie mit sich bringt, ist so enorm, daß man sie nicht alle aufzunehmen, geschweige denn zu verarbeiten vermag. Auch kann man, da der Wagen auf Zeit genommen ist, die einzelnen Sehenswürdigkeiten nicht mit hinreichender Muße betrachten, was um so ärgerlicher ist, weil die zu entrichtenden Trinkgelder überall ziemlich bedeutend sind. Jedenfalls darf man die Besichtigung der Stadt mit dieser Rundfahrt nicht etwa für abgeschlossen halten. Man muß sich zu Fuß noch einmal hineinwagen und den größern Teil der gesehenen Merk¬ würdigkeiten zum zweitenmal aufsuchen. Pera ist die Europäer- und Fremdenstadt. Hier liegen die Gesandtschaften und die Konsulate, die Hotels und die Restaurationen sowie große französische und deutsche Warenmagazine, in denen man alles haben kann, was das Herz begehrt. Hier kann mau auch europäische Vergnügungen zweifelhafter Art genießen. Es gibt an¬ rüchige Lokale und Tingeltangel von jeder Gattung. Hier suchen holde Sängerinnen — oft ein Dutzend an Zahl und mehr, unter ihnen verhältnismäßig viele deutsch sprechende und singende Zis- und Trausleithanieriunen — den Fremdling zum Be¬ zahlen des teuern Biers und zu möglichst reichlichen Zigarettenspenden zu ver¬ anlassen. In demi sogenannten Foyer, einem saalartigen, mit Spiegeln und Divans ausgestatteten Nebenraume, wird das Animiergeschäft von andern, eleganter und freier gekleideten „Damen" mit noch größerer Unverfrorenheit und stärkern An-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/522>, abgerufen am 29.06.2024.