Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aonstcmtiiwpolitanische Reiseerlebnisse

Nicht lange durften wir uns dieses in seiner Art einzigen Städtebildes er¬
freuen. Denn die gesetzlichen Formalitäten waren bald erledigt. Wir mußten uns
bereit machen, das Schiff zu verlassen, ein Augenblick, vor dem uns allen etwas
bangte, wenn wir auf die in zahlreichen Booten uns umkreisenden Hafenhyänen
schauten. Ein junger, liebenswürdiger Österreicher hatte mir vorgeschlagen, sich mir
anschließen zu dürfen. Man hatte ihm vor der Pest Angst gemacht, ihm erzählt, daß
in Galata auf den Straßen "Aas an Aas" liege, daß das Klima höchst gefährlich sei,
daß Quarantäne mit Sicherheit zu erwarten und nicht anders als ein zwölftägiger
Arrest sei, noch dazu ein sehr teurer. Dennoch hatte er sich nach langem Schwanken
und vielen innern Kämpfen entschlossen, nicht, wie so viele seiner Kollegen, von
Troja zurück ucich Athen, sondern weiter nach Konstantinopel zu reisen. Es war mir
sehr recht, diesen jungen Mann zum Genossen zu bekommen, und wir verheirateten
uns denn für die Dauer unsers konstnntinvpolitanischen Aufenthalts sozusagen mit¬
einander. Immer wieder rief er während dieser bosporanischen Tage uns: O, wie
haben sich die im Lichte gestanden, die aus Furcht vor Quarantäne nicht mit hier¬
hergekommen sind!

Das erste Boot, das an der Schiffstreppe anlegen durfte, brachte eine offenbar
sehr vornehme Türkin mit mehreren Begleiterinnen an Bord. Die Dame, eine
elegante, distinguierte Erscheinung, hatte den Schleier zurückgeschlngen, aber an ihren:
grauseidnen Gewände hatte sie einen kapuzenartigen Aufsatz, den sie von hinten über
den Kopf gezogen hatte, sodnß nur das Gesicht frei war. Ein stattlicher Offizier
höhern Grades erwartete sie ruhig und ernst mit einem Gesicht wie in Bronze
gegossen in einem kleinen gesonderten Raume auf Deck. Als die Dame seiner ansichtig
wurde, entstürzten Tränen ihren Augen, sie ergriff seine Hand und küßte sie uuter
Schluchzen und Weinen, während ans seinen dunkeln Augen ein Strahl der Freude
und Liebe auf sie herniederschoß -- eine menschlich schöne, fast ergreifende Szene!

Bei diesen Türken und Heiden gibt es also auch trotz aller Vielweiberei und
Haremswirtschaft treue Sehnsucht und innige Gattenliebe. Das menschliche Herz
schlägt doch überall denselben Schlag, in jeder Zone und in jeder Religionsgemein¬
schaft. Nur die Formen sind verschieden. Bei uus würde nicht sie ihm, sondern
er ihr die Hand küsse", aber es ist sehr die Frage, welche von beiden Sitten die
natürlichere und richtigere ist. Nach Nietzsche entschieden die türkische; denn nach
ihm hat Asien die Frauen immer richtiger taxiert und ihrer eignen Natur ent¬
sprechender behandelt als das seminisierte Europa.

Wir beiden Genossen standen während dieser Szene, die wir aus nächster
Nähe beobachten konnten, bei unserm Gepäck und harrten der Dinge, die da kommen
sollten. Wir wollten selbstverständlich in das in Deutschland immer empfohlene
"Hotel Kroeker," aber der Mensch denkt, und Allah lenkt in Konstantinopel. Man
tut überhaupt bei solchen Gelegenheiten im Orient am besten, auf eigne Absichten,
auf Durchsetzen irgend eines selbständigen Willens zu verzichten. Man cake damit
doch nur überall an, kommt nicht vom Flecke und bezahlt schließlich mehr als einer,
der sich vertrauensvoll dem Kismet überläßt.

Als die Hafenhhänen an Bord enterten, große Schilder an Mütze, Brust und
Arm tragend, und ihre Hotels und Pensionen laut ausriefen, machte ich einem, der
fortwährend "Kroeker" schrie, ein Zeichen, und er bemächtigte sich sofort unsrer
Koffer und führte uns ub, aber nur um uns alsbald einem zweiten zu übergeben,
der uus wieder einem dritten zuwies. An Reklamation oder Weigerung war bei
dem ohrenbetäubenden Lärm und dem wilden Gedränge gar nicht zu denken.

Willenlos gingen wir von Hand zu Hand, wurden die enge Fallreepstreppe
hinuntergeschoben und in ein Boot gebracht, wo uns ein ganz anständig gekleideter
Mensch, der zwar einen Fes aber keinerlei Hotelabzeichen trug, in Empfang nahm
und zu unsrer Freude auf deutsch anredete: Pension Kroeker, nicht wahr? Anstatt
aber sosort an Land zu fahren, ließ er die beiden Ruderer so lauge an dem
Schiffe hin und her kreisen, bis die bessern Passagiere alle herunter waren. Endlich,


Aonstcmtiiwpolitanische Reiseerlebnisse

Nicht lange durften wir uns dieses in seiner Art einzigen Städtebildes er¬
freuen. Denn die gesetzlichen Formalitäten waren bald erledigt. Wir mußten uns
bereit machen, das Schiff zu verlassen, ein Augenblick, vor dem uns allen etwas
bangte, wenn wir auf die in zahlreichen Booten uns umkreisenden Hafenhyänen
schauten. Ein junger, liebenswürdiger Österreicher hatte mir vorgeschlagen, sich mir
anschließen zu dürfen. Man hatte ihm vor der Pest Angst gemacht, ihm erzählt, daß
in Galata auf den Straßen „Aas an Aas" liege, daß das Klima höchst gefährlich sei,
daß Quarantäne mit Sicherheit zu erwarten und nicht anders als ein zwölftägiger
Arrest sei, noch dazu ein sehr teurer. Dennoch hatte er sich nach langem Schwanken
und vielen innern Kämpfen entschlossen, nicht, wie so viele seiner Kollegen, von
Troja zurück ucich Athen, sondern weiter nach Konstantinopel zu reisen. Es war mir
sehr recht, diesen jungen Mann zum Genossen zu bekommen, und wir verheirateten
uns denn für die Dauer unsers konstnntinvpolitanischen Aufenthalts sozusagen mit¬
einander. Immer wieder rief er während dieser bosporanischen Tage uns: O, wie
haben sich die im Lichte gestanden, die aus Furcht vor Quarantäne nicht mit hier¬
hergekommen sind!

Das erste Boot, das an der Schiffstreppe anlegen durfte, brachte eine offenbar
sehr vornehme Türkin mit mehreren Begleiterinnen an Bord. Die Dame, eine
elegante, distinguierte Erscheinung, hatte den Schleier zurückgeschlngen, aber an ihren:
grauseidnen Gewände hatte sie einen kapuzenartigen Aufsatz, den sie von hinten über
den Kopf gezogen hatte, sodnß nur das Gesicht frei war. Ein stattlicher Offizier
höhern Grades erwartete sie ruhig und ernst mit einem Gesicht wie in Bronze
gegossen in einem kleinen gesonderten Raume auf Deck. Als die Dame seiner ansichtig
wurde, entstürzten Tränen ihren Augen, sie ergriff seine Hand und küßte sie uuter
Schluchzen und Weinen, während ans seinen dunkeln Augen ein Strahl der Freude
und Liebe auf sie herniederschoß — eine menschlich schöne, fast ergreifende Szene!

Bei diesen Türken und Heiden gibt es also auch trotz aller Vielweiberei und
Haremswirtschaft treue Sehnsucht und innige Gattenliebe. Das menschliche Herz
schlägt doch überall denselben Schlag, in jeder Zone und in jeder Religionsgemein¬
schaft. Nur die Formen sind verschieden. Bei uus würde nicht sie ihm, sondern
er ihr die Hand küsse», aber es ist sehr die Frage, welche von beiden Sitten die
natürlichere und richtigere ist. Nach Nietzsche entschieden die türkische; denn nach
ihm hat Asien die Frauen immer richtiger taxiert und ihrer eignen Natur ent¬
sprechender behandelt als das seminisierte Europa.

Wir beiden Genossen standen während dieser Szene, die wir aus nächster
Nähe beobachten konnten, bei unserm Gepäck und harrten der Dinge, die da kommen
sollten. Wir wollten selbstverständlich in das in Deutschland immer empfohlene
„Hotel Kroeker," aber der Mensch denkt, und Allah lenkt in Konstantinopel. Man
tut überhaupt bei solchen Gelegenheiten im Orient am besten, auf eigne Absichten,
auf Durchsetzen irgend eines selbständigen Willens zu verzichten. Man cake damit
doch nur überall an, kommt nicht vom Flecke und bezahlt schließlich mehr als einer,
der sich vertrauensvoll dem Kismet überläßt.

Als die Hafenhhänen an Bord enterten, große Schilder an Mütze, Brust und
Arm tragend, und ihre Hotels und Pensionen laut ausriefen, machte ich einem, der
fortwährend „Kroeker" schrie, ein Zeichen, und er bemächtigte sich sofort unsrer
Koffer und führte uns ub, aber nur um uns alsbald einem zweiten zu übergeben,
der uus wieder einem dritten zuwies. An Reklamation oder Weigerung war bei
dem ohrenbetäubenden Lärm und dem wilden Gedränge gar nicht zu denken.

Willenlos gingen wir von Hand zu Hand, wurden die enge Fallreepstreppe
hinuntergeschoben und in ein Boot gebracht, wo uns ein ganz anständig gekleideter
Mensch, der zwar einen Fes aber keinerlei Hotelabzeichen trug, in Empfang nahm
und zu unsrer Freude auf deutsch anredete: Pension Kroeker, nicht wahr? Anstatt
aber sosort an Land zu fahren, ließ er die beiden Ruderer so lauge an dem
Schiffe hin und her kreisen, bis die bessern Passagiere alle herunter waren. Endlich,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0518" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/295737"/>
            <fw type="header" place="top"> Aonstcmtiiwpolitanische Reiseerlebnisse</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_2592"> Nicht lange durften wir uns dieses in seiner Art einzigen Städtebildes er¬<lb/>
freuen. Denn die gesetzlichen Formalitäten waren bald erledigt. Wir mußten uns<lb/>
bereit machen, das Schiff zu verlassen, ein Augenblick, vor dem uns allen etwas<lb/>
bangte, wenn wir auf die in zahlreichen Booten uns umkreisenden Hafenhyänen<lb/>
schauten. Ein junger, liebenswürdiger Österreicher hatte mir vorgeschlagen, sich mir<lb/>
anschließen zu dürfen. Man hatte ihm vor der Pest Angst gemacht, ihm erzählt, daß<lb/>
in Galata auf den Straßen &#x201E;Aas an Aas" liege, daß das Klima höchst gefährlich sei,<lb/>
daß Quarantäne mit Sicherheit zu erwarten und nicht anders als ein zwölftägiger<lb/>
Arrest sei, noch dazu ein sehr teurer. Dennoch hatte er sich nach langem Schwanken<lb/>
und vielen innern Kämpfen entschlossen, nicht, wie so viele seiner Kollegen, von<lb/>
Troja zurück ucich Athen, sondern weiter nach Konstantinopel zu reisen. Es war mir<lb/>
sehr recht, diesen jungen Mann zum Genossen zu bekommen, und wir verheirateten<lb/>
uns denn für die Dauer unsers konstnntinvpolitanischen Aufenthalts sozusagen mit¬<lb/>
einander. Immer wieder rief er während dieser bosporanischen Tage uns: O, wie<lb/>
haben sich die im Lichte gestanden, die aus Furcht vor Quarantäne nicht mit hier¬<lb/>
hergekommen sind!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2593"> Das erste Boot, das an der Schiffstreppe anlegen durfte, brachte eine offenbar<lb/>
sehr vornehme Türkin mit mehreren Begleiterinnen an Bord. Die Dame, eine<lb/>
elegante, distinguierte Erscheinung, hatte den Schleier zurückgeschlngen, aber an ihren:<lb/>
grauseidnen Gewände hatte sie einen kapuzenartigen Aufsatz, den sie von hinten über<lb/>
den Kopf gezogen hatte, sodnß nur das Gesicht frei war. Ein stattlicher Offizier<lb/>
höhern Grades erwartete sie ruhig und ernst mit einem Gesicht wie in Bronze<lb/>
gegossen in einem kleinen gesonderten Raume auf Deck. Als die Dame seiner ansichtig<lb/>
wurde, entstürzten Tränen ihren Augen, sie ergriff seine Hand und küßte sie uuter<lb/>
Schluchzen und Weinen, während ans seinen dunkeln Augen ein Strahl der Freude<lb/>
und Liebe auf sie herniederschoß &#x2014; eine menschlich schöne, fast ergreifende Szene!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2594"> Bei diesen Türken und Heiden gibt es also auch trotz aller Vielweiberei und<lb/>
Haremswirtschaft treue Sehnsucht und innige Gattenliebe. Das menschliche Herz<lb/>
schlägt doch überall denselben Schlag, in jeder Zone und in jeder Religionsgemein¬<lb/>
schaft. Nur die Formen sind verschieden. Bei uus würde nicht sie ihm, sondern<lb/>
er ihr die Hand küsse», aber es ist sehr die Frage, welche von beiden Sitten die<lb/>
natürlichere und richtigere ist. Nach Nietzsche entschieden die türkische; denn nach<lb/>
ihm hat Asien die Frauen immer richtiger taxiert und ihrer eignen Natur ent¬<lb/>
sprechender behandelt als das seminisierte Europa.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2595"> Wir beiden Genossen standen während dieser Szene, die wir aus nächster<lb/>
Nähe beobachten konnten, bei unserm Gepäck und harrten der Dinge, die da kommen<lb/>
sollten. Wir wollten selbstverständlich in das in Deutschland immer empfohlene<lb/>
&#x201E;Hotel Kroeker," aber der Mensch denkt, und Allah lenkt in Konstantinopel. Man<lb/>
tut überhaupt bei solchen Gelegenheiten im Orient am besten, auf eigne Absichten,<lb/>
auf Durchsetzen irgend eines selbständigen Willens zu verzichten. Man cake damit<lb/>
doch nur überall an, kommt nicht vom Flecke und bezahlt schließlich mehr als einer,<lb/>
der sich vertrauensvoll dem Kismet überläßt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2596"> Als die Hafenhhänen an Bord enterten, große Schilder an Mütze, Brust und<lb/>
Arm tragend, und ihre Hotels und Pensionen laut ausriefen, machte ich einem, der<lb/>
fortwährend &#x201E;Kroeker" schrie, ein Zeichen, und er bemächtigte sich sofort unsrer<lb/>
Koffer und führte uns ub, aber nur um uns alsbald einem zweiten zu übergeben,<lb/>
der uus wieder einem dritten zuwies. An Reklamation oder Weigerung war bei<lb/>
dem ohrenbetäubenden Lärm und dem wilden Gedränge gar nicht zu denken.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2597" next="#ID_2598"> Willenlos gingen wir von Hand zu Hand, wurden die enge Fallreepstreppe<lb/>
hinuntergeschoben und in ein Boot gebracht, wo uns ein ganz anständig gekleideter<lb/>
Mensch, der zwar einen Fes aber keinerlei Hotelabzeichen trug, in Empfang nahm<lb/>
und zu unsrer Freude auf deutsch anredete: Pension Kroeker, nicht wahr? Anstatt<lb/>
aber sosort an Land zu fahren, ließ er die beiden Ruderer so lauge an dem<lb/>
Schiffe hin und her kreisen, bis die bessern Passagiere alle herunter waren. Endlich,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0518] Aonstcmtiiwpolitanische Reiseerlebnisse Nicht lange durften wir uns dieses in seiner Art einzigen Städtebildes er¬ freuen. Denn die gesetzlichen Formalitäten waren bald erledigt. Wir mußten uns bereit machen, das Schiff zu verlassen, ein Augenblick, vor dem uns allen etwas bangte, wenn wir auf die in zahlreichen Booten uns umkreisenden Hafenhyänen schauten. Ein junger, liebenswürdiger Österreicher hatte mir vorgeschlagen, sich mir anschließen zu dürfen. Man hatte ihm vor der Pest Angst gemacht, ihm erzählt, daß in Galata auf den Straßen „Aas an Aas" liege, daß das Klima höchst gefährlich sei, daß Quarantäne mit Sicherheit zu erwarten und nicht anders als ein zwölftägiger Arrest sei, noch dazu ein sehr teurer. Dennoch hatte er sich nach langem Schwanken und vielen innern Kämpfen entschlossen, nicht, wie so viele seiner Kollegen, von Troja zurück ucich Athen, sondern weiter nach Konstantinopel zu reisen. Es war mir sehr recht, diesen jungen Mann zum Genossen zu bekommen, und wir verheirateten uns denn für die Dauer unsers konstnntinvpolitanischen Aufenthalts sozusagen mit¬ einander. Immer wieder rief er während dieser bosporanischen Tage uns: O, wie haben sich die im Lichte gestanden, die aus Furcht vor Quarantäne nicht mit hier¬ hergekommen sind! Das erste Boot, das an der Schiffstreppe anlegen durfte, brachte eine offenbar sehr vornehme Türkin mit mehreren Begleiterinnen an Bord. Die Dame, eine elegante, distinguierte Erscheinung, hatte den Schleier zurückgeschlngen, aber an ihren: grauseidnen Gewände hatte sie einen kapuzenartigen Aufsatz, den sie von hinten über den Kopf gezogen hatte, sodnß nur das Gesicht frei war. Ein stattlicher Offizier höhern Grades erwartete sie ruhig und ernst mit einem Gesicht wie in Bronze gegossen in einem kleinen gesonderten Raume auf Deck. Als die Dame seiner ansichtig wurde, entstürzten Tränen ihren Augen, sie ergriff seine Hand und küßte sie uuter Schluchzen und Weinen, während ans seinen dunkeln Augen ein Strahl der Freude und Liebe auf sie herniederschoß — eine menschlich schöne, fast ergreifende Szene! Bei diesen Türken und Heiden gibt es also auch trotz aller Vielweiberei und Haremswirtschaft treue Sehnsucht und innige Gattenliebe. Das menschliche Herz schlägt doch überall denselben Schlag, in jeder Zone und in jeder Religionsgemein¬ schaft. Nur die Formen sind verschieden. Bei uus würde nicht sie ihm, sondern er ihr die Hand küsse», aber es ist sehr die Frage, welche von beiden Sitten die natürlichere und richtigere ist. Nach Nietzsche entschieden die türkische; denn nach ihm hat Asien die Frauen immer richtiger taxiert und ihrer eignen Natur ent¬ sprechender behandelt als das seminisierte Europa. Wir beiden Genossen standen während dieser Szene, die wir aus nächster Nähe beobachten konnten, bei unserm Gepäck und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Wir wollten selbstverständlich in das in Deutschland immer empfohlene „Hotel Kroeker," aber der Mensch denkt, und Allah lenkt in Konstantinopel. Man tut überhaupt bei solchen Gelegenheiten im Orient am besten, auf eigne Absichten, auf Durchsetzen irgend eines selbständigen Willens zu verzichten. Man cake damit doch nur überall an, kommt nicht vom Flecke und bezahlt schließlich mehr als einer, der sich vertrauensvoll dem Kismet überläßt. Als die Hafenhhänen an Bord enterten, große Schilder an Mütze, Brust und Arm tragend, und ihre Hotels und Pensionen laut ausriefen, machte ich einem, der fortwährend „Kroeker" schrie, ein Zeichen, und er bemächtigte sich sofort unsrer Koffer und führte uns ub, aber nur um uns alsbald einem zweiten zu übergeben, der uus wieder einem dritten zuwies. An Reklamation oder Weigerung war bei dem ohrenbetäubenden Lärm und dem wilden Gedränge gar nicht zu denken. Willenlos gingen wir von Hand zu Hand, wurden die enge Fallreepstreppe hinuntergeschoben und in ein Boot gebracht, wo uns ein ganz anständig gekleideter Mensch, der zwar einen Fes aber keinerlei Hotelabzeichen trug, in Empfang nahm und zu unsrer Freude auf deutsch anredete: Pension Kroeker, nicht wahr? Anstatt aber sosort an Land zu fahren, ließ er die beiden Ruderer so lauge an dem Schiffe hin und her kreisen, bis die bessern Passagiere alle herunter waren. Endlich,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/518
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/518>, abgerufen am 03.07.2024.