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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Uonsrantinopolitanische Reiseerlebnisse

und ich zitierte mir leise den alten Vers: V-U'bg.rü8 die, KAV 8UM, (Mg, von in-
telliFvr ulu. Nur ein Wort gab es, was mir mit meinen Tischgenossen gemein
war. Am obern Ende mir unerreichbar standen drei Flaschen mit gelblicher, grün¬
licher und schwärzlicher Flüssigkeit. Auf diese zeigte ich mit dem Finger und sprach
das Wort: nulli. Das schlug durch. Freundlich beförderte man die Karaffen in
meine Nähe, und meine Unterhaltung bestand nun darin, die drei Wutkis rein und
in den verschiedensten Mischungen zu probieren. Kräftig genug waren sie, ich mußte
meine Versuche bald einstellen.

Als ich nach dieser Wuttiprobe wieder an Deck kam, konnte ich an der allge¬
meinen Unruhe und dem Gedränge leicht merken, daß wir uns unserm Ziele nun¬
mehr näherten. Alles bereitete sich zur Ausbootung vor, die Zwischendeckpassagiere
schnürten ihre Bündel, die Familien gruppierten sich malerisch mit ihren Habselig¬
keiten und ihrem Vieh. Ein kleines Mädchen kämmte ein schönes weißes Schaf,
drehte ihm zierliche Kopflöckchen zurecht und durchflocht die Wolleusträhne mit roten
Bändern. Ich machte einen der Genossen darauf aufmerksam mit den Worten:

Sehen Sie einmal, dem Schafe da wird ordentlich Toilette gemacht!

Ein junger Orientale, der daneben stand und sich die Sache ebenfalls ansah,
griff das ihm verständliche Wort "Toilette" auf und sagte freundlich lachend:
'

Oui in.on8>sui', ooft ig toilstw als Is, mort!

Dem armen zierlichen Tier blühten also nicht die Freuden der grünen Weide,
sondern die rote Schlachtbank. Dieses Schmücken des Opfers war aber doch ein
hübscher Zug, der von gemütvoller Teilnahme zeugte.

Doch es wurde nun Zeit, sich einmal wieder nach der Gegend umzusehen.
Wir hatten das Marmnramecr schon fast hinter uns. Rechts erhoben sich die bergigen
Prinzeninseln, links erschienen die Hänser von San Stefano, wo die Russen 1878
der Türkei den Frieden aufzwangen, der fast zu einem europäischen Kriege geführt
hätte, dann kam die Stelle, wo die alten Stadtmauern ans Meer stoßen und das
verfallne Schloß der sieben Türme ragt, dann die Häuser und Gärten von Stambul
und auf der Höhe Moscheen mit kühnen Kuppeln und spitzen Minarets. Nun
verengerte sich das Wasser, rechts glitten die Häuser und gelben Kasernen von
Kadiköi und Skutciri an uns vorbei, beleuchtet vou der sinkenden Sonne, links folgten
die weiten grünen Gärten und die Paläste und Mauern des Serails, über denen
sich zu meineni Erstaunen ein weißer viereckiger Turm mit schrägen, schwarzem
Dach erhob, der genau so aussah wie der Turm einer deutschen Dorfkirche. Jetzt
bog das Schiff scharf nach links ein, fuhr um die Landspitze des Serail, und gleich
darauf rasselten die Anker hernieder. Da hatten wir nun die ganze vielgepriesene
Herrlichkeit vor uns, von der die Dichter gesungen und die Schriftsteller geschwärmt
haben. In der Tat ein märchenhafter Anblick! Das Goldne Horn, blan von Farbe,
und doch ein goldnes Füllhorn voll aller Güter des Morgen- und des Abendlandes
die in den Schiffen und auf den Quais verstaut und aufgespeichert lagen. Eine
lange Brücke spannte sich vor uns von Ufer zu Ufer, über die ein einziger un-
uuterbrochner wimmelnder Strom von Menschen und Tieren dahinflntete. In der
Ferne verdämmerte der schmaler werdende Meeresarm an grünen Hügeln. Die
Höhenzüge, die dieses blaue Band auf beiden Seiten einschlossen, bedeckte ein schier
unentwirrbares Straßen- und Häusermeer. Dazwischen grüne Gärten, dnnkelragende
Cypressen, mächtige, runde Warttürme, schlanke, blendendweiße Minarets und gro߬
artige, prunkvolle Kuppeln. Ja, eine Weltstadt lag da vor uns, eine Prachtstadt,
eine gottbegnadigte Zauber- und Märcheustadt! Schade uur, daß die Sonne im
Westen hinter ihr stand, sodaß wir die Herrlichkeiten vor uns nur in silhouetten-
cirtigem Dunkel sahen, während sich hinter uns am asiatischen Ufer ein reiches Farben¬
spiel entfaltete. Eine alte Regel ist, daß man nach Konstantinopel nicht mit der
Buhu, sondern zu Schiff kommen soll. Ich füge ihr noch die zweite hinzu, daß
wem am Morgen in das Goldne Horn einfährt. Nur denn sieht man Stadt und
Landschaft gleich in ihrem vollen Glänze.


Uonsrantinopolitanische Reiseerlebnisse

und ich zitierte mir leise den alten Vers: V-U'bg.rü8 die, KAV 8UM, (Mg, von in-
telliFvr ulu. Nur ein Wort gab es, was mir mit meinen Tischgenossen gemein
war. Am obern Ende mir unerreichbar standen drei Flaschen mit gelblicher, grün¬
licher und schwärzlicher Flüssigkeit. Auf diese zeigte ich mit dem Finger und sprach
das Wort: nulli. Das schlug durch. Freundlich beförderte man die Karaffen in
meine Nähe, und meine Unterhaltung bestand nun darin, die drei Wutkis rein und
in den verschiedensten Mischungen zu probieren. Kräftig genug waren sie, ich mußte
meine Versuche bald einstellen.

Als ich nach dieser Wuttiprobe wieder an Deck kam, konnte ich an der allge¬
meinen Unruhe und dem Gedränge leicht merken, daß wir uns unserm Ziele nun¬
mehr näherten. Alles bereitete sich zur Ausbootung vor, die Zwischendeckpassagiere
schnürten ihre Bündel, die Familien gruppierten sich malerisch mit ihren Habselig¬
keiten und ihrem Vieh. Ein kleines Mädchen kämmte ein schönes weißes Schaf,
drehte ihm zierliche Kopflöckchen zurecht und durchflocht die Wolleusträhne mit roten
Bändern. Ich machte einen der Genossen darauf aufmerksam mit den Worten:

Sehen Sie einmal, dem Schafe da wird ordentlich Toilette gemacht!

Ein junger Orientale, der daneben stand und sich die Sache ebenfalls ansah,
griff das ihm verständliche Wort „Toilette" auf und sagte freundlich lachend:
'

Oui in.on8>sui', ooft ig toilstw als Is, mort!

Dem armen zierlichen Tier blühten also nicht die Freuden der grünen Weide,
sondern die rote Schlachtbank. Dieses Schmücken des Opfers war aber doch ein
hübscher Zug, der von gemütvoller Teilnahme zeugte.

Doch es wurde nun Zeit, sich einmal wieder nach der Gegend umzusehen.
Wir hatten das Marmnramecr schon fast hinter uns. Rechts erhoben sich die bergigen
Prinzeninseln, links erschienen die Hänser von San Stefano, wo die Russen 1878
der Türkei den Frieden aufzwangen, der fast zu einem europäischen Kriege geführt
hätte, dann kam die Stelle, wo die alten Stadtmauern ans Meer stoßen und das
verfallne Schloß der sieben Türme ragt, dann die Häuser und Gärten von Stambul
und auf der Höhe Moscheen mit kühnen Kuppeln und spitzen Minarets. Nun
verengerte sich das Wasser, rechts glitten die Häuser und gelben Kasernen von
Kadiköi und Skutciri an uns vorbei, beleuchtet vou der sinkenden Sonne, links folgten
die weiten grünen Gärten und die Paläste und Mauern des Serails, über denen
sich zu meineni Erstaunen ein weißer viereckiger Turm mit schrägen, schwarzem
Dach erhob, der genau so aussah wie der Turm einer deutschen Dorfkirche. Jetzt
bog das Schiff scharf nach links ein, fuhr um die Landspitze des Serail, und gleich
darauf rasselten die Anker hernieder. Da hatten wir nun die ganze vielgepriesene
Herrlichkeit vor uns, von der die Dichter gesungen und die Schriftsteller geschwärmt
haben. In der Tat ein märchenhafter Anblick! Das Goldne Horn, blan von Farbe,
und doch ein goldnes Füllhorn voll aller Güter des Morgen- und des Abendlandes
die in den Schiffen und auf den Quais verstaut und aufgespeichert lagen. Eine
lange Brücke spannte sich vor uns von Ufer zu Ufer, über die ein einziger un-
uuterbrochner wimmelnder Strom von Menschen und Tieren dahinflntete. In der
Ferne verdämmerte der schmaler werdende Meeresarm an grünen Hügeln. Die
Höhenzüge, die dieses blaue Band auf beiden Seiten einschlossen, bedeckte ein schier
unentwirrbares Straßen- und Häusermeer. Dazwischen grüne Gärten, dnnkelragende
Cypressen, mächtige, runde Warttürme, schlanke, blendendweiße Minarets und gro߬
artige, prunkvolle Kuppeln. Ja, eine Weltstadt lag da vor uns, eine Prachtstadt,
eine gottbegnadigte Zauber- und Märcheustadt! Schade uur, daß die Sonne im
Westen hinter ihr stand, sodaß wir die Herrlichkeiten vor uns nur in silhouetten-
cirtigem Dunkel sahen, während sich hinter uns am asiatischen Ufer ein reiches Farben¬
spiel entfaltete. Eine alte Regel ist, daß man nach Konstantinopel nicht mit der
Buhu, sondern zu Schiff kommen soll. Ich füge ihr noch die zweite hinzu, daß
wem am Morgen in das Goldne Horn einfährt. Nur denn sieht man Stadt und
Landschaft gleich in ihrem vollen Glänze.


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[0517] Uonsrantinopolitanische Reiseerlebnisse und ich zitierte mir leise den alten Vers: V-U'bg.rü8 die, KAV 8UM, (Mg, von in- telliFvr ulu. Nur ein Wort gab es, was mir mit meinen Tischgenossen gemein war. Am obern Ende mir unerreichbar standen drei Flaschen mit gelblicher, grün¬ licher und schwärzlicher Flüssigkeit. Auf diese zeigte ich mit dem Finger und sprach das Wort: nulli. Das schlug durch. Freundlich beförderte man die Karaffen in meine Nähe, und meine Unterhaltung bestand nun darin, die drei Wutkis rein und in den verschiedensten Mischungen zu probieren. Kräftig genug waren sie, ich mußte meine Versuche bald einstellen. Als ich nach dieser Wuttiprobe wieder an Deck kam, konnte ich an der allge¬ meinen Unruhe und dem Gedränge leicht merken, daß wir uns unserm Ziele nun¬ mehr näherten. Alles bereitete sich zur Ausbootung vor, die Zwischendeckpassagiere schnürten ihre Bündel, die Familien gruppierten sich malerisch mit ihren Habselig¬ keiten und ihrem Vieh. Ein kleines Mädchen kämmte ein schönes weißes Schaf, drehte ihm zierliche Kopflöckchen zurecht und durchflocht die Wolleusträhne mit roten Bändern. Ich machte einen der Genossen darauf aufmerksam mit den Worten: Sehen Sie einmal, dem Schafe da wird ordentlich Toilette gemacht! Ein junger Orientale, der daneben stand und sich die Sache ebenfalls ansah, griff das ihm verständliche Wort „Toilette" auf und sagte freundlich lachend: ' Oui in.on8>sui', ooft ig toilstw als Is, mort! Dem armen zierlichen Tier blühten also nicht die Freuden der grünen Weide, sondern die rote Schlachtbank. Dieses Schmücken des Opfers war aber doch ein hübscher Zug, der von gemütvoller Teilnahme zeugte. Doch es wurde nun Zeit, sich einmal wieder nach der Gegend umzusehen. Wir hatten das Marmnramecr schon fast hinter uns. Rechts erhoben sich die bergigen Prinzeninseln, links erschienen die Hänser von San Stefano, wo die Russen 1878 der Türkei den Frieden aufzwangen, der fast zu einem europäischen Kriege geführt hätte, dann kam die Stelle, wo die alten Stadtmauern ans Meer stoßen und das verfallne Schloß der sieben Türme ragt, dann die Häuser und Gärten von Stambul und auf der Höhe Moscheen mit kühnen Kuppeln und spitzen Minarets. Nun verengerte sich das Wasser, rechts glitten die Häuser und gelben Kasernen von Kadiköi und Skutciri an uns vorbei, beleuchtet vou der sinkenden Sonne, links folgten die weiten grünen Gärten und die Paläste und Mauern des Serails, über denen sich zu meineni Erstaunen ein weißer viereckiger Turm mit schrägen, schwarzem Dach erhob, der genau so aussah wie der Turm einer deutschen Dorfkirche. Jetzt bog das Schiff scharf nach links ein, fuhr um die Landspitze des Serail, und gleich darauf rasselten die Anker hernieder. Da hatten wir nun die ganze vielgepriesene Herrlichkeit vor uns, von der die Dichter gesungen und die Schriftsteller geschwärmt haben. In der Tat ein märchenhafter Anblick! Das Goldne Horn, blan von Farbe, und doch ein goldnes Füllhorn voll aller Güter des Morgen- und des Abendlandes die in den Schiffen und auf den Quais verstaut und aufgespeichert lagen. Eine lange Brücke spannte sich vor uns von Ufer zu Ufer, über die ein einziger un- uuterbrochner wimmelnder Strom von Menschen und Tieren dahinflntete. In der Ferne verdämmerte der schmaler werdende Meeresarm an grünen Hügeln. Die Höhenzüge, die dieses blaue Band auf beiden Seiten einschlossen, bedeckte ein schier unentwirrbares Straßen- und Häusermeer. Dazwischen grüne Gärten, dnnkelragende Cypressen, mächtige, runde Warttürme, schlanke, blendendweiße Minarets und gro߬ artige, prunkvolle Kuppeln. Ja, eine Weltstadt lag da vor uns, eine Prachtstadt, eine gottbegnadigte Zauber- und Märcheustadt! Schade uur, daß die Sonne im Westen hinter ihr stand, sodaß wir die Herrlichkeiten vor uns nur in silhouetten- cirtigem Dunkel sahen, während sich hinter uns am asiatischen Ufer ein reiches Farben¬ spiel entfaltete. Eine alte Regel ist, daß man nach Konstantinopel nicht mit der Buhu, sondern zu Schiff kommen soll. Ich füge ihr noch die zweite hinzu, daß wem am Morgen in das Goldne Horn einfährt. Nur denn sieht man Stadt und Landschaft gleich in ihrem vollen Glänze.

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/517>, abgerufen am 03.07.2024.