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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Ronstantinopolitanische Reiseerlebnisse

Unterkunft und Verpflegung davon abraten. Zum Schluß empfahl er mir sich
selbst und seine Begleitung für die Tage meines Aufenthalts in Stambul. Er
war mir aber zu elegant, ebenso wie das Hotel, zu dem er gehörte.

Das Hinterdeck hatte sich inzwischen auffallend geleert. Wo früher Gedränge
herrschte, konnte man mit einemmal bequem spazieren gehn. Von meinen Reise¬
gefährten sah ich keinen einzigen mehr. Der Grund war, daß es zum Essen ge¬
läutet hatte. Alles, was in Konstantinopel aussteigen wollte, hatte sich zu dieser
ersten Mahlzeit hinunterbegeben. Denn schon die zweite hätte man nicht mehr in
Ruhe genießen können. Ich hatte das Signal im Gespräch mit dem Dragoman
überhört, und niemand hatte mich mitgenommen. Als ich nun nachträglich in dem
Speiseranm erschien, fand ich jedes Plätzchen besetzt und alles beschäftigt, Fische zu
verspeisen, die mir als delikat bezeichnet wurden, wie überhaupt die Verpflegung
gerade auf russischen Schiffen ganz besonders gut sein sollte. Ich hatte einen
Wolfshunger und konnte doch nirgends ankommen, mich auch mit dem Aufwärter
nicht verständigen. Endlich bekam ich heraus, daß gleich nach dieser ersten Ab¬
fütterung die Schiffsoffiziere und -Beamten zweiter Güte in der zweiten Kajüte
essen würden. Denen könne ich mich anschließen, wenn ich nicht bis zum zweiten
Passagiermassenmahl warten wolle.

Ich ging also wieder an Deck, so hungrig, wie ich es verlassen hatte, und
gesellte mich zu zwei weiblichen Wesen, einem ältern und einem jüngern, die sich
im Wiener Dialekt unterhielten. Von diesen, die mir mit österreichischer Gemütlichkeit
entgegenkamen, erfuhr ich, daß der ganze Harem des verstorbnen Ismail Pascha
an Bord sei, einige dreißig Türkinnen und Tscherkessinnen mit ihrer gesamten
Bedienung. Zu dieser gehörten auch die beiden Frauenzimmer, mit denen ich sprach;
die ältere war Köchin, die jüngere Kammermädchen. Der Harem ging von Alexandria,
wo er den Winter, nach Konstantinopel, wo er den Sommer zuzubringen pflegte.
Bei der Insel Delos hatte das Schiff zwei schrecklich langweilige Tage in Quaran¬
täne liegen müssen. Jetzt freuten sich die beiden Frauenspersonen auf das "schöne"
Konstantinopel, wo sie mehr Freiheit hätten als in Ägypten, auch mehr Landsleute
zu treffen pflegten. Sie schwärmten überhaupt für die Türken und das türkische
Leben und erklärten Haremsposten, wie sie sie hätten, für die angenehmsten, die
man überhaupt haben könne, auch das Leben der Haremsdamen selbst für "charmant,"
keine Sorgen, raffinierte Bequemlichkeiten und die feinsten Gaumengenüsse, auch
könnten sie sich, wenn sie sich mit der Bedienung gut zu stellen wüßten, manche
Amüsements verschaffen, die streng genommen nicht ganz gesetzlich seien. Dabei
machte die Ältere ein hohles Pfötchen und blinkte mir zugleich vielsagend zu,
während die Kammerzofe ein kleines fcmnisches Lachen nicht zu verbergen vermochte.
Die Kehrseite solchen Wohllebens fehlt freilich auch nicht. Nachdem im Mai 1876
Sultan Abdul-Asif abgesetzt und sechs Tage darauf plötzlich tot gefunden worden
war -- er hatte sich offiziell natürlich selbst entleibt --, wurde von seinem Nach¬
folger, so erzählte man mir in Konstantinopel, seine ganze hinterlassene Witwenschaft,
achtzig bis neunzig der schönsten Frauen des Orients, auf ein Schiff gepackt und
nach Alexandria geschafft. Aber schon am Tage nach der Abfahrt kehrte der Dampfer
leer wieder zurück, und in Alexandria hat man auch nicht eine einzige der ein¬
geschifften Sultansdamen je zu sehen bekommen. Was für Szenen mögen sich auf
diesem Schiffe an jenem Tage abgespielt haben!

Wir wurden in unsern interessanten Gesprächen durch die Menge derer unter¬
brochen, die vom Essen heraufkamen, und ich mußte nun schleunigst hinunter, wenn
ich von dem Zwischenmahle mein Teil bekommen wollte. Während man das Tafel¬
geschirr abräumte, wurde für mich und etwa sechs russische Schiffsbeamte an einem
kleinen Seitentische aufgetragen. Statt des "delikaten" Fisches gab es aber nur
einen gewöhnlichen Eierkuchen. Immerhin war diese Speisung das erste anständige
Mahl für mich seit langer Zeit. Schlimm stand es freilich mit der Unterhaltung.
Die fremden Laute rieselten wie murmelndes Wasser an meinem Ohre vorüber,


Ronstantinopolitanische Reiseerlebnisse

Unterkunft und Verpflegung davon abraten. Zum Schluß empfahl er mir sich
selbst und seine Begleitung für die Tage meines Aufenthalts in Stambul. Er
war mir aber zu elegant, ebenso wie das Hotel, zu dem er gehörte.

Das Hinterdeck hatte sich inzwischen auffallend geleert. Wo früher Gedränge
herrschte, konnte man mit einemmal bequem spazieren gehn. Von meinen Reise¬
gefährten sah ich keinen einzigen mehr. Der Grund war, daß es zum Essen ge¬
läutet hatte. Alles, was in Konstantinopel aussteigen wollte, hatte sich zu dieser
ersten Mahlzeit hinunterbegeben. Denn schon die zweite hätte man nicht mehr in
Ruhe genießen können. Ich hatte das Signal im Gespräch mit dem Dragoman
überhört, und niemand hatte mich mitgenommen. Als ich nun nachträglich in dem
Speiseranm erschien, fand ich jedes Plätzchen besetzt und alles beschäftigt, Fische zu
verspeisen, die mir als delikat bezeichnet wurden, wie überhaupt die Verpflegung
gerade auf russischen Schiffen ganz besonders gut sein sollte. Ich hatte einen
Wolfshunger und konnte doch nirgends ankommen, mich auch mit dem Aufwärter
nicht verständigen. Endlich bekam ich heraus, daß gleich nach dieser ersten Ab¬
fütterung die Schiffsoffiziere und -Beamten zweiter Güte in der zweiten Kajüte
essen würden. Denen könne ich mich anschließen, wenn ich nicht bis zum zweiten
Passagiermassenmahl warten wolle.

Ich ging also wieder an Deck, so hungrig, wie ich es verlassen hatte, und
gesellte mich zu zwei weiblichen Wesen, einem ältern und einem jüngern, die sich
im Wiener Dialekt unterhielten. Von diesen, die mir mit österreichischer Gemütlichkeit
entgegenkamen, erfuhr ich, daß der ganze Harem des verstorbnen Ismail Pascha
an Bord sei, einige dreißig Türkinnen und Tscherkessinnen mit ihrer gesamten
Bedienung. Zu dieser gehörten auch die beiden Frauenzimmer, mit denen ich sprach;
die ältere war Köchin, die jüngere Kammermädchen. Der Harem ging von Alexandria,
wo er den Winter, nach Konstantinopel, wo er den Sommer zuzubringen pflegte.
Bei der Insel Delos hatte das Schiff zwei schrecklich langweilige Tage in Quaran¬
täne liegen müssen. Jetzt freuten sich die beiden Frauenspersonen auf das „schöne"
Konstantinopel, wo sie mehr Freiheit hätten als in Ägypten, auch mehr Landsleute
zu treffen pflegten. Sie schwärmten überhaupt für die Türken und das türkische
Leben und erklärten Haremsposten, wie sie sie hätten, für die angenehmsten, die
man überhaupt haben könne, auch das Leben der Haremsdamen selbst für „charmant,"
keine Sorgen, raffinierte Bequemlichkeiten und die feinsten Gaumengenüsse, auch
könnten sie sich, wenn sie sich mit der Bedienung gut zu stellen wüßten, manche
Amüsements verschaffen, die streng genommen nicht ganz gesetzlich seien. Dabei
machte die Ältere ein hohles Pfötchen und blinkte mir zugleich vielsagend zu,
während die Kammerzofe ein kleines fcmnisches Lachen nicht zu verbergen vermochte.
Die Kehrseite solchen Wohllebens fehlt freilich auch nicht. Nachdem im Mai 1876
Sultan Abdul-Asif abgesetzt und sechs Tage darauf plötzlich tot gefunden worden
war — er hatte sich offiziell natürlich selbst entleibt —, wurde von seinem Nach¬
folger, so erzählte man mir in Konstantinopel, seine ganze hinterlassene Witwenschaft,
achtzig bis neunzig der schönsten Frauen des Orients, auf ein Schiff gepackt und
nach Alexandria geschafft. Aber schon am Tage nach der Abfahrt kehrte der Dampfer
leer wieder zurück, und in Alexandria hat man auch nicht eine einzige der ein¬
geschifften Sultansdamen je zu sehen bekommen. Was für Szenen mögen sich auf
diesem Schiffe an jenem Tage abgespielt haben!

Wir wurden in unsern interessanten Gesprächen durch die Menge derer unter¬
brochen, die vom Essen heraufkamen, und ich mußte nun schleunigst hinunter, wenn
ich von dem Zwischenmahle mein Teil bekommen wollte. Während man das Tafel¬
geschirr abräumte, wurde für mich und etwa sechs russische Schiffsbeamte an einem
kleinen Seitentische aufgetragen. Statt des „delikaten" Fisches gab es aber nur
einen gewöhnlichen Eierkuchen. Immerhin war diese Speisung das erste anständige
Mahl für mich seit langer Zeit. Schlimm stand es freilich mit der Unterhaltung.
Die fremden Laute rieselten wie murmelndes Wasser an meinem Ohre vorüber,


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[0516] Ronstantinopolitanische Reiseerlebnisse Unterkunft und Verpflegung davon abraten. Zum Schluß empfahl er mir sich selbst und seine Begleitung für die Tage meines Aufenthalts in Stambul. Er war mir aber zu elegant, ebenso wie das Hotel, zu dem er gehörte. Das Hinterdeck hatte sich inzwischen auffallend geleert. Wo früher Gedränge herrschte, konnte man mit einemmal bequem spazieren gehn. Von meinen Reise¬ gefährten sah ich keinen einzigen mehr. Der Grund war, daß es zum Essen ge¬ läutet hatte. Alles, was in Konstantinopel aussteigen wollte, hatte sich zu dieser ersten Mahlzeit hinunterbegeben. Denn schon die zweite hätte man nicht mehr in Ruhe genießen können. Ich hatte das Signal im Gespräch mit dem Dragoman überhört, und niemand hatte mich mitgenommen. Als ich nun nachträglich in dem Speiseranm erschien, fand ich jedes Plätzchen besetzt und alles beschäftigt, Fische zu verspeisen, die mir als delikat bezeichnet wurden, wie überhaupt die Verpflegung gerade auf russischen Schiffen ganz besonders gut sein sollte. Ich hatte einen Wolfshunger und konnte doch nirgends ankommen, mich auch mit dem Aufwärter nicht verständigen. Endlich bekam ich heraus, daß gleich nach dieser ersten Ab¬ fütterung die Schiffsoffiziere und -Beamten zweiter Güte in der zweiten Kajüte essen würden. Denen könne ich mich anschließen, wenn ich nicht bis zum zweiten Passagiermassenmahl warten wolle. Ich ging also wieder an Deck, so hungrig, wie ich es verlassen hatte, und gesellte mich zu zwei weiblichen Wesen, einem ältern und einem jüngern, die sich im Wiener Dialekt unterhielten. Von diesen, die mir mit österreichischer Gemütlichkeit entgegenkamen, erfuhr ich, daß der ganze Harem des verstorbnen Ismail Pascha an Bord sei, einige dreißig Türkinnen und Tscherkessinnen mit ihrer gesamten Bedienung. Zu dieser gehörten auch die beiden Frauenzimmer, mit denen ich sprach; die ältere war Köchin, die jüngere Kammermädchen. Der Harem ging von Alexandria, wo er den Winter, nach Konstantinopel, wo er den Sommer zuzubringen pflegte. Bei der Insel Delos hatte das Schiff zwei schrecklich langweilige Tage in Quaran¬ täne liegen müssen. Jetzt freuten sich die beiden Frauenspersonen auf das „schöne" Konstantinopel, wo sie mehr Freiheit hätten als in Ägypten, auch mehr Landsleute zu treffen pflegten. Sie schwärmten überhaupt für die Türken und das türkische Leben und erklärten Haremsposten, wie sie sie hätten, für die angenehmsten, die man überhaupt haben könne, auch das Leben der Haremsdamen selbst für „charmant," keine Sorgen, raffinierte Bequemlichkeiten und die feinsten Gaumengenüsse, auch könnten sie sich, wenn sie sich mit der Bedienung gut zu stellen wüßten, manche Amüsements verschaffen, die streng genommen nicht ganz gesetzlich seien. Dabei machte die Ältere ein hohles Pfötchen und blinkte mir zugleich vielsagend zu, während die Kammerzofe ein kleines fcmnisches Lachen nicht zu verbergen vermochte. Die Kehrseite solchen Wohllebens fehlt freilich auch nicht. Nachdem im Mai 1876 Sultan Abdul-Asif abgesetzt und sechs Tage darauf plötzlich tot gefunden worden war — er hatte sich offiziell natürlich selbst entleibt —, wurde von seinem Nach¬ folger, so erzählte man mir in Konstantinopel, seine ganze hinterlassene Witwenschaft, achtzig bis neunzig der schönsten Frauen des Orients, auf ein Schiff gepackt und nach Alexandria geschafft. Aber schon am Tage nach der Abfahrt kehrte der Dampfer leer wieder zurück, und in Alexandria hat man auch nicht eine einzige der ein¬ geschifften Sultansdamen je zu sehen bekommen. Was für Szenen mögen sich auf diesem Schiffe an jenem Tage abgespielt haben! Wir wurden in unsern interessanten Gesprächen durch die Menge derer unter¬ brochen, die vom Essen heraufkamen, und ich mußte nun schleunigst hinunter, wenn ich von dem Zwischenmahle mein Teil bekommen wollte. Während man das Tafel¬ geschirr abräumte, wurde für mich und etwa sechs russische Schiffsbeamte an einem kleinen Seitentische aufgetragen. Statt des „delikaten" Fisches gab es aber nur einen gewöhnlichen Eierkuchen. Immerhin war diese Speisung das erste anständige Mahl für mich seit langer Zeit. Schlimm stand es freilich mit der Unterhaltung. Die fremden Laute rieselten wie murmelndes Wasser an meinem Ohre vorüber,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/516>, abgerufen am 01.07.2024.