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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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("in weniger als 24 Stunden") seine erste Satire schrieb und also "um seiner
Sünden willen ein scribere" ward. Nach seinen "Regeln" soll der Kritiker
"nur von den Schriften urtheilen," er will so wenig wie Lessing "Persönlich¬
keiten in die Urteile eingeflochten" wissen, aber seine Theorie hält nicht stand
gegen die irrlichtelierenden Sprühteufel der mutwilligen Einfälle. Er möchte
lieber "Feuer im Maul halten als einen sinnreichen Einfall verschweigen,"
und eine fröhliche Stunde ist es für ihn, wenn ihm ein elender Skribent über
den Weg kommt, "ein Mann, mit dem man seine Lust haben kann." Der
unbedeutendste Gegner ist ihm der willkommenste, in oorxors pill kann man die
lustigsten Experimente anstellen.

Und nie ist er ausgelassener, als wenn er die Miene der gekränkten Un¬
schuld annimmt. Auf einen treuherzigen Ton versteht er sich meisterhaft. Der
Wolf, dem das Lamm das Wasser getrübt haben sollte, kann sich nicht ent¬
rüsteter gebärdet haben als der Spötter, der Himmel und Erde zu Zeugen
seiner kecken Erdichtungen aufruft. Er läßt seinen Hampelmann die possier¬
lichsten Sprünge machen, zieht an allen Fäden und freut sich, wie das
Männchen zappelt. Und wenn er es genug hat tanzen lassen, wirft ers in
den Kasten und sagt: So! Jetzt ist der Hanswurst tot.

Liscows heitere, mutwillige Laune und Lessings leidenschaftlicher, gewal¬
tiger Humor lassen sich nicht gegeneinander abwägen. Am wenigsten läßt sich
aus der Verschiedenheit der Weltanschauung, des Temperaments und des
Charakters, und demnach auch des Humors, eine Überlegenheit Liscows be¬
gründen. Ebensogut könnte man der behaglichen, in sich selbst vergnügten
Breite seiner Darstellung eine Superiorität über die strenge, herbe Geschlossen¬
heit zusprechen, die jeden Satz Lessings zum Epigramm prägt.

Muß denn auch immer der eine "über" oder "unter" dem andern stehn?
Ist nicht nebeneinander Raum genug?

Man tut jedem einen schlechten Gefallen, den man mit einem gar zu
Große" zusammenstellt. Seine Gegner wollen ihm den Platz nicht gönnen,
seine Freunde verdrießt es, daß er durch den Abstand kleiner scheint, als
er ist, und wer ihn noch nicht kennt, den macht allzuviel Lobeserhebuug leicht
mißtrauisch. So wurde Danzel durch Lischs verherrlichende Biographie im
voraus gegen Liscow eingenommen.

Aber nie ist jemand Liscow so wenig gerecht geworden wie Hettner, der
ihm vorwirft, er habe sich in seinen Briefen an Brühl zu kriechender Niedrig¬
keit entwürdigt.

Wie verhält es sich mit diesen Briefen?

Vrühls rücksichtslose Finanzwirtschaft ist bekannt. Eine gefügige Kabinetts¬
justiz unterdrückte jede Äußerung, in der sich die im Lande gärende Unzu¬
friedenheit Luft zu machen suchte. Auch Liscow wurde "wegen unanständiger
Discurse über den Steuerkredit und die Minister" gefänglich eingezogen. In
den Verhören handelt es sich besonders um die Rüsonnements und Beschwerden
über das hohe Ministerium, die er von Mitgliedern des Landtags und der
Ritterschaft vernommen haben soll. Liscow bekennt sich schuldig. Er gibt zu,
daß er sich ü'uns mamsrö inclöczsuw se xsu czonvövable über Brühl geäußert


von alten Büchern

(„in weniger als 24 Stunden") seine erste Satire schrieb und also „um seiner
Sünden willen ein scribere" ward. Nach seinen „Regeln" soll der Kritiker
„nur von den Schriften urtheilen," er will so wenig wie Lessing „Persönlich¬
keiten in die Urteile eingeflochten" wissen, aber seine Theorie hält nicht stand
gegen die irrlichtelierenden Sprühteufel der mutwilligen Einfälle. Er möchte
lieber „Feuer im Maul halten als einen sinnreichen Einfall verschweigen,"
und eine fröhliche Stunde ist es für ihn, wenn ihm ein elender Skribent über
den Weg kommt, „ein Mann, mit dem man seine Lust haben kann." Der
unbedeutendste Gegner ist ihm der willkommenste, in oorxors pill kann man die
lustigsten Experimente anstellen.

Und nie ist er ausgelassener, als wenn er die Miene der gekränkten Un¬
schuld annimmt. Auf einen treuherzigen Ton versteht er sich meisterhaft. Der
Wolf, dem das Lamm das Wasser getrübt haben sollte, kann sich nicht ent¬
rüsteter gebärdet haben als der Spötter, der Himmel und Erde zu Zeugen
seiner kecken Erdichtungen aufruft. Er läßt seinen Hampelmann die possier¬
lichsten Sprünge machen, zieht an allen Fäden und freut sich, wie das
Männchen zappelt. Und wenn er es genug hat tanzen lassen, wirft ers in
den Kasten und sagt: So! Jetzt ist der Hanswurst tot.

Liscows heitere, mutwillige Laune und Lessings leidenschaftlicher, gewal¬
tiger Humor lassen sich nicht gegeneinander abwägen. Am wenigsten läßt sich
aus der Verschiedenheit der Weltanschauung, des Temperaments und des
Charakters, und demnach auch des Humors, eine Überlegenheit Liscows be¬
gründen. Ebensogut könnte man der behaglichen, in sich selbst vergnügten
Breite seiner Darstellung eine Superiorität über die strenge, herbe Geschlossen¬
heit zusprechen, die jeden Satz Lessings zum Epigramm prägt.

Muß denn auch immer der eine „über" oder „unter" dem andern stehn?
Ist nicht nebeneinander Raum genug?

Man tut jedem einen schlechten Gefallen, den man mit einem gar zu
Große« zusammenstellt. Seine Gegner wollen ihm den Platz nicht gönnen,
seine Freunde verdrießt es, daß er durch den Abstand kleiner scheint, als
er ist, und wer ihn noch nicht kennt, den macht allzuviel Lobeserhebuug leicht
mißtrauisch. So wurde Danzel durch Lischs verherrlichende Biographie im
voraus gegen Liscow eingenommen.

Aber nie ist jemand Liscow so wenig gerecht geworden wie Hettner, der
ihm vorwirft, er habe sich in seinen Briefen an Brühl zu kriechender Niedrig¬
keit entwürdigt.

Wie verhält es sich mit diesen Briefen?

Vrühls rücksichtslose Finanzwirtschaft ist bekannt. Eine gefügige Kabinetts¬
justiz unterdrückte jede Äußerung, in der sich die im Lande gärende Unzu¬
friedenheit Luft zu machen suchte. Auch Liscow wurde „wegen unanständiger
Discurse über den Steuerkredit und die Minister" gefänglich eingezogen. In
den Verhören handelt es sich besonders um die Rüsonnements und Beschwerden
über das hohe Ministerium, die er von Mitgliedern des Landtags und der
Ritterschaft vernommen haben soll. Liscow bekennt sich schuldig. Er gibt zu,
daß er sich ü'uns mamsrö inclöczsuw se xsu czonvövable über Brühl geäußert


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[0512] von alten Büchern („in weniger als 24 Stunden") seine erste Satire schrieb und also „um seiner Sünden willen ein scribere" ward. Nach seinen „Regeln" soll der Kritiker „nur von den Schriften urtheilen," er will so wenig wie Lessing „Persönlich¬ keiten in die Urteile eingeflochten" wissen, aber seine Theorie hält nicht stand gegen die irrlichtelierenden Sprühteufel der mutwilligen Einfälle. Er möchte lieber „Feuer im Maul halten als einen sinnreichen Einfall verschweigen," und eine fröhliche Stunde ist es für ihn, wenn ihm ein elender Skribent über den Weg kommt, „ein Mann, mit dem man seine Lust haben kann." Der unbedeutendste Gegner ist ihm der willkommenste, in oorxors pill kann man die lustigsten Experimente anstellen. Und nie ist er ausgelassener, als wenn er die Miene der gekränkten Un¬ schuld annimmt. Auf einen treuherzigen Ton versteht er sich meisterhaft. Der Wolf, dem das Lamm das Wasser getrübt haben sollte, kann sich nicht ent¬ rüsteter gebärdet haben als der Spötter, der Himmel und Erde zu Zeugen seiner kecken Erdichtungen aufruft. Er läßt seinen Hampelmann die possier¬ lichsten Sprünge machen, zieht an allen Fäden und freut sich, wie das Männchen zappelt. Und wenn er es genug hat tanzen lassen, wirft ers in den Kasten und sagt: So! Jetzt ist der Hanswurst tot. Liscows heitere, mutwillige Laune und Lessings leidenschaftlicher, gewal¬ tiger Humor lassen sich nicht gegeneinander abwägen. Am wenigsten läßt sich aus der Verschiedenheit der Weltanschauung, des Temperaments und des Charakters, und demnach auch des Humors, eine Überlegenheit Liscows be¬ gründen. Ebensogut könnte man der behaglichen, in sich selbst vergnügten Breite seiner Darstellung eine Superiorität über die strenge, herbe Geschlossen¬ heit zusprechen, die jeden Satz Lessings zum Epigramm prägt. Muß denn auch immer der eine „über" oder „unter" dem andern stehn? Ist nicht nebeneinander Raum genug? Man tut jedem einen schlechten Gefallen, den man mit einem gar zu Große« zusammenstellt. Seine Gegner wollen ihm den Platz nicht gönnen, seine Freunde verdrießt es, daß er durch den Abstand kleiner scheint, als er ist, und wer ihn noch nicht kennt, den macht allzuviel Lobeserhebuug leicht mißtrauisch. So wurde Danzel durch Lischs verherrlichende Biographie im voraus gegen Liscow eingenommen. Aber nie ist jemand Liscow so wenig gerecht geworden wie Hettner, der ihm vorwirft, er habe sich in seinen Briefen an Brühl zu kriechender Niedrig¬ keit entwürdigt. Wie verhält es sich mit diesen Briefen? Vrühls rücksichtslose Finanzwirtschaft ist bekannt. Eine gefügige Kabinetts¬ justiz unterdrückte jede Äußerung, in der sich die im Lande gärende Unzu¬ friedenheit Luft zu machen suchte. Auch Liscow wurde „wegen unanständiger Discurse über den Steuerkredit und die Minister" gefänglich eingezogen. In den Verhören handelt es sich besonders um die Rüsonnements und Beschwerden über das hohe Ministerium, die er von Mitgliedern des Landtags und der Ritterschaft vernommen haben soll. Liscow bekennt sich schuldig. Er gibt zu, daß er sich ü'uns mamsrö inclöczsuw se xsu czonvövable über Brühl geäußert

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/512>, abgerufen am 01.07.2024.