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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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von alten Büchern

habe. Er wendet sich an Brlihls Großmut und "fleht ihn fußfällig an," seine
Gefangenschaft zu enden. Doch über alle Punkte, die irgend einen andern mit
hineinziehn könnten, verweigert er jede Auskunft. "Ich bekenne, daß ich bey
vieler Gelegenheit frey und unbesonnen genug geredet habe; Allein es ist mir
unmöglich, Zeit, Ort und Veranlassung anzugeben, . . . zu sagen mit wem,
wann Und wo ich solche Reden geführet, und was diejenigen, mit denen ich
geredet, dazu gesaget. Ich bitte Ew. Exc. unterthänig, zu bedenken, ob es
mir zuzumuthen."

Dabei bleibt er. Seine Haft dehnt sich von Weihnachten bis Ostern aus,
seine Gesundheit hält dem Winter im Gefängnis nicht stand, dazu kommt die
Sorge um seine schwer erkrankte Frau und die Ungewißheit über sein Schicksal.
Aber in den Widerwärtigkeiten der Haft wird die Sprache seiner Briefe nur
um so freimütiger und entschiedner, und nichts vermag ihm ein Wort, eine
Andeutung abzuzwingen, wodurch ein andrer kompromittiert würde. Der
erste Brief ist französisch geschrieben und in konventioneller Redeweise, die
beiden letzten -- gegen den damaligen Brauch -- deutsch und in den schlich¬
testen Worten. Man muß Liscows Briefe mit andern aus derselben Zeit ver¬
gleichen, mau muß erwägen, wes sich ein Untertan zu versehen hatte, der
gestündig war, frei und unbesonnen über die Mißwirtschaft eines allmächtigen
Gewalthabers geredet zu haben, dann wird man die ehrenhafte Gesinnung
würdigen, die aus diesen Briefen spricht, und wird die paar Kurialien und
höfischen Redewendungen auf Rechnung ihrer Zeit setzen.

Liscows übermütiger Humor hat ihn oft mit sich fortgerissen, der Meister
der Satire hat seiner eignen Kunst nicht widerstehn können. Ein sinnreicher
Einfall brannte ihm wie Feuer auf der Zunge, aber er wußte zu schweigen,
wenn es die Ehre forderte. Aus seinen Schriften spricht ein klarer, freier
Geist, ein selbständiger, tüchtiger Charakter. Wohl hat er "keine Riesen er¬
leget, sondern mit Zwergen gekümpfet," er führt uns oft nur in die kümmer¬
liche Enge, darin die "Gesellschaft der kleinen Geister" ihr Wesen treibt, aber
seine frohe Laune streut bunte Lichter über all den öden Wust und läßt den
trocknen Schulstaub lustig schimmern und flimmern. Ein schönes Nachwort
zu seinen Schriften wäre das Kästnersche Epigramm "Reue":




Grenzboten IV 190469
von alten Büchern

habe. Er wendet sich an Brlihls Großmut und „fleht ihn fußfällig an," seine
Gefangenschaft zu enden. Doch über alle Punkte, die irgend einen andern mit
hineinziehn könnten, verweigert er jede Auskunft. „Ich bekenne, daß ich bey
vieler Gelegenheit frey und unbesonnen genug geredet habe; Allein es ist mir
unmöglich, Zeit, Ort und Veranlassung anzugeben, . . . zu sagen mit wem,
wann Und wo ich solche Reden geführet, und was diejenigen, mit denen ich
geredet, dazu gesaget. Ich bitte Ew. Exc. unterthänig, zu bedenken, ob es
mir zuzumuthen."

Dabei bleibt er. Seine Haft dehnt sich von Weihnachten bis Ostern aus,
seine Gesundheit hält dem Winter im Gefängnis nicht stand, dazu kommt die
Sorge um seine schwer erkrankte Frau und die Ungewißheit über sein Schicksal.
Aber in den Widerwärtigkeiten der Haft wird die Sprache seiner Briefe nur
um so freimütiger und entschiedner, und nichts vermag ihm ein Wort, eine
Andeutung abzuzwingen, wodurch ein andrer kompromittiert würde. Der
erste Brief ist französisch geschrieben und in konventioneller Redeweise, die
beiden letzten — gegen den damaligen Brauch — deutsch und in den schlich¬
testen Worten. Man muß Liscows Briefe mit andern aus derselben Zeit ver¬
gleichen, mau muß erwägen, wes sich ein Untertan zu versehen hatte, der
gestündig war, frei und unbesonnen über die Mißwirtschaft eines allmächtigen
Gewalthabers geredet zu haben, dann wird man die ehrenhafte Gesinnung
würdigen, die aus diesen Briefen spricht, und wird die paar Kurialien und
höfischen Redewendungen auf Rechnung ihrer Zeit setzen.

Liscows übermütiger Humor hat ihn oft mit sich fortgerissen, der Meister
der Satire hat seiner eignen Kunst nicht widerstehn können. Ein sinnreicher
Einfall brannte ihm wie Feuer auf der Zunge, aber er wußte zu schweigen,
wenn es die Ehre forderte. Aus seinen Schriften spricht ein klarer, freier
Geist, ein selbständiger, tüchtiger Charakter. Wohl hat er „keine Riesen er¬
leget, sondern mit Zwergen gekümpfet," er führt uns oft nur in die kümmer¬
liche Enge, darin die „Gesellschaft der kleinen Geister" ihr Wesen treibt, aber
seine frohe Laune streut bunte Lichter über all den öden Wust und läßt den
trocknen Schulstaub lustig schimmern und flimmern. Ein schönes Nachwort
zu seinen Schriften wäre das Kästnersche Epigramm „Reue":




Grenzboten IV 190469
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[0513] von alten Büchern habe. Er wendet sich an Brlihls Großmut und „fleht ihn fußfällig an," seine Gefangenschaft zu enden. Doch über alle Punkte, die irgend einen andern mit hineinziehn könnten, verweigert er jede Auskunft. „Ich bekenne, daß ich bey vieler Gelegenheit frey und unbesonnen genug geredet habe; Allein es ist mir unmöglich, Zeit, Ort und Veranlassung anzugeben, . . . zu sagen mit wem, wann Und wo ich solche Reden geführet, und was diejenigen, mit denen ich geredet, dazu gesaget. Ich bitte Ew. Exc. unterthänig, zu bedenken, ob es mir zuzumuthen." Dabei bleibt er. Seine Haft dehnt sich von Weihnachten bis Ostern aus, seine Gesundheit hält dem Winter im Gefängnis nicht stand, dazu kommt die Sorge um seine schwer erkrankte Frau und die Ungewißheit über sein Schicksal. Aber in den Widerwärtigkeiten der Haft wird die Sprache seiner Briefe nur um so freimütiger und entschiedner, und nichts vermag ihm ein Wort, eine Andeutung abzuzwingen, wodurch ein andrer kompromittiert würde. Der erste Brief ist französisch geschrieben und in konventioneller Redeweise, die beiden letzten — gegen den damaligen Brauch — deutsch und in den schlich¬ testen Worten. Man muß Liscows Briefe mit andern aus derselben Zeit ver¬ gleichen, mau muß erwägen, wes sich ein Untertan zu versehen hatte, der gestündig war, frei und unbesonnen über die Mißwirtschaft eines allmächtigen Gewalthabers geredet zu haben, dann wird man die ehrenhafte Gesinnung würdigen, die aus diesen Briefen spricht, und wird die paar Kurialien und höfischen Redewendungen auf Rechnung ihrer Zeit setzen. Liscows übermütiger Humor hat ihn oft mit sich fortgerissen, der Meister der Satire hat seiner eignen Kunst nicht widerstehn können. Ein sinnreicher Einfall brannte ihm wie Feuer auf der Zunge, aber er wußte zu schweigen, wenn es die Ehre forderte. Aus seinen Schriften spricht ein klarer, freier Geist, ein selbständiger, tüchtiger Charakter. Wohl hat er „keine Riesen er¬ leget, sondern mit Zwergen gekümpfet," er führt uns oft nur in die kümmer¬ liche Enge, darin die „Gesellschaft der kleinen Geister" ihr Wesen treibt, aber seine frohe Laune streut bunte Lichter über all den öden Wust und läßt den trocknen Schulstaub lustig schimmern und flimmern. Ein schönes Nachwort zu seinen Schriften wäre das Kästnersche Epigramm „Reue": Grenzboten IV 190469

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/513>, abgerufen am 29.06.2024.