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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Glücksinseln und Träume

Kräfte des Wesens eines Menschen ist Betätigung gegeben. Deswegen ist der
rechte Bauer ein vielseitiger Mensch und noch darüber ein schöpferischer. Als die
drei heißen Sommer der ausgehenden fünfziger Jahre eine Trocknis hervorbrachten,
die noch lange nachwirkte, und allen höher gelegnen Höfen das Wasser ausging,
stellte ein einfacher Bauer auf dem Schattberg zum Wasserschöpfen ein Windrad
auf, das er ganz aus sich selbst ersonnen hatte, und von weither kamen Leute, um
es zu sehen. Es ist dann vielfach nachgeahmt worden.

Die alte Tracht war schon vor vier Jahrzehnten in dieser Gegend verschwunden,
der letzte Rest lebte in den schwarzseidnen Hauben mit zwei hinten hinabhängenden
kurzen Bändern, die die ältesten Frauen trugen. Was sage ich, sie lebte? Nein,
sie war im Sterben, denn kein Mädchen würde sich dazu bequemt haben. Die
Bauern trugen bei der Arbeit eine kurze leinene Jacke aus selbstgewonnenen Stoff,
im Dorfe von dem Färber hellblau gefärbt, den ich nie anders als mit Indigo-
Händen gesehen habe, Sonntags trugen sie blaue Röcke mit langen Schößen, lange
Beinkleider und schwarze Schirmmützen. Die Mädchen und Frauen trugen zur
Arbeit baumwollne geblümte Leibchen, bei Sonne oder Regen Kopftücher, die bei
diesen dunkel, bei jenen bunt waren.

Wenn das eigentliche Leben das Leben am Tage, das wache Leben ist, so
lebt der Bauer mehr und länger als der Stadtmensch. Im Sommer vor Sonnen¬
aufgang, im Winter meist lange vor Tag heraus, im Sommer mit Sonnenunter¬
gang und im Winter lange danach zu Bett: so sind seine Tage eingeteilt. Die
hohen hellen Morgen, an denen noch die Sterne in die Straße schauen, auf der
sich schon die Feldarbeiter hinaufbewegen, und die langen stillen Abende, wo, wenn
kaum die Dämmerung verglüht ist, ein verhallender Tritt eines Verspäteten oder
das Klirren einer Kette im Stalle die einzigen Laute sind: das sind Tageszeiten,
die man nur im Dorfe kennt.

Das Bauernleben ist ein Leben in der Luft und im Licht, ein echtes Frei¬
lichtleben. So wie der Sämann und der Mann hinter dem Pflug oder der Egge,
wenn er sich vom Himmel abhebt, ein fertiges Bild ist, so sind es die Kühe, sind
es die Hühner auf dem Grün der Wiesen, die Tauben, die die Luft durchschneiden,
so ist das Getreide, das wie ein Heer von Lanzen im Morgentau funkelt oder wie
ein fahlgoldnes Meer dir seine Wellen ans Herz legt. So ist alles hell, scharf
körperlich. Und denkt nicht der Bauer auch darum realistischer, weil sich ihm die
Dinge so scharf abheben?

Es ist kein Zufall, daß der Bauer so gern vom Wetter spricht, das heute ist,
und zur Not vou dem, das gestern war oder morgen sein wird, denn er lebt in
der Gegenwart, und die Aufgabe des Tages füllt ihn aus. Er ist nicht vergeßlich,
weil sein Gedächtnis ungeübt ist, sondern weil für ihn das Wenigste Interesse hat,
was wir unsrer Erinnerung einverleiben. Für das, was ihn angeht, hat er mehr
Gedächtnis als mancher fasrige Stadtmensch. Aber da er ohnehin nicht viel redet,
braucht er auch nicht viel Scheidegeld von Unterhaltungsmaterial. Wer ist so ober¬
flächlich, zu glauben, es glühe in diesen stillen Herzen keine Leidenschaft nach? Wer
nach der trüben Farbe des Gesteins von außen her urteilt, wird nie eine Goldader
finden. Als der blühende Sohn des Frachtfuhrmanns unsers Dorfes durch einen
Sturz vom Floß im Niederrhein ertrunken war, begegnete ich dem Alten in seinem
blauen Fuhrmannskittel. -- Nun, wie gehts, immer landauf, landab? -- Ja, sagte
er, immer gleich. Es ist mir halt so, wie es in dieser Spätjahrszeit auf den Wald¬
wegen ist: alles liegt voll dürren Blättern, man sieht keinen Finger breit Erde;
aber der Winter kommt, der Boden wird kahlgeweht, und dann sieht man erst
die Risse.

Die Arbeiten mit der Hand, die Geschicklichkeit, Übung und besonders viel
Geduld verlangen, verdienen bei den Landleuten allein den Ehrennamen Arbeit:


Der beste Orden, den ich weiß,
Ist eine Hand voll Schwielen,

Glücksinseln und Träume

Kräfte des Wesens eines Menschen ist Betätigung gegeben. Deswegen ist der
rechte Bauer ein vielseitiger Mensch und noch darüber ein schöpferischer. Als die
drei heißen Sommer der ausgehenden fünfziger Jahre eine Trocknis hervorbrachten,
die noch lange nachwirkte, und allen höher gelegnen Höfen das Wasser ausging,
stellte ein einfacher Bauer auf dem Schattberg zum Wasserschöpfen ein Windrad
auf, das er ganz aus sich selbst ersonnen hatte, und von weither kamen Leute, um
es zu sehen. Es ist dann vielfach nachgeahmt worden.

Die alte Tracht war schon vor vier Jahrzehnten in dieser Gegend verschwunden,
der letzte Rest lebte in den schwarzseidnen Hauben mit zwei hinten hinabhängenden
kurzen Bändern, die die ältesten Frauen trugen. Was sage ich, sie lebte? Nein,
sie war im Sterben, denn kein Mädchen würde sich dazu bequemt haben. Die
Bauern trugen bei der Arbeit eine kurze leinene Jacke aus selbstgewonnenen Stoff,
im Dorfe von dem Färber hellblau gefärbt, den ich nie anders als mit Indigo-
Händen gesehen habe, Sonntags trugen sie blaue Röcke mit langen Schößen, lange
Beinkleider und schwarze Schirmmützen. Die Mädchen und Frauen trugen zur
Arbeit baumwollne geblümte Leibchen, bei Sonne oder Regen Kopftücher, die bei
diesen dunkel, bei jenen bunt waren.

Wenn das eigentliche Leben das Leben am Tage, das wache Leben ist, so
lebt der Bauer mehr und länger als der Stadtmensch. Im Sommer vor Sonnen¬
aufgang, im Winter meist lange vor Tag heraus, im Sommer mit Sonnenunter¬
gang und im Winter lange danach zu Bett: so sind seine Tage eingeteilt. Die
hohen hellen Morgen, an denen noch die Sterne in die Straße schauen, auf der
sich schon die Feldarbeiter hinaufbewegen, und die langen stillen Abende, wo, wenn
kaum die Dämmerung verglüht ist, ein verhallender Tritt eines Verspäteten oder
das Klirren einer Kette im Stalle die einzigen Laute sind: das sind Tageszeiten,
die man nur im Dorfe kennt.

Das Bauernleben ist ein Leben in der Luft und im Licht, ein echtes Frei¬
lichtleben. So wie der Sämann und der Mann hinter dem Pflug oder der Egge,
wenn er sich vom Himmel abhebt, ein fertiges Bild ist, so sind es die Kühe, sind
es die Hühner auf dem Grün der Wiesen, die Tauben, die die Luft durchschneiden,
so ist das Getreide, das wie ein Heer von Lanzen im Morgentau funkelt oder wie
ein fahlgoldnes Meer dir seine Wellen ans Herz legt. So ist alles hell, scharf
körperlich. Und denkt nicht der Bauer auch darum realistischer, weil sich ihm die
Dinge so scharf abheben?

Es ist kein Zufall, daß der Bauer so gern vom Wetter spricht, das heute ist,
und zur Not vou dem, das gestern war oder morgen sein wird, denn er lebt in
der Gegenwart, und die Aufgabe des Tages füllt ihn aus. Er ist nicht vergeßlich,
weil sein Gedächtnis ungeübt ist, sondern weil für ihn das Wenigste Interesse hat,
was wir unsrer Erinnerung einverleiben. Für das, was ihn angeht, hat er mehr
Gedächtnis als mancher fasrige Stadtmensch. Aber da er ohnehin nicht viel redet,
braucht er auch nicht viel Scheidegeld von Unterhaltungsmaterial. Wer ist so ober¬
flächlich, zu glauben, es glühe in diesen stillen Herzen keine Leidenschaft nach? Wer
nach der trüben Farbe des Gesteins von außen her urteilt, wird nie eine Goldader
finden. Als der blühende Sohn des Frachtfuhrmanns unsers Dorfes durch einen
Sturz vom Floß im Niederrhein ertrunken war, begegnete ich dem Alten in seinem
blauen Fuhrmannskittel. — Nun, wie gehts, immer landauf, landab? — Ja, sagte
er, immer gleich. Es ist mir halt so, wie es in dieser Spätjahrszeit auf den Wald¬
wegen ist: alles liegt voll dürren Blättern, man sieht keinen Finger breit Erde;
aber der Winter kommt, der Boden wird kahlgeweht, und dann sieht man erst
die Risse.

Die Arbeiten mit der Hand, die Geschicklichkeit, Übung und besonders viel
Geduld verlangen, verdienen bei den Landleuten allein den Ehrennamen Arbeit:


Der beste Orden, den ich weiß,
Ist eine Hand voll Schwielen,

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[0397] Glücksinseln und Träume Kräfte des Wesens eines Menschen ist Betätigung gegeben. Deswegen ist der rechte Bauer ein vielseitiger Mensch und noch darüber ein schöpferischer. Als die drei heißen Sommer der ausgehenden fünfziger Jahre eine Trocknis hervorbrachten, die noch lange nachwirkte, und allen höher gelegnen Höfen das Wasser ausging, stellte ein einfacher Bauer auf dem Schattberg zum Wasserschöpfen ein Windrad auf, das er ganz aus sich selbst ersonnen hatte, und von weither kamen Leute, um es zu sehen. Es ist dann vielfach nachgeahmt worden. Die alte Tracht war schon vor vier Jahrzehnten in dieser Gegend verschwunden, der letzte Rest lebte in den schwarzseidnen Hauben mit zwei hinten hinabhängenden kurzen Bändern, die die ältesten Frauen trugen. Was sage ich, sie lebte? Nein, sie war im Sterben, denn kein Mädchen würde sich dazu bequemt haben. Die Bauern trugen bei der Arbeit eine kurze leinene Jacke aus selbstgewonnenen Stoff, im Dorfe von dem Färber hellblau gefärbt, den ich nie anders als mit Indigo- Händen gesehen habe, Sonntags trugen sie blaue Röcke mit langen Schößen, lange Beinkleider und schwarze Schirmmützen. Die Mädchen und Frauen trugen zur Arbeit baumwollne geblümte Leibchen, bei Sonne oder Regen Kopftücher, die bei diesen dunkel, bei jenen bunt waren. Wenn das eigentliche Leben das Leben am Tage, das wache Leben ist, so lebt der Bauer mehr und länger als der Stadtmensch. Im Sommer vor Sonnen¬ aufgang, im Winter meist lange vor Tag heraus, im Sommer mit Sonnenunter¬ gang und im Winter lange danach zu Bett: so sind seine Tage eingeteilt. Die hohen hellen Morgen, an denen noch die Sterne in die Straße schauen, auf der sich schon die Feldarbeiter hinaufbewegen, und die langen stillen Abende, wo, wenn kaum die Dämmerung verglüht ist, ein verhallender Tritt eines Verspäteten oder das Klirren einer Kette im Stalle die einzigen Laute sind: das sind Tageszeiten, die man nur im Dorfe kennt. Das Bauernleben ist ein Leben in der Luft und im Licht, ein echtes Frei¬ lichtleben. So wie der Sämann und der Mann hinter dem Pflug oder der Egge, wenn er sich vom Himmel abhebt, ein fertiges Bild ist, so sind es die Kühe, sind es die Hühner auf dem Grün der Wiesen, die Tauben, die die Luft durchschneiden, so ist das Getreide, das wie ein Heer von Lanzen im Morgentau funkelt oder wie ein fahlgoldnes Meer dir seine Wellen ans Herz legt. So ist alles hell, scharf körperlich. Und denkt nicht der Bauer auch darum realistischer, weil sich ihm die Dinge so scharf abheben? Es ist kein Zufall, daß der Bauer so gern vom Wetter spricht, das heute ist, und zur Not vou dem, das gestern war oder morgen sein wird, denn er lebt in der Gegenwart, und die Aufgabe des Tages füllt ihn aus. Er ist nicht vergeßlich, weil sein Gedächtnis ungeübt ist, sondern weil für ihn das Wenigste Interesse hat, was wir unsrer Erinnerung einverleiben. Für das, was ihn angeht, hat er mehr Gedächtnis als mancher fasrige Stadtmensch. Aber da er ohnehin nicht viel redet, braucht er auch nicht viel Scheidegeld von Unterhaltungsmaterial. Wer ist so ober¬ flächlich, zu glauben, es glühe in diesen stillen Herzen keine Leidenschaft nach? Wer nach der trüben Farbe des Gesteins von außen her urteilt, wird nie eine Goldader finden. Als der blühende Sohn des Frachtfuhrmanns unsers Dorfes durch einen Sturz vom Floß im Niederrhein ertrunken war, begegnete ich dem Alten in seinem blauen Fuhrmannskittel. — Nun, wie gehts, immer landauf, landab? — Ja, sagte er, immer gleich. Es ist mir halt so, wie es in dieser Spätjahrszeit auf den Wald¬ wegen ist: alles liegt voll dürren Blättern, man sieht keinen Finger breit Erde; aber der Winter kommt, der Boden wird kahlgeweht, und dann sieht man erst die Risse. Die Arbeiten mit der Hand, die Geschicklichkeit, Übung und besonders viel Geduld verlangen, verdienen bei den Landleuten allein den Ehrennamen Arbeit: Der beste Orden, den ich weiß, Ist eine Hand voll Schwielen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/397>, abgerufen am 23.07.2024.