hat der Experimentierende voll einer Sorte mehr oder weniger als das Gedicht oder die Abhandlung erfordert, so kann diese in aller Ewigkeit nicht heraus¬ kommen. Sogar die auf Null reduzierte Möglichkeit des Gelingens setzt also schon eine Berechnung voraus. Mauthner fragt sich selbst einmal: wie kann ein solcher Automat, ein Organismus, sich selbst bilden und gewöhnlich seinem Nutzen gemäß arbeiten? Darauf antwortet er an einer ganz andern Stelle: auch ein Staat, eine Stadt sei ein sehr zweckmäßiges Ganze (na na!)z und doch werde es von zentrifugalen Kräften beherrscht und sei ohne Plan und ab¬ sichtliche Leitung zustande gekommen. "Man stelle sich eine moderne Großstadt vor. Man wird nicht mit ernster Miene behaupten wollen, daß ein Oberbürger¬ meister den Plan zu ihrem gegenwärtigen Blühen gefaßt habe. Es gibt in der ganzen Stadt keinen Menschen, der im Dienste der Allgemeinheit Gas- und Wasserröhren, Telegraphendrähte, Pferdebahnschienen usw. gelegt hätte. Es gibt immer nur Menschen, die ihren Vorteil wollten. Durch Gas, durch Wasser, durch Elektrizität und Pferdebahnen sind Millionen verdient worden. Ist bei diesen großen Unternehmungen mitunter auch die Kraft des Ehrgeizes vorhanden, so gehören zu den Bequemlichkeiten einer Großstadt eine Menge Dinge -- von den Bedürfnisanstalten angefangen bis zu dem Institut der Stiefelwichser --, bei denen von irgend einer höhern Absicht nicht die Rede sein kann, und die dennoch mehr als bildlich eine Einheit, einen Organismus zustande bringen. Nicht der Oberbürgermeister sondern irgend ein Vorarbeiter legt die Röhren einer Bedürfnisanstalt, und dennoch gehn diese Rohren ordentlich zwischen elek¬ trischen Kabeln und Gasröhren hindurch, fügen sich den Verhältnissen, nicht viel anders als die Kanüle von den Nieren zwischen Muskeln und Nerven und Blut¬ gefäßen den Weg gefunden haben, den wir den richtigen nennen." Ähnlich hat Herbert Spencer an der Entstehung einer Kolonie von Auswanderern klar zu machen versucht, wie ein Zellenstnat entstehen, wie sich ein Embryo zum Tier¬ oder Menschenleibe auswachsen könne. Die Grenzboten haben dazu im 10. Hefte (S. 583) bemerkt: "Den Verlauf sich vorzustellen, das ist eigentlich gar nicht schwer; deu lehren ja Embryologie und Anatomie. Nur das Weben und Wirken von Spencers nuits sich vorzustellen ist schwierig oder vielmehr un¬ möglich, weil ja diese Dingerchen nicht, wie die Kolonisten, Hände, Augen, Ver¬ stand, Willen, Lehrmeister und die zum Zusanunenwirken nötigen Verstündigungs- mittel haben." Manthners Gleichnis aber ist so kindlich, daß man sich erstaunt fragen muß: wie wars möglich, daß der kluge Mann die Falle nicht bemerkt hat, die er sich selber legt! Von den Berliner Oberbürgermeistern hat allerdings keiner das Genie des Städtegründers offenbart, aber andre Leute, wie der große Alexander und so mancher mittelalterliche Fürst, haben planmüßig Städte an¬ gelegt, von denen sie richtig vorausgesehen haben, daß sie blühen würden. Die meisten Städte freilich sind aus zufälligen Ansiedlungen entstanden. Aber wenn ihre Anlage bei spüterm Wachstum den Bedürfnissen des Verkehrs entsprach, so haben sie das nicht dem zufälligen Zusammenwirken und der unbewußten An¬ passung der selbstsüchtig Erwerbenden zu danken. Sondern entweder die An¬ siedler sind gleich anfangs als geordnetes, von einem Oberhaupt geleitetes Ge¬ meinwesen aufgetreten lind haben nach einem Plane gebant, der sich, wie der
Zwei Werke über die Sprache
hat der Experimentierende voll einer Sorte mehr oder weniger als das Gedicht oder die Abhandlung erfordert, so kann diese in aller Ewigkeit nicht heraus¬ kommen. Sogar die auf Null reduzierte Möglichkeit des Gelingens setzt also schon eine Berechnung voraus. Mauthner fragt sich selbst einmal: wie kann ein solcher Automat, ein Organismus, sich selbst bilden und gewöhnlich seinem Nutzen gemäß arbeiten? Darauf antwortet er an einer ganz andern Stelle: auch ein Staat, eine Stadt sei ein sehr zweckmäßiges Ganze (na na!)z und doch werde es von zentrifugalen Kräften beherrscht und sei ohne Plan und ab¬ sichtliche Leitung zustande gekommen. „Man stelle sich eine moderne Großstadt vor. Man wird nicht mit ernster Miene behaupten wollen, daß ein Oberbürger¬ meister den Plan zu ihrem gegenwärtigen Blühen gefaßt habe. Es gibt in der ganzen Stadt keinen Menschen, der im Dienste der Allgemeinheit Gas- und Wasserröhren, Telegraphendrähte, Pferdebahnschienen usw. gelegt hätte. Es gibt immer nur Menschen, die ihren Vorteil wollten. Durch Gas, durch Wasser, durch Elektrizität und Pferdebahnen sind Millionen verdient worden. Ist bei diesen großen Unternehmungen mitunter auch die Kraft des Ehrgeizes vorhanden, so gehören zu den Bequemlichkeiten einer Großstadt eine Menge Dinge — von den Bedürfnisanstalten angefangen bis zu dem Institut der Stiefelwichser —, bei denen von irgend einer höhern Absicht nicht die Rede sein kann, und die dennoch mehr als bildlich eine Einheit, einen Organismus zustande bringen. Nicht der Oberbürgermeister sondern irgend ein Vorarbeiter legt die Röhren einer Bedürfnisanstalt, und dennoch gehn diese Rohren ordentlich zwischen elek¬ trischen Kabeln und Gasröhren hindurch, fügen sich den Verhältnissen, nicht viel anders als die Kanüle von den Nieren zwischen Muskeln und Nerven und Blut¬ gefäßen den Weg gefunden haben, den wir den richtigen nennen." Ähnlich hat Herbert Spencer an der Entstehung einer Kolonie von Auswanderern klar zu machen versucht, wie ein Zellenstnat entstehen, wie sich ein Embryo zum Tier¬ oder Menschenleibe auswachsen könne. Die Grenzboten haben dazu im 10. Hefte (S. 583) bemerkt: „Den Verlauf sich vorzustellen, das ist eigentlich gar nicht schwer; deu lehren ja Embryologie und Anatomie. Nur das Weben und Wirken von Spencers nuits sich vorzustellen ist schwierig oder vielmehr un¬ möglich, weil ja diese Dingerchen nicht, wie die Kolonisten, Hände, Augen, Ver¬ stand, Willen, Lehrmeister und die zum Zusanunenwirken nötigen Verstündigungs- mittel haben." Manthners Gleichnis aber ist so kindlich, daß man sich erstaunt fragen muß: wie wars möglich, daß der kluge Mann die Falle nicht bemerkt hat, die er sich selber legt! Von den Berliner Oberbürgermeistern hat allerdings keiner das Genie des Städtegründers offenbart, aber andre Leute, wie der große Alexander und so mancher mittelalterliche Fürst, haben planmüßig Städte an¬ gelegt, von denen sie richtig vorausgesehen haben, daß sie blühen würden. Die meisten Städte freilich sind aus zufälligen Ansiedlungen entstanden. Aber wenn ihre Anlage bei spüterm Wachstum den Bedürfnissen des Verkehrs entsprach, so haben sie das nicht dem zufälligen Zusammenwirken und der unbewußten An¬ passung der selbstsüchtig Erwerbenden zu danken. Sondern entweder die An¬ siedler sind gleich anfangs als geordnetes, von einem Oberhaupt geleitetes Ge¬ meinwesen aufgetreten lind haben nach einem Plane gebant, der sich, wie der
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oder die Abhandlung erfordert, so kann diese in aller Ewigkeit nicht heraus¬
kommen. Sogar die auf Null reduzierte Möglichkeit des Gelingens setzt also
schon eine Berechnung voraus. Mauthner fragt sich selbst einmal: wie kann
ein solcher Automat, ein Organismus, sich selbst bilden und gewöhnlich seinem
Nutzen gemäß arbeiten? Darauf antwortet er an einer ganz andern Stelle:
auch ein Staat, eine Stadt sei ein sehr zweckmäßiges Ganze (na na!)z und
doch werde es von zentrifugalen Kräften beherrscht und sei ohne Plan und ab¬
sichtliche Leitung zustande gekommen. „Man stelle sich eine moderne Großstadt
vor. Man wird nicht mit ernster Miene behaupten wollen, daß ein Oberbürger¬
meister den Plan zu ihrem gegenwärtigen Blühen gefaßt habe. Es gibt in der
ganzen Stadt keinen Menschen, der im Dienste der Allgemeinheit Gas- und
Wasserröhren, Telegraphendrähte, Pferdebahnschienen usw. gelegt hätte. Es
gibt immer nur Menschen, die ihren Vorteil wollten. Durch Gas, durch Wasser,
durch Elektrizität und Pferdebahnen sind Millionen verdient worden. Ist bei
diesen großen Unternehmungen mitunter auch die Kraft des Ehrgeizes vorhanden,
so gehören zu den Bequemlichkeiten einer Großstadt eine Menge Dinge — von
den Bedürfnisanstalten angefangen bis zu dem Institut der Stiefelwichser —,
bei denen von irgend einer höhern Absicht nicht die Rede sein kann, und die
dennoch mehr als bildlich eine Einheit, einen Organismus zustande bringen.
Nicht der Oberbürgermeister sondern irgend ein Vorarbeiter legt die Röhren
einer Bedürfnisanstalt, und dennoch gehn diese Rohren ordentlich zwischen elek¬
trischen Kabeln und Gasröhren hindurch, fügen sich den Verhältnissen, nicht viel
anders als die Kanüle von den Nieren zwischen Muskeln und Nerven und Blut¬
gefäßen den Weg gefunden haben, den wir den richtigen nennen." Ähnlich hat
Herbert Spencer an der Entstehung einer Kolonie von Auswanderern klar zu
machen versucht, wie ein Zellenstnat entstehen, wie sich ein Embryo zum Tier¬
oder Menschenleibe auswachsen könne. Die Grenzboten haben dazu im 10. Hefte
(S. 583) bemerkt: „Den Verlauf sich vorzustellen, das ist eigentlich gar nicht
schwer; deu lehren ja Embryologie und Anatomie. Nur das Weben und
Wirken von Spencers nuits sich vorzustellen ist schwierig oder vielmehr un¬
möglich, weil ja diese Dingerchen nicht, wie die Kolonisten, Hände, Augen, Ver¬
stand, Willen, Lehrmeister und die zum Zusanunenwirken nötigen Verstündigungs-
mittel haben." Manthners Gleichnis aber ist so kindlich, daß man sich erstaunt
fragen muß: wie wars möglich, daß der kluge Mann die Falle nicht bemerkt
hat, die er sich selber legt! Von den Berliner Oberbürgermeistern hat allerdings
keiner das Genie des Städtegründers offenbart, aber andre Leute, wie der große
Alexander und so mancher mittelalterliche Fürst, haben planmüßig Städte an¬
gelegt, von denen sie richtig vorausgesehen haben, daß sie blühen würden. Die
meisten Städte freilich sind aus zufälligen Ansiedlungen entstanden. Aber wenn
ihre Anlage bei spüterm Wachstum den Bedürfnissen des Verkehrs entsprach, so
haben sie das nicht dem zufälligen Zusammenwirken und der unbewußten An¬
passung der selbstsüchtig Erwerbenden zu danken. Sondern entweder die An¬
siedler sind gleich anfangs als geordnetes, von einem Oberhaupt geleitetes Ge¬
meinwesen aufgetreten lind haben nach einem Plane gebant, der sich, wie der
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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/275>, abgerufen am 09.01.2025.
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