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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Die Damen auf Markby

einem äußerst liebenswürdigen, aber ungewöhnlich schweigsamen Oberleutnant im
Södermanländischen Regiment avanciert war, kam ihr ganz fremd vor. Julie machte
nun Bekanntschaft mit ihrer "Familie/' d. h. sie "ging aus," wurde ein recht ge¬
feiertes junges Mädchen und lebte, wenn sie daheim war, meist für sich. Denn
statt wie vorher zwei weibliche "Feinde" in ihrem Heim zu haben, hatte sie nun
deren drei; die Stiefmutter Olga betrachtete sie nämlich auch nicht viel anders als
einen Feind.

Ihre Zuflucht war die Tante Pröpstiu und Cousine Bibbi, die während
Juliens Aufenthalt in der Schweiz in den Seitenflügel gezogen waren. Der alte
Herr Sack war nach seiner zweiten Heirat noch wunderlicher und sonderbarer ge¬
worden, als er vorher schon gewesen war, sodaß der Tochter durch ihn nicht viel
Freude zuteil wurde. Die lange Heimatlosigkeit unter Fremden, die Gewohnheit,
sich immer abgemessen und in einer fremden Sprache auszudrücken, hatten ihrem
ganzen Auftreten eine gewisse reservierte, konventionelle, etwas nichtssagende Liebens¬
würdigkeit verliehen, die ihr mit der Zeit fast zur zweiten Natur geworden war.
Die immer gutmütige Frau Briare, die mit dem kleinen, einsamen Mädchen,
das so unnatürlich wohlerzogen, schweigsam und nachgiebig war, Mitleid fühlte,
sagte einmal zu ihrem Sohn, es komme ihr vor, als ob in Julie etwas "er¬
froren" sei.

Findest du das, Mutter? erwiderte Erik in seiner ruhigen Weise, ohne sich
auf eine weitere Erörterung einzulassen; dies tat er selten, wenn von Julie die
Rede war, aber im stillen fand er den Ausdruck durchaus nicht zutreffend, obgleich
er recht gut wußte, was die Mutter damit gemeint hatte. Juliens allzu abge¬
schliffnes Auftreten, die Gleichgiltigkeit, die ihr zur Gewohnheit geworden war,
sie war es, die das Urteil über sie verwirrte und irreleitete. Und kein Mensch
-- sonderbarerweise auch nicht einer -- schien ihre nervöse Empfindsamkeit, ihren
unbeholfnen sensitiven Schrecken vor der Welt und den Menschen um sie herum zu
ahnen -- ja, nicht einer, nur er allein! Und er?

Ach, als er jetzt im Frühjahr heinikam -- in den acht bis neun Jahren, die
er Weg gewesen war, hatte er keinen Augenblick an Julie Sack gedacht -- und
sie wieder sah, da wußte er -- schon nach den ersten malen, die er mit ihr
zusammengetroffen war, wußte er es --, daß es vielleicht am klügsten und ehren¬
haftesten wäre, wenn er ohne weiteres wieder abreiste. Aber gleich wußte er
auch, daß dies das letzte war, was er im Sinn hatte. Sie sahen sich sehr oft,
er und Julie, fast täglich, und rin jedem Tage wurde es ihm deutlicher, daß er,
ganz allmählich, Schritt für Schritt vorwärts tastend, bei ihr etwas fand, was er
unbewußt schon lange gesucht hatte, etwas, das ihm eigentlich recht wohl bekannt
war, das er aber noch nie bei irgend einem andern Mettscheu entdeckt hatte.

Im Anfang war er -- merkwürdig genug! dachte er später -- auf seinen
alten Freund Arvid Hall gar uicht eifersüchtig gewesen. Es war eine bekannte
Tatsache, daß der alte Herr Sack die Verlobung gerade vor seinem Tode ins
Werk gesetzt hatte. Er hatte Arvid immer als seinen Sohn betrachtet und war
ihm gegenüber fast ebenso schwach wie seiner Tochter gegenüber, und man nahm
allgemein an, und vielleicht nicht am wenigsten Arvid selbst, daß er im Sinne
habe, ihm einen bedeutenden Teil seines Vermögens zu hinterlassen. Aber in den
letzten Jahren stiegen ihm Bedenken auf: Olga mußte ja auch versorgt werden,
und er konnte doch Julie nicht dessen berauben, was ihr von Rechts wegen zukam;
auch konnte der Hof nicht ohne Kapital bewirtschaftet werden. Da verfiel er ans
einen Kompromiß -- wenn Arvid Julie heiratete, so ordnete sich alles von selbst,
und niemand wurde betrogen. So wurde dies allmählich sein Lieblingsplan, seine
fixe Idee, und er sprach beständig ganz offen mit dem jungen Mann über diese
Angelegenheit.

Sie gefällt dir doch, mein Junge? Nicht wahr, sie ist eigentlich hübscher
und feiner als die meisten andern jungen Mädchen? Pflegte er zu sagen, und


Die Damen auf Markby

einem äußerst liebenswürdigen, aber ungewöhnlich schweigsamen Oberleutnant im
Södermanländischen Regiment avanciert war, kam ihr ganz fremd vor. Julie machte
nun Bekanntschaft mit ihrer „Familie/' d. h. sie „ging aus," wurde ein recht ge¬
feiertes junges Mädchen und lebte, wenn sie daheim war, meist für sich. Denn
statt wie vorher zwei weibliche „Feinde" in ihrem Heim zu haben, hatte sie nun
deren drei; die Stiefmutter Olga betrachtete sie nämlich auch nicht viel anders als
einen Feind.

Ihre Zuflucht war die Tante Pröpstiu und Cousine Bibbi, die während
Juliens Aufenthalt in der Schweiz in den Seitenflügel gezogen waren. Der alte
Herr Sack war nach seiner zweiten Heirat noch wunderlicher und sonderbarer ge¬
worden, als er vorher schon gewesen war, sodaß der Tochter durch ihn nicht viel
Freude zuteil wurde. Die lange Heimatlosigkeit unter Fremden, die Gewohnheit,
sich immer abgemessen und in einer fremden Sprache auszudrücken, hatten ihrem
ganzen Auftreten eine gewisse reservierte, konventionelle, etwas nichtssagende Liebens¬
würdigkeit verliehen, die ihr mit der Zeit fast zur zweiten Natur geworden war.
Die immer gutmütige Frau Briare, die mit dem kleinen, einsamen Mädchen,
das so unnatürlich wohlerzogen, schweigsam und nachgiebig war, Mitleid fühlte,
sagte einmal zu ihrem Sohn, es komme ihr vor, als ob in Julie etwas „er¬
froren" sei.

Findest du das, Mutter? erwiderte Erik in seiner ruhigen Weise, ohne sich
auf eine weitere Erörterung einzulassen; dies tat er selten, wenn von Julie die
Rede war, aber im stillen fand er den Ausdruck durchaus nicht zutreffend, obgleich
er recht gut wußte, was die Mutter damit gemeint hatte. Juliens allzu abge¬
schliffnes Auftreten, die Gleichgiltigkeit, die ihr zur Gewohnheit geworden war,
sie war es, die das Urteil über sie verwirrte und irreleitete. Und kein Mensch
— sonderbarerweise auch nicht einer — schien ihre nervöse Empfindsamkeit, ihren
unbeholfnen sensitiven Schrecken vor der Welt und den Menschen um sie herum zu
ahnen — ja, nicht einer, nur er allein! Und er?

Ach, als er jetzt im Frühjahr heinikam — in den acht bis neun Jahren, die
er Weg gewesen war, hatte er keinen Augenblick an Julie Sack gedacht — und
sie wieder sah, da wußte er — schon nach den ersten malen, die er mit ihr
zusammengetroffen war, wußte er es —, daß es vielleicht am klügsten und ehren¬
haftesten wäre, wenn er ohne weiteres wieder abreiste. Aber gleich wußte er
auch, daß dies das letzte war, was er im Sinn hatte. Sie sahen sich sehr oft,
er und Julie, fast täglich, und rin jedem Tage wurde es ihm deutlicher, daß er,
ganz allmählich, Schritt für Schritt vorwärts tastend, bei ihr etwas fand, was er
unbewußt schon lange gesucht hatte, etwas, das ihm eigentlich recht wohl bekannt
war, das er aber noch nie bei irgend einem andern Mettscheu entdeckt hatte.

Im Anfang war er — merkwürdig genug! dachte er später — auf seinen
alten Freund Arvid Hall gar uicht eifersüchtig gewesen. Es war eine bekannte
Tatsache, daß der alte Herr Sack die Verlobung gerade vor seinem Tode ins
Werk gesetzt hatte. Er hatte Arvid immer als seinen Sohn betrachtet und war
ihm gegenüber fast ebenso schwach wie seiner Tochter gegenüber, und man nahm
allgemein an, und vielleicht nicht am wenigsten Arvid selbst, daß er im Sinne
habe, ihm einen bedeutenden Teil seines Vermögens zu hinterlassen. Aber in den
letzten Jahren stiegen ihm Bedenken auf: Olga mußte ja auch versorgt werden,
und er konnte doch Julie nicht dessen berauben, was ihr von Rechts wegen zukam;
auch konnte der Hof nicht ohne Kapital bewirtschaftet werden. Da verfiel er ans
einen Kompromiß — wenn Arvid Julie heiratete, so ordnete sich alles von selbst,
und niemand wurde betrogen. So wurde dies allmählich sein Lieblingsplan, seine
fixe Idee, und er sprach beständig ganz offen mit dem jungen Mann über diese
Angelegenheit.

Sie gefällt dir doch, mein Junge? Nicht wahr, sie ist eigentlich hübscher
und feiner als die meisten andern jungen Mädchen? Pflegte er zu sagen, und


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[0170] Die Damen auf Markby einem äußerst liebenswürdigen, aber ungewöhnlich schweigsamen Oberleutnant im Södermanländischen Regiment avanciert war, kam ihr ganz fremd vor. Julie machte nun Bekanntschaft mit ihrer „Familie/' d. h. sie „ging aus," wurde ein recht ge¬ feiertes junges Mädchen und lebte, wenn sie daheim war, meist für sich. Denn statt wie vorher zwei weibliche „Feinde" in ihrem Heim zu haben, hatte sie nun deren drei; die Stiefmutter Olga betrachtete sie nämlich auch nicht viel anders als einen Feind. Ihre Zuflucht war die Tante Pröpstiu und Cousine Bibbi, die während Juliens Aufenthalt in der Schweiz in den Seitenflügel gezogen waren. Der alte Herr Sack war nach seiner zweiten Heirat noch wunderlicher und sonderbarer ge¬ worden, als er vorher schon gewesen war, sodaß der Tochter durch ihn nicht viel Freude zuteil wurde. Die lange Heimatlosigkeit unter Fremden, die Gewohnheit, sich immer abgemessen und in einer fremden Sprache auszudrücken, hatten ihrem ganzen Auftreten eine gewisse reservierte, konventionelle, etwas nichtssagende Liebens¬ würdigkeit verliehen, die ihr mit der Zeit fast zur zweiten Natur geworden war. Die immer gutmütige Frau Briare, die mit dem kleinen, einsamen Mädchen, das so unnatürlich wohlerzogen, schweigsam und nachgiebig war, Mitleid fühlte, sagte einmal zu ihrem Sohn, es komme ihr vor, als ob in Julie etwas „er¬ froren" sei. Findest du das, Mutter? erwiderte Erik in seiner ruhigen Weise, ohne sich auf eine weitere Erörterung einzulassen; dies tat er selten, wenn von Julie die Rede war, aber im stillen fand er den Ausdruck durchaus nicht zutreffend, obgleich er recht gut wußte, was die Mutter damit gemeint hatte. Juliens allzu abge¬ schliffnes Auftreten, die Gleichgiltigkeit, die ihr zur Gewohnheit geworden war, sie war es, die das Urteil über sie verwirrte und irreleitete. Und kein Mensch — sonderbarerweise auch nicht einer — schien ihre nervöse Empfindsamkeit, ihren unbeholfnen sensitiven Schrecken vor der Welt und den Menschen um sie herum zu ahnen — ja, nicht einer, nur er allein! Und er? Ach, als er jetzt im Frühjahr heinikam — in den acht bis neun Jahren, die er Weg gewesen war, hatte er keinen Augenblick an Julie Sack gedacht — und sie wieder sah, da wußte er — schon nach den ersten malen, die er mit ihr zusammengetroffen war, wußte er es —, daß es vielleicht am klügsten und ehren¬ haftesten wäre, wenn er ohne weiteres wieder abreiste. Aber gleich wußte er auch, daß dies das letzte war, was er im Sinn hatte. Sie sahen sich sehr oft, er und Julie, fast täglich, und rin jedem Tage wurde es ihm deutlicher, daß er, ganz allmählich, Schritt für Schritt vorwärts tastend, bei ihr etwas fand, was er unbewußt schon lange gesucht hatte, etwas, das ihm eigentlich recht wohl bekannt war, das er aber noch nie bei irgend einem andern Mettscheu entdeckt hatte. Im Anfang war er — merkwürdig genug! dachte er später — auf seinen alten Freund Arvid Hall gar uicht eifersüchtig gewesen. Es war eine bekannte Tatsache, daß der alte Herr Sack die Verlobung gerade vor seinem Tode ins Werk gesetzt hatte. Er hatte Arvid immer als seinen Sohn betrachtet und war ihm gegenüber fast ebenso schwach wie seiner Tochter gegenüber, und man nahm allgemein an, und vielleicht nicht am wenigsten Arvid selbst, daß er im Sinne habe, ihm einen bedeutenden Teil seines Vermögens zu hinterlassen. Aber in den letzten Jahren stiegen ihm Bedenken auf: Olga mußte ja auch versorgt werden, und er konnte doch Julie nicht dessen berauben, was ihr von Rechts wegen zukam; auch konnte der Hof nicht ohne Kapital bewirtschaftet werden. Da verfiel er ans einen Kompromiß — wenn Arvid Julie heiratete, so ordnete sich alles von selbst, und niemand wurde betrogen. So wurde dies allmählich sein Lieblingsplan, seine fixe Idee, und er sprach beständig ganz offen mit dem jungen Mann über diese Angelegenheit. Sie gefällt dir doch, mein Junge? Nicht wahr, sie ist eigentlich hübscher und feiner als die meisten andern jungen Mädchen? Pflegte er zu sagen, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/170>, abgerufen am 01.07.2024.