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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Das "Rotwelsch" des deutschen Gauners

und Dcirinstadt "die Räuber und Diebe verfolget" hatte und dann "zuletzt von ihnen
überfallen und jämmerlich massacrirt wurden" war. Auf einen mit dem Gaunertum
nicht direkt in Zusammenhang stehenden, sondern nur einst überhaupt berühmt ge¬
wesenen Familiennamen geht dagegen die Phrase "einen Unzelmann machen" für
"sich verstellen, einem etwas vorlügen" zurück, die zu Beginn des vorigen Jahr¬
hunderts von einzelnen Lexikographen des Notwelsch erwähnt wird. Sie wird jedem
unverständlich bleiben, der noch niemals etwas von der für ihre Zeit hervorragenden
Schanspielerfamilie Unzelmann gehört hat.

Auch in der Behandlung der Familiennamen -- wie der Eigennamen über¬
haupt -- kann übrigens die Sprache noch weiter gehn, indem sie zur besondern
Charakterisierung einzelner Tätigkeiten völlig selbständige Zeitwortformen nach be¬
stimmten Persönlichkeiten bildet, und zwar auf die Weise, daß an einen Namen einfach
eine verbale Endung angehängt wird. Diese Methode ist namentlich in dem Argot
unsrer Nachbarn jenseits des Rheins recht beliebt, wo -- um nur ein Beispiel
statt aller zu erwähnen -- das aus Haß gegen unsern Altreichskanzler Bismarck
entsprungne "biswarciukr" familiär für "überlisten, über den Löffel barbieren,
sich etwas um jeden Preis aneignen" und "tüchtig antreiben" im Gebrauch ist. In
Deutschland kann man eine Sache "verbalhornen," d. h. "verschlimmbessern"
(nach dem Buchdrucker Balhorn, 1530--1599) und in Berlin "aschingern,"
d. h. Schlemmen (nach Aschingers "Bierquelle"), ja ein Kritiker erfand einst das
Schlagwort "zu Tode birchpfeifferu" für das uumotivierte aus dem Leben
Schaffen einer Person in einem Theaterstücke, wie es bei Charlotte Birch-Pfeiffer
häufig vorkommt. Ein ähnliches Beispiel aus der Gaunersprache enthält das so¬
genannte Baseler Glossar von 1733, eine amtliche auf Befehl des Stadtrats an¬
gefertigte Arbeit über Rotwelsch. Es ist das Zeitwort "eartouchen" für still¬
schweigen, leugnen, das ohne Zweifel zurückgelettet werden darf auf den einst
äußerst berüchtigte", seinerzeit (Anfang des achtzehnten Jahrhunderts) sogar mehrfach
literarisch behandelten französischen Gauner Louis Dominique Cartouche und das sich
daraus erklärt, daß dieser Erzspitzbube sich sogar noch auf der Folter aufs hart¬
näckigste weigerte, über seine Arkaden, die Namen seiner Mitschuldigen usw. nähere
Angaben zu machen. Eine Art Seitenstück dazu ist auch das Verbum "käper-
nicken" für laufen, das in der von Kluge kürzlich bekannt gemachten, dem Rot¬
welsch noch sehr nahe stehenden Sprachweise der sogenannten Lattcher (Eckensteher)
der Stadt Halle vorkommt. Seinen Ursprung dürfte es nämlich einem Schnellläufer
namens Kcipernick verdanken, der zu Anfang der achtziger Jahre des neunzehnten
Jahrhunderts öfter namentlich die Strecke zwischen Berlin und Leipzig -- über
Halle -- zurücklegte.

In ähnlicher Weise hat das Rotwelsch endlich noch geographische Bezeichnungen
(Länder- und Städtenamen) zur Bildung neuer Wörter benutzt und danach zum
Beispiel Zeitwörter wie "nuspreuschen" (von Preußen) oder "Märtine ver-
kasseln" (vom hebr. mLäina, Landschaft, Provinz und der Stadt Kassel) für: des
Landes verweisen sowie "Wiener machen (müssen)" für: ausgewiesen werden
gebildet. Auch sonst noch spielt die Geographie erklärlicherweise in der Gauner¬
sprache eine bedeutende Rolle, ich muß mir jedoch hier versagen, noch näher auf
diesen interessanten Gegenstand einzugehn.

Dafür sei zum Schlüsse noch eine Frage allgemeiner Art berührt, nämlich
die nach dem Werte einer Kenntnis der Gaunersprache. Die ältern Schriftsteller
haben solcher Kenntnis nicht nur fast einstimmig eine hervorragende praktische
Bedeutung für alle an der Strafrechtspflege beteiligten Beamten und Behörden bei¬
gelegt, sondern auch mehrfach noch betont, daß für Reisende, Kaufleute, Wirte, ja w
gewissem Umfange sogar für jedermann eine nähere Bekanntschaft mit den: Rotwelsch
Nutzen bringe, denn jeder könne z. B. einmal genötigt sein, in "Räuberherbergen
zu übernachten, wo ihn dann seine Gelehrsamkeit in den Stand setzen würde,
etwaige gegen sein Leben oder seine Börse geschmiedete Komplotte zu vereiteln


Das „Rotwelsch" des deutschen Gauners

und Dcirinstadt „die Räuber und Diebe verfolget" hatte und dann „zuletzt von ihnen
überfallen und jämmerlich massacrirt wurden" war. Auf einen mit dem Gaunertum
nicht direkt in Zusammenhang stehenden, sondern nur einst überhaupt berühmt ge¬
wesenen Familiennamen geht dagegen die Phrase „einen Unzelmann machen" für
„sich verstellen, einem etwas vorlügen" zurück, die zu Beginn des vorigen Jahr¬
hunderts von einzelnen Lexikographen des Notwelsch erwähnt wird. Sie wird jedem
unverständlich bleiben, der noch niemals etwas von der für ihre Zeit hervorragenden
Schanspielerfamilie Unzelmann gehört hat.

Auch in der Behandlung der Familiennamen — wie der Eigennamen über¬
haupt — kann übrigens die Sprache noch weiter gehn, indem sie zur besondern
Charakterisierung einzelner Tätigkeiten völlig selbständige Zeitwortformen nach be¬
stimmten Persönlichkeiten bildet, und zwar auf die Weise, daß an einen Namen einfach
eine verbale Endung angehängt wird. Diese Methode ist namentlich in dem Argot
unsrer Nachbarn jenseits des Rheins recht beliebt, wo — um nur ein Beispiel
statt aller zu erwähnen — das aus Haß gegen unsern Altreichskanzler Bismarck
entsprungne „biswarciukr" familiär für „überlisten, über den Löffel barbieren,
sich etwas um jeden Preis aneignen" und „tüchtig antreiben" im Gebrauch ist. In
Deutschland kann man eine Sache „verbalhornen," d. h. „verschlimmbessern"
(nach dem Buchdrucker Balhorn, 1530—1599) und in Berlin „aschingern,"
d. h. Schlemmen (nach Aschingers „Bierquelle"), ja ein Kritiker erfand einst das
Schlagwort „zu Tode birchpfeifferu" für das uumotivierte aus dem Leben
Schaffen einer Person in einem Theaterstücke, wie es bei Charlotte Birch-Pfeiffer
häufig vorkommt. Ein ähnliches Beispiel aus der Gaunersprache enthält das so¬
genannte Baseler Glossar von 1733, eine amtliche auf Befehl des Stadtrats an¬
gefertigte Arbeit über Rotwelsch. Es ist das Zeitwort „eartouchen" für still¬
schweigen, leugnen, das ohne Zweifel zurückgelettet werden darf auf den einst
äußerst berüchtigte», seinerzeit (Anfang des achtzehnten Jahrhunderts) sogar mehrfach
literarisch behandelten französischen Gauner Louis Dominique Cartouche und das sich
daraus erklärt, daß dieser Erzspitzbube sich sogar noch auf der Folter aufs hart¬
näckigste weigerte, über seine Arkaden, die Namen seiner Mitschuldigen usw. nähere
Angaben zu machen. Eine Art Seitenstück dazu ist auch das Verbum „käper-
nicken" für laufen, das in der von Kluge kürzlich bekannt gemachten, dem Rot¬
welsch noch sehr nahe stehenden Sprachweise der sogenannten Lattcher (Eckensteher)
der Stadt Halle vorkommt. Seinen Ursprung dürfte es nämlich einem Schnellläufer
namens Kcipernick verdanken, der zu Anfang der achtziger Jahre des neunzehnten
Jahrhunderts öfter namentlich die Strecke zwischen Berlin und Leipzig — über
Halle — zurücklegte.

In ähnlicher Weise hat das Rotwelsch endlich noch geographische Bezeichnungen
(Länder- und Städtenamen) zur Bildung neuer Wörter benutzt und danach zum
Beispiel Zeitwörter wie „nuspreuschen" (von Preußen) oder „Märtine ver-
kasseln" (vom hebr. mLäina, Landschaft, Provinz und der Stadt Kassel) für: des
Landes verweisen sowie „Wiener machen (müssen)" für: ausgewiesen werden
gebildet. Auch sonst noch spielt die Geographie erklärlicherweise in der Gauner¬
sprache eine bedeutende Rolle, ich muß mir jedoch hier versagen, noch näher auf
diesen interessanten Gegenstand einzugehn.

Dafür sei zum Schlüsse noch eine Frage allgemeiner Art berührt, nämlich
die nach dem Werte einer Kenntnis der Gaunersprache. Die ältern Schriftsteller
haben solcher Kenntnis nicht nur fast einstimmig eine hervorragende praktische
Bedeutung für alle an der Strafrechtspflege beteiligten Beamten und Behörden bei¬
gelegt, sondern auch mehrfach noch betont, daß für Reisende, Kaufleute, Wirte, ja w
gewissem Umfange sogar für jedermann eine nähere Bekanntschaft mit den: Rotwelsch
Nutzen bringe, denn jeder könne z. B. einmal genötigt sein, in „Räuberherbergen
zu übernachten, wo ihn dann seine Gelehrsamkeit in den Stand setzen würde,
etwaige gegen sein Leben oder seine Börse geschmiedete Komplotte zu vereiteln


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[0536] Das „Rotwelsch" des deutschen Gauners und Dcirinstadt „die Räuber und Diebe verfolget" hatte und dann „zuletzt von ihnen überfallen und jämmerlich massacrirt wurden" war. Auf einen mit dem Gaunertum nicht direkt in Zusammenhang stehenden, sondern nur einst überhaupt berühmt ge¬ wesenen Familiennamen geht dagegen die Phrase „einen Unzelmann machen" für „sich verstellen, einem etwas vorlügen" zurück, die zu Beginn des vorigen Jahr¬ hunderts von einzelnen Lexikographen des Notwelsch erwähnt wird. Sie wird jedem unverständlich bleiben, der noch niemals etwas von der für ihre Zeit hervorragenden Schanspielerfamilie Unzelmann gehört hat. Auch in der Behandlung der Familiennamen — wie der Eigennamen über¬ haupt — kann übrigens die Sprache noch weiter gehn, indem sie zur besondern Charakterisierung einzelner Tätigkeiten völlig selbständige Zeitwortformen nach be¬ stimmten Persönlichkeiten bildet, und zwar auf die Weise, daß an einen Namen einfach eine verbale Endung angehängt wird. Diese Methode ist namentlich in dem Argot unsrer Nachbarn jenseits des Rheins recht beliebt, wo — um nur ein Beispiel statt aller zu erwähnen — das aus Haß gegen unsern Altreichskanzler Bismarck entsprungne „biswarciukr" familiär für „überlisten, über den Löffel barbieren, sich etwas um jeden Preis aneignen" und „tüchtig antreiben" im Gebrauch ist. In Deutschland kann man eine Sache „verbalhornen," d. h. „verschlimmbessern" (nach dem Buchdrucker Balhorn, 1530—1599) und in Berlin „aschingern," d. h. Schlemmen (nach Aschingers „Bierquelle"), ja ein Kritiker erfand einst das Schlagwort „zu Tode birchpfeifferu" für das uumotivierte aus dem Leben Schaffen einer Person in einem Theaterstücke, wie es bei Charlotte Birch-Pfeiffer häufig vorkommt. Ein ähnliches Beispiel aus der Gaunersprache enthält das so¬ genannte Baseler Glossar von 1733, eine amtliche auf Befehl des Stadtrats an¬ gefertigte Arbeit über Rotwelsch. Es ist das Zeitwort „eartouchen" für still¬ schweigen, leugnen, das ohne Zweifel zurückgelettet werden darf auf den einst äußerst berüchtigte», seinerzeit (Anfang des achtzehnten Jahrhunderts) sogar mehrfach literarisch behandelten französischen Gauner Louis Dominique Cartouche und das sich daraus erklärt, daß dieser Erzspitzbube sich sogar noch auf der Folter aufs hart¬ näckigste weigerte, über seine Arkaden, die Namen seiner Mitschuldigen usw. nähere Angaben zu machen. Eine Art Seitenstück dazu ist auch das Verbum „käper- nicken" für laufen, das in der von Kluge kürzlich bekannt gemachten, dem Rot¬ welsch noch sehr nahe stehenden Sprachweise der sogenannten Lattcher (Eckensteher) der Stadt Halle vorkommt. Seinen Ursprung dürfte es nämlich einem Schnellläufer namens Kcipernick verdanken, der zu Anfang der achtziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts öfter namentlich die Strecke zwischen Berlin und Leipzig — über Halle — zurücklegte. In ähnlicher Weise hat das Rotwelsch endlich noch geographische Bezeichnungen (Länder- und Städtenamen) zur Bildung neuer Wörter benutzt und danach zum Beispiel Zeitwörter wie „nuspreuschen" (von Preußen) oder „Märtine ver- kasseln" (vom hebr. mLäina, Landschaft, Provinz und der Stadt Kassel) für: des Landes verweisen sowie „Wiener machen (müssen)" für: ausgewiesen werden gebildet. Auch sonst noch spielt die Geographie erklärlicherweise in der Gauner¬ sprache eine bedeutende Rolle, ich muß mir jedoch hier versagen, noch näher auf diesen interessanten Gegenstand einzugehn. Dafür sei zum Schlüsse noch eine Frage allgemeiner Art berührt, nämlich die nach dem Werte einer Kenntnis der Gaunersprache. Die ältern Schriftsteller haben solcher Kenntnis nicht nur fast einstimmig eine hervorragende praktische Bedeutung für alle an der Strafrechtspflege beteiligten Beamten und Behörden bei¬ gelegt, sondern auch mehrfach noch betont, daß für Reisende, Kaufleute, Wirte, ja w gewissem Umfange sogar für jedermann eine nähere Bekanntschaft mit den: Rotwelsch Nutzen bringe, denn jeder könne z. B. einmal genötigt sein, in „Räuberherbergen zu übernachten, wo ihn dann seine Gelehrsamkeit in den Stand setzen würde, etwaige gegen sein Leben oder seine Börse geschmiedete Komplotte zu vereiteln

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/536>, abgerufen am 24.06.2024.