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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Das "Rotwelsch" des deutsche" (sauncrs

Seezungen. Schon der leider VgZawrum kennt zum Beispiel die eigentümlichen, schwer
zu deutenden Ausdrücke "Hans Walter" (später verdorben auch in ..Hanswalter")
für die Sans und "Hans von Getier" für grobes Brot. Diesen reihen sich
-- als Verbindungen mit Hans am Ende -- an: Grund Hans, die Egge, Eggen¬
zinke, Schneidhans, die Schere. Stanghans oder Stammhaus, der Baum
(dieses auch: Fuß), Sauerhaus, die Zwiebel. Pommhans, der Apfel (Halb¬
franz, wie "Pommerling"), Brannhans, der Kaffee, Blauhänse, Zwetschen.
Langhause (oder -Hälse). Bohnen, Klaishänse, Brüste (von Klais, Gleis, Glis,
Milch, auch Silber, ahmt. wohl vou gleißen, glitzern, glänzen) usw.; ferner als
Verbindungen mit Häusel u. a.: Hochhansel, Kleiderschrank. Ohrhansel, Tiegel.
Henkelkrug; mit Hanjo (als Transposition von Johann) das schon früher erwähnte
Serche-Hanjo, Tabaksbeutel. Der ..deutsche Michel" ist besonders vertreten in
den Zusammensetzungen Langmichel oder Blankmichel, das Schwert, Richt¬
schwert, und Fetzmichel, das Abdeckermesser (von setzen, hier nicht sowohl vom tat.
k-nsrg abzuleiten als vou dein ältern deutschen Zeitwort "setzen," echt. es^an
abschneiden, trennen svgl. "Fetzerine," Schere, und unser ..zerfetzen'1). Nur ver¬
einzelt findet sich auch Spannmichel für das Auge (vom rotw. Zeitwort spannen,
sehen). In dem vom Bayreuther Znchthausprediger Riedel 1750 veröffentlichten
rotwelschen Wörterbuch von Se. Georgen am See" heißt der Branntwein "Soruf-
Märten." "gebildet wahrscheinlich aus Soruf. Schnaps (vom rotw. sarfeneu.
serfeil, aus jüd. soropn, brennen und Marten, fübt. Form für Martin). Wenn
endlich in Berlin allgemein der grüne Wagen zum Transport der Gefangnen auch
als "grüne Minna." "grüner Aujust" oder -- vielleicht mit Anlehnung an
den Titel eines bekannten Romans vou Gottfried Keller -- "grüner Heinrich"
genannt wird, so dürfte auch diese Terminologie wohl zuerst in Gauuerkreiseu auf¬
gekommen sein (vgl, die "Llaelc Narik" im ältern engl. Slang für dasselbe
Gefährt, das in London schwarz angemalt war).

Auch einzelne historische Namen, insbesondre solche aus dem Alten Testament,
haben die Gauner für ihre Geheimsprache verwertet. So geht zum Beispiel der
in Deutschland dnrch Chamissos "Peter Schemihl" allgemein bekannt gewordne
Name Schlemiel, der im Rotwelsch den Pechvogel bezeichnet, dem alles mi߬
lingt, wahrscheinlich auf eine biblische Persönlichkeit zurück, nämlich den im vierte"
Buche Moses (1, 6) erwähnten Schelumiel oder Selumiel (wörtl. "Gottheit"),
der nach der jüdischen Sage erstochen wurde (vgl. 4. Mos. 25. 6 bis 15), Ferner
'se Rebmosche oder Rebbemausche, wie die Ganner das bei Einbruchsdiebstnhleu
benutzte große Brecheisen (..Krummkopf," Lüde) nennen oder wenigstens früher
nannten, wohl nichts andres als eine Verunstaltung von Rabbi Moses, dem
großen Gesetzgeber des Volkes Israel, der, bei diesem der Typus der höchste"
Erhabenheit und Gewalt, hier in frivoler Weise einem verbrecherischen Werkzeuge
gleichgestellt ist. Als identisch damit kommt übrigens zuweilen auch Rebtauweie
oder Rebbe Towie vor, d. h. Rabbi Tobias, wohl nach dem (im 2. Buche
der Chron. 17, 8 erwähnten) Leviten Tobias.

Fast am sonderbarsten mutet endlich die Verallgemeinerung zu Gattungsbegriffen
bei einzelnen neuern Familiennamen an, die entweder einst weithin bekannt gewesen
sind oder aber an ein bestimmtes, für das Gnunertum wichtiges Ereignis anknüpfen.
Für den letzten Fall bietet ein sehr lehrreiches Beispiel der merkwürdige Ausdruck
"Fleischmann" (zuweilen auch ins Indisch-Deutsche durch "Böser-Isch." Bosert-
Jsch, Böser-Tisch usw. oder ins Italienisch-Deutsche durch "Kiirnerfetzer"
übertragen), der in mehreren rotwelschen Glossaren mit: "einer, der Diebe auf¬
sucht oder verfolgt" oder "Auffanger. Hatschier" (also Gendarm, Polizist im weitern
Sinne) wiedergegeben ist. Die Erklärung hierfür aber kann man aus dem Riedelscheu
"Wörterbuch von Se. Georgen am See" (1750) entnehmen, wonach diese Begriffs¬
verallgemeinerung herstammt vou einem Leutnant unineus Fleischmann, der -- etwa
5" Anfang des achtzehnten Jahrhunderts -- in der Umgegend von Frankfurt n. M.


Das „Rotwelsch" des deutsche» (sauncrs

Seezungen. Schon der leider VgZawrum kennt zum Beispiel die eigentümlichen, schwer
zu deutenden Ausdrücke „Hans Walter" (später verdorben auch in ..Hanswalter")
für die Sans und „Hans von Getier" für grobes Brot. Diesen reihen sich
— als Verbindungen mit Hans am Ende — an: Grund Hans, die Egge, Eggen¬
zinke, Schneidhans, die Schere. Stanghans oder Stammhaus, der Baum
(dieses auch: Fuß), Sauerhaus, die Zwiebel. Pommhans, der Apfel (Halb¬
franz, wie „Pommerling"), Brannhans, der Kaffee, Blauhänse, Zwetschen.
Langhause (oder -Hälse). Bohnen, Klaishänse, Brüste (von Klais, Gleis, Glis,
Milch, auch Silber, ahmt. wohl vou gleißen, glitzern, glänzen) usw.; ferner als
Verbindungen mit Häusel u. a.: Hochhansel, Kleiderschrank. Ohrhansel, Tiegel.
Henkelkrug; mit Hanjo (als Transposition von Johann) das schon früher erwähnte
Serche-Hanjo, Tabaksbeutel. Der ..deutsche Michel" ist besonders vertreten in
den Zusammensetzungen Langmichel oder Blankmichel, das Schwert, Richt¬
schwert, und Fetzmichel, das Abdeckermesser (von setzen, hier nicht sowohl vom tat.
k-nsrg abzuleiten als vou dein ältern deutschen Zeitwort „setzen," echt. es^an
abschneiden, trennen svgl. „Fetzerine," Schere, und unser ..zerfetzen'1). Nur ver¬
einzelt findet sich auch Spannmichel für das Auge (vom rotw. Zeitwort spannen,
sehen). In dem vom Bayreuther Znchthausprediger Riedel 1750 veröffentlichten
rotwelschen Wörterbuch von Se. Georgen am See" heißt der Branntwein „Soruf-
Märten." "gebildet wahrscheinlich aus Soruf. Schnaps (vom rotw. sarfeneu.
serfeil, aus jüd. soropn, brennen und Marten, fübt. Form für Martin). Wenn
endlich in Berlin allgemein der grüne Wagen zum Transport der Gefangnen auch
als „grüne Minna." „grüner Aujust" oder — vielleicht mit Anlehnung an
den Titel eines bekannten Romans vou Gottfried Keller — „grüner Heinrich"
genannt wird, so dürfte auch diese Terminologie wohl zuerst in Gauuerkreiseu auf¬
gekommen sein (vgl, die „Llaelc Narik" im ältern engl. Slang für dasselbe
Gefährt, das in London schwarz angemalt war).

Auch einzelne historische Namen, insbesondre solche aus dem Alten Testament,
haben die Gauner für ihre Geheimsprache verwertet. So geht zum Beispiel der
in Deutschland dnrch Chamissos „Peter Schemihl" allgemein bekannt gewordne
Name Schlemiel, der im Rotwelsch den Pechvogel bezeichnet, dem alles mi߬
lingt, wahrscheinlich auf eine biblische Persönlichkeit zurück, nämlich den im vierte»
Buche Moses (1, 6) erwähnten Schelumiel oder Selumiel (wörtl. „Gottheit"),
der nach der jüdischen Sage erstochen wurde (vgl. 4. Mos. 25. 6 bis 15), Ferner
'se Rebmosche oder Rebbemausche, wie die Ganner das bei Einbruchsdiebstnhleu
benutzte große Brecheisen (..Krummkopf," Lüde) nennen oder wenigstens früher
nannten, wohl nichts andres als eine Verunstaltung von Rabbi Moses, dem
großen Gesetzgeber des Volkes Israel, der, bei diesem der Typus der höchste»
Erhabenheit und Gewalt, hier in frivoler Weise einem verbrecherischen Werkzeuge
gleichgestellt ist. Als identisch damit kommt übrigens zuweilen auch Rebtauweie
oder Rebbe Towie vor, d. h. Rabbi Tobias, wohl nach dem (im 2. Buche
der Chron. 17, 8 erwähnten) Leviten Tobias.

Fast am sonderbarsten mutet endlich die Verallgemeinerung zu Gattungsbegriffen
bei einzelnen neuern Familiennamen an, die entweder einst weithin bekannt gewesen
sind oder aber an ein bestimmtes, für das Gnunertum wichtiges Ereignis anknüpfen.
Für den letzten Fall bietet ein sehr lehrreiches Beispiel der merkwürdige Ausdruck
"Fleischmann" (zuweilen auch ins Indisch-Deutsche durch „Böser-Isch." Bosert-
Jsch, Böser-Tisch usw. oder ins Italienisch-Deutsche durch „Kiirnerfetzer"
übertragen), der in mehreren rotwelschen Glossaren mit: „einer, der Diebe auf¬
sucht oder verfolgt" oder „Auffanger. Hatschier" (also Gendarm, Polizist im weitern
Sinne) wiedergegeben ist. Die Erklärung hierfür aber kann man aus dem Riedelscheu
"Wörterbuch von Se. Georgen am See" (1750) entnehmen, wonach diese Begriffs¬
verallgemeinerung herstammt vou einem Leutnant unineus Fleischmann, der — etwa
5" Anfang des achtzehnten Jahrhunderts — in der Umgegend von Frankfurt n. M.


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[0535] Das „Rotwelsch" des deutsche» (sauncrs Seezungen. Schon der leider VgZawrum kennt zum Beispiel die eigentümlichen, schwer zu deutenden Ausdrücke „Hans Walter" (später verdorben auch in ..Hanswalter") für die Sans und „Hans von Getier" für grobes Brot. Diesen reihen sich — als Verbindungen mit Hans am Ende — an: Grund Hans, die Egge, Eggen¬ zinke, Schneidhans, die Schere. Stanghans oder Stammhaus, der Baum (dieses auch: Fuß), Sauerhaus, die Zwiebel. Pommhans, der Apfel (Halb¬ franz, wie „Pommerling"), Brannhans, der Kaffee, Blauhänse, Zwetschen. Langhause (oder -Hälse). Bohnen, Klaishänse, Brüste (von Klais, Gleis, Glis, Milch, auch Silber, ahmt. wohl vou gleißen, glitzern, glänzen) usw.; ferner als Verbindungen mit Häusel u. a.: Hochhansel, Kleiderschrank. Ohrhansel, Tiegel. Henkelkrug; mit Hanjo (als Transposition von Johann) das schon früher erwähnte Serche-Hanjo, Tabaksbeutel. Der ..deutsche Michel" ist besonders vertreten in den Zusammensetzungen Langmichel oder Blankmichel, das Schwert, Richt¬ schwert, und Fetzmichel, das Abdeckermesser (von setzen, hier nicht sowohl vom tat. k-nsrg abzuleiten als vou dein ältern deutschen Zeitwort „setzen," echt. es^an abschneiden, trennen svgl. „Fetzerine," Schere, und unser ..zerfetzen'1). Nur ver¬ einzelt findet sich auch Spannmichel für das Auge (vom rotw. Zeitwort spannen, sehen). In dem vom Bayreuther Znchthausprediger Riedel 1750 veröffentlichten rotwelschen Wörterbuch von Se. Georgen am See" heißt der Branntwein „Soruf- Märten." "gebildet wahrscheinlich aus Soruf. Schnaps (vom rotw. sarfeneu. serfeil, aus jüd. soropn, brennen und Marten, fübt. Form für Martin). Wenn endlich in Berlin allgemein der grüne Wagen zum Transport der Gefangnen auch als „grüne Minna." „grüner Aujust" oder — vielleicht mit Anlehnung an den Titel eines bekannten Romans vou Gottfried Keller — „grüner Heinrich" genannt wird, so dürfte auch diese Terminologie wohl zuerst in Gauuerkreiseu auf¬ gekommen sein (vgl, die „Llaelc Narik" im ältern engl. Slang für dasselbe Gefährt, das in London schwarz angemalt war). Auch einzelne historische Namen, insbesondre solche aus dem Alten Testament, haben die Gauner für ihre Geheimsprache verwertet. So geht zum Beispiel der in Deutschland dnrch Chamissos „Peter Schemihl" allgemein bekannt gewordne Name Schlemiel, der im Rotwelsch den Pechvogel bezeichnet, dem alles mi߬ lingt, wahrscheinlich auf eine biblische Persönlichkeit zurück, nämlich den im vierte» Buche Moses (1, 6) erwähnten Schelumiel oder Selumiel (wörtl. „Gottheit"), der nach der jüdischen Sage erstochen wurde (vgl. 4. Mos. 25. 6 bis 15), Ferner 'se Rebmosche oder Rebbemausche, wie die Ganner das bei Einbruchsdiebstnhleu benutzte große Brecheisen (..Krummkopf," Lüde) nennen oder wenigstens früher nannten, wohl nichts andres als eine Verunstaltung von Rabbi Moses, dem großen Gesetzgeber des Volkes Israel, der, bei diesem der Typus der höchste» Erhabenheit und Gewalt, hier in frivoler Weise einem verbrecherischen Werkzeuge gleichgestellt ist. Als identisch damit kommt übrigens zuweilen auch Rebtauweie oder Rebbe Towie vor, d. h. Rabbi Tobias, wohl nach dem (im 2. Buche der Chron. 17, 8 erwähnten) Leviten Tobias. Fast am sonderbarsten mutet endlich die Verallgemeinerung zu Gattungsbegriffen bei einzelnen neuern Familiennamen an, die entweder einst weithin bekannt gewesen sind oder aber an ein bestimmtes, für das Gnunertum wichtiges Ereignis anknüpfen. Für den letzten Fall bietet ein sehr lehrreiches Beispiel der merkwürdige Ausdruck "Fleischmann" (zuweilen auch ins Indisch-Deutsche durch „Böser-Isch." Bosert- Jsch, Böser-Tisch usw. oder ins Italienisch-Deutsche durch „Kiirnerfetzer" übertragen), der in mehreren rotwelschen Glossaren mit: „einer, der Diebe auf¬ sucht oder verfolgt" oder „Auffanger. Hatschier" (also Gendarm, Polizist im weitern Sinne) wiedergegeben ist. Die Erklärung hierfür aber kann man aus dem Riedelscheu "Wörterbuch von Se. Georgen am See" (1750) entnehmen, wonach diese Begriffs¬ verallgemeinerung herstammt vou einem Leutnant unineus Fleischmann, der — etwa 5" Anfang des achtzehnten Jahrhunderts — in der Umgegend von Frankfurt n. M.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/535>, abgerufen am 24.06.2024.