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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

schließen müssen, daß ihn die Erlösung von der Sünde beseitigen werde. Aber
er machte es, meint der Verfasser, ähnlich wie Karl Marx, der auch den Gegen¬
wartsstaat für unberechtigt, den Zukunftsstaat dagegen für berechtigt erklärt. Man
mache sich, schreibt Sommerlad, "nur folgendes klar: Hätte Augustinus eine dem
weltlichen Staate immanente Lebenskraft anerkannt, wie hätte er Raum für die
Betätigung der ethischen Macht der Kirche gewonnen? Und hätte er behauptet,
der weltliche Staat werde dereinst verschwinden, so konnte dieser dem Gottesstaate
nicht dienstbar gemacht werden." Daß aber der Kirche damals tatsächlich der Beruf
zufiel, den Augustinus theoretisch begründet, zeigt recht deutlich das Leben des
Severin, eines apostolischen und prophetischen Mannes, der in der Zeit Odoakers
in den Donauländern zwischen den Trümmern des Römerstaats predigend, tröstend,
schützend, Neues pflanzend, die germanischen Häuptlinge beratend umhergezogen ist.
Die Wichtigkeit der von des Heiligen Schüler Eugippius um 511 verfaßten Vita
Sevsrini, die einige schwache Lichtstrahlen in eine völlig dunkle Zeit wirft, ist von
Historikern wie Nitzsch und Mommsen anerkannt worden, und Sommerlad hat ihr
das zweite Heft seiner Studien (Die Lebensbeschreibung Severins als kulturge¬
schichtliche Quelle) gewidmet. Wir erfahren daraus u. a. genaueres über den Ge¬
brauch des Wortes barbarus in jener Zeit (es entwickelt sich die Bedeutung, die
wir heute mit dem Worte Barbar verbinden) und über den vollständigen Rückfall
der Zeit in die Naturalwirtschaft. Severin brachte die christlichen Grundsätze im
Wirtschaftsleben u. a. dadurch zur Geltung, daß er zur Versorgung der Armen
und der Gefangnen den Zehnten einführte. Plato hatte sich in einer Zeit, in der
die antike Welt vom Verfall noch weit entfernt war, nach einigen verunglückten
Reformversuchen auf die Dichtung von Staatsidealen und die rein theoretische Be¬
lehrung eines kleinen Jüngerkreises zurückgezogen. Männer wie Severin legten
politische und wirtschaftliche Neupflanzungen an, unbekümmert darum, daß wahr¬
scheinlich schon am nächsten Tage eine Welle des hin und her flutenden Völker¬
meeres ihre Pflanzung zerstören würde. Dieses unermüdliche und unerschrockne
Arbeiten, bloß um die Pflicht zu erfüllen und ohne Rücksicht auf den irdischen
Erfolg, gehörte zu dem völlig Neuen, was das Christentum gebracht hatte, und
ohne das die verhältnismäßig rasche Begründung der neuen germanischen Kultur
in der Zeit von Karl dem Großen bis Barbarossa nicht denkbar wäre.

An Schriften über die Rechte der Frauen und über das Unrecht, das sie angeblich
immer zu erdulden gehabt haben und heute noch erdulden, ist unsre Zeit bekanntlich sehr
fruchtbar. Nicht in die Kategorie dieser agitatorischen und sensationellen Pamphlet¬
literatur gehört "Die Rechtstellung der Frau als Gattin und Mutter.
Geschichtliche Entwicklung ihrer persönlichen Stellung im Privatrecht bis in das
achtzehnte Jahrhundert," von ol. Robert Bartsch. (Leipzig, Veit H Co., 1903.)
Das kleine Buch ist die gründliche wissenschaftliche Arbeit eines tüchtigen Rechts-
gelehrten, aber auch für Laien verständlich geschrieben, sodaß auch diese nützliche
Belehrung daraus schöpfen können. Der Verfasser unterscheidet vier Typen der
Stellung der Frau, die er zugleich als Entwicklungsstufen auffaßt. Frau und
Kinder sind auf der ersten Eigentum des Maines und werden als Sachen be¬
handelt. Auf der zweiten stehn sie zwar noch unter der Gewalt des Mannes,
werden aber uuter der Einwirkung religiöser Vorstellungen als Rechtssubjekte be¬
handelt. Auf der dritten wird die Gewalt des Mannes zur Schutzgewalt, auf der
vierten wird die Frau ein dem Manne ebenbürtiges, gleichberechtigtes Individuum.
Nach einer sehr klaren Darstellung des starr individualistischen, formalistischen und
darum der Anpassung und der Entwicklung wenig fähigen römischen Familienrechts wird
der Einfluß des Christentums erörtert, das den Thpns der höchsten Stufe fordert,
indem es auch die Frauen zum Reiche Gottes beruft und den Männern nicht
weniger streng als den Weibern den Ehebruch verbietet. Von Matth. 19, 11
und 12 gibt Bartsch eine originelle Erklärung. Er bezieht das: nicht alle fassen
dieses Wort, nicht, wie gewöhnlich geschieht, auf die Enthaltung, die Ehelosigkeit,


Grenzboten III 1904 64
Maßgebliches und Unmaßgebliches

schließen müssen, daß ihn die Erlösung von der Sünde beseitigen werde. Aber
er machte es, meint der Verfasser, ähnlich wie Karl Marx, der auch den Gegen¬
wartsstaat für unberechtigt, den Zukunftsstaat dagegen für berechtigt erklärt. Man
mache sich, schreibt Sommerlad, „nur folgendes klar: Hätte Augustinus eine dem
weltlichen Staate immanente Lebenskraft anerkannt, wie hätte er Raum für die
Betätigung der ethischen Macht der Kirche gewonnen? Und hätte er behauptet,
der weltliche Staat werde dereinst verschwinden, so konnte dieser dem Gottesstaate
nicht dienstbar gemacht werden." Daß aber der Kirche damals tatsächlich der Beruf
zufiel, den Augustinus theoretisch begründet, zeigt recht deutlich das Leben des
Severin, eines apostolischen und prophetischen Mannes, der in der Zeit Odoakers
in den Donauländern zwischen den Trümmern des Römerstaats predigend, tröstend,
schützend, Neues pflanzend, die germanischen Häuptlinge beratend umhergezogen ist.
Die Wichtigkeit der von des Heiligen Schüler Eugippius um 511 verfaßten Vita
Sevsrini, die einige schwache Lichtstrahlen in eine völlig dunkle Zeit wirft, ist von
Historikern wie Nitzsch und Mommsen anerkannt worden, und Sommerlad hat ihr
das zweite Heft seiner Studien (Die Lebensbeschreibung Severins als kulturge¬
schichtliche Quelle) gewidmet. Wir erfahren daraus u. a. genaueres über den Ge¬
brauch des Wortes barbarus in jener Zeit (es entwickelt sich die Bedeutung, die
wir heute mit dem Worte Barbar verbinden) und über den vollständigen Rückfall
der Zeit in die Naturalwirtschaft. Severin brachte die christlichen Grundsätze im
Wirtschaftsleben u. a. dadurch zur Geltung, daß er zur Versorgung der Armen
und der Gefangnen den Zehnten einführte. Plato hatte sich in einer Zeit, in der
die antike Welt vom Verfall noch weit entfernt war, nach einigen verunglückten
Reformversuchen auf die Dichtung von Staatsidealen und die rein theoretische Be¬
lehrung eines kleinen Jüngerkreises zurückgezogen. Männer wie Severin legten
politische und wirtschaftliche Neupflanzungen an, unbekümmert darum, daß wahr¬
scheinlich schon am nächsten Tage eine Welle des hin und her flutenden Völker¬
meeres ihre Pflanzung zerstören würde. Dieses unermüdliche und unerschrockne
Arbeiten, bloß um die Pflicht zu erfüllen und ohne Rücksicht auf den irdischen
Erfolg, gehörte zu dem völlig Neuen, was das Christentum gebracht hatte, und
ohne das die verhältnismäßig rasche Begründung der neuen germanischen Kultur
in der Zeit von Karl dem Großen bis Barbarossa nicht denkbar wäre.

An Schriften über die Rechte der Frauen und über das Unrecht, das sie angeblich
immer zu erdulden gehabt haben und heute noch erdulden, ist unsre Zeit bekanntlich sehr
fruchtbar. Nicht in die Kategorie dieser agitatorischen und sensationellen Pamphlet¬
literatur gehört „Die Rechtstellung der Frau als Gattin und Mutter.
Geschichtliche Entwicklung ihrer persönlichen Stellung im Privatrecht bis in das
achtzehnte Jahrhundert," von ol. Robert Bartsch. (Leipzig, Veit H Co., 1903.)
Das kleine Buch ist die gründliche wissenschaftliche Arbeit eines tüchtigen Rechts-
gelehrten, aber auch für Laien verständlich geschrieben, sodaß auch diese nützliche
Belehrung daraus schöpfen können. Der Verfasser unterscheidet vier Typen der
Stellung der Frau, die er zugleich als Entwicklungsstufen auffaßt. Frau und
Kinder sind auf der ersten Eigentum des Maines und werden als Sachen be¬
handelt. Auf der zweiten stehn sie zwar noch unter der Gewalt des Mannes,
werden aber uuter der Einwirkung religiöser Vorstellungen als Rechtssubjekte be¬
handelt. Auf der dritten wird die Gewalt des Mannes zur Schutzgewalt, auf der
vierten wird die Frau ein dem Manne ebenbürtiges, gleichberechtigtes Individuum.
Nach einer sehr klaren Darstellung des starr individualistischen, formalistischen und
darum der Anpassung und der Entwicklung wenig fähigen römischen Familienrechts wird
der Einfluß des Christentums erörtert, das den Thpns der höchsten Stufe fordert,
indem es auch die Frauen zum Reiche Gottes beruft und den Männern nicht
weniger streng als den Weibern den Ehebruch verbietet. Von Matth. 19, 11
und 12 gibt Bartsch eine originelle Erklärung. Er bezieht das: nicht alle fassen
dieses Wort, nicht, wie gewöhnlich geschieht, auf die Enthaltung, die Ehelosigkeit,


Grenzboten III 1904 64
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[0491] Maßgebliches und Unmaßgebliches schließen müssen, daß ihn die Erlösung von der Sünde beseitigen werde. Aber er machte es, meint der Verfasser, ähnlich wie Karl Marx, der auch den Gegen¬ wartsstaat für unberechtigt, den Zukunftsstaat dagegen für berechtigt erklärt. Man mache sich, schreibt Sommerlad, „nur folgendes klar: Hätte Augustinus eine dem weltlichen Staate immanente Lebenskraft anerkannt, wie hätte er Raum für die Betätigung der ethischen Macht der Kirche gewonnen? Und hätte er behauptet, der weltliche Staat werde dereinst verschwinden, so konnte dieser dem Gottesstaate nicht dienstbar gemacht werden." Daß aber der Kirche damals tatsächlich der Beruf zufiel, den Augustinus theoretisch begründet, zeigt recht deutlich das Leben des Severin, eines apostolischen und prophetischen Mannes, der in der Zeit Odoakers in den Donauländern zwischen den Trümmern des Römerstaats predigend, tröstend, schützend, Neues pflanzend, die germanischen Häuptlinge beratend umhergezogen ist. Die Wichtigkeit der von des Heiligen Schüler Eugippius um 511 verfaßten Vita Sevsrini, die einige schwache Lichtstrahlen in eine völlig dunkle Zeit wirft, ist von Historikern wie Nitzsch und Mommsen anerkannt worden, und Sommerlad hat ihr das zweite Heft seiner Studien (Die Lebensbeschreibung Severins als kulturge¬ schichtliche Quelle) gewidmet. Wir erfahren daraus u. a. genaueres über den Ge¬ brauch des Wortes barbarus in jener Zeit (es entwickelt sich die Bedeutung, die wir heute mit dem Worte Barbar verbinden) und über den vollständigen Rückfall der Zeit in die Naturalwirtschaft. Severin brachte die christlichen Grundsätze im Wirtschaftsleben u. a. dadurch zur Geltung, daß er zur Versorgung der Armen und der Gefangnen den Zehnten einführte. Plato hatte sich in einer Zeit, in der die antike Welt vom Verfall noch weit entfernt war, nach einigen verunglückten Reformversuchen auf die Dichtung von Staatsidealen und die rein theoretische Be¬ lehrung eines kleinen Jüngerkreises zurückgezogen. Männer wie Severin legten politische und wirtschaftliche Neupflanzungen an, unbekümmert darum, daß wahr¬ scheinlich schon am nächsten Tage eine Welle des hin und her flutenden Völker¬ meeres ihre Pflanzung zerstören würde. Dieses unermüdliche und unerschrockne Arbeiten, bloß um die Pflicht zu erfüllen und ohne Rücksicht auf den irdischen Erfolg, gehörte zu dem völlig Neuen, was das Christentum gebracht hatte, und ohne das die verhältnismäßig rasche Begründung der neuen germanischen Kultur in der Zeit von Karl dem Großen bis Barbarossa nicht denkbar wäre. An Schriften über die Rechte der Frauen und über das Unrecht, das sie angeblich immer zu erdulden gehabt haben und heute noch erdulden, ist unsre Zeit bekanntlich sehr fruchtbar. Nicht in die Kategorie dieser agitatorischen und sensationellen Pamphlet¬ literatur gehört „Die Rechtstellung der Frau als Gattin und Mutter. Geschichtliche Entwicklung ihrer persönlichen Stellung im Privatrecht bis in das achtzehnte Jahrhundert," von ol. Robert Bartsch. (Leipzig, Veit H Co., 1903.) Das kleine Buch ist die gründliche wissenschaftliche Arbeit eines tüchtigen Rechts- gelehrten, aber auch für Laien verständlich geschrieben, sodaß auch diese nützliche Belehrung daraus schöpfen können. Der Verfasser unterscheidet vier Typen der Stellung der Frau, die er zugleich als Entwicklungsstufen auffaßt. Frau und Kinder sind auf der ersten Eigentum des Maines und werden als Sachen be¬ handelt. Auf der zweiten stehn sie zwar noch unter der Gewalt des Mannes, werden aber uuter der Einwirkung religiöser Vorstellungen als Rechtssubjekte be¬ handelt. Auf der dritten wird die Gewalt des Mannes zur Schutzgewalt, auf der vierten wird die Frau ein dem Manne ebenbürtiges, gleichberechtigtes Individuum. Nach einer sehr klaren Darstellung des starr individualistischen, formalistischen und darum der Anpassung und der Entwicklung wenig fähigen römischen Familienrechts wird der Einfluß des Christentums erörtert, das den Thpns der höchsten Stufe fordert, indem es auch die Frauen zum Reiche Gottes beruft und den Männern nicht weniger streng als den Weibern den Ehebruch verbietet. Von Matth. 19, 11 und 12 gibt Bartsch eine originelle Erklärung. Er bezieht das: nicht alle fassen dieses Wort, nicht, wie gewöhnlich geschieht, auf die Enthaltung, die Ehelosigkeit, Grenzboten III 1904 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/491>, abgerufen am 26.06.2024.