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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Erinnerungen aus der preußischen Archivverwaltung

sehr auf gewisse Aufgaben beschränke und andre Forderungen nicht genügend
berücksichtige.

Da die Publikationen des Instituts, vor allem die Nuntiaturberichte,
zum Teil auf Kosten der Archivverwaltung gedruckt wurden, so hätte Sybel
das Recht gehabt, sich als Entgelt eine Anzahl von Exemplaren zur Ver
teilung an die Provinzialarchive vorzubehalten, wie das bei den früher von
ihm veranlaßten Veröffentlichungen geschehen war. Er hat aber von diesem
Rechte keinen Gebrauch gemacht. Da nun die einzelnen Archive ans ihren
knapp bemessenen Fonds die teuern Bände nicht anschaffen konnten, so blieb
dieses wertvolle Material zur Geschichte der rheinischen, westfälischen und
niedersächsischen Bistümer gerade denen, die seiner besonders bedurften, unzu¬
gänglich. Erst Sybels Nachfolger hat das Versäumte nachgeholt, so weit es
noch möglich war.

Von Sybels geringerm Interesse für die Provinzialarchive zeugte auch
eine Verfügung, die im Jahre 1893 erging. Obwohl bei den Archiven
politische Zeitungen und belletristische Zeitschriften in der Regel nicht gehalten
wurden, so hatten doch die Verwaltungsbehörden ihren Aktenablieferungen viel¬
fach die ältern Jahrgänge solcher Zeitungen beigefügt. Ferner erhielten die
Archive vom Direktorium den Reichs- und Staatsanzeiger, endlich gaben an
manchen Orten die Verleger der Lokalblätter den Archiven Freiexemplare.
Nun aber befahl das Direktorium, daß alle vorhandnen Jahrgänge solcher
Zeitungen seit dem Jahre 1316 an die Universitäts- oder Landesbibliothek
der Provinz abgegeben oder, wenn die Bibliotheken sie ablehnten, verkauft
werden sollten. Begründet war diese Maßregel damit, daß es Aufgabe der
öffentlichen Bibliotheken sei, das gedruckte Material für die Geschichte der
neusten Zeit zu bewahren. Nun ist eine solche Teilung wohl gerechtfertigt,
wenn Archiv und Bibliothek an demselben Orte sind, sich also gegenseitig aus¬
helfen können. Ministerialerlasse und Zirkulare, die man in den Akten findet,
setzen häufig gewisse Zeitungsnachrichten als bekannt voraus. Um diese Schrift¬
stücke zu verstehn, muß man die Tagesblätter zu Rate ziehn. Die Geschichte
einer Stadt, eines Regierungsbezirks oder einer Provinz im neunzehnten
Jahrhundert aus Akten allein darzustellen, wäre ein verfehltes Unternehmen,
weil die Akten nur ein unvollständiges Bild von Tagesereignissen geben;
man muß immer die Zeitungen zu Hilfe nehmen. Während endlich in
Preußen seit 1816 für jeden Regierungsbezirk ein eignes Amts- oder Ver¬
ordnungsblatt existiert, war das zum Beispiel in Hannover nicht der Fall;
die dortigen Landdrosteien bedienten sich der lokalen Jntelligenzblätter, ihre
Verordnungen bekannt zu machen. Nun haben die Archive Osnabrück und
Aurich diese Jntelligenzblätter wie andre Zeitungen an die Universitätsbiblio¬
thek Göttingen abgeben müssen und damit das wichtigste gedruckte Material
zur Geschichte ihrer Sprengel in der Zeit von 1816 bis 1866 verloren.
Ähnlich steht es bei andern Archiven, die nicht in Universitätsstädten liegen.
Und doch soll der Archivar nicht selten auch über Fragen aus der Geschichte
jener Zeit Auskunft geben. Solche Anfragen gingen freilich meist nicht von
Gelehrten ans, sondern von Verwaltungsbeamten oder einfachen Bürgern.


Erinnerungen aus der preußischen Archivverwaltung

sehr auf gewisse Aufgaben beschränke und andre Forderungen nicht genügend
berücksichtige.

Da die Publikationen des Instituts, vor allem die Nuntiaturberichte,
zum Teil auf Kosten der Archivverwaltung gedruckt wurden, so hätte Sybel
das Recht gehabt, sich als Entgelt eine Anzahl von Exemplaren zur Ver
teilung an die Provinzialarchive vorzubehalten, wie das bei den früher von
ihm veranlaßten Veröffentlichungen geschehen war. Er hat aber von diesem
Rechte keinen Gebrauch gemacht. Da nun die einzelnen Archive ans ihren
knapp bemessenen Fonds die teuern Bände nicht anschaffen konnten, so blieb
dieses wertvolle Material zur Geschichte der rheinischen, westfälischen und
niedersächsischen Bistümer gerade denen, die seiner besonders bedurften, unzu¬
gänglich. Erst Sybels Nachfolger hat das Versäumte nachgeholt, so weit es
noch möglich war.

Von Sybels geringerm Interesse für die Provinzialarchive zeugte auch
eine Verfügung, die im Jahre 1893 erging. Obwohl bei den Archiven
politische Zeitungen und belletristische Zeitschriften in der Regel nicht gehalten
wurden, so hatten doch die Verwaltungsbehörden ihren Aktenablieferungen viel¬
fach die ältern Jahrgänge solcher Zeitungen beigefügt. Ferner erhielten die
Archive vom Direktorium den Reichs- und Staatsanzeiger, endlich gaben an
manchen Orten die Verleger der Lokalblätter den Archiven Freiexemplare.
Nun aber befahl das Direktorium, daß alle vorhandnen Jahrgänge solcher
Zeitungen seit dem Jahre 1316 an die Universitäts- oder Landesbibliothek
der Provinz abgegeben oder, wenn die Bibliotheken sie ablehnten, verkauft
werden sollten. Begründet war diese Maßregel damit, daß es Aufgabe der
öffentlichen Bibliotheken sei, das gedruckte Material für die Geschichte der
neusten Zeit zu bewahren. Nun ist eine solche Teilung wohl gerechtfertigt,
wenn Archiv und Bibliothek an demselben Orte sind, sich also gegenseitig aus¬
helfen können. Ministerialerlasse und Zirkulare, die man in den Akten findet,
setzen häufig gewisse Zeitungsnachrichten als bekannt voraus. Um diese Schrift¬
stücke zu verstehn, muß man die Tagesblätter zu Rate ziehn. Die Geschichte
einer Stadt, eines Regierungsbezirks oder einer Provinz im neunzehnten
Jahrhundert aus Akten allein darzustellen, wäre ein verfehltes Unternehmen,
weil die Akten nur ein unvollständiges Bild von Tagesereignissen geben;
man muß immer die Zeitungen zu Hilfe nehmen. Während endlich in
Preußen seit 1816 für jeden Regierungsbezirk ein eignes Amts- oder Ver¬
ordnungsblatt existiert, war das zum Beispiel in Hannover nicht der Fall;
die dortigen Landdrosteien bedienten sich der lokalen Jntelligenzblätter, ihre
Verordnungen bekannt zu machen. Nun haben die Archive Osnabrück und
Aurich diese Jntelligenzblätter wie andre Zeitungen an die Universitätsbiblio¬
thek Göttingen abgeben müssen und damit das wichtigste gedruckte Material
zur Geschichte ihrer Sprengel in der Zeit von 1816 bis 1866 verloren.
Ähnlich steht es bei andern Archiven, die nicht in Universitätsstädten liegen.
Und doch soll der Archivar nicht selten auch über Fragen aus der Geschichte
jener Zeit Auskunft geben. Solche Anfragen gingen freilich meist nicht von
Gelehrten ans, sondern von Verwaltungsbeamten oder einfachen Bürgern.


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[0458] Erinnerungen aus der preußischen Archivverwaltung sehr auf gewisse Aufgaben beschränke und andre Forderungen nicht genügend berücksichtige. Da die Publikationen des Instituts, vor allem die Nuntiaturberichte, zum Teil auf Kosten der Archivverwaltung gedruckt wurden, so hätte Sybel das Recht gehabt, sich als Entgelt eine Anzahl von Exemplaren zur Ver teilung an die Provinzialarchive vorzubehalten, wie das bei den früher von ihm veranlaßten Veröffentlichungen geschehen war. Er hat aber von diesem Rechte keinen Gebrauch gemacht. Da nun die einzelnen Archive ans ihren knapp bemessenen Fonds die teuern Bände nicht anschaffen konnten, so blieb dieses wertvolle Material zur Geschichte der rheinischen, westfälischen und niedersächsischen Bistümer gerade denen, die seiner besonders bedurften, unzu¬ gänglich. Erst Sybels Nachfolger hat das Versäumte nachgeholt, so weit es noch möglich war. Von Sybels geringerm Interesse für die Provinzialarchive zeugte auch eine Verfügung, die im Jahre 1893 erging. Obwohl bei den Archiven politische Zeitungen und belletristische Zeitschriften in der Regel nicht gehalten wurden, so hatten doch die Verwaltungsbehörden ihren Aktenablieferungen viel¬ fach die ältern Jahrgänge solcher Zeitungen beigefügt. Ferner erhielten die Archive vom Direktorium den Reichs- und Staatsanzeiger, endlich gaben an manchen Orten die Verleger der Lokalblätter den Archiven Freiexemplare. Nun aber befahl das Direktorium, daß alle vorhandnen Jahrgänge solcher Zeitungen seit dem Jahre 1316 an die Universitäts- oder Landesbibliothek der Provinz abgegeben oder, wenn die Bibliotheken sie ablehnten, verkauft werden sollten. Begründet war diese Maßregel damit, daß es Aufgabe der öffentlichen Bibliotheken sei, das gedruckte Material für die Geschichte der neusten Zeit zu bewahren. Nun ist eine solche Teilung wohl gerechtfertigt, wenn Archiv und Bibliothek an demselben Orte sind, sich also gegenseitig aus¬ helfen können. Ministerialerlasse und Zirkulare, die man in den Akten findet, setzen häufig gewisse Zeitungsnachrichten als bekannt voraus. Um diese Schrift¬ stücke zu verstehn, muß man die Tagesblätter zu Rate ziehn. Die Geschichte einer Stadt, eines Regierungsbezirks oder einer Provinz im neunzehnten Jahrhundert aus Akten allein darzustellen, wäre ein verfehltes Unternehmen, weil die Akten nur ein unvollständiges Bild von Tagesereignissen geben; man muß immer die Zeitungen zu Hilfe nehmen. Während endlich in Preußen seit 1816 für jeden Regierungsbezirk ein eignes Amts- oder Ver¬ ordnungsblatt existiert, war das zum Beispiel in Hannover nicht der Fall; die dortigen Landdrosteien bedienten sich der lokalen Jntelligenzblätter, ihre Verordnungen bekannt zu machen. Nun haben die Archive Osnabrück und Aurich diese Jntelligenzblätter wie andre Zeitungen an die Universitätsbiblio¬ thek Göttingen abgeben müssen und damit das wichtigste gedruckte Material zur Geschichte ihrer Sprengel in der Zeit von 1816 bis 1866 verloren. Ähnlich steht es bei andern Archiven, die nicht in Universitätsstädten liegen. Und doch soll der Archivar nicht selten auch über Fragen aus der Geschichte jener Zeit Auskunft geben. Solche Anfragen gingen freilich meist nicht von Gelehrten ans, sondern von Verwaltungsbeamten oder einfachen Bürgern.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/458>, abgerufen am 26.06.2024.