Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.westfälische Geschichten du es weißt, Lorenz, und Wenns hart gewesen ist für dich, daß nichts draus ge¬ Der Präsident ließ die Hände ruhn und den schon lang gewordnen Kranz Wie ein Verbrecher war er hinaufgeschlichen, als seine Mutter mit dem Onkel Sie hatten ihn begleitet, als er zur Eisenbahn ging, sein Ränzel auf dem westfälische Geschichten du es weißt, Lorenz, und Wenns hart gewesen ist für dich, daß nichts draus ge¬ Der Präsident ließ die Hände ruhn und den schon lang gewordnen Kranz Wie ein Verbrecher war er hinaufgeschlichen, als seine Mutter mit dem Onkel Sie hatten ihn begleitet, als er zur Eisenbahn ging, sein Ränzel auf dem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0782" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/294401"/> <fw type="header" place="top"> westfälische Geschichten</fw><lb/> <p xml:id="ID_3506" prev="#ID_3505"> du es weißt, Lorenz, und Wenns hart gewesen ist für dich, daß nichts draus ge¬<lb/> worden ist, denkst du, daß es mir leicht geworden ist? Du weißt doch, was für<lb/> einer er war, dein Bruder. Nun ist er tot, Gort hab ihn selig, und ich sag ihm<lb/> gewiß nichts Böses nach — aber du weiszts ja selbst. Es hat nun einmal so<lb/> kommen sollen, und wir müssen uns darein schicken I — Das darfst du nicht sagen,<lb/> Lore! Jetzt ist er unter der Erde, der Bauer, der mein Bruder gewesen ist, und<lb/> ich hab mir einen ordentlichen Taler erspart und hab mich ordentlich gehalten.<lb/> Überall kannst du nachfragen, wo ich im Dienst gewesen bin als Großknecht auf den<lb/> Höfen. Auf meiner letzten Stelle die Bäuerin, die auch eine Witfrau ist, und der<lb/> Hof ist gut, und sie steht noch in guten Jahren, die hat mir gesagt, ob ich nicht<lb/> der Bauer werden will auf dem Hofe da. Aber ich habe nicht Ja sagen können,<lb/> Lore. An dich hab ich denken müssen, an die Kirmes und an die Brücke, wo du<lb/> mir gesagt hast ... — Daß ich dich lieb habe, Lorenz, lieb bis in den Tod.<lb/> Und wahr ists gewesen, und Gott weiß alles, was ich habe leiden müssen, weil<lb/> ich immer an dich habe denken müssen, und weil dein Bruder mein Mann gewesen<lb/> ist, und es eine Sünde gewesen ist und eine Schande, daß ich dich doch nicht habe<lb/> vergessen können. Und wahr ists noch heute. — Doch sag ich dir: Geh hin und<lb/> heirate die Bäuerin auf dem Hofe, wo du zuletzt in Dienst gestanden bist, ich kann<lb/> deine Frau nicht werden! Sieben Kinder sind auf dem Hofe hier. Der Älteste<lb/> ist Anerbe. Der Philipp soll studieren, und die andern, was werden die alle<lb/> wollen? Unser Herrgott hat mir die Kinder geschenkt, deinem Bruder und mir.<lb/> Nun ist er tot, nun muß ich allein für sie sorgen, daß ich sie hernach unserm<lb/> Herrgott wiedergeben und sagen kann: Ich hab getan, was ich gekonnt habe. Nun<lb/> sei barmherzig und geh nicht zu streng mit mir ins Gericht. — Ich helf dir, Lore,<lb/> deine Kinder erziehn, ich arbeite für euch! — Und wenn dann noch mehr Kinder<lb/> kommen auf den Hof, Lorenz? Deine Kinder und meine Kinder? Dann ist die<lb/> Zwietracht da zwischen Eltern und Kindern, die Geschwister stehn gegeneinander.<lb/> Und ob ich sie dann nicht lieber hätte, die Kinder, Lorenz, die deine Kinder wären,<lb/> lieber als die Kinder von deinem Bruder? Weil ich dich lieb habe, Lorenz? —<lb/> Sie schluchzte leise. — Sieh, Lorenz, es kann nicht sein. Ich dank dir, daß du<lb/> mich nicht vergessen hast, aber nun bitte ich dich, daß du gehst, daß mir die Ab¬<lb/> sage nicht so schwer fällt. — Lore, Lore, sagte der Mann. So eine, wie du bist,<lb/> und daß der Bruder dich hat haben sollen, und daß wir beide nun so leiden<lb/> müssen!</p><lb/> <p xml:id="ID_3507"> Der Präsident ließ die Hände ruhn und den schon lang gewordnen Kranz<lb/> zur Erde fallen. Mutter, Mutter, sagte er leise und kniete an dem Bette nieder,<lb/> barg sein Gesicht in den Kissen und schluchzte in sich hinein.</p><lb/> <p xml:id="ID_3508"> Wie ein Verbrecher war er hinaufgeschlichen, als seine Mutter mit dem Onkel<lb/> die beste Stube verlassen hatte. Auf die Wiese war er gelaufen, in den Busch,<lb/> und nach Stunden erst war er wieder heimgekommen. Junge, wo hast du dich herum¬<lb/> getrieben, hatte seine Mutter gefragt, hast du nicht daran gedacht, daß ich mit dem<lb/> Vikar geredet hab? Du darfst studieren; der Vikar hat an seine Schwester ge¬<lb/> schrieben, die in der Stadt einen Laden hält. Bei ihr kannst du wohnen. Über¬<lb/> morgen sollst du reisen.</p><lb/> <p xml:id="ID_3509" next="#ID_3510"> Sie hatten ihn begleitet, als er zur Eisenbahn ging, sein Ränzel auf dem<lb/> Rücken. Bis zur Höhe, wo das Kreuz stand unter der alten Eiche, waren die<lb/> Geschwister mitgegangen. Seine Mutter noch ein Stückchen weiter. — Da, Junge,<lb/> hatte sie dann gesagt, während sie ihm ein Päckchen zusteckte; das eine hängst du<lb/> um den Hals, für das andre kaufst du dir was, wenn Kirmes ist in der Stadt. Und<lb/> nun sag ich dir adjüs. sentier gut, halte dich brav. Wenn Ferien sind, dann<lb/> kommst du nach Hause. — Mit der rauhen Hand hatte sie ihm das Gesicht ge¬<lb/> streichelt, leise und zärtlich: Adjüs auch, Philipp! — Dann war sie gegangen. Aus<lb/> der Brust wars ihm heraufgestiegen, aus den Augen wars ihm geflossen, brennend<lb/> heiß. Mutter, Mutter! hatte er rufen wollen, aber es war kein Laut über seine</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0782]
westfälische Geschichten
du es weißt, Lorenz, und Wenns hart gewesen ist für dich, daß nichts draus ge¬
worden ist, denkst du, daß es mir leicht geworden ist? Du weißt doch, was für
einer er war, dein Bruder. Nun ist er tot, Gort hab ihn selig, und ich sag ihm
gewiß nichts Böses nach — aber du weiszts ja selbst. Es hat nun einmal so
kommen sollen, und wir müssen uns darein schicken I — Das darfst du nicht sagen,
Lore! Jetzt ist er unter der Erde, der Bauer, der mein Bruder gewesen ist, und
ich hab mir einen ordentlichen Taler erspart und hab mich ordentlich gehalten.
Überall kannst du nachfragen, wo ich im Dienst gewesen bin als Großknecht auf den
Höfen. Auf meiner letzten Stelle die Bäuerin, die auch eine Witfrau ist, und der
Hof ist gut, und sie steht noch in guten Jahren, die hat mir gesagt, ob ich nicht
der Bauer werden will auf dem Hofe da. Aber ich habe nicht Ja sagen können,
Lore. An dich hab ich denken müssen, an die Kirmes und an die Brücke, wo du
mir gesagt hast ... — Daß ich dich lieb habe, Lorenz, lieb bis in den Tod.
Und wahr ists gewesen, und Gott weiß alles, was ich habe leiden müssen, weil
ich immer an dich habe denken müssen, und weil dein Bruder mein Mann gewesen
ist, und es eine Sünde gewesen ist und eine Schande, daß ich dich doch nicht habe
vergessen können. Und wahr ists noch heute. — Doch sag ich dir: Geh hin und
heirate die Bäuerin auf dem Hofe, wo du zuletzt in Dienst gestanden bist, ich kann
deine Frau nicht werden! Sieben Kinder sind auf dem Hofe hier. Der Älteste
ist Anerbe. Der Philipp soll studieren, und die andern, was werden die alle
wollen? Unser Herrgott hat mir die Kinder geschenkt, deinem Bruder und mir.
Nun ist er tot, nun muß ich allein für sie sorgen, daß ich sie hernach unserm
Herrgott wiedergeben und sagen kann: Ich hab getan, was ich gekonnt habe. Nun
sei barmherzig und geh nicht zu streng mit mir ins Gericht. — Ich helf dir, Lore,
deine Kinder erziehn, ich arbeite für euch! — Und wenn dann noch mehr Kinder
kommen auf den Hof, Lorenz? Deine Kinder und meine Kinder? Dann ist die
Zwietracht da zwischen Eltern und Kindern, die Geschwister stehn gegeneinander.
Und ob ich sie dann nicht lieber hätte, die Kinder, Lorenz, die deine Kinder wären,
lieber als die Kinder von deinem Bruder? Weil ich dich lieb habe, Lorenz? —
Sie schluchzte leise. — Sieh, Lorenz, es kann nicht sein. Ich dank dir, daß du
mich nicht vergessen hast, aber nun bitte ich dich, daß du gehst, daß mir die Ab¬
sage nicht so schwer fällt. — Lore, Lore, sagte der Mann. So eine, wie du bist,
und daß der Bruder dich hat haben sollen, und daß wir beide nun so leiden
müssen!
Der Präsident ließ die Hände ruhn und den schon lang gewordnen Kranz
zur Erde fallen. Mutter, Mutter, sagte er leise und kniete an dem Bette nieder,
barg sein Gesicht in den Kissen und schluchzte in sich hinein.
Wie ein Verbrecher war er hinaufgeschlichen, als seine Mutter mit dem Onkel
die beste Stube verlassen hatte. Auf die Wiese war er gelaufen, in den Busch,
und nach Stunden erst war er wieder heimgekommen. Junge, wo hast du dich herum¬
getrieben, hatte seine Mutter gefragt, hast du nicht daran gedacht, daß ich mit dem
Vikar geredet hab? Du darfst studieren; der Vikar hat an seine Schwester ge¬
schrieben, die in der Stadt einen Laden hält. Bei ihr kannst du wohnen. Über¬
morgen sollst du reisen.
Sie hatten ihn begleitet, als er zur Eisenbahn ging, sein Ränzel auf dem
Rücken. Bis zur Höhe, wo das Kreuz stand unter der alten Eiche, waren die
Geschwister mitgegangen. Seine Mutter noch ein Stückchen weiter. — Da, Junge,
hatte sie dann gesagt, während sie ihm ein Päckchen zusteckte; das eine hängst du
um den Hals, für das andre kaufst du dir was, wenn Kirmes ist in der Stadt. Und
nun sag ich dir adjüs. sentier gut, halte dich brav. Wenn Ferien sind, dann
kommst du nach Hause. — Mit der rauhen Hand hatte sie ihm das Gesicht ge¬
streichelt, leise und zärtlich: Adjüs auch, Philipp! — Dann war sie gegangen. Aus
der Brust wars ihm heraufgestiegen, aus den Augen wars ihm geflossen, brennend
heiß. Mutter, Mutter! hatte er rufen wollen, aber es war kein Laut über seine
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |