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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Wanderungen in der Niederlausitz

gehört trotz der Lokomotive, die hier mehrmals am Tage ihren schrillen Pfiff er¬
tönen läßt, zu den in halber Dörflichkeit zurückgebliebnen Kleinstädter des ehemals
sächsischen Kurkreises, in denen es sich eben aus diesem Grunde so behaglich aus¬
ruhn laßt. Der Ort liegt zu Füßen des Martiusberges lang ausgestreckt in lieb¬
licher Umgebung. Modern erscheint hier nur die hübsche Backsteinkirche, vor der
ein aus Feldsteinen zusammengetragnes pyramidenförmiges Kriegerdenkmal steht.
Alles andre ist altertümlich und zeigt, daß das neunzehnte Jahrhundert hier ohne
Umsturz vorübergegangen ist. Schlieben ist der alte Stammsitz des weitverzweigten
Geschlechts derer von Schlieben (Siloam), das in der Geschichte der Mark Branden¬
burg, der Lausitz und Kursachsens eine so bedeutende Rolle spielt. Aber von dem
alten Schlosse ist bis auf wenig Mauertrümmer jede Spur verweht; auf der
Scholle, wo sich die trotzige, jahrhundertelang anhaltende Tatkraft dieser deutschen
Edeln zuerst entwickelt und angesammelt hat, wachsen friedlicher Kohl und saftige
Krauthäupter. Der Ort war seit 1292 ein Lehen des Nonnenklosters Kvswig,
später der Wittenberger Schloßkirche, die Schliebener Kirche war Eigentum des
Antonierhofs Lichtenberg bei Prettin, der hier eine Propstei unterhielt. Im sieb¬
zehnten Jahrhundert war Schlieben auch manchmal Witwensitz einer sächsischen Fürstin,
so gehörte es zum Beispiel zu der kleinen Herrschaft der Kurfürstin Hedwig, der
Witwe Christians des Zweiten.

Heute ist das behaglichste Hans im ganzen Orte ohne Zweifel der Gasthof
zum Schwarzen Adler. Der hochmächtige Vogel thront über der Tür in altväterischen
Schnitzwerk mit gelbem Halsband und einem Orden geschmückt. Drinnen im alten
Fachwerkbau gibt es niedrige, trauliche Zimmer, die Fremdenstuben im ersten Stock
sind von anspruchsloser, fast ärmlicher Ausstattung, das Bett spartanisch -- und
doch liegt über dem Ganzen ein Hauch von beglückender Anmut und Heiterkeit;
des wurden wir besonders inne, als wir den geräumigen Hof durchschritten hatten
und nun dahinter im grünen Grasgarten auf weichem Rasenteppich den kleinen
Kreis der Honoratioren fanden, an den wir von dem auch den Greuzbotenlesern
wohlbekannten Chronisten des Städtchens, Herrn Amtsrichter Krieg -- jetzt in
Snngerhauscn in Thüringen --, empfohlen waren. Da saßen der "würdige Bürger¬
meister," der geistliche Herr, der Herr Kantor in trautem Verein, auf ihren Köpfen
spielte das durch die Zweige des fruchtstrotzenden Apfelbaums niedersteigende Sonnen¬
licht des Spätnachmittags -- ein einziger Begriff bezeichnet die Stimmung des
Idylls besser als hundert Worte: Hermann und Dorothea.

Nach dem erquickende", in Hülle und Fülle aufgetrngnen Abendessen -- der
Begriff der "Portion" ist hier noch unbekannt -- stiegen wir auf den Berg, den
einst eine Kapelle des heiligen Martin von Tours krönte. Der Martinsberg ist
auf seinem untersten Hange berast, mit riesigen, weithin duftenden Linden besetzt
und von etwa dreißig Bergkelleru, einem Reste des ehemals hier blühenden Brauerei¬
gewerbes, durchzogen. Weiter oben liegt ohne Abschluß durch Mnner oder Hecken
der Kirchhof. Auf dem Rücken des Berges wandelt man langsm zwischen Gräbern
ans alter und aus neuer Zeit; manche sind gut erhalten, manche zwischen Birken
und Zypressen fast versunken. Und doch wirkt dieser Kirchhof ganz anders als der
Lübbensche: dort wehmütiges Halbdunkel, hier volles heiteres Licht, dort wildver¬
wachsene Abgeschlossenheit, hier eine reizende Fernsicht nach beiden Seiten hinunter
in die lachende, wohlangebaute Ebene, aus der das Brüllen grasender Rinder
herauftönt. Nach rechts hiu geht der Friedhof allmählich in Gärten und Wein¬
berge über, Lebensfreude verkündend neben dem Tod, dessen dumpfige Sphäre hier
von süßen Gerüchen durchduftet, dessen düstres Gewand von Blumen und Rosen
durchwirkt ist. Drum umtönen den Wandrer hier nicht Matthisstmsche oder Lenauische
Weisen, sondern wir mußten mit dem jungen Geibel sprechen:


Wanderungen in der Niederlausitz

gehört trotz der Lokomotive, die hier mehrmals am Tage ihren schrillen Pfiff er¬
tönen läßt, zu den in halber Dörflichkeit zurückgebliebnen Kleinstädter des ehemals
sächsischen Kurkreises, in denen es sich eben aus diesem Grunde so behaglich aus¬
ruhn laßt. Der Ort liegt zu Füßen des Martiusberges lang ausgestreckt in lieb¬
licher Umgebung. Modern erscheint hier nur die hübsche Backsteinkirche, vor der
ein aus Feldsteinen zusammengetragnes pyramidenförmiges Kriegerdenkmal steht.
Alles andre ist altertümlich und zeigt, daß das neunzehnte Jahrhundert hier ohne
Umsturz vorübergegangen ist. Schlieben ist der alte Stammsitz des weitverzweigten
Geschlechts derer von Schlieben (Siloam), das in der Geschichte der Mark Branden¬
burg, der Lausitz und Kursachsens eine so bedeutende Rolle spielt. Aber von dem
alten Schlosse ist bis auf wenig Mauertrümmer jede Spur verweht; auf der
Scholle, wo sich die trotzige, jahrhundertelang anhaltende Tatkraft dieser deutschen
Edeln zuerst entwickelt und angesammelt hat, wachsen friedlicher Kohl und saftige
Krauthäupter. Der Ort war seit 1292 ein Lehen des Nonnenklosters Kvswig,
später der Wittenberger Schloßkirche, die Schliebener Kirche war Eigentum des
Antonierhofs Lichtenberg bei Prettin, der hier eine Propstei unterhielt. Im sieb¬
zehnten Jahrhundert war Schlieben auch manchmal Witwensitz einer sächsischen Fürstin,
so gehörte es zum Beispiel zu der kleinen Herrschaft der Kurfürstin Hedwig, der
Witwe Christians des Zweiten.

Heute ist das behaglichste Hans im ganzen Orte ohne Zweifel der Gasthof
zum Schwarzen Adler. Der hochmächtige Vogel thront über der Tür in altväterischen
Schnitzwerk mit gelbem Halsband und einem Orden geschmückt. Drinnen im alten
Fachwerkbau gibt es niedrige, trauliche Zimmer, die Fremdenstuben im ersten Stock
sind von anspruchsloser, fast ärmlicher Ausstattung, das Bett spartanisch — und
doch liegt über dem Ganzen ein Hauch von beglückender Anmut und Heiterkeit;
des wurden wir besonders inne, als wir den geräumigen Hof durchschritten hatten
und nun dahinter im grünen Grasgarten auf weichem Rasenteppich den kleinen
Kreis der Honoratioren fanden, an den wir von dem auch den Greuzbotenlesern
wohlbekannten Chronisten des Städtchens, Herrn Amtsrichter Krieg — jetzt in
Snngerhauscn in Thüringen —, empfohlen waren. Da saßen der „würdige Bürger¬
meister," der geistliche Herr, der Herr Kantor in trautem Verein, auf ihren Köpfen
spielte das durch die Zweige des fruchtstrotzenden Apfelbaums niedersteigende Sonnen¬
licht des Spätnachmittags — ein einziger Begriff bezeichnet die Stimmung des
Idylls besser als hundert Worte: Hermann und Dorothea.

Nach dem erquickende», in Hülle und Fülle aufgetrngnen Abendessen — der
Begriff der „Portion" ist hier noch unbekannt — stiegen wir auf den Berg, den
einst eine Kapelle des heiligen Martin von Tours krönte. Der Martinsberg ist
auf seinem untersten Hange berast, mit riesigen, weithin duftenden Linden besetzt
und von etwa dreißig Bergkelleru, einem Reste des ehemals hier blühenden Brauerei¬
gewerbes, durchzogen. Weiter oben liegt ohne Abschluß durch Mnner oder Hecken
der Kirchhof. Auf dem Rücken des Berges wandelt man langsm zwischen Gräbern
ans alter und aus neuer Zeit; manche sind gut erhalten, manche zwischen Birken
und Zypressen fast versunken. Und doch wirkt dieser Kirchhof ganz anders als der
Lübbensche: dort wehmütiges Halbdunkel, hier volles heiteres Licht, dort wildver¬
wachsene Abgeschlossenheit, hier eine reizende Fernsicht nach beiden Seiten hinunter
in die lachende, wohlangebaute Ebene, aus der das Brüllen grasender Rinder
herauftönt. Nach rechts hiu geht der Friedhof allmählich in Gärten und Wein¬
berge über, Lebensfreude verkündend neben dem Tod, dessen dumpfige Sphäre hier
von süßen Gerüchen durchduftet, dessen düstres Gewand von Blumen und Rosen
durchwirkt ist. Drum umtönen den Wandrer hier nicht Matthisstmsche oder Lenauische
Weisen, sondern wir mußten mit dem jungen Geibel sprechen:


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[0771] Wanderungen in der Niederlausitz gehört trotz der Lokomotive, die hier mehrmals am Tage ihren schrillen Pfiff er¬ tönen läßt, zu den in halber Dörflichkeit zurückgebliebnen Kleinstädter des ehemals sächsischen Kurkreises, in denen es sich eben aus diesem Grunde so behaglich aus¬ ruhn laßt. Der Ort liegt zu Füßen des Martiusberges lang ausgestreckt in lieb¬ licher Umgebung. Modern erscheint hier nur die hübsche Backsteinkirche, vor der ein aus Feldsteinen zusammengetragnes pyramidenförmiges Kriegerdenkmal steht. Alles andre ist altertümlich und zeigt, daß das neunzehnte Jahrhundert hier ohne Umsturz vorübergegangen ist. Schlieben ist der alte Stammsitz des weitverzweigten Geschlechts derer von Schlieben (Siloam), das in der Geschichte der Mark Branden¬ burg, der Lausitz und Kursachsens eine so bedeutende Rolle spielt. Aber von dem alten Schlosse ist bis auf wenig Mauertrümmer jede Spur verweht; auf der Scholle, wo sich die trotzige, jahrhundertelang anhaltende Tatkraft dieser deutschen Edeln zuerst entwickelt und angesammelt hat, wachsen friedlicher Kohl und saftige Krauthäupter. Der Ort war seit 1292 ein Lehen des Nonnenklosters Kvswig, später der Wittenberger Schloßkirche, die Schliebener Kirche war Eigentum des Antonierhofs Lichtenberg bei Prettin, der hier eine Propstei unterhielt. Im sieb¬ zehnten Jahrhundert war Schlieben auch manchmal Witwensitz einer sächsischen Fürstin, so gehörte es zum Beispiel zu der kleinen Herrschaft der Kurfürstin Hedwig, der Witwe Christians des Zweiten. Heute ist das behaglichste Hans im ganzen Orte ohne Zweifel der Gasthof zum Schwarzen Adler. Der hochmächtige Vogel thront über der Tür in altväterischen Schnitzwerk mit gelbem Halsband und einem Orden geschmückt. Drinnen im alten Fachwerkbau gibt es niedrige, trauliche Zimmer, die Fremdenstuben im ersten Stock sind von anspruchsloser, fast ärmlicher Ausstattung, das Bett spartanisch — und doch liegt über dem Ganzen ein Hauch von beglückender Anmut und Heiterkeit; des wurden wir besonders inne, als wir den geräumigen Hof durchschritten hatten und nun dahinter im grünen Grasgarten auf weichem Rasenteppich den kleinen Kreis der Honoratioren fanden, an den wir von dem auch den Greuzbotenlesern wohlbekannten Chronisten des Städtchens, Herrn Amtsrichter Krieg — jetzt in Snngerhauscn in Thüringen —, empfohlen waren. Da saßen der „würdige Bürger¬ meister," der geistliche Herr, der Herr Kantor in trautem Verein, auf ihren Köpfen spielte das durch die Zweige des fruchtstrotzenden Apfelbaums niedersteigende Sonnen¬ licht des Spätnachmittags — ein einziger Begriff bezeichnet die Stimmung des Idylls besser als hundert Worte: Hermann und Dorothea. Nach dem erquickende», in Hülle und Fülle aufgetrngnen Abendessen — der Begriff der „Portion" ist hier noch unbekannt — stiegen wir auf den Berg, den einst eine Kapelle des heiligen Martin von Tours krönte. Der Martinsberg ist auf seinem untersten Hange berast, mit riesigen, weithin duftenden Linden besetzt und von etwa dreißig Bergkelleru, einem Reste des ehemals hier blühenden Brauerei¬ gewerbes, durchzogen. Weiter oben liegt ohne Abschluß durch Mnner oder Hecken der Kirchhof. Auf dem Rücken des Berges wandelt man langsm zwischen Gräbern ans alter und aus neuer Zeit; manche sind gut erhalten, manche zwischen Birken und Zypressen fast versunken. Und doch wirkt dieser Kirchhof ganz anders als der Lübbensche: dort wehmütiges Halbdunkel, hier volles heiteres Licht, dort wildver¬ wachsene Abgeschlossenheit, hier eine reizende Fernsicht nach beiden Seiten hinunter in die lachende, wohlangebaute Ebene, aus der das Brüllen grasender Rinder herauftönt. Nach rechts hiu geht der Friedhof allmählich in Gärten und Wein¬ berge über, Lebensfreude verkündend neben dem Tod, dessen dumpfige Sphäre hier von süßen Gerüchen durchduftet, dessen düstres Gewand von Blumen und Rosen durchwirkt ist. Drum umtönen den Wandrer hier nicht Matthisstmsche oder Lenauische Weisen, sondern wir mußten mit dem jungen Geibel sprechen:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/771>, abgerufen am 25.07.2024.