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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Die Wehrstoucr

Ein weiterer Grund, der gegen diese Konstruktion spricht, ist folgender:
Wenn die Wehrsteuer ein Ersatz für Nichtleistnng des persönlichen Dienstes
sein soll, so kann man doch offenbar nicht die Aszendenten dazu heranziehen,
was wohl möglich ist, wenn man den wirtschaftlichen Vorteil, den der Dienst-
befreite und seine Familie von seiner Dienstbefreiung hat, in den Vordergrund
schiebt. Stellt sich die Steuer nämlich als Ersatz der Dienstleistung dar, so
kann man sie konsequenterweise nur von dem Dienstfreien selbst, nicht von
seinem Vater verlangen, der häufig seinerseits selbst seine Militärpflicht, seine
Dienstpflichten gegen den Staat voll erfüllt hat. Ohne Heranziehung der
Aszendenten -- die übrigens überall stattfindet -- würde aber das finanzielle
Steuererträgnis zu gering sein.

Ein vierter Standpunkt, von dem aus man die Wehrsteuerfrage betrachten
kann, ist der rein finanzielle.

Dabei muß man in Betracht ziehen, daß in der Hauptsache die ärmern
und weniger bemittelten Klassen von der Wehrsteuer betroffen werden. Unter
den Wehrpflichtigen im Heere sind etwa 2^ Prozent Einjährigfreiwillige. Die
wirklich wohlhabenden Elemente im Heere werden größtenteils unter diesen
2^ Prozent des Heeres zu suchen sein. Entsprechend gering wird der
Prozentsatz der Wohlhabenden oder Reichen auch unter der Menge der nicht
Dienstpflichtigen sein; 90 Prozent der Heerespflichtigen gehören dem Arbeiter¬
stande an. Ein ähnliches Verhältnis wird auch für die Dienstfreien Platz
greifen.

Man sieht also, übermäßig höher kann der Ertrag einer Wehrsteuer nicht
gestaltet werden, wenn man nicht zu einer Überlastung der ürmern Klassen
schreiten will.

Aber mit den allgemeinen Betrachtungen über die Zulüssigleit und die
Zweckmäßigkeit einer Wehrsteucr können wir uns nicht zufrieden geben. Denn
absolut zutreffende Steuern gibt es überhaupt nicht. Das Steuerwesen eines
Landes muß sich eng anschließen an die besondern staatlichen, wirtschaftlichen
Verhältnisse, muß den Charaktercigentüinlichkeiten der Bevölkerung, den staat¬
lichen Einrichtungen und den finanziellen Bedürfnissen des in Frage kommenden
Staates Rechnung tragen usw. Steuern, die in einem Lande wohltätig sein
können und beliebt sind, können in einem andern Lande verhaßt sein und als
unzweckmäßig empfunden werden.

Zu welchen Ergebnissen gelangen wir nun, wenn wir die Frage der Ein¬
führung einer Wehrsteuer für Deutschland ins Auge fassen, wenn wir fragen,
war die Ablehnung der Wehrstenervorlage im Jahre 1881 durch den Reichs¬
tag zu billigen oder nicht. Ist es zweckmäßig, mit einer neuen Vorlage an
ihn heranzutreten? (Siehe neuerdings den Antrag Arendt im Reichstage.) Die
allgemeinen Gründe der Ethik und der ausgleichenden wirtschaftlichen Gerechtig¬
keit müssen hier natürlich dieselben wie in andern Ländern bleiben. Von ihnen
aus konnte man also eine Wehrsteuer zur Not rechtfertigen. Etwas besondres
ist nur noch über die Verwendung des aufkommenden Wehrsteuergeldes oder
eines Teils zur Unterstützung der Invaliden, deren Angehörigen, Relikten von
Soldaten usw. zu sagen, wie sie zum Beispiel in Österreich und der Schweiz


Die Wehrstoucr

Ein weiterer Grund, der gegen diese Konstruktion spricht, ist folgender:
Wenn die Wehrsteuer ein Ersatz für Nichtleistnng des persönlichen Dienstes
sein soll, so kann man doch offenbar nicht die Aszendenten dazu heranziehen,
was wohl möglich ist, wenn man den wirtschaftlichen Vorteil, den der Dienst-
befreite und seine Familie von seiner Dienstbefreiung hat, in den Vordergrund
schiebt. Stellt sich die Steuer nämlich als Ersatz der Dienstleistung dar, so
kann man sie konsequenterweise nur von dem Dienstfreien selbst, nicht von
seinem Vater verlangen, der häufig seinerseits selbst seine Militärpflicht, seine
Dienstpflichten gegen den Staat voll erfüllt hat. Ohne Heranziehung der
Aszendenten — die übrigens überall stattfindet — würde aber das finanzielle
Steuererträgnis zu gering sein.

Ein vierter Standpunkt, von dem aus man die Wehrsteuerfrage betrachten
kann, ist der rein finanzielle.

Dabei muß man in Betracht ziehen, daß in der Hauptsache die ärmern
und weniger bemittelten Klassen von der Wehrsteuer betroffen werden. Unter
den Wehrpflichtigen im Heere sind etwa 2^ Prozent Einjährigfreiwillige. Die
wirklich wohlhabenden Elemente im Heere werden größtenteils unter diesen
2^ Prozent des Heeres zu suchen sein. Entsprechend gering wird der
Prozentsatz der Wohlhabenden oder Reichen auch unter der Menge der nicht
Dienstpflichtigen sein; 90 Prozent der Heerespflichtigen gehören dem Arbeiter¬
stande an. Ein ähnliches Verhältnis wird auch für die Dienstfreien Platz
greifen.

Man sieht also, übermäßig höher kann der Ertrag einer Wehrsteuer nicht
gestaltet werden, wenn man nicht zu einer Überlastung der ürmern Klassen
schreiten will.

Aber mit den allgemeinen Betrachtungen über die Zulüssigleit und die
Zweckmäßigkeit einer Wehrsteucr können wir uns nicht zufrieden geben. Denn
absolut zutreffende Steuern gibt es überhaupt nicht. Das Steuerwesen eines
Landes muß sich eng anschließen an die besondern staatlichen, wirtschaftlichen
Verhältnisse, muß den Charaktercigentüinlichkeiten der Bevölkerung, den staat¬
lichen Einrichtungen und den finanziellen Bedürfnissen des in Frage kommenden
Staates Rechnung tragen usw. Steuern, die in einem Lande wohltätig sein
können und beliebt sind, können in einem andern Lande verhaßt sein und als
unzweckmäßig empfunden werden.

Zu welchen Ergebnissen gelangen wir nun, wenn wir die Frage der Ein¬
führung einer Wehrsteuer für Deutschland ins Auge fassen, wenn wir fragen,
war die Ablehnung der Wehrstenervorlage im Jahre 1881 durch den Reichs¬
tag zu billigen oder nicht. Ist es zweckmäßig, mit einer neuen Vorlage an
ihn heranzutreten? (Siehe neuerdings den Antrag Arendt im Reichstage.) Die
allgemeinen Gründe der Ethik und der ausgleichenden wirtschaftlichen Gerechtig¬
keit müssen hier natürlich dieselben wie in andern Ländern bleiben. Von ihnen
aus konnte man also eine Wehrsteuer zur Not rechtfertigen. Etwas besondres
ist nur noch über die Verwendung des aufkommenden Wehrsteuergeldes oder
eines Teils zur Unterstützung der Invaliden, deren Angehörigen, Relikten von
Soldaten usw. zu sagen, wie sie zum Beispiel in Österreich und der Schweiz


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[0739] Die Wehrstoucr Ein weiterer Grund, der gegen diese Konstruktion spricht, ist folgender: Wenn die Wehrsteuer ein Ersatz für Nichtleistnng des persönlichen Dienstes sein soll, so kann man doch offenbar nicht die Aszendenten dazu heranziehen, was wohl möglich ist, wenn man den wirtschaftlichen Vorteil, den der Dienst- befreite und seine Familie von seiner Dienstbefreiung hat, in den Vordergrund schiebt. Stellt sich die Steuer nämlich als Ersatz der Dienstleistung dar, so kann man sie konsequenterweise nur von dem Dienstfreien selbst, nicht von seinem Vater verlangen, der häufig seinerseits selbst seine Militärpflicht, seine Dienstpflichten gegen den Staat voll erfüllt hat. Ohne Heranziehung der Aszendenten — die übrigens überall stattfindet — würde aber das finanzielle Steuererträgnis zu gering sein. Ein vierter Standpunkt, von dem aus man die Wehrsteuerfrage betrachten kann, ist der rein finanzielle. Dabei muß man in Betracht ziehen, daß in der Hauptsache die ärmern und weniger bemittelten Klassen von der Wehrsteuer betroffen werden. Unter den Wehrpflichtigen im Heere sind etwa 2^ Prozent Einjährigfreiwillige. Die wirklich wohlhabenden Elemente im Heere werden größtenteils unter diesen 2^ Prozent des Heeres zu suchen sein. Entsprechend gering wird der Prozentsatz der Wohlhabenden oder Reichen auch unter der Menge der nicht Dienstpflichtigen sein; 90 Prozent der Heerespflichtigen gehören dem Arbeiter¬ stande an. Ein ähnliches Verhältnis wird auch für die Dienstfreien Platz greifen. Man sieht also, übermäßig höher kann der Ertrag einer Wehrsteuer nicht gestaltet werden, wenn man nicht zu einer Überlastung der ürmern Klassen schreiten will. Aber mit den allgemeinen Betrachtungen über die Zulüssigleit und die Zweckmäßigkeit einer Wehrsteucr können wir uns nicht zufrieden geben. Denn absolut zutreffende Steuern gibt es überhaupt nicht. Das Steuerwesen eines Landes muß sich eng anschließen an die besondern staatlichen, wirtschaftlichen Verhältnisse, muß den Charaktercigentüinlichkeiten der Bevölkerung, den staat¬ lichen Einrichtungen und den finanziellen Bedürfnissen des in Frage kommenden Staates Rechnung tragen usw. Steuern, die in einem Lande wohltätig sein können und beliebt sind, können in einem andern Lande verhaßt sein und als unzweckmäßig empfunden werden. Zu welchen Ergebnissen gelangen wir nun, wenn wir die Frage der Ein¬ führung einer Wehrsteuer für Deutschland ins Auge fassen, wenn wir fragen, war die Ablehnung der Wehrstenervorlage im Jahre 1881 durch den Reichs¬ tag zu billigen oder nicht. Ist es zweckmäßig, mit einer neuen Vorlage an ihn heranzutreten? (Siehe neuerdings den Antrag Arendt im Reichstage.) Die allgemeinen Gründe der Ethik und der ausgleichenden wirtschaftlichen Gerechtig¬ keit müssen hier natürlich dieselben wie in andern Ländern bleiben. Von ihnen aus konnte man also eine Wehrsteuer zur Not rechtfertigen. Etwas besondres ist nur noch über die Verwendung des aufkommenden Wehrsteuergeldes oder eines Teils zur Unterstützung der Invaliden, deren Angehörigen, Relikten von Soldaten usw. zu sagen, wie sie zum Beispiel in Österreich und der Schweiz

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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/739>, abgerufen am 25.07.2024.