Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Mönch von lveinfelden

Kinder und verweilt nicht länger als Vonnöten, denn ehe die Sonne aufgeht, wird
Weinfelder von der Erde verschlungen sein, und wird kein Haus mehr stehn, wenn
der Tau des Morgens vom Himmel fällt! Nun habt ihr meine Rede vernommen
und die Worte, so Gott durch meinen Mund zu euch gesprochen hat, nun tut, was
ihr wollt! Seht, ich bin in eurer Hand, habe auch keinen Harnisch denn dieses
Mönchskleid, und keinen Schild denn den Arm des Höchsten.

Er sprang von der Mauer hinab und trat mitten unter sie. Keiner tastete
ihn an. Sie sahen mit weihevollen Staunen den Glanz seines Antlitzes und das
heilige Feuer seiner Augen. Mehr als seine Rede wirkte in dieser Stunde seine
Erscheinung. Einzelne kamen näher und wollten Fragen an ihn richten. Er aber
wies sie ab und sagte:

Geht und holt die Euern, ehe das Strafgericht hereinbricht! Verliert keine Zeit!

Da rief Johann Peuchen: Mönch, wir wollen tun, wie Ihr geboten habt.
Aber wehe Euch, wenn Ihr uns narrt! Wir werden Euch schon wieder finden!

Und die ganze Schar eilte den Kirchweg zum Dorfe hinab. Gyllis ging in
die Kirche, warf sich vor dem Hochaltar auf die Knie und betete. Als er wieder
ins Freie trat, war der Turmhclm ausgebrannt. Aus dem dunkeln Mauerschachte
stieg eine Rauchsäule, die von der Glut im Innern rot beleuchtet wurde, kerzen¬
gerade zum Himmel empor.

Bald langten die ersten der in Sicherheit gebrachten Familien beim Kirchhof
an. Die Frauen führten und trugen die Kinder, die Männer schleppten die Stücke
ihrer Habe herbei, die sie für am kostbarsten hielten, oder die ihnen bei der Eile
des Aufbruchs gerade in die Hände gefallen waren. Fast alle brachten ihre
Feuerhahl mit, den eisernen, mit zahlreichen Nasen versehenen Kesselhaken, das vor¬
nehmste Stück des Küchengeräth, das ihnen durch Gebrauch und Überlieferung, vor
allem aber wegen seiner symbolischen Bedeutung als der Mittelpunkt des Haus¬
wesens zu einer Art von Heiligtum geworden war. Manche hatten auch neben
etlichen Töpfen und bemalten Steinkrügen die "faule Magd" vor dem Verderben
gerettet, die durchlöcherte Eisenplatte, die über das Feuer gehängt wurde, wenn
man das Festtagsgericht, die Haferpfannkuchen, but. Alle aber hatten sich mit ihren
Betten, als dem wertvollsten Besitze, bepackt. Diese breiteten sie nun auf dem
Kirchhofe aus und setzten oder legten die dem Schlafe entrissenen Kinder darauf.
Die kleinsten, die bis jetzt geschrien hatten, schlummerten auf dem weichen Lager
alsbald wieder ein, die größern saßen steif aufrecht und schauten mit großen ver¬
wunderten Augen dem seltsamen Treiben der Erwachsenen zu.

Als Gyllis Rehe Ströther mit ihren Zehner kommen sah, ging er ihr ent¬
gegen. Sie trug auf den Armen ihre beiden Jüngsten und auf dem Rücken ein
Bündel mit Kissen und Kleidern, während sich die acht größern Kinder mit Kannen,
Tellern und Kochlöffeln schleppten. Der Burgherr näherte sich dem armen Weibe
und sagte: Gebt mir eins von den Würmlein, Rehe, Ihr habt schwer genug zu
tragen. Sie warf ihm einen scheuen Blick zu, als sie aber in seinem Antlitz den
Ausdruck der Milde und des Friedens wahrnahm, wollte sie ihm eins der Kinder
reichen. Da drängte sich der kleine Linnert, ihr ältester, ein schöner Knabe von
etwa vierzehn Jahren, der das verjüngte Ebenbild seines toten Vaters war,
zwischen die beiden, schaute trotzig an dem Mann empor und sagte mit bebender
Stimme: Tastet unsre Käe nicht an, Mönch, sonst soll es Euch übel ergehn!

Die Mutter zuckte zusammen und preßte das Kleine an sich; Herr Gyllis
lächelte wehmütig und wollte dem Knaben den Lockenkopf streicheln. Der aber stieß
die liebkosende Hand von sich und weinte Tränen des Zornes. Und Rehe zog mit
ihrem Reichtum und ihrer Armut weiter.

Jetzt ließ sich vom Kirchpfade her das ängstliche Brüllen einer Kuh ver¬
nehmen, die von einem Mann am Stricke geführt wurde und deutlich die Neigung
verriet, zu dem gewohnten Stalle zurückzukehren.

Was heißt das, Theis, fragte Gyllis, der in dem Manne seinen nächsten


Der Mönch von lveinfelden

Kinder und verweilt nicht länger als Vonnöten, denn ehe die Sonne aufgeht, wird
Weinfelder von der Erde verschlungen sein, und wird kein Haus mehr stehn, wenn
der Tau des Morgens vom Himmel fällt! Nun habt ihr meine Rede vernommen
und die Worte, so Gott durch meinen Mund zu euch gesprochen hat, nun tut, was
ihr wollt! Seht, ich bin in eurer Hand, habe auch keinen Harnisch denn dieses
Mönchskleid, und keinen Schild denn den Arm des Höchsten.

Er sprang von der Mauer hinab und trat mitten unter sie. Keiner tastete
ihn an. Sie sahen mit weihevollen Staunen den Glanz seines Antlitzes und das
heilige Feuer seiner Augen. Mehr als seine Rede wirkte in dieser Stunde seine
Erscheinung. Einzelne kamen näher und wollten Fragen an ihn richten. Er aber
wies sie ab und sagte:

Geht und holt die Euern, ehe das Strafgericht hereinbricht! Verliert keine Zeit!

Da rief Johann Peuchen: Mönch, wir wollen tun, wie Ihr geboten habt.
Aber wehe Euch, wenn Ihr uns narrt! Wir werden Euch schon wieder finden!

Und die ganze Schar eilte den Kirchweg zum Dorfe hinab. Gyllis ging in
die Kirche, warf sich vor dem Hochaltar auf die Knie und betete. Als er wieder
ins Freie trat, war der Turmhclm ausgebrannt. Aus dem dunkeln Mauerschachte
stieg eine Rauchsäule, die von der Glut im Innern rot beleuchtet wurde, kerzen¬
gerade zum Himmel empor.

Bald langten die ersten der in Sicherheit gebrachten Familien beim Kirchhof
an. Die Frauen führten und trugen die Kinder, die Männer schleppten die Stücke
ihrer Habe herbei, die sie für am kostbarsten hielten, oder die ihnen bei der Eile
des Aufbruchs gerade in die Hände gefallen waren. Fast alle brachten ihre
Feuerhahl mit, den eisernen, mit zahlreichen Nasen versehenen Kesselhaken, das vor¬
nehmste Stück des Küchengeräth, das ihnen durch Gebrauch und Überlieferung, vor
allem aber wegen seiner symbolischen Bedeutung als der Mittelpunkt des Haus¬
wesens zu einer Art von Heiligtum geworden war. Manche hatten auch neben
etlichen Töpfen und bemalten Steinkrügen die „faule Magd" vor dem Verderben
gerettet, die durchlöcherte Eisenplatte, die über das Feuer gehängt wurde, wenn
man das Festtagsgericht, die Haferpfannkuchen, but. Alle aber hatten sich mit ihren
Betten, als dem wertvollsten Besitze, bepackt. Diese breiteten sie nun auf dem
Kirchhofe aus und setzten oder legten die dem Schlafe entrissenen Kinder darauf.
Die kleinsten, die bis jetzt geschrien hatten, schlummerten auf dem weichen Lager
alsbald wieder ein, die größern saßen steif aufrecht und schauten mit großen ver¬
wunderten Augen dem seltsamen Treiben der Erwachsenen zu.

Als Gyllis Rehe Ströther mit ihren Zehner kommen sah, ging er ihr ent¬
gegen. Sie trug auf den Armen ihre beiden Jüngsten und auf dem Rücken ein
Bündel mit Kissen und Kleidern, während sich die acht größern Kinder mit Kannen,
Tellern und Kochlöffeln schleppten. Der Burgherr näherte sich dem armen Weibe
und sagte: Gebt mir eins von den Würmlein, Rehe, Ihr habt schwer genug zu
tragen. Sie warf ihm einen scheuen Blick zu, als sie aber in seinem Antlitz den
Ausdruck der Milde und des Friedens wahrnahm, wollte sie ihm eins der Kinder
reichen. Da drängte sich der kleine Linnert, ihr ältester, ein schöner Knabe von
etwa vierzehn Jahren, der das verjüngte Ebenbild seines toten Vaters war,
zwischen die beiden, schaute trotzig an dem Mann empor und sagte mit bebender
Stimme: Tastet unsre Käe nicht an, Mönch, sonst soll es Euch übel ergehn!

Die Mutter zuckte zusammen und preßte das Kleine an sich; Herr Gyllis
lächelte wehmütig und wollte dem Knaben den Lockenkopf streicheln. Der aber stieß
die liebkosende Hand von sich und weinte Tränen des Zornes. Und Rehe zog mit
ihrem Reichtum und ihrer Armut weiter.

Jetzt ließ sich vom Kirchpfade her das ängstliche Brüllen einer Kuh ver¬
nehmen, die von einem Mann am Stricke geführt wurde und deutlich die Neigung
verriet, zu dem gewohnten Stalle zurückzukehren.

Was heißt das, Theis, fragte Gyllis, der in dem Manne seinen nächsten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0544" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/294163"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Mönch von lveinfelden</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2458" prev="#ID_2457"> Kinder und verweilt nicht länger als Vonnöten, denn ehe die Sonne aufgeht, wird<lb/>
Weinfelder von der Erde verschlungen sein, und wird kein Haus mehr stehn, wenn<lb/>
der Tau des Morgens vom Himmel fällt! Nun habt ihr meine Rede vernommen<lb/>
und die Worte, so Gott durch meinen Mund zu euch gesprochen hat, nun tut, was<lb/>
ihr wollt! Seht, ich bin in eurer Hand, habe auch keinen Harnisch denn dieses<lb/>
Mönchskleid, und keinen Schild denn den Arm des Höchsten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2459"> Er sprang von der Mauer hinab und trat mitten unter sie. Keiner tastete<lb/>
ihn an. Sie sahen mit weihevollen Staunen den Glanz seines Antlitzes und das<lb/>
heilige Feuer seiner Augen. Mehr als seine Rede wirkte in dieser Stunde seine<lb/>
Erscheinung. Einzelne kamen näher und wollten Fragen an ihn richten. Er aber<lb/>
wies sie ab und sagte:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2460"> Geht und holt die Euern, ehe das Strafgericht hereinbricht! Verliert keine Zeit!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2461"> Da rief Johann Peuchen: Mönch, wir wollen tun, wie Ihr geboten habt.<lb/>
Aber wehe Euch, wenn Ihr uns narrt! Wir werden Euch schon wieder finden!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2462"> Und die ganze Schar eilte den Kirchweg zum Dorfe hinab. Gyllis ging in<lb/>
die Kirche, warf sich vor dem Hochaltar auf die Knie und betete. Als er wieder<lb/>
ins Freie trat, war der Turmhclm ausgebrannt. Aus dem dunkeln Mauerschachte<lb/>
stieg eine Rauchsäule, die von der Glut im Innern rot beleuchtet wurde, kerzen¬<lb/>
gerade zum Himmel empor.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2463"> Bald langten die ersten der in Sicherheit gebrachten Familien beim Kirchhof<lb/>
an. Die Frauen führten und trugen die Kinder, die Männer schleppten die Stücke<lb/>
ihrer Habe herbei, die sie für am kostbarsten hielten, oder die ihnen bei der Eile<lb/>
des Aufbruchs gerade in die Hände gefallen waren. Fast alle brachten ihre<lb/>
Feuerhahl mit, den eisernen, mit zahlreichen Nasen versehenen Kesselhaken, das vor¬<lb/>
nehmste Stück des Küchengeräth, das ihnen durch Gebrauch und Überlieferung, vor<lb/>
allem aber wegen seiner symbolischen Bedeutung als der Mittelpunkt des Haus¬<lb/>
wesens zu einer Art von Heiligtum geworden war. Manche hatten auch neben<lb/>
etlichen Töpfen und bemalten Steinkrügen die &#x201E;faule Magd" vor dem Verderben<lb/>
gerettet, die durchlöcherte Eisenplatte, die über das Feuer gehängt wurde, wenn<lb/>
man das Festtagsgericht, die Haferpfannkuchen, but. Alle aber hatten sich mit ihren<lb/>
Betten, als dem wertvollsten Besitze, bepackt. Diese breiteten sie nun auf dem<lb/>
Kirchhofe aus und setzten oder legten die dem Schlafe entrissenen Kinder darauf.<lb/>
Die kleinsten, die bis jetzt geschrien hatten, schlummerten auf dem weichen Lager<lb/>
alsbald wieder ein, die größern saßen steif aufrecht und schauten mit großen ver¬<lb/>
wunderten Augen dem seltsamen Treiben der Erwachsenen zu.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2464"> Als Gyllis Rehe Ströther mit ihren Zehner kommen sah, ging er ihr ent¬<lb/>
gegen. Sie trug auf den Armen ihre beiden Jüngsten und auf dem Rücken ein<lb/>
Bündel mit Kissen und Kleidern, während sich die acht größern Kinder mit Kannen,<lb/>
Tellern und Kochlöffeln schleppten. Der Burgherr näherte sich dem armen Weibe<lb/>
und sagte: Gebt mir eins von den Würmlein, Rehe, Ihr habt schwer genug zu<lb/>
tragen. Sie warf ihm einen scheuen Blick zu, als sie aber in seinem Antlitz den<lb/>
Ausdruck der Milde und des Friedens wahrnahm, wollte sie ihm eins der Kinder<lb/>
reichen. Da drängte sich der kleine Linnert, ihr ältester, ein schöner Knabe von<lb/>
etwa vierzehn Jahren, der das verjüngte Ebenbild seines toten Vaters war,<lb/>
zwischen die beiden, schaute trotzig an dem Mann empor und sagte mit bebender<lb/>
Stimme: Tastet unsre Käe nicht an, Mönch, sonst soll es Euch übel ergehn!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2465"> Die Mutter zuckte zusammen und preßte das Kleine an sich; Herr Gyllis<lb/>
lächelte wehmütig und wollte dem Knaben den Lockenkopf streicheln. Der aber stieß<lb/>
die liebkosende Hand von sich und weinte Tränen des Zornes. Und Rehe zog mit<lb/>
ihrem Reichtum und ihrer Armut weiter.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2466"> Jetzt ließ sich vom Kirchpfade her das ängstliche Brüllen einer Kuh ver¬<lb/>
nehmen, die von einem Mann am Stricke geführt wurde und deutlich die Neigung<lb/>
verriet, zu dem gewohnten Stalle zurückzukehren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2467" next="#ID_2468"> Was heißt das, Theis, fragte Gyllis, der in dem Manne seinen nächsten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0544] Der Mönch von lveinfelden Kinder und verweilt nicht länger als Vonnöten, denn ehe die Sonne aufgeht, wird Weinfelder von der Erde verschlungen sein, und wird kein Haus mehr stehn, wenn der Tau des Morgens vom Himmel fällt! Nun habt ihr meine Rede vernommen und die Worte, so Gott durch meinen Mund zu euch gesprochen hat, nun tut, was ihr wollt! Seht, ich bin in eurer Hand, habe auch keinen Harnisch denn dieses Mönchskleid, und keinen Schild denn den Arm des Höchsten. Er sprang von der Mauer hinab und trat mitten unter sie. Keiner tastete ihn an. Sie sahen mit weihevollen Staunen den Glanz seines Antlitzes und das heilige Feuer seiner Augen. Mehr als seine Rede wirkte in dieser Stunde seine Erscheinung. Einzelne kamen näher und wollten Fragen an ihn richten. Er aber wies sie ab und sagte: Geht und holt die Euern, ehe das Strafgericht hereinbricht! Verliert keine Zeit! Da rief Johann Peuchen: Mönch, wir wollen tun, wie Ihr geboten habt. Aber wehe Euch, wenn Ihr uns narrt! Wir werden Euch schon wieder finden! Und die ganze Schar eilte den Kirchweg zum Dorfe hinab. Gyllis ging in die Kirche, warf sich vor dem Hochaltar auf die Knie und betete. Als er wieder ins Freie trat, war der Turmhclm ausgebrannt. Aus dem dunkeln Mauerschachte stieg eine Rauchsäule, die von der Glut im Innern rot beleuchtet wurde, kerzen¬ gerade zum Himmel empor. Bald langten die ersten der in Sicherheit gebrachten Familien beim Kirchhof an. Die Frauen führten und trugen die Kinder, die Männer schleppten die Stücke ihrer Habe herbei, die sie für am kostbarsten hielten, oder die ihnen bei der Eile des Aufbruchs gerade in die Hände gefallen waren. Fast alle brachten ihre Feuerhahl mit, den eisernen, mit zahlreichen Nasen versehenen Kesselhaken, das vor¬ nehmste Stück des Küchengeräth, das ihnen durch Gebrauch und Überlieferung, vor allem aber wegen seiner symbolischen Bedeutung als der Mittelpunkt des Haus¬ wesens zu einer Art von Heiligtum geworden war. Manche hatten auch neben etlichen Töpfen und bemalten Steinkrügen die „faule Magd" vor dem Verderben gerettet, die durchlöcherte Eisenplatte, die über das Feuer gehängt wurde, wenn man das Festtagsgericht, die Haferpfannkuchen, but. Alle aber hatten sich mit ihren Betten, als dem wertvollsten Besitze, bepackt. Diese breiteten sie nun auf dem Kirchhofe aus und setzten oder legten die dem Schlafe entrissenen Kinder darauf. Die kleinsten, die bis jetzt geschrien hatten, schlummerten auf dem weichen Lager alsbald wieder ein, die größern saßen steif aufrecht und schauten mit großen ver¬ wunderten Augen dem seltsamen Treiben der Erwachsenen zu. Als Gyllis Rehe Ströther mit ihren Zehner kommen sah, ging er ihr ent¬ gegen. Sie trug auf den Armen ihre beiden Jüngsten und auf dem Rücken ein Bündel mit Kissen und Kleidern, während sich die acht größern Kinder mit Kannen, Tellern und Kochlöffeln schleppten. Der Burgherr näherte sich dem armen Weibe und sagte: Gebt mir eins von den Würmlein, Rehe, Ihr habt schwer genug zu tragen. Sie warf ihm einen scheuen Blick zu, als sie aber in seinem Antlitz den Ausdruck der Milde und des Friedens wahrnahm, wollte sie ihm eins der Kinder reichen. Da drängte sich der kleine Linnert, ihr ältester, ein schöner Knabe von etwa vierzehn Jahren, der das verjüngte Ebenbild seines toten Vaters war, zwischen die beiden, schaute trotzig an dem Mann empor und sagte mit bebender Stimme: Tastet unsre Käe nicht an, Mönch, sonst soll es Euch übel ergehn! Die Mutter zuckte zusammen und preßte das Kleine an sich; Herr Gyllis lächelte wehmütig und wollte dem Knaben den Lockenkopf streicheln. Der aber stieß die liebkosende Hand von sich und weinte Tränen des Zornes. Und Rehe zog mit ihrem Reichtum und ihrer Armut weiter. Jetzt ließ sich vom Kirchpfade her das ängstliche Brüllen einer Kuh ver¬ nehmen, die von einem Mann am Stricke geführt wurde und deutlich die Neigung verriet, zu dem gewohnten Stalle zurückzukehren. Was heißt das, Theis, fragte Gyllis, der in dem Manne seinen nächsten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/544
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/544>, abgerufen am 04.07.2024.