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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Wanderungen in der Niederlausitz

Am nächsten Morgen galt unser erster Gang dem Stifte, dessen denkwürdige
Geschichte wir auf den vorangehenden Seiten skizziert haben. Wir sahen den schönen
mit Alleen umgebnen, von Schwänen belebten Klosterteich zu Füßen des großen
Portals. Links von der Straße lag das Brauhaus, einst eine der wichtigsten
Quellen stiftischen Reichtums, in Ruinen; auch die Zellen der Mönche und die
Wohnung des Abtes sind bis auf die sogenannten Fürstenzimmer verschwunden; sie
haben dem stattlichen Neubau eines stark besuchten evangelischen Lehrerseminars und
der Wohnung des Seminardirektors Platz gemacht. Dagegen ist der rechts von
der Kirche liegende Wirtschaftshof mit einigen hübschen Bogengängen im wesentlichen
erhalten geblieben. Auch die Kirche entsprach ungefähr dem Begriffe, den wir uns
von ihr nach ihren Schicksalen gemacht hatten: ein in jeder Hinsicht überladucr
Rokokoban mit geschmackloser Ausmalung und verzerrten Stukkaturen über den
vielen Altären, ähnlich der Kirche des Zisterzienserklosters Osseg in Böhmen, nur
daß deren Stuckarbeiten eine "in so viel größere Feinheit und Anmut zeigen, als
Böhmen dem Ursprungslande dieser ganzen Kunstrichtung, Italien, näher liegt als
das Waldlnnd der mittlern Oder. Die ganze katholische Schuljugend von schlahen
wurde zur Morgenandncht in die Kirche geführt, außerdem auch viele kleine Mädchen
unter der Leitung grauer Schwestern, die hier, wie ich höre, ein katholisches
Waisenhaus begründen wollen. Wenn man um die Kirche herumgeht, sieht man
in der Höhe noch den von der barocken Umgestaltung nicht erreichten gotischen Ost¬
giebel und wird daran erinnert, daß unter der Hülle des Gipses im Innern eine
im wesentlichen unversehrte gotische Hallenkirche schlummert. Ob sie wohl je ihre
Auferstehung feiern wird? Die sich hinter der Kirche in Terrassen zur Oderaue
uiederseukeudeu Klostergarten sind in Spiel- und Turnplätze für die Seminaristen
umgewandelt worden. Vom Runde des Plateaus genießt man eine meilenweite
Fernsicht hinüber in die Neumark: wie ein Grenzwächter am Strom erscheint die
hochgelegne Kirche von Fürstenberg. Doch nicht weiter nach Osten stand unser
Sinn: wir wollten vor allem das westlich vom Stift gelegne Land der Wald¬
dörfer, das alte Kvlonisntions- und Jagdgebiet der Äbte von Neuzelle keimen
lernen. Wir fuhren also vo" schlahen auf guter Straße zunächst in das Dorf
Möbiskrnge, das in einem von waldigen Höhen umringten Kessel malerisch um die
von zwei Holztürmen überragte Kirche gelagert ist, und von dort über Berg und
Tal auf abenteuerlichen Pfaden voll Sand und Kiefernwurzcln "ach dem hoch-
gelegneu Fünfeichen. Die Landschaft ist hier etwa so hüglig wie das nördliche
Thüringen, mir daß der dürre, rin Kies gemischte Sand hier so unfruchtbar ist,
daß sogar die genügsame Kiefer nur ein langsames, kränkelndes Wachstum zeigt.
Hundertjährige Bestände sehen hier so dürftig aus wie anderwärts dreißigjährige.
Die Einheimischen schieben diesen spärlichen Waldwuchs auf eine schon in geringer
Tiefe auftauchende Schicht eisenhaltigen Kieses, die die Wurzeln der Bäume nicht
durchdringen können. Man nenut diese Schicht die Fnchsdiele, weil auch die
Füchse ihre Baue nicht tiefer graben. Es gehörte eine große Zuversicht der Neu-
zellcr Zisterzienser drzu, auf diesem Gelände Kolonisten anzusetzen, und andrerseits
gehörte der ganze Wagemut nud der zähe Fleiß eiuer jugeudkräftigeu, in härtester
Arbeit erzognen Bauernschaft dazu, sich in solcher Gegend ansiedeln zu lassen. Der
moderne Landwirt, der jahrelang auf der Schulbank gesessen hat nud den Gehalt
des Bodens nach wissenschaftlichen Grundsätzen bestimmt, wird sich mit Schaudern
von diesem geistlichen Kolonisationsgebiete wegwenden. Vor dem Dorfe Fünfeicheu
deuteten einige größere günz unbebaute Flächen auf Schafzucht hin. Und richtio,
als wir in die Dorfgasse einbogen, lief eben aus den verschiednen kleinen Häusern
eine aus Schafen und Lämmern, Ziegen und Zicklein gemischte Herde unter Bei¬
hilfe eines schwarzen Schäferspitzes zusammen und wurde von einer Schäferin auf
die armselige Gemeinweide getrieben. Die Schäferin war ein Original: etwa vierzig
Jahre alt, jedoch nicht größer als ein sechsjähriges Kind, einen unverhältnismäßig
großen Tragkorb auf dem Rücken, den Strickstrumpf in deu Händen war sie bemüht,


Wanderungen in der Niederlausitz

Am nächsten Morgen galt unser erster Gang dem Stifte, dessen denkwürdige
Geschichte wir auf den vorangehenden Seiten skizziert haben. Wir sahen den schönen
mit Alleen umgebnen, von Schwänen belebten Klosterteich zu Füßen des großen
Portals. Links von der Straße lag das Brauhaus, einst eine der wichtigsten
Quellen stiftischen Reichtums, in Ruinen; auch die Zellen der Mönche und die
Wohnung des Abtes sind bis auf die sogenannten Fürstenzimmer verschwunden; sie
haben dem stattlichen Neubau eines stark besuchten evangelischen Lehrerseminars und
der Wohnung des Seminardirektors Platz gemacht. Dagegen ist der rechts von
der Kirche liegende Wirtschaftshof mit einigen hübschen Bogengängen im wesentlichen
erhalten geblieben. Auch die Kirche entsprach ungefähr dem Begriffe, den wir uns
von ihr nach ihren Schicksalen gemacht hatten: ein in jeder Hinsicht überladucr
Rokokoban mit geschmackloser Ausmalung und verzerrten Stukkaturen über den
vielen Altären, ähnlich der Kirche des Zisterzienserklosters Osseg in Böhmen, nur
daß deren Stuckarbeiten eine »in so viel größere Feinheit und Anmut zeigen, als
Böhmen dem Ursprungslande dieser ganzen Kunstrichtung, Italien, näher liegt als
das Waldlnnd der mittlern Oder. Die ganze katholische Schuljugend von schlahen
wurde zur Morgenandncht in die Kirche geführt, außerdem auch viele kleine Mädchen
unter der Leitung grauer Schwestern, die hier, wie ich höre, ein katholisches
Waisenhaus begründen wollen. Wenn man um die Kirche herumgeht, sieht man
in der Höhe noch den von der barocken Umgestaltung nicht erreichten gotischen Ost¬
giebel und wird daran erinnert, daß unter der Hülle des Gipses im Innern eine
im wesentlichen unversehrte gotische Hallenkirche schlummert. Ob sie wohl je ihre
Auferstehung feiern wird? Die sich hinter der Kirche in Terrassen zur Oderaue
uiederseukeudeu Klostergarten sind in Spiel- und Turnplätze für die Seminaristen
umgewandelt worden. Vom Runde des Plateaus genießt man eine meilenweite
Fernsicht hinüber in die Neumark: wie ein Grenzwächter am Strom erscheint die
hochgelegne Kirche von Fürstenberg. Doch nicht weiter nach Osten stand unser
Sinn: wir wollten vor allem das westlich vom Stift gelegne Land der Wald¬
dörfer, das alte Kvlonisntions- und Jagdgebiet der Äbte von Neuzelle keimen
lernen. Wir fuhren also vo» schlahen auf guter Straße zunächst in das Dorf
Möbiskrnge, das in einem von waldigen Höhen umringten Kessel malerisch um die
von zwei Holztürmen überragte Kirche gelagert ist, und von dort über Berg und
Tal auf abenteuerlichen Pfaden voll Sand und Kiefernwurzcln »ach dem hoch-
gelegneu Fünfeichen. Die Landschaft ist hier etwa so hüglig wie das nördliche
Thüringen, mir daß der dürre, rin Kies gemischte Sand hier so unfruchtbar ist,
daß sogar die genügsame Kiefer nur ein langsames, kränkelndes Wachstum zeigt.
Hundertjährige Bestände sehen hier so dürftig aus wie anderwärts dreißigjährige.
Die Einheimischen schieben diesen spärlichen Waldwuchs auf eine schon in geringer
Tiefe auftauchende Schicht eisenhaltigen Kieses, die die Wurzeln der Bäume nicht
durchdringen können. Man nenut diese Schicht die Fnchsdiele, weil auch die
Füchse ihre Baue nicht tiefer graben. Es gehörte eine große Zuversicht der Neu-
zellcr Zisterzienser drzu, auf diesem Gelände Kolonisten anzusetzen, und andrerseits
gehörte der ganze Wagemut nud der zähe Fleiß eiuer jugeudkräftigeu, in härtester
Arbeit erzognen Bauernschaft dazu, sich in solcher Gegend ansiedeln zu lassen. Der
moderne Landwirt, der jahrelang auf der Schulbank gesessen hat nud den Gehalt
des Bodens nach wissenschaftlichen Grundsätzen bestimmt, wird sich mit Schaudern
von diesem geistlichen Kolonisationsgebiete wegwenden. Vor dem Dorfe Fünfeicheu
deuteten einige größere günz unbebaute Flächen auf Schafzucht hin. Und richtio,
als wir in die Dorfgasse einbogen, lief eben aus den verschiednen kleinen Häusern
eine aus Schafen und Lämmern, Ziegen und Zicklein gemischte Herde unter Bei¬
hilfe eines schwarzen Schäferspitzes zusammen und wurde von einer Schäferin auf
die armselige Gemeinweide getrieben. Die Schäferin war ein Original: etwa vierzig
Jahre alt, jedoch nicht größer als ein sechsjähriges Kind, einen unverhältnismäßig
großen Tragkorb auf dem Rücken, den Strickstrumpf in deu Händen war sie bemüht,


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[0474] Wanderungen in der Niederlausitz Am nächsten Morgen galt unser erster Gang dem Stifte, dessen denkwürdige Geschichte wir auf den vorangehenden Seiten skizziert haben. Wir sahen den schönen mit Alleen umgebnen, von Schwänen belebten Klosterteich zu Füßen des großen Portals. Links von der Straße lag das Brauhaus, einst eine der wichtigsten Quellen stiftischen Reichtums, in Ruinen; auch die Zellen der Mönche und die Wohnung des Abtes sind bis auf die sogenannten Fürstenzimmer verschwunden; sie haben dem stattlichen Neubau eines stark besuchten evangelischen Lehrerseminars und der Wohnung des Seminardirektors Platz gemacht. Dagegen ist der rechts von der Kirche liegende Wirtschaftshof mit einigen hübschen Bogengängen im wesentlichen erhalten geblieben. Auch die Kirche entsprach ungefähr dem Begriffe, den wir uns von ihr nach ihren Schicksalen gemacht hatten: ein in jeder Hinsicht überladucr Rokokoban mit geschmackloser Ausmalung und verzerrten Stukkaturen über den vielen Altären, ähnlich der Kirche des Zisterzienserklosters Osseg in Böhmen, nur daß deren Stuckarbeiten eine »in so viel größere Feinheit und Anmut zeigen, als Böhmen dem Ursprungslande dieser ganzen Kunstrichtung, Italien, näher liegt als das Waldlnnd der mittlern Oder. Die ganze katholische Schuljugend von schlahen wurde zur Morgenandncht in die Kirche geführt, außerdem auch viele kleine Mädchen unter der Leitung grauer Schwestern, die hier, wie ich höre, ein katholisches Waisenhaus begründen wollen. Wenn man um die Kirche herumgeht, sieht man in der Höhe noch den von der barocken Umgestaltung nicht erreichten gotischen Ost¬ giebel und wird daran erinnert, daß unter der Hülle des Gipses im Innern eine im wesentlichen unversehrte gotische Hallenkirche schlummert. Ob sie wohl je ihre Auferstehung feiern wird? Die sich hinter der Kirche in Terrassen zur Oderaue uiederseukeudeu Klostergarten sind in Spiel- und Turnplätze für die Seminaristen umgewandelt worden. Vom Runde des Plateaus genießt man eine meilenweite Fernsicht hinüber in die Neumark: wie ein Grenzwächter am Strom erscheint die hochgelegne Kirche von Fürstenberg. Doch nicht weiter nach Osten stand unser Sinn: wir wollten vor allem das westlich vom Stift gelegne Land der Wald¬ dörfer, das alte Kvlonisntions- und Jagdgebiet der Äbte von Neuzelle keimen lernen. Wir fuhren also vo» schlahen auf guter Straße zunächst in das Dorf Möbiskrnge, das in einem von waldigen Höhen umringten Kessel malerisch um die von zwei Holztürmen überragte Kirche gelagert ist, und von dort über Berg und Tal auf abenteuerlichen Pfaden voll Sand und Kiefernwurzcln »ach dem hoch- gelegneu Fünfeichen. Die Landschaft ist hier etwa so hüglig wie das nördliche Thüringen, mir daß der dürre, rin Kies gemischte Sand hier so unfruchtbar ist, daß sogar die genügsame Kiefer nur ein langsames, kränkelndes Wachstum zeigt. Hundertjährige Bestände sehen hier so dürftig aus wie anderwärts dreißigjährige. Die Einheimischen schieben diesen spärlichen Waldwuchs auf eine schon in geringer Tiefe auftauchende Schicht eisenhaltigen Kieses, die die Wurzeln der Bäume nicht durchdringen können. Man nenut diese Schicht die Fnchsdiele, weil auch die Füchse ihre Baue nicht tiefer graben. Es gehörte eine große Zuversicht der Neu- zellcr Zisterzienser drzu, auf diesem Gelände Kolonisten anzusetzen, und andrerseits gehörte der ganze Wagemut nud der zähe Fleiß eiuer jugeudkräftigeu, in härtester Arbeit erzognen Bauernschaft dazu, sich in solcher Gegend ansiedeln zu lassen. Der moderne Landwirt, der jahrelang auf der Schulbank gesessen hat nud den Gehalt des Bodens nach wissenschaftlichen Grundsätzen bestimmt, wird sich mit Schaudern von diesem geistlichen Kolonisationsgebiete wegwenden. Vor dem Dorfe Fünfeicheu deuteten einige größere günz unbebaute Flächen auf Schafzucht hin. Und richtio, als wir in die Dorfgasse einbogen, lief eben aus den verschiednen kleinen Häusern eine aus Schafen und Lämmern, Ziegen und Zicklein gemischte Herde unter Bei¬ hilfe eines schwarzen Schäferspitzes zusammen und wurde von einer Schäferin auf die armselige Gemeinweide getrieben. Die Schäferin war ein Original: etwa vierzig Jahre alt, jedoch nicht größer als ein sechsjähriges Kind, einen unverhältnismäßig großen Tragkorb auf dem Rücken, den Strickstrumpf in deu Händen war sie bemüht,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/474>, abgerufen am 25.07.2024.