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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Der Mönch von !veinfelden

Eine Stunde danach kam die rote nett und bat um Einlaß. Gyllis öffnete.

Herr, sagte sie, ich habe eine demütige Bitte. Gebt mir den Toten heraus.

Er sah das Mädchen erstaunt an.

Ist das ein Geschäft für Weiber? fragte er. Sind nicht der Männer genug
zu Weinfelder, den Leichnam zu bergen und zu begraben?

Herr, antwortete die nett, Ihr kennt die Bauern schlecht. Einen Hecht zu
sahen, daran mögen sie wohl das Leben setzen, aber um so ein unnützes Ding wie
eine Leiche wird nicht leichtlich einer den Hals wagen. Gebt ihn mir heraus, daß
ich ihn bestatte! Ich tus aus christlicher Barmherzigkeit.

Die Dirne zeigte in ihrem Wesen und Gebaren etwas Unstetes, das sonst
nicht ihre Art war. Sie drückte sich in den finstern Winkel bei der Tür und
verbarg ihre Hände hinter dem Rücken.

nett, sagte Gyllis, das redest du mir nicht ein, daß du ihn aus keiner andern
Ursache denn ans Barmherzigkeit holen willst. Ich weiß es besser: der Landfahrende
ist dein Buhle gewesen. Die Vermahnungen, so dir der Ehrwürdige beim Malefiz-
gericht erteilt hat, haben taube Früchte getragen.

Ja, Herr, rief die Dirne schluchzend, er ist mein Liebster gewesen, und Ihr
habt ihn nur genommen! Um einen Hecht habt Ihr ihn ermordet!

Sie trat plötzlich dicht an seiue Seite und schaute ihm fest in die Augen, als
ob sie ihn mit ihrem Blick bezaubern wollte.

Dann senkte sie langsam das Haupt, sprang zurück und schleuderte einen
blitzenden Gegenstand auf die Steinfliesen des Bodens, daß er hoch emporsprang
und zu Gyllis Füßen liegen blieb. Er bückte sich danach und hielt ein Messer in
seiner Hand. Er betrachtete es lächelnd und gab es dem Mädchen zurück.

So, sagte er, also darum bist du auf das Burghaus gekommen?

Ja, erwiderte sie ruhig, ich hab Euch töten wollen, aber ich Habs nicht ge¬
konnt. Die Heiligen mögen meinen Sinn gewandt haben. Wer kann wissen,
weshalb! Was liegt auch daran, setzte sie nach einer Pause hinzu, ob Ihr lebt
oder tot seid! Mein Liebster wird dadurch doch nicht wieder lebendig. Scheitel
mich, Herr, oder züchtigt mich, ich weiß, daß ich eine Schlechte bin!

nett, sagte der Burgherr ernst, es wäre dir besser gewesen, sie hätten dich
damals nicht gefunden oder bei deu Römersteiuen liegen lassen. Alsdann wärest
du als ein unschuldig Kindlein gestorben. Nun aber, besorge ich. wird es mit
deiner Seele schlecht bestellt sein, so du nicht umkehrst auf deinem Wege und Buße
tust. Du hast einen Mord begehn wollen, aber da du das Messer zu zucken ge¬
dachtest, ward deine Hand schwach. Das nimm für ein Zeichen, daß Gott dich
noch nicht gänzlich hat fallen lassen, vielmehr in seiner unendlichen und unbegreif¬
lichen Langmütigkeit dich auf deu rechten Pfad leiten will. Gehe darum in dich,
nett, und kasteie deinen Leib mit Fasten und Beten, ans daß er kräftig und tauglich
werde, die Anfechtungen des Teufels zu überwinden.

Die Dirne stand wieder im Winkel an der Tür und wickelte sich die Enden
ihrer roten Zöpfe um die Finger. Hätte sie das Haupt nicht wie eine reuige
Sünderin gesenkt gehabt, so würde Herr Gyllis bemerkt haben, daß es um ihre
Mundwinkel spöttisch zuckte.

Er hielt inne und schien erforschen zu wollen, welchen Eindruck seine Worte
auf sie machten. Da hob sie das Antlitz und sah ihn mit dreistem Lächeln an.

Seid Ihr mit Euerm Sermon schon zu Ende, Herr? sagte sie. Ich sehe,
Ihr habt das Predigen noch nicht verlernt. Was Ihr da gesagt habt, riecht nach
dem Kloster. Oder vermeint Ihr im Ernste, den Heiligen oder, wie Ihr sagt, dem
Herrgott möchte an einem einfältigen Hirtenmägdlein sonderlich viel gelegen sein?
Und ob ichs schon selbst einen Augenblick geglaubt habe, weil es so jäh über mich
kam, so will ich Euch doch berichten: nicht die Heiligen haben meinen Sinn ge¬
wandt, sondern da ich Euch in die Augen sah, ward mirs leid um Euch, und ich
sprach zu mir: Tus uicht, nett, ein Lebendiger ist besser denn zwei Tote. Seht,


Der Mönch von !veinfelden

Eine Stunde danach kam die rote nett und bat um Einlaß. Gyllis öffnete.

Herr, sagte sie, ich habe eine demütige Bitte. Gebt mir den Toten heraus.

Er sah das Mädchen erstaunt an.

Ist das ein Geschäft für Weiber? fragte er. Sind nicht der Männer genug
zu Weinfelder, den Leichnam zu bergen und zu begraben?

Herr, antwortete die nett, Ihr kennt die Bauern schlecht. Einen Hecht zu
sahen, daran mögen sie wohl das Leben setzen, aber um so ein unnützes Ding wie
eine Leiche wird nicht leichtlich einer den Hals wagen. Gebt ihn mir heraus, daß
ich ihn bestatte! Ich tus aus christlicher Barmherzigkeit.

Die Dirne zeigte in ihrem Wesen und Gebaren etwas Unstetes, das sonst
nicht ihre Art war. Sie drückte sich in den finstern Winkel bei der Tür und
verbarg ihre Hände hinter dem Rücken.

nett, sagte Gyllis, das redest du mir nicht ein, daß du ihn aus keiner andern
Ursache denn ans Barmherzigkeit holen willst. Ich weiß es besser: der Landfahrende
ist dein Buhle gewesen. Die Vermahnungen, so dir der Ehrwürdige beim Malefiz-
gericht erteilt hat, haben taube Früchte getragen.

Ja, Herr, rief die Dirne schluchzend, er ist mein Liebster gewesen, und Ihr
habt ihn nur genommen! Um einen Hecht habt Ihr ihn ermordet!

Sie trat plötzlich dicht an seiue Seite und schaute ihm fest in die Augen, als
ob sie ihn mit ihrem Blick bezaubern wollte.

Dann senkte sie langsam das Haupt, sprang zurück und schleuderte einen
blitzenden Gegenstand auf die Steinfliesen des Bodens, daß er hoch emporsprang
und zu Gyllis Füßen liegen blieb. Er bückte sich danach und hielt ein Messer in
seiner Hand. Er betrachtete es lächelnd und gab es dem Mädchen zurück.

So, sagte er, also darum bist du auf das Burghaus gekommen?

Ja, erwiderte sie ruhig, ich hab Euch töten wollen, aber ich Habs nicht ge¬
konnt. Die Heiligen mögen meinen Sinn gewandt haben. Wer kann wissen,
weshalb! Was liegt auch daran, setzte sie nach einer Pause hinzu, ob Ihr lebt
oder tot seid! Mein Liebster wird dadurch doch nicht wieder lebendig. Scheitel
mich, Herr, oder züchtigt mich, ich weiß, daß ich eine Schlechte bin!

nett, sagte der Burgherr ernst, es wäre dir besser gewesen, sie hätten dich
damals nicht gefunden oder bei deu Römersteiuen liegen lassen. Alsdann wärest
du als ein unschuldig Kindlein gestorben. Nun aber, besorge ich. wird es mit
deiner Seele schlecht bestellt sein, so du nicht umkehrst auf deinem Wege und Buße
tust. Du hast einen Mord begehn wollen, aber da du das Messer zu zucken ge¬
dachtest, ward deine Hand schwach. Das nimm für ein Zeichen, daß Gott dich
noch nicht gänzlich hat fallen lassen, vielmehr in seiner unendlichen und unbegreif¬
lichen Langmütigkeit dich auf deu rechten Pfad leiten will. Gehe darum in dich,
nett, und kasteie deinen Leib mit Fasten und Beten, ans daß er kräftig und tauglich
werde, die Anfechtungen des Teufels zu überwinden.

Die Dirne stand wieder im Winkel an der Tür und wickelte sich die Enden
ihrer roten Zöpfe um die Finger. Hätte sie das Haupt nicht wie eine reuige
Sünderin gesenkt gehabt, so würde Herr Gyllis bemerkt haben, daß es um ihre
Mundwinkel spöttisch zuckte.

Er hielt inne und schien erforschen zu wollen, welchen Eindruck seine Worte
auf sie machten. Da hob sie das Antlitz und sah ihn mit dreistem Lächeln an.

Seid Ihr mit Euerm Sermon schon zu Ende, Herr? sagte sie. Ich sehe,
Ihr habt das Predigen noch nicht verlernt. Was Ihr da gesagt habt, riecht nach
dem Kloster. Oder vermeint Ihr im Ernste, den Heiligen oder, wie Ihr sagt, dem
Herrgott möchte an einem einfältigen Hirtenmägdlein sonderlich viel gelegen sein?
Und ob ichs schon selbst einen Augenblick geglaubt habe, weil es so jäh über mich
kam, so will ich Euch doch berichten: nicht die Heiligen haben meinen Sinn ge¬
wandt, sondern da ich Euch in die Augen sah, ward mirs leid um Euch, und ich
sprach zu mir: Tus uicht, nett, ein Lebendiger ist besser denn zwei Tote. Seht,


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[0420] Der Mönch von !veinfelden Eine Stunde danach kam die rote nett und bat um Einlaß. Gyllis öffnete. Herr, sagte sie, ich habe eine demütige Bitte. Gebt mir den Toten heraus. Er sah das Mädchen erstaunt an. Ist das ein Geschäft für Weiber? fragte er. Sind nicht der Männer genug zu Weinfelder, den Leichnam zu bergen und zu begraben? Herr, antwortete die nett, Ihr kennt die Bauern schlecht. Einen Hecht zu sahen, daran mögen sie wohl das Leben setzen, aber um so ein unnützes Ding wie eine Leiche wird nicht leichtlich einer den Hals wagen. Gebt ihn mir heraus, daß ich ihn bestatte! Ich tus aus christlicher Barmherzigkeit. Die Dirne zeigte in ihrem Wesen und Gebaren etwas Unstetes, das sonst nicht ihre Art war. Sie drückte sich in den finstern Winkel bei der Tür und verbarg ihre Hände hinter dem Rücken. nett, sagte Gyllis, das redest du mir nicht ein, daß du ihn aus keiner andern Ursache denn ans Barmherzigkeit holen willst. Ich weiß es besser: der Landfahrende ist dein Buhle gewesen. Die Vermahnungen, so dir der Ehrwürdige beim Malefiz- gericht erteilt hat, haben taube Früchte getragen. Ja, Herr, rief die Dirne schluchzend, er ist mein Liebster gewesen, und Ihr habt ihn nur genommen! Um einen Hecht habt Ihr ihn ermordet! Sie trat plötzlich dicht an seiue Seite und schaute ihm fest in die Augen, als ob sie ihn mit ihrem Blick bezaubern wollte. Dann senkte sie langsam das Haupt, sprang zurück und schleuderte einen blitzenden Gegenstand auf die Steinfliesen des Bodens, daß er hoch emporsprang und zu Gyllis Füßen liegen blieb. Er bückte sich danach und hielt ein Messer in seiner Hand. Er betrachtete es lächelnd und gab es dem Mädchen zurück. So, sagte er, also darum bist du auf das Burghaus gekommen? Ja, erwiderte sie ruhig, ich hab Euch töten wollen, aber ich Habs nicht ge¬ konnt. Die Heiligen mögen meinen Sinn gewandt haben. Wer kann wissen, weshalb! Was liegt auch daran, setzte sie nach einer Pause hinzu, ob Ihr lebt oder tot seid! Mein Liebster wird dadurch doch nicht wieder lebendig. Scheitel mich, Herr, oder züchtigt mich, ich weiß, daß ich eine Schlechte bin! nett, sagte der Burgherr ernst, es wäre dir besser gewesen, sie hätten dich damals nicht gefunden oder bei deu Römersteiuen liegen lassen. Alsdann wärest du als ein unschuldig Kindlein gestorben. Nun aber, besorge ich. wird es mit deiner Seele schlecht bestellt sein, so du nicht umkehrst auf deinem Wege und Buße tust. Du hast einen Mord begehn wollen, aber da du das Messer zu zucken ge¬ dachtest, ward deine Hand schwach. Das nimm für ein Zeichen, daß Gott dich noch nicht gänzlich hat fallen lassen, vielmehr in seiner unendlichen und unbegreif¬ lichen Langmütigkeit dich auf deu rechten Pfad leiten will. Gehe darum in dich, nett, und kasteie deinen Leib mit Fasten und Beten, ans daß er kräftig und tauglich werde, die Anfechtungen des Teufels zu überwinden. Die Dirne stand wieder im Winkel an der Tür und wickelte sich die Enden ihrer roten Zöpfe um die Finger. Hätte sie das Haupt nicht wie eine reuige Sünderin gesenkt gehabt, so würde Herr Gyllis bemerkt haben, daß es um ihre Mundwinkel spöttisch zuckte. Er hielt inne und schien erforschen zu wollen, welchen Eindruck seine Worte auf sie machten. Da hob sie das Antlitz und sah ihn mit dreistem Lächeln an. Seid Ihr mit Euerm Sermon schon zu Ende, Herr? sagte sie. Ich sehe, Ihr habt das Predigen noch nicht verlernt. Was Ihr da gesagt habt, riecht nach dem Kloster. Oder vermeint Ihr im Ernste, den Heiligen oder, wie Ihr sagt, dem Herrgott möchte an einem einfältigen Hirtenmägdlein sonderlich viel gelegen sein? Und ob ichs schon selbst einen Augenblick geglaubt habe, weil es so jäh über mich kam, so will ich Euch doch berichten: nicht die Heiligen haben meinen Sinn ge¬ wandt, sondern da ich Euch in die Augen sah, ward mirs leid um Euch, und ich sprach zu mir: Tus uicht, nett, ein Lebendiger ist besser denn zwei Tote. Seht,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/420>, abgerufen am 05.07.2024.