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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Erinnerungen

gehe es gut. Alle, auch die besten Kräfte, ja gerade diese würden von dem Riesen¬
menschen zerrieben. Gelänge die Zollreform, und hätte sie nur einigen wirtschaft¬
lichen Erfolg, so sei sein Prestige noch größer als nach dem Kriege von 1870
und 1871, und mit Recht. Was aber sonst werden solle, sei gar nicht abzu¬
sehen, usw. Und Friedberg ist doch immer noch einer von denen, die verhältnis¬
mäßig gut mit dem Kanzler auskommen. In dieser Tonart spricht hier von dem
höchsten Beamten des Reichs jeder, jeder fast ohne Ausnahme! Wo liegt denn
da der Fehler? Bei Bismarck und seiner Überlegenheit, oder bei der Kleinheit
und Enge der andern? Ist der Kanzler wirklich ein so launenhafter, unzuver¬
lässiger, tyrannischer Egoist, voll Mißtrauens und rücksichtsloser Grobheit und
Willkür, wie sie ihn alle schildern, oder versteh" diese ihn nicht? Ich weiß es
nicht. Mir fehlt jeder objektive Maßstab. Aber das ist gewiß, was ich amtlich
von ihm gesehen habe, ragt weit, weit über alle Leistungen der andern hinaus.
Das schließt freilich nicht aus, daß er im Bewußtsein seiner Macht und Überlegen¬
heit die Menschen oft übel und ungerecht behandelt, wo sie ihm nicht Passen, und
daß er sie verachtet, weil die meisten ihm gegenüber nicht den rechten Ton treffen
und sich noch schlechter geben, als sie sind. Es wäre zu traurig, wenn der größte
deutsche Mann solche Mangel des Herzens und des sittlichen Empfindens hätte.
Ich kaun mich nicht entschließen, das ohne weiteres nach dem Gerede derer, die
doch nicht an ihn heranreichen, anzunehmen. Unbequem mag er ja sein.

Als ich neulich den Sohn des Fürsten, den Grafen Wilhelm Bismarck, an
Kaisers Geburtstag fragte, ob er an seiner Arbeit (im Spezinlbureau des Reichs¬
kanzlers) Befriedigung fände, antwortete er: "Warum nicht? Ich habe nicht den
Ehrgeiz, weltbewegende Dinge zu machen. Ich begnüge mich mit dem Bewußtsein,
meine Pflicht getan zu haben." Diese Antwort hat mir gut gefallen, obwohl sie
eine Art von Abfertigung auf meine wohl etwas zu ungenierte Frage war. Graf
Bismarck hat ganz Recht; man muß sich mit dem Bewußtsein begnügen, seine
Pflicht getan zu haben.

Ostersonntag, 13. April. Vormittags im Dom. Stöcker predigte über
Ezechiel 37: Die Auferstehung eines Volkes Gottes. Die Predigt war sehr
beredt, aber -- ich kann mir uicht helfen -- viel habe ich nicht davon gehabt,
und wie ich glaube, die Gemeinde auch uicht. Die ganze Predigt ging nur auf
allgemeine, große Verhältnisse, auf die Erneuerung des ganzen, insbesondre des
deutschen Volkes, auf ein nationales Bekenntnis zum Herrn, auf nationale
Buße usw. Es war alles im wesentlichen richtig und ganz schön; aber was Ostern
mir, dem einzelnen, sündigen, schwachen, dem Tode verfallnen Menschen ist und
bringt, wie ich mir den Ostersegen und Osterfriedeu, nach dem ich dürste, aneigne,
wie es in mir Licht, in mir Ostern wird, wie ich meinen Tropfen an der Über¬
windung des Todes bekomme, davon enthielt die Predigt kein Wort. Mir ist sie
nicht bis ans Herz gedrungen. Sie enthielt nur kirchliche Polemik in großen
Zügen. Aber diese Art Polemik wird schwerlich die einzelnen Herzen packen und
sie zur ewigen Liebe ziehn. Die Kirche war so gedrängt voll, daß wir uns kaum
zu unsern Plätzen durchdrängen konnten. Die Predigt mag sehr gut gemeint ge¬
wesen sein. Stöcker meint wahrscheinlich, ein tapferes, großes Zeugnis damit ab¬
gelegt zu haben, aber ich zweifle, daß diese Art Predigt unserm Volke das Heil
naher bringt.

Nach der Kirche ging ich zum Finanzminister Hobrecht, mit dem ich im Auf¬
lage des Grafen Otto Stolberg über die Ansprüche sprechen sollte, die die Grafen
Pnppeuheim auf Grund der Wiener Kongreßakte wegen ihrer Abfindung für das
ehemalige Reichserbkämmereramt gegen Preußen erheben. Ich sollte Hobrecht
"ragen, ob der Kronprinz mit ihm über die Sache gesprochen habe, und ob man
den Grafen Pappenheim nicht wenigstens den Rechtsweg öffnen könne. Der
Nnanzminister war sehr freundlich und sagte, der Kronprinz habe zwar mit ihm
über die Sache gesprochen, aber ohne irgend materiell darauf einzugehn, da er,


Erinnerungen

gehe es gut. Alle, auch die besten Kräfte, ja gerade diese würden von dem Riesen¬
menschen zerrieben. Gelänge die Zollreform, und hätte sie nur einigen wirtschaft¬
lichen Erfolg, so sei sein Prestige noch größer als nach dem Kriege von 1870
und 1871, und mit Recht. Was aber sonst werden solle, sei gar nicht abzu¬
sehen, usw. Und Friedberg ist doch immer noch einer von denen, die verhältnis¬
mäßig gut mit dem Kanzler auskommen. In dieser Tonart spricht hier von dem
höchsten Beamten des Reichs jeder, jeder fast ohne Ausnahme! Wo liegt denn
da der Fehler? Bei Bismarck und seiner Überlegenheit, oder bei der Kleinheit
und Enge der andern? Ist der Kanzler wirklich ein so launenhafter, unzuver¬
lässiger, tyrannischer Egoist, voll Mißtrauens und rücksichtsloser Grobheit und
Willkür, wie sie ihn alle schildern, oder versteh« diese ihn nicht? Ich weiß es
nicht. Mir fehlt jeder objektive Maßstab. Aber das ist gewiß, was ich amtlich
von ihm gesehen habe, ragt weit, weit über alle Leistungen der andern hinaus.
Das schließt freilich nicht aus, daß er im Bewußtsein seiner Macht und Überlegen¬
heit die Menschen oft übel und ungerecht behandelt, wo sie ihm nicht Passen, und
daß er sie verachtet, weil die meisten ihm gegenüber nicht den rechten Ton treffen
und sich noch schlechter geben, als sie sind. Es wäre zu traurig, wenn der größte
deutsche Mann solche Mangel des Herzens und des sittlichen Empfindens hätte.
Ich kaun mich nicht entschließen, das ohne weiteres nach dem Gerede derer, die
doch nicht an ihn heranreichen, anzunehmen. Unbequem mag er ja sein.

Als ich neulich den Sohn des Fürsten, den Grafen Wilhelm Bismarck, an
Kaisers Geburtstag fragte, ob er an seiner Arbeit (im Spezinlbureau des Reichs¬
kanzlers) Befriedigung fände, antwortete er: „Warum nicht? Ich habe nicht den
Ehrgeiz, weltbewegende Dinge zu machen. Ich begnüge mich mit dem Bewußtsein,
meine Pflicht getan zu haben." Diese Antwort hat mir gut gefallen, obwohl sie
eine Art von Abfertigung auf meine wohl etwas zu ungenierte Frage war. Graf
Bismarck hat ganz Recht; man muß sich mit dem Bewußtsein begnügen, seine
Pflicht getan zu haben.

Ostersonntag, 13. April. Vormittags im Dom. Stöcker predigte über
Ezechiel 37: Die Auferstehung eines Volkes Gottes. Die Predigt war sehr
beredt, aber — ich kann mir uicht helfen — viel habe ich nicht davon gehabt,
und wie ich glaube, die Gemeinde auch uicht. Die ganze Predigt ging nur auf
allgemeine, große Verhältnisse, auf die Erneuerung des ganzen, insbesondre des
deutschen Volkes, auf ein nationales Bekenntnis zum Herrn, auf nationale
Buße usw. Es war alles im wesentlichen richtig und ganz schön; aber was Ostern
mir, dem einzelnen, sündigen, schwachen, dem Tode verfallnen Menschen ist und
bringt, wie ich mir den Ostersegen und Osterfriedeu, nach dem ich dürste, aneigne,
wie es in mir Licht, in mir Ostern wird, wie ich meinen Tropfen an der Über¬
windung des Todes bekomme, davon enthielt die Predigt kein Wort. Mir ist sie
nicht bis ans Herz gedrungen. Sie enthielt nur kirchliche Polemik in großen
Zügen. Aber diese Art Polemik wird schwerlich die einzelnen Herzen packen und
sie zur ewigen Liebe ziehn. Die Kirche war so gedrängt voll, daß wir uns kaum
zu unsern Plätzen durchdrängen konnten. Die Predigt mag sehr gut gemeint ge¬
wesen sein. Stöcker meint wahrscheinlich, ein tapferes, großes Zeugnis damit ab¬
gelegt zu haben, aber ich zweifle, daß diese Art Predigt unserm Volke das Heil
naher bringt.

Nach der Kirche ging ich zum Finanzminister Hobrecht, mit dem ich im Auf¬
lage des Grafen Otto Stolberg über die Ansprüche sprechen sollte, die die Grafen
Pnppeuheim auf Grund der Wiener Kongreßakte wegen ihrer Abfindung für das
ehemalige Reichserbkämmereramt gegen Preußen erheben. Ich sollte Hobrecht
«ragen, ob der Kronprinz mit ihm über die Sache gesprochen habe, und ob man
den Grafen Pappenheim nicht wenigstens den Rechtsweg öffnen könne. Der
Nnanzminister war sehr freundlich und sagte, der Kronprinz habe zwar mit ihm
über die Sache gesprochen, aber ohne irgend materiell darauf einzugehn, da er,


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[0415] Erinnerungen gehe es gut. Alle, auch die besten Kräfte, ja gerade diese würden von dem Riesen¬ menschen zerrieben. Gelänge die Zollreform, und hätte sie nur einigen wirtschaft¬ lichen Erfolg, so sei sein Prestige noch größer als nach dem Kriege von 1870 und 1871, und mit Recht. Was aber sonst werden solle, sei gar nicht abzu¬ sehen, usw. Und Friedberg ist doch immer noch einer von denen, die verhältnis¬ mäßig gut mit dem Kanzler auskommen. In dieser Tonart spricht hier von dem höchsten Beamten des Reichs jeder, jeder fast ohne Ausnahme! Wo liegt denn da der Fehler? Bei Bismarck und seiner Überlegenheit, oder bei der Kleinheit und Enge der andern? Ist der Kanzler wirklich ein so launenhafter, unzuver¬ lässiger, tyrannischer Egoist, voll Mißtrauens und rücksichtsloser Grobheit und Willkür, wie sie ihn alle schildern, oder versteh« diese ihn nicht? Ich weiß es nicht. Mir fehlt jeder objektive Maßstab. Aber das ist gewiß, was ich amtlich von ihm gesehen habe, ragt weit, weit über alle Leistungen der andern hinaus. Das schließt freilich nicht aus, daß er im Bewußtsein seiner Macht und Überlegen¬ heit die Menschen oft übel und ungerecht behandelt, wo sie ihm nicht Passen, und daß er sie verachtet, weil die meisten ihm gegenüber nicht den rechten Ton treffen und sich noch schlechter geben, als sie sind. Es wäre zu traurig, wenn der größte deutsche Mann solche Mangel des Herzens und des sittlichen Empfindens hätte. Ich kaun mich nicht entschließen, das ohne weiteres nach dem Gerede derer, die doch nicht an ihn heranreichen, anzunehmen. Unbequem mag er ja sein. Als ich neulich den Sohn des Fürsten, den Grafen Wilhelm Bismarck, an Kaisers Geburtstag fragte, ob er an seiner Arbeit (im Spezinlbureau des Reichs¬ kanzlers) Befriedigung fände, antwortete er: „Warum nicht? Ich habe nicht den Ehrgeiz, weltbewegende Dinge zu machen. Ich begnüge mich mit dem Bewußtsein, meine Pflicht getan zu haben." Diese Antwort hat mir gut gefallen, obwohl sie eine Art von Abfertigung auf meine wohl etwas zu ungenierte Frage war. Graf Bismarck hat ganz Recht; man muß sich mit dem Bewußtsein begnügen, seine Pflicht getan zu haben. Ostersonntag, 13. April. Vormittags im Dom. Stöcker predigte über Ezechiel 37: Die Auferstehung eines Volkes Gottes. Die Predigt war sehr beredt, aber — ich kann mir uicht helfen — viel habe ich nicht davon gehabt, und wie ich glaube, die Gemeinde auch uicht. Die ganze Predigt ging nur auf allgemeine, große Verhältnisse, auf die Erneuerung des ganzen, insbesondre des deutschen Volkes, auf ein nationales Bekenntnis zum Herrn, auf nationale Buße usw. Es war alles im wesentlichen richtig und ganz schön; aber was Ostern mir, dem einzelnen, sündigen, schwachen, dem Tode verfallnen Menschen ist und bringt, wie ich mir den Ostersegen und Osterfriedeu, nach dem ich dürste, aneigne, wie es in mir Licht, in mir Ostern wird, wie ich meinen Tropfen an der Über¬ windung des Todes bekomme, davon enthielt die Predigt kein Wort. Mir ist sie nicht bis ans Herz gedrungen. Sie enthielt nur kirchliche Polemik in großen Zügen. Aber diese Art Polemik wird schwerlich die einzelnen Herzen packen und sie zur ewigen Liebe ziehn. Die Kirche war so gedrängt voll, daß wir uns kaum zu unsern Plätzen durchdrängen konnten. Die Predigt mag sehr gut gemeint ge¬ wesen sein. Stöcker meint wahrscheinlich, ein tapferes, großes Zeugnis damit ab¬ gelegt zu haben, aber ich zweifle, daß diese Art Predigt unserm Volke das Heil naher bringt. Nach der Kirche ging ich zum Finanzminister Hobrecht, mit dem ich im Auf¬ lage des Grafen Otto Stolberg über die Ansprüche sprechen sollte, die die Grafen Pnppeuheim auf Grund der Wiener Kongreßakte wegen ihrer Abfindung für das ehemalige Reichserbkämmereramt gegen Preußen erheben. Ich sollte Hobrecht «ragen, ob der Kronprinz mit ihm über die Sache gesprochen habe, und ob man den Grafen Pappenheim nicht wenigstens den Rechtsweg öffnen könne. Der Nnanzminister war sehr freundlich und sagte, der Kronprinz habe zwar mit ihm über die Sache gesprochen, aber ohne irgend materiell darauf einzugehn, da er,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/415>, abgerufen am 02.07.2024.