Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.Erinnerungen Er seit Recht: "Ach, den Lippen entquillt Fülle des Herzens so leicht." 22. März, Kaisers Geburtstag. Ich war zum offiziellen Diner bei dem 3. April. Ich suchte Freund Boetticher im Reichstag auf. Er lud mich 7. April. Im Auftrage des Grafen Stolberg war ich bet dem Staatssekretär Erinnerungen Er seit Recht: „Ach, den Lippen entquillt Fülle des Herzens so leicht." 22. März, Kaisers Geburtstag. Ich war zum offiziellen Diner bei dem 3. April. Ich suchte Freund Boetticher im Reichstag auf. Er lud mich 7. April. Im Auftrage des Grafen Stolberg war ich bet dem Staatssekretär <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0414" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/294033"/> <fw type="header" place="top"> Erinnerungen</fw><lb/> <lg xml:id="POEMID_9" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_1831"> Er seit Recht: „Ach, den Lippen entquillt Fülle des Herzens so leicht."</p><lb/> <p xml:id="ID_1832"> 22. März, Kaisers Geburtstag. Ich war zum offiziellen Diner bei dem<lb/> Fürsten Bismarck geladen. Als ich um fünf Uhr in das Empfangszimmer des<lb/> Fürsten trat, begrüßte ich ihn zunächst. Dann stellte der Geheimrat Tiedemann<lb/> mich der Fürstin, der Gräfin Rantzau, deren Mann und dem Grafen Bill Bis¬<lb/> marck vor. Ich saß bei Tisch zwischen dem Grafen Rantzau und einem amerika¬<lb/> nischen Legationssekretär. Mit diesem habe ich nur einige französische Worte ge¬<lb/> wechselt, mit dem Grafen Rantzau mich aber recht gut unterhalten. Die Plätze<lb/> wies Graf Herbert an. Graf Stolberg war zu mir besonders freundlich. An¬<lb/> wesend waren alle Botschafter, deren Doyen jetzt Lord Odo Rüssel ist. Er brachte<lb/> den Toast auf den Kaiser aus: kurz, geschäftlich, ohne Pathos und Verve, in fran¬<lb/> zösischer Sprache. Der Fürst antwortete französisch ebenso kurz, indem er die<lb/> Gesundheit as tous Iss gouverains se <te Wu8 los FouvöriiöMvnts, qui 8vnd ro<lb/> xrösgMs zu trinken ersuchte oder trank. In unsrer Nähe saß der chinesische<lb/> Geschäftsträger. Sehr klug sah er nicht aus, sprach aber doch schon einige Worte<lb/> deutsch. Graf Wilhelm Bismarck, der recht unverfroren englisch sprach, trank ihm<lb/> drei Ganze vor und suchte ihm die Pflicht des Nachtrinkens begreiflich zu machen.<lb/> Sehr gut sah der neue österreichische Botschafter Graf SzechLnyi aus in seiner<lb/> schwarzen Honvedhusareuuniform. Die Verpflegung war vorzüglich, alles fürstlich<lb/> aufgezogen. Nach Tisch saß der Fürst in einem Nebenzimmer, wo Kaffee, Likör<lb/> und Zigarren gereicht wurden, mit den Botschaftern um einen Tisch und rauchte<lb/> seine lange Pfeife. Natürlich war auch Tiras da. Um acht Uhr war ich zuhause.<lb/> Ich hatte doch einmal bei Bismarck gegessen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1833"> 3. April. Ich suchte Freund Boetticher im Reichstag auf. Er lud mich<lb/> ein, mit ihm und einigen Mitgliedern der Tarifkommission bei Poppenberg zu<lb/> essen. Ich traf dort die Geheimen Räte Herrmann aus München und Zenker aus<lb/> Dresden, sehr zollbeschlague Herren, ferner Geheimen Rat Rothe aus dem land¬<lb/> wirtschaftlichen Ministerium, eine alte und mir sympathische Bekanntschaft, endlich<lb/> den Syndikus der Bremer Handelskammer Dr. Barth, den Opponenten der Tarif¬<lb/> kommission, frisch, lebendig, geistvoll und schlagfertig. Das gab eine anregende<lb/> Gesellschaft. Die Herren schwelgten in Zollanspielungen. Mir liegt die Zollpolitik<lb/> fern. Boetticher teilte niir mit, daß der Direktor Michaelis aus seinem jetzigen<lb/> Amte ausscheiden und den Vorsitz in der Verwaltung des Reichsinvalidenfonds über¬<lb/> nehmen wird. Bismarck will an seine Stelle einen natürlich zollschutzsichern, wo¬<lb/> möglich süddeutschen Zöllner berufen. Boetticher hält das nicht für richtig, sondern<lb/> möchte einen zuverlässigen preußischen geschulten Etntsmann dorthin haben, in<lb/> erster Reihe Scholz aus dem Finanzministerium, den aber der Minister Hobrecht<lb/> nicht hergeben will. Eventuell, meinte Boetticher, habe er an mich gedacht. Ein<lb/> sehr unglücklicher Gedanke. Ich bin kein Etats- und Finanzmann, und Boetticher<lb/> würde damit sich und mich in die Nesseln setzen. Wenn Graf Stolberg wirklich,<lb/> Wie Homeyer meint, bald abgeht, dann würde ja wohl der Minister des Innern<lb/> zu bewegen sein, mich in eine bescheidne Stellung der Provinzialverwaltnng zu<lb/> übernehmen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1834" next="#ID_1835"> 7. April. Im Auftrage des Grafen Stolberg war ich bet dem Staatssekretär<lb/> des Reichsjustizamts öl'. Friedberg, um eine geschäftliche Angelegenheit zu besprechen.<lb/> Auffällig war mir erstens die ungewöhnliche, aber harmonische und wohltuende<lb/> Eleganz, mit der Friedbergs Arbeitszimmer in dem früher Deckerschen Hause ein¬<lb/> gerichtet ist. Zweitens die ungemeine Freundlichkeit, mit der er mich empfing und<lb/> behandelte. Drittens die weit gehende Offenheit, mit der er über Fürst Bismarck<lb/> sprach und — klagte. Stolberg, meinte er, werde gehn. Es sei unmöglich, mit<lb/> dem Fürsten Bismarck auszukommen. Keinem, der mit dem Fürsten zu tun habe,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0414]
Erinnerungen
Er seit Recht: „Ach, den Lippen entquillt Fülle des Herzens so leicht."
22. März, Kaisers Geburtstag. Ich war zum offiziellen Diner bei dem
Fürsten Bismarck geladen. Als ich um fünf Uhr in das Empfangszimmer des
Fürsten trat, begrüßte ich ihn zunächst. Dann stellte der Geheimrat Tiedemann
mich der Fürstin, der Gräfin Rantzau, deren Mann und dem Grafen Bill Bis¬
marck vor. Ich saß bei Tisch zwischen dem Grafen Rantzau und einem amerika¬
nischen Legationssekretär. Mit diesem habe ich nur einige französische Worte ge¬
wechselt, mit dem Grafen Rantzau mich aber recht gut unterhalten. Die Plätze
wies Graf Herbert an. Graf Stolberg war zu mir besonders freundlich. An¬
wesend waren alle Botschafter, deren Doyen jetzt Lord Odo Rüssel ist. Er brachte
den Toast auf den Kaiser aus: kurz, geschäftlich, ohne Pathos und Verve, in fran¬
zösischer Sprache. Der Fürst antwortete französisch ebenso kurz, indem er die
Gesundheit as tous Iss gouverains se <te Wu8 los FouvöriiöMvnts, qui 8vnd ro
xrösgMs zu trinken ersuchte oder trank. In unsrer Nähe saß der chinesische
Geschäftsträger. Sehr klug sah er nicht aus, sprach aber doch schon einige Worte
deutsch. Graf Wilhelm Bismarck, der recht unverfroren englisch sprach, trank ihm
drei Ganze vor und suchte ihm die Pflicht des Nachtrinkens begreiflich zu machen.
Sehr gut sah der neue österreichische Botschafter Graf SzechLnyi aus in seiner
schwarzen Honvedhusareuuniform. Die Verpflegung war vorzüglich, alles fürstlich
aufgezogen. Nach Tisch saß der Fürst in einem Nebenzimmer, wo Kaffee, Likör
und Zigarren gereicht wurden, mit den Botschaftern um einen Tisch und rauchte
seine lange Pfeife. Natürlich war auch Tiras da. Um acht Uhr war ich zuhause.
Ich hatte doch einmal bei Bismarck gegessen.
3. April. Ich suchte Freund Boetticher im Reichstag auf. Er lud mich
ein, mit ihm und einigen Mitgliedern der Tarifkommission bei Poppenberg zu
essen. Ich traf dort die Geheimen Räte Herrmann aus München und Zenker aus
Dresden, sehr zollbeschlague Herren, ferner Geheimen Rat Rothe aus dem land¬
wirtschaftlichen Ministerium, eine alte und mir sympathische Bekanntschaft, endlich
den Syndikus der Bremer Handelskammer Dr. Barth, den Opponenten der Tarif¬
kommission, frisch, lebendig, geistvoll und schlagfertig. Das gab eine anregende
Gesellschaft. Die Herren schwelgten in Zollanspielungen. Mir liegt die Zollpolitik
fern. Boetticher teilte niir mit, daß der Direktor Michaelis aus seinem jetzigen
Amte ausscheiden und den Vorsitz in der Verwaltung des Reichsinvalidenfonds über¬
nehmen wird. Bismarck will an seine Stelle einen natürlich zollschutzsichern, wo¬
möglich süddeutschen Zöllner berufen. Boetticher hält das nicht für richtig, sondern
möchte einen zuverlässigen preußischen geschulten Etntsmann dorthin haben, in
erster Reihe Scholz aus dem Finanzministerium, den aber der Minister Hobrecht
nicht hergeben will. Eventuell, meinte Boetticher, habe er an mich gedacht. Ein
sehr unglücklicher Gedanke. Ich bin kein Etats- und Finanzmann, und Boetticher
würde damit sich und mich in die Nesseln setzen. Wenn Graf Stolberg wirklich,
Wie Homeyer meint, bald abgeht, dann würde ja wohl der Minister des Innern
zu bewegen sein, mich in eine bescheidne Stellung der Provinzialverwaltnng zu
übernehmen.
7. April. Im Auftrage des Grafen Stolberg war ich bet dem Staatssekretär
des Reichsjustizamts öl'. Friedberg, um eine geschäftliche Angelegenheit zu besprechen.
Auffällig war mir erstens die ungewöhnliche, aber harmonische und wohltuende
Eleganz, mit der Friedbergs Arbeitszimmer in dem früher Deckerschen Hause ein¬
gerichtet ist. Zweitens die ungemeine Freundlichkeit, mit der er mich empfing und
behandelte. Drittens die weit gehende Offenheit, mit der er über Fürst Bismarck
sprach und — klagte. Stolberg, meinte er, werde gehn. Es sei unmöglich, mit
dem Fürsten Bismarck auszukommen. Keinem, der mit dem Fürsten zu tun habe,
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