Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.Erinnerungen technischen Kollegen, den Geheimen Räten Dr. Bonitz, Dr. Ständer und Dr. Gcmdtner, In meine Amtsgeschäfte lebte ich mich leicht und freudig ein, obwohl meine Erinnerungen technischen Kollegen, den Geheimen Räten Dr. Bonitz, Dr. Ständer und Dr. Gcmdtner, In meine Amtsgeschäfte lebte ich mich leicht und freudig ein, obwohl meine <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0040" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/293659"/> <fw type="header" place="top"> Erinnerungen</fw><lb/> <p xml:id="ID_105" prev="#ID_104"> technischen Kollegen, den Geheimen Räten Dr. Bonitz, Dr. Ständer und Dr. Gcmdtner,<lb/> mit denen ich ohne jeden Zwischenfall immer in der freundschaftlichsten Weise ver¬<lb/> kehrt habe. Unsre Arbeitszimmer im Ministerium lagen dicht beieinander. Be¬<lb/> durfte ich einer Auskunft über schultechnische Fragen, so ging ich zu ihnen, und<lb/> hatten sie mich in juristischen oder administrativen Dingen nötig, so kamen sie zu<lb/> mir herüber, und so wurden alle Zweifel in zwangloser und freundschaftlicher Be¬<lb/> sprechung bei einer Zigarre zu allseitiger Befriedigung gelöst. Ich denke mit<lb/> dankbarer Freude an diesen kollegialischer Verkehr zurück. Ständer war Katholik,<lb/> ein kluger und gewandter Mann, der damals bei den Etatsberatungen im Land¬<lb/> tage ziemlich scharf für die Tendenzen der Falkschen Schulpolitik eintrat und des¬<lb/> halb dem Zentrum eine Zeit lang für einigermaßen suspekt galt. Gardener<lb/> stammte aus Wiese, dem Geburtsort Leopolds von Ranke. Über die Verhältnisse<lb/> in Wiese und dessen Umgebungen war ich von Roßla aus ziemlich genau unter¬<lb/> richtet, und daraus erwuchs zwischen Gardener und mir eine Art heimatlicher<lb/> Vertraulichkeit und Gemütlichkeit. Bonitz überragte beide an Gelehrsamkeit und<lb/> geistiger Bedeutung. Er war früher Professor an der Universität Wien und<lb/> mehrere Jahre lang im österreichischen Unterrichtsministerium beschäftigt gewesen<lb/> und hatte die österreichischen höhern Schulen mit anerkannten Geschick selbständig<lb/> so reorganisiert, wie sie im wesentlichen noch heute bestehn. Von Wien aus war<lb/> er wieder in den preußischen Schuldienst zurückgekehrt und Direktor des Gym¬<lb/> nasiums zum Grauen Kloster in Berlin geworden. Aus dieser Stellung gewann<lb/> ihn Falk zum Nachfolger des in den Ruhestand tretenden Geheimen Oberregierungs¬<lb/> rats Dr. Wiese, und man knüpfte, da Bonitz auf politischem wie kirchlichem Ge¬<lb/> biete liberalem Anschauungen huldigte, an seine Berufung in die preußische höhere<lb/> Unterrichtsverwaltung sehr weitgehende Hoffnungen auf eine tiefgreifende Umge-<lb/> staltung unsers gesamten höhern Schulwesens. Diese Hoffnungen haben sich nicht<lb/> erfüllt. Bonitz war ein Gelehrter, vielleicht seinerzeit der gediegenste Kenner des<lb/> Plato und Aristoteles, ein ungemein fein und vielseitig gebildeter Mann, klug und<lb/> geistvoll, aber nicht gerade hervorragend in der Erledigung von Verwaltungs-<lb/> geschäften. Er kam langsam und schwer zu dem Entschlüsse einer einschneidenden<lb/> Anordnung, und seine Verfügungen litten durch das Bestreben, recht deutlich zu sein<lb/> und alle Mißverständnisse auszuschließen, nicht selten an einer unpraktischen, allzu<lb/> wortreichen Breite. Immerhin war er damals noch frisch, ardens- und taten¬<lb/> lustig, ein anregender und liebenswürdiger Kollege. Dienstreisen in seiner Gesell¬<lb/> schaft waren in hohem Grade genußreich. Ich habe ihn Gymncisialklasseu revi¬<lb/> dieren sehen, wobei er Schüler und Lehrer meisterhaft zu fesseln und mit wahrhaft<lb/> attischer Grazie die reichen Schätze seines Wissens praktisch zu verwerten wußte.<lb/> Wir haben uns auf solchen gemeinsamen Dienstreisen wiederholt auch über unsre<lb/> verschiedne Stellung zu den großen religiösen Lebensfragen ausgesprochen, und es<lb/> stellte sich dabei heraus, daß ich im Gegensatz zu ihm ganz auf dem Staudpunkte<lb/> seines Amtsvorgängers Wiese stand, dem er im übrigen volle Gerechtigkeit wider¬<lb/> fahren ließ. Aber niemals haben unsre Dispute bei aller Entschiedenheit des kirch¬<lb/> lichen Gegensatzes unserm kollegialischer Einvernehmen und gegenseitigen Vertrauen<lb/> Eintrag getan. Ein warmer Idealismus, der uus beide beseelte, glich die Gegen¬<lb/> sätze immer wieder freundlich aus.</p><lb/> <p xml:id="ID_106" next="#ID_107"> In meine Amtsgeschäfte lebte ich mich leicht und freudig ein, obwohl meine<lb/> Lage in den ersten Monaten dadurch bedeutend erschwert wurde, daß ich viermal<lb/> in der Woche an den unter dem Vorsitz des Ministers abgehaltnen Konferenzen zur<lb/> Vorberntung eines allgemeinen Unterrichtsgesetzes teilzunehmen hatte. Der Minister<lb/> hatte einen Entwurf für dieses umfassende Gesetzgebuugswerk aufstellen lassen, der<lb/> uns metallographiert zugestellt und in jenen Konferenzen Paragraph für Paragraph<lb/> durchberaten wurde. Der Minister hatte die Absicht, zur Ausführung des Artikels 26<lb/> der Verfassungsurkunde ein Gesetz im Landtage vorzulegen, das das ganze<lb/> Unterrichtswesen, also die Universitäten, die technischen Hochschulnustalten, die Gym-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0040]
Erinnerungen
technischen Kollegen, den Geheimen Räten Dr. Bonitz, Dr. Ständer und Dr. Gcmdtner,
mit denen ich ohne jeden Zwischenfall immer in der freundschaftlichsten Weise ver¬
kehrt habe. Unsre Arbeitszimmer im Ministerium lagen dicht beieinander. Be¬
durfte ich einer Auskunft über schultechnische Fragen, so ging ich zu ihnen, und
hatten sie mich in juristischen oder administrativen Dingen nötig, so kamen sie zu
mir herüber, und so wurden alle Zweifel in zwangloser und freundschaftlicher Be¬
sprechung bei einer Zigarre zu allseitiger Befriedigung gelöst. Ich denke mit
dankbarer Freude an diesen kollegialischer Verkehr zurück. Ständer war Katholik,
ein kluger und gewandter Mann, der damals bei den Etatsberatungen im Land¬
tage ziemlich scharf für die Tendenzen der Falkschen Schulpolitik eintrat und des¬
halb dem Zentrum eine Zeit lang für einigermaßen suspekt galt. Gardener
stammte aus Wiese, dem Geburtsort Leopolds von Ranke. Über die Verhältnisse
in Wiese und dessen Umgebungen war ich von Roßla aus ziemlich genau unter¬
richtet, und daraus erwuchs zwischen Gardener und mir eine Art heimatlicher
Vertraulichkeit und Gemütlichkeit. Bonitz überragte beide an Gelehrsamkeit und
geistiger Bedeutung. Er war früher Professor an der Universität Wien und
mehrere Jahre lang im österreichischen Unterrichtsministerium beschäftigt gewesen
und hatte die österreichischen höhern Schulen mit anerkannten Geschick selbständig
so reorganisiert, wie sie im wesentlichen noch heute bestehn. Von Wien aus war
er wieder in den preußischen Schuldienst zurückgekehrt und Direktor des Gym¬
nasiums zum Grauen Kloster in Berlin geworden. Aus dieser Stellung gewann
ihn Falk zum Nachfolger des in den Ruhestand tretenden Geheimen Oberregierungs¬
rats Dr. Wiese, und man knüpfte, da Bonitz auf politischem wie kirchlichem Ge¬
biete liberalem Anschauungen huldigte, an seine Berufung in die preußische höhere
Unterrichtsverwaltung sehr weitgehende Hoffnungen auf eine tiefgreifende Umge-
staltung unsers gesamten höhern Schulwesens. Diese Hoffnungen haben sich nicht
erfüllt. Bonitz war ein Gelehrter, vielleicht seinerzeit der gediegenste Kenner des
Plato und Aristoteles, ein ungemein fein und vielseitig gebildeter Mann, klug und
geistvoll, aber nicht gerade hervorragend in der Erledigung von Verwaltungs-
geschäften. Er kam langsam und schwer zu dem Entschlüsse einer einschneidenden
Anordnung, und seine Verfügungen litten durch das Bestreben, recht deutlich zu sein
und alle Mißverständnisse auszuschließen, nicht selten an einer unpraktischen, allzu
wortreichen Breite. Immerhin war er damals noch frisch, ardens- und taten¬
lustig, ein anregender und liebenswürdiger Kollege. Dienstreisen in seiner Gesell¬
schaft waren in hohem Grade genußreich. Ich habe ihn Gymncisialklasseu revi¬
dieren sehen, wobei er Schüler und Lehrer meisterhaft zu fesseln und mit wahrhaft
attischer Grazie die reichen Schätze seines Wissens praktisch zu verwerten wußte.
Wir haben uns auf solchen gemeinsamen Dienstreisen wiederholt auch über unsre
verschiedne Stellung zu den großen religiösen Lebensfragen ausgesprochen, und es
stellte sich dabei heraus, daß ich im Gegensatz zu ihm ganz auf dem Staudpunkte
seines Amtsvorgängers Wiese stand, dem er im übrigen volle Gerechtigkeit wider¬
fahren ließ. Aber niemals haben unsre Dispute bei aller Entschiedenheit des kirch¬
lichen Gegensatzes unserm kollegialischer Einvernehmen und gegenseitigen Vertrauen
Eintrag getan. Ein warmer Idealismus, der uus beide beseelte, glich die Gegen¬
sätze immer wieder freundlich aus.
In meine Amtsgeschäfte lebte ich mich leicht und freudig ein, obwohl meine
Lage in den ersten Monaten dadurch bedeutend erschwert wurde, daß ich viermal
in der Woche an den unter dem Vorsitz des Ministers abgehaltnen Konferenzen zur
Vorberntung eines allgemeinen Unterrichtsgesetzes teilzunehmen hatte. Der Minister
hatte einen Entwurf für dieses umfassende Gesetzgebuugswerk aufstellen lassen, der
uns metallographiert zugestellt und in jenen Konferenzen Paragraph für Paragraph
durchberaten wurde. Der Minister hatte die Absicht, zur Ausführung des Artikels 26
der Verfassungsurkunde ein Gesetz im Landtage vorzulegen, das das ganze
Unterrichtswesen, also die Universitäten, die technischen Hochschulnustalten, die Gym-
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