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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Erinnerungen

uasien. Realschulen, Mittel- und Volksschulen sowie das Privatschulwesen regeln
sollte, eine wahre Ricsenanfgabc, deren Vorbereitung alle Kräfte der beiden Untcrrichts-
abteilungen bis zur Erschöpfung in Anspruch nahm. Soweit es sich in den Kon¬
ferenzen um die höhern und die Privntschulcn handelte, hatte ich ein ausführliches
Protokoll über die Verhandlungen zu führen und nach Maßgabe der gefaßten Be¬
schlusse und der von dem Minister getroffnen Entscheidungen die einzelnen Para¬
graphen zu formulieren. Die Konferenzen dauerten von zehn Uhr Vormittags bis
zwei Uhr Mittags, auch wohl noch länger, und das Protokoll mit den dazu ge¬
hörigen Formulierungen sollte, wenn irgend möglich, jedesmal am folgenden Vor¬
mittage in der Hemd des Uutcrstaatssekretärs sein. Dadurch wurde meine ganze
Zeit und Arbeitskraft in Anspruch genommen. Ich erledigte nach den Konferenzen
die allerdringendsten Geschäfte meines Referats auf dem Ministerium, ging dann
zu Tisch, und unmittelbar nach Tisch setzte ich mich zuhause an den Arbeitstisch und
arbeitete mein Protokoll und die dazu gehörigen Formulierungen sorgfältig aus.
Das dauerte regelmäßig bis tief in die Nacht hinein, und nicht selten hatte ich,
wenn diese Arbeit getan war, noch einige größere Sachen aus meinem Referat
ZU erledigen, sodaß ich nie vor ein Uhr. oft nicht vor zwei Uhr ins Bett kam.
Aber ich war jung und gesund und hatte lebendiges Interesse an der Arbeit,
sodaß ich immer rechtzeitig fertig wurde. Ich fühlte aber doch schließlich, daß dieses
Übermaß intensiver Arbeit mich mehr anstrengte, als für mein körperliches Befinden
gut war. Im Frühjahr hörten dann diese Konferenzen vorläufig auf. Sie siud
mir sehr nützlich gewesen, und ich habe die geistige Kraft des Ministers angestaunt,
der mit dem Unterstaatssekretär die Diskussion vollständig beherrschte und sie, ob¬
wohl nichts über das Knie gebrochen wurde, doch so geschickt zu leiten wußte, daß
die Arbeit glatt und schnell voranschritt und, soviel ich mich entsinne, auch noch im
Laufe des Winters insoweit zum Abschluß kam, daß ein vollständig formulierter
borläufiger Entwurf gedruckt werden konnte.

Gegen Ende Oktober sagte mir der Unterstaatssekretär, ich könne unbedenklich
meine Familie nach Berlin kommen lassen. Das war mir außerordentlich erwünscht.
Nicht nur. weil niir das einsame Strohwitwerleben auf die Dauer wenig behagte,
sondern auch ans finanziellen Gründen. Der doppelte Haushalt in Hannover und
w Berlin war für meine Mittel zu kostspielig. Wir mieteten eine unsern Verhält¬
nissen angemessene freundliche Wohnung am Lützowplatz, und ich durfte nunmehr
mit Sicherheit annehmen, daß der Minister mich zu behalten und im Ministerium
fest anzustellen entschlossen sei. In der Tat wurde ich am 23. Dezember zum Ge¬
heimen Regierungs- und Vortragenden Rat im Kultusministerium ernannt. Tags
darauf, am Weihnachtsheiligabeud, durfte ich die vom Könige vollzogn" Bestallung
meiner Frau unter den Christbaum legen. Dankbar feierten wir mit unsern fünf
gedeihlich heranwachsenden Kindern fröhliche Weihnachten. Erst jetzt fühlten wir
uns dauernd an Berlin gebunden.

Auch das gesellige Leben gestaltete sich befriedigend. Mit meinen- Kollegen
Barkhausen und seiner Familie verband uns ein reger, zwangloser, freundschaftlicher
Verkehr. Die Räte des Ministeriums luden sich und ihre Damen jährlich einmal
gegenseitig ein. Bei den wohlhabenden erfolgte die Einladung zum Mittagessen,
bei den weniger gut gestellten zum Tee und Abendbrot. Sehr viel kam bei
diesen Gesellschaften, an denen auch der Unterstaatssekretär und die Direktoren teil¬
nahmen, nicht heraus, und für manche Familien waren sie immerhin eine etwas
kostspielige konventionelle Last. Aber entbehren mochten wir sie nicht. Sie waren
der Ausdruck eines gewissen Zusammenhaltens, und zuweilen gewährten sie doch
"und nicht geringen geistigen Genuß. So lernte ich bei Bonitz. der Mitglied der
Akademie der Wissenschaften war. einzelne Koryphäen der Berliner Gelehrtenwelt
^unen. u. a. Mommsen und den Philosophen Zeller, in einem andern Hause den
Mir höchst sympathischen Historiker Heinrich V. Treitschke und andre Professoren,
jedenfalls empfanden wir es als einen Vorzug, daß wir in einer gesellschaftlichen


Grenzboten H 1904 V
Erinnerungen

uasien. Realschulen, Mittel- und Volksschulen sowie das Privatschulwesen regeln
sollte, eine wahre Ricsenanfgabc, deren Vorbereitung alle Kräfte der beiden Untcrrichts-
abteilungen bis zur Erschöpfung in Anspruch nahm. Soweit es sich in den Kon¬
ferenzen um die höhern und die Privntschulcn handelte, hatte ich ein ausführliches
Protokoll über die Verhandlungen zu führen und nach Maßgabe der gefaßten Be¬
schlusse und der von dem Minister getroffnen Entscheidungen die einzelnen Para¬
graphen zu formulieren. Die Konferenzen dauerten von zehn Uhr Vormittags bis
zwei Uhr Mittags, auch wohl noch länger, und das Protokoll mit den dazu ge¬
hörigen Formulierungen sollte, wenn irgend möglich, jedesmal am folgenden Vor¬
mittage in der Hemd des Uutcrstaatssekretärs sein. Dadurch wurde meine ganze
Zeit und Arbeitskraft in Anspruch genommen. Ich erledigte nach den Konferenzen
die allerdringendsten Geschäfte meines Referats auf dem Ministerium, ging dann
zu Tisch, und unmittelbar nach Tisch setzte ich mich zuhause an den Arbeitstisch und
arbeitete mein Protokoll und die dazu gehörigen Formulierungen sorgfältig aus.
Das dauerte regelmäßig bis tief in die Nacht hinein, und nicht selten hatte ich,
wenn diese Arbeit getan war, noch einige größere Sachen aus meinem Referat
ZU erledigen, sodaß ich nie vor ein Uhr. oft nicht vor zwei Uhr ins Bett kam.
Aber ich war jung und gesund und hatte lebendiges Interesse an der Arbeit,
sodaß ich immer rechtzeitig fertig wurde. Ich fühlte aber doch schließlich, daß dieses
Übermaß intensiver Arbeit mich mehr anstrengte, als für mein körperliches Befinden
gut war. Im Frühjahr hörten dann diese Konferenzen vorläufig auf. Sie siud
mir sehr nützlich gewesen, und ich habe die geistige Kraft des Ministers angestaunt,
der mit dem Unterstaatssekretär die Diskussion vollständig beherrschte und sie, ob¬
wohl nichts über das Knie gebrochen wurde, doch so geschickt zu leiten wußte, daß
die Arbeit glatt und schnell voranschritt und, soviel ich mich entsinne, auch noch im
Laufe des Winters insoweit zum Abschluß kam, daß ein vollständig formulierter
borläufiger Entwurf gedruckt werden konnte.

Gegen Ende Oktober sagte mir der Unterstaatssekretär, ich könne unbedenklich
meine Familie nach Berlin kommen lassen. Das war mir außerordentlich erwünscht.
Nicht nur. weil niir das einsame Strohwitwerleben auf die Dauer wenig behagte,
sondern auch ans finanziellen Gründen. Der doppelte Haushalt in Hannover und
w Berlin war für meine Mittel zu kostspielig. Wir mieteten eine unsern Verhält¬
nissen angemessene freundliche Wohnung am Lützowplatz, und ich durfte nunmehr
mit Sicherheit annehmen, daß der Minister mich zu behalten und im Ministerium
fest anzustellen entschlossen sei. In der Tat wurde ich am 23. Dezember zum Ge¬
heimen Regierungs- und Vortragenden Rat im Kultusministerium ernannt. Tags
darauf, am Weihnachtsheiligabeud, durfte ich die vom Könige vollzogn« Bestallung
meiner Frau unter den Christbaum legen. Dankbar feierten wir mit unsern fünf
gedeihlich heranwachsenden Kindern fröhliche Weihnachten. Erst jetzt fühlten wir
uns dauernd an Berlin gebunden.

Auch das gesellige Leben gestaltete sich befriedigend. Mit meinen- Kollegen
Barkhausen und seiner Familie verband uns ein reger, zwangloser, freundschaftlicher
Verkehr. Die Räte des Ministeriums luden sich und ihre Damen jährlich einmal
gegenseitig ein. Bei den wohlhabenden erfolgte die Einladung zum Mittagessen,
bei den weniger gut gestellten zum Tee und Abendbrot. Sehr viel kam bei
diesen Gesellschaften, an denen auch der Unterstaatssekretär und die Direktoren teil¬
nahmen, nicht heraus, und für manche Familien waren sie immerhin eine etwas
kostspielige konventionelle Last. Aber entbehren mochten wir sie nicht. Sie waren
der Ausdruck eines gewissen Zusammenhaltens, und zuweilen gewährten sie doch
"und nicht geringen geistigen Genuß. So lernte ich bei Bonitz. der Mitglied der
Akademie der Wissenschaften war. einzelne Koryphäen der Berliner Gelehrtenwelt
^unen. u. a. Mommsen und den Philosophen Zeller, in einem andern Hause den
Mir höchst sympathischen Historiker Heinrich V. Treitschke und andre Professoren,
jedenfalls empfanden wir es als einen Vorzug, daß wir in einer gesellschaftlichen


Grenzboten H 1904 V
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[0041] Erinnerungen uasien. Realschulen, Mittel- und Volksschulen sowie das Privatschulwesen regeln sollte, eine wahre Ricsenanfgabc, deren Vorbereitung alle Kräfte der beiden Untcrrichts- abteilungen bis zur Erschöpfung in Anspruch nahm. Soweit es sich in den Kon¬ ferenzen um die höhern und die Privntschulcn handelte, hatte ich ein ausführliches Protokoll über die Verhandlungen zu führen und nach Maßgabe der gefaßten Be¬ schlusse und der von dem Minister getroffnen Entscheidungen die einzelnen Para¬ graphen zu formulieren. Die Konferenzen dauerten von zehn Uhr Vormittags bis zwei Uhr Mittags, auch wohl noch länger, und das Protokoll mit den dazu ge¬ hörigen Formulierungen sollte, wenn irgend möglich, jedesmal am folgenden Vor¬ mittage in der Hemd des Uutcrstaatssekretärs sein. Dadurch wurde meine ganze Zeit und Arbeitskraft in Anspruch genommen. Ich erledigte nach den Konferenzen die allerdringendsten Geschäfte meines Referats auf dem Ministerium, ging dann zu Tisch, und unmittelbar nach Tisch setzte ich mich zuhause an den Arbeitstisch und arbeitete mein Protokoll und die dazu gehörigen Formulierungen sorgfältig aus. Das dauerte regelmäßig bis tief in die Nacht hinein, und nicht selten hatte ich, wenn diese Arbeit getan war, noch einige größere Sachen aus meinem Referat ZU erledigen, sodaß ich nie vor ein Uhr. oft nicht vor zwei Uhr ins Bett kam. Aber ich war jung und gesund und hatte lebendiges Interesse an der Arbeit, sodaß ich immer rechtzeitig fertig wurde. Ich fühlte aber doch schließlich, daß dieses Übermaß intensiver Arbeit mich mehr anstrengte, als für mein körperliches Befinden gut war. Im Frühjahr hörten dann diese Konferenzen vorläufig auf. Sie siud mir sehr nützlich gewesen, und ich habe die geistige Kraft des Ministers angestaunt, der mit dem Unterstaatssekretär die Diskussion vollständig beherrschte und sie, ob¬ wohl nichts über das Knie gebrochen wurde, doch so geschickt zu leiten wußte, daß die Arbeit glatt und schnell voranschritt und, soviel ich mich entsinne, auch noch im Laufe des Winters insoweit zum Abschluß kam, daß ein vollständig formulierter borläufiger Entwurf gedruckt werden konnte. Gegen Ende Oktober sagte mir der Unterstaatssekretär, ich könne unbedenklich meine Familie nach Berlin kommen lassen. Das war mir außerordentlich erwünscht. Nicht nur. weil niir das einsame Strohwitwerleben auf die Dauer wenig behagte, sondern auch ans finanziellen Gründen. Der doppelte Haushalt in Hannover und w Berlin war für meine Mittel zu kostspielig. Wir mieteten eine unsern Verhält¬ nissen angemessene freundliche Wohnung am Lützowplatz, und ich durfte nunmehr mit Sicherheit annehmen, daß der Minister mich zu behalten und im Ministerium fest anzustellen entschlossen sei. In der Tat wurde ich am 23. Dezember zum Ge¬ heimen Regierungs- und Vortragenden Rat im Kultusministerium ernannt. Tags darauf, am Weihnachtsheiligabeud, durfte ich die vom Könige vollzogn« Bestallung meiner Frau unter den Christbaum legen. Dankbar feierten wir mit unsern fünf gedeihlich heranwachsenden Kindern fröhliche Weihnachten. Erst jetzt fühlten wir uns dauernd an Berlin gebunden. Auch das gesellige Leben gestaltete sich befriedigend. Mit meinen- Kollegen Barkhausen und seiner Familie verband uns ein reger, zwangloser, freundschaftlicher Verkehr. Die Räte des Ministeriums luden sich und ihre Damen jährlich einmal gegenseitig ein. Bei den wohlhabenden erfolgte die Einladung zum Mittagessen, bei den weniger gut gestellten zum Tee und Abendbrot. Sehr viel kam bei diesen Gesellschaften, an denen auch der Unterstaatssekretär und die Direktoren teil¬ nahmen, nicht heraus, und für manche Familien waren sie immerhin eine etwas kostspielige konventionelle Last. Aber entbehren mochten wir sie nicht. Sie waren der Ausdruck eines gewissen Zusammenhaltens, und zuweilen gewährten sie doch "und nicht geringen geistigen Genuß. So lernte ich bei Bonitz. der Mitglied der Akademie der Wissenschaften war. einzelne Koryphäen der Berliner Gelehrtenwelt ^unen. u. a. Mommsen und den Philosophen Zeller, in einem andern Hause den Mir höchst sympathischen Historiker Heinrich V. Treitschke und andre Professoren, jedenfalls empfanden wir es als einen Vorzug, daß wir in einer gesellschaftlichen Grenzboten H 1904 V

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/41>, abgerufen am 04.07.2024.