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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Italien und Frankreich

letzten Stoß gab die französische Okkupation von Tunis im Mai 1881, ans
das Italien nach der Kolonisationstätigkcit seiner Auswandrer und der geo¬
graphischen Lage jedenfalls bessere Ansprüche hatte als Frankreich, und bei
der Erneuerung des österreichisch-deutschen Bündnisses am 2. Januar 1883
trat Italien ihm förmlich bei. Der mitteleuropäische Dreibund war fertig,
und er ist, zuletzt noch 1903 erneuert, die feste Grundlage der auswärtigen
Politik aller drei Staaten geblieben. Zugleich trat Italien mit England, das
seit der Besetzung Ägyptens 1882 in scharfe Spannung mit Frankreich ge¬
raten war, in ein näheres Verhältnis, um das Gleichgewicht im Mittelmeere
zu behaupten und seine langgestreckten Küsten gegen einen etwaigen Angriff
Frankreichs zu sichern. Papst Leo der Dreizehnte aber, dessen ganze Politik
auf die Wiederherstellung des Kirchenstaats gerichtet war, sah in Frankreich
seinen Bundesgenossen und erkannte deshalb schließlich, die alten Beziehungen
zu den dortigen monarchischen Parteien aufgebend, die Republik geradezu an,
die ja auch die Schutzherrschaft über die katholischen Stiftungen im Orient
eifersüchtig aufrecht zu erhalten strebte.

Daß diese wenig verhüllte Feindseligkeit Frankreichs, die unter Umständen
sogar die römische Frage wieder aufzurollen drohte, für Italien sehr unbequem
war, und daß ihm dagegen der Dreibund nichts half, sollte nicht verkannt
werden. Deshalb begann mit dem französischen Handelsvertrage von 1898
eine dritte Periode, eine Annäherung an Frankreich, dessen Kultur und Sprache
den Italienern wie allen romanischen Nationen nun einmal am nächsten stehen.
Der Flottenbesuch in Toulon, die Neise des jungen italienischen Königspaars
nach Paris und der Schiedsgerichtsvertrag 1903 setzten das Verhältnis fort,
der Besuch Loubets in Rom im April 1904 hat es besiegelt. Die französische
Presse feierte enthusiastisch diese Wiederherstellung des Einvernehmens zwischen
den beiden "Schwesternationcn" und die italienische auch; aber die offiziellen
Trinksprüche, die der König und der Präsident am 26. April im Quirinal nach
der Parade miteinander wechselten, klangen merkwürdig reserviert und begnügten
sich beide damit, das Heer jedes der beiden Mächte als eine Bürgschaft des
Friedens zu feiern. Kein Wunder, denn es konnte dem Präsidenten Lonbet
nicht unbekannt sein, daß die extremen italienischen Parteien, Republikaner und
Sozialisten, seine Anwesenheit zu Demonstrationen gegen den Dreibund und
seine monarchischen Institutionen benutzen wollten, und so vermied er taktvoll
jede Anspielung, die dazu hätte mißbraucht werden können.

Was also ist nun die Bedeutung dieses "Einverständnisses" (intssa)?
Zuuüchst und vor allem dies, daß Loubet als das erste katholische Staats¬
oberhaupt Rom besuchte, und zwar besuchte, ohne zugleich im Vatikan zu er¬
scheinen, also den Papst ignorierte. Das besiegelt allerdings die völlige Ab<
Wendung der französischen Politik von der alten Verbindung mit der Kurie
und kann als ein Erfolg der italienischen Politik erscheinen; ja es eröffnet
vielleicht mich für katholische Fürsten die Bahn zu einem Besuch im Quirinal,
da Pius der Zehnte zwar gegen diese "Kränkung" der Kirche protestiert, aber
die diplomatischen Beziehungen zu Frankreich keineswegs abgebrochen hat, und
der Protest sich doch wohl vor allem gegen die Ignorierung des Vatikans


Italien und Frankreich

letzten Stoß gab die französische Okkupation von Tunis im Mai 1881, ans
das Italien nach der Kolonisationstätigkcit seiner Auswandrer und der geo¬
graphischen Lage jedenfalls bessere Ansprüche hatte als Frankreich, und bei
der Erneuerung des österreichisch-deutschen Bündnisses am 2. Januar 1883
trat Italien ihm förmlich bei. Der mitteleuropäische Dreibund war fertig,
und er ist, zuletzt noch 1903 erneuert, die feste Grundlage der auswärtigen
Politik aller drei Staaten geblieben. Zugleich trat Italien mit England, das
seit der Besetzung Ägyptens 1882 in scharfe Spannung mit Frankreich ge¬
raten war, in ein näheres Verhältnis, um das Gleichgewicht im Mittelmeere
zu behaupten und seine langgestreckten Küsten gegen einen etwaigen Angriff
Frankreichs zu sichern. Papst Leo der Dreizehnte aber, dessen ganze Politik
auf die Wiederherstellung des Kirchenstaats gerichtet war, sah in Frankreich
seinen Bundesgenossen und erkannte deshalb schließlich, die alten Beziehungen
zu den dortigen monarchischen Parteien aufgebend, die Republik geradezu an,
die ja auch die Schutzherrschaft über die katholischen Stiftungen im Orient
eifersüchtig aufrecht zu erhalten strebte.

Daß diese wenig verhüllte Feindseligkeit Frankreichs, die unter Umständen
sogar die römische Frage wieder aufzurollen drohte, für Italien sehr unbequem
war, und daß ihm dagegen der Dreibund nichts half, sollte nicht verkannt
werden. Deshalb begann mit dem französischen Handelsvertrage von 1898
eine dritte Periode, eine Annäherung an Frankreich, dessen Kultur und Sprache
den Italienern wie allen romanischen Nationen nun einmal am nächsten stehen.
Der Flottenbesuch in Toulon, die Neise des jungen italienischen Königspaars
nach Paris und der Schiedsgerichtsvertrag 1903 setzten das Verhältnis fort,
der Besuch Loubets in Rom im April 1904 hat es besiegelt. Die französische
Presse feierte enthusiastisch diese Wiederherstellung des Einvernehmens zwischen
den beiden „Schwesternationcn" und die italienische auch; aber die offiziellen
Trinksprüche, die der König und der Präsident am 26. April im Quirinal nach
der Parade miteinander wechselten, klangen merkwürdig reserviert und begnügten
sich beide damit, das Heer jedes der beiden Mächte als eine Bürgschaft des
Friedens zu feiern. Kein Wunder, denn es konnte dem Präsidenten Lonbet
nicht unbekannt sein, daß die extremen italienischen Parteien, Republikaner und
Sozialisten, seine Anwesenheit zu Demonstrationen gegen den Dreibund und
seine monarchischen Institutionen benutzen wollten, und so vermied er taktvoll
jede Anspielung, die dazu hätte mißbraucht werden können.

Was also ist nun die Bedeutung dieses „Einverständnisses" (intssa)?
Zuuüchst und vor allem dies, daß Loubet als das erste katholische Staats¬
oberhaupt Rom besuchte, und zwar besuchte, ohne zugleich im Vatikan zu er¬
scheinen, also den Papst ignorierte. Das besiegelt allerdings die völlige Ab<
Wendung der französischen Politik von der alten Verbindung mit der Kurie
und kann als ein Erfolg der italienischen Politik erscheinen; ja es eröffnet
vielleicht mich für katholische Fürsten die Bahn zu einem Besuch im Quirinal,
da Pius der Zehnte zwar gegen diese „Kränkung" der Kirche protestiert, aber
die diplomatischen Beziehungen zu Frankreich keineswegs abgebrochen hat, und
der Protest sich doch wohl vor allem gegen die Ignorierung des Vatikans


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[0375] Italien und Frankreich letzten Stoß gab die französische Okkupation von Tunis im Mai 1881, ans das Italien nach der Kolonisationstätigkcit seiner Auswandrer und der geo¬ graphischen Lage jedenfalls bessere Ansprüche hatte als Frankreich, und bei der Erneuerung des österreichisch-deutschen Bündnisses am 2. Januar 1883 trat Italien ihm förmlich bei. Der mitteleuropäische Dreibund war fertig, und er ist, zuletzt noch 1903 erneuert, die feste Grundlage der auswärtigen Politik aller drei Staaten geblieben. Zugleich trat Italien mit England, das seit der Besetzung Ägyptens 1882 in scharfe Spannung mit Frankreich ge¬ raten war, in ein näheres Verhältnis, um das Gleichgewicht im Mittelmeere zu behaupten und seine langgestreckten Küsten gegen einen etwaigen Angriff Frankreichs zu sichern. Papst Leo der Dreizehnte aber, dessen ganze Politik auf die Wiederherstellung des Kirchenstaats gerichtet war, sah in Frankreich seinen Bundesgenossen und erkannte deshalb schließlich, die alten Beziehungen zu den dortigen monarchischen Parteien aufgebend, die Republik geradezu an, die ja auch die Schutzherrschaft über die katholischen Stiftungen im Orient eifersüchtig aufrecht zu erhalten strebte. Daß diese wenig verhüllte Feindseligkeit Frankreichs, die unter Umständen sogar die römische Frage wieder aufzurollen drohte, für Italien sehr unbequem war, und daß ihm dagegen der Dreibund nichts half, sollte nicht verkannt werden. Deshalb begann mit dem französischen Handelsvertrage von 1898 eine dritte Periode, eine Annäherung an Frankreich, dessen Kultur und Sprache den Italienern wie allen romanischen Nationen nun einmal am nächsten stehen. Der Flottenbesuch in Toulon, die Neise des jungen italienischen Königspaars nach Paris und der Schiedsgerichtsvertrag 1903 setzten das Verhältnis fort, der Besuch Loubets in Rom im April 1904 hat es besiegelt. Die französische Presse feierte enthusiastisch diese Wiederherstellung des Einvernehmens zwischen den beiden „Schwesternationcn" und die italienische auch; aber die offiziellen Trinksprüche, die der König und der Präsident am 26. April im Quirinal nach der Parade miteinander wechselten, klangen merkwürdig reserviert und begnügten sich beide damit, das Heer jedes der beiden Mächte als eine Bürgschaft des Friedens zu feiern. Kein Wunder, denn es konnte dem Präsidenten Lonbet nicht unbekannt sein, daß die extremen italienischen Parteien, Republikaner und Sozialisten, seine Anwesenheit zu Demonstrationen gegen den Dreibund und seine monarchischen Institutionen benutzen wollten, und so vermied er taktvoll jede Anspielung, die dazu hätte mißbraucht werden können. Was also ist nun die Bedeutung dieses „Einverständnisses" (intssa)? Zuuüchst und vor allem dies, daß Loubet als das erste katholische Staats¬ oberhaupt Rom besuchte, und zwar besuchte, ohne zugleich im Vatikan zu er¬ scheinen, also den Papst ignorierte. Das besiegelt allerdings die völlige Ab< Wendung der französischen Politik von der alten Verbindung mit der Kurie und kann als ein Erfolg der italienischen Politik erscheinen; ja es eröffnet vielleicht mich für katholische Fürsten die Bahn zu einem Besuch im Quirinal, da Pius der Zehnte zwar gegen diese „Kränkung" der Kirche protestiert, aber die diplomatischen Beziehungen zu Frankreich keineswegs abgebrochen hat, und der Protest sich doch wohl vor allem gegen die Ignorierung des Vatikans

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/375>, abgerufen am 02.07.2024.