Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Italien und Frankreich

liehen Mittelitalicns außer Rom und des bourbonischen Süditcilicns, also die
Bildung des Königreichs Italien, die nationale Einheit der Halbinsel, hat er
weder gewünscht noch begünstigt. Denn aus Rücksicht auf die französischen
Klerikalen, deren Beistand er nicht entbehren konnte, durfte er den Papst
niemals preisgeben; wenigstens Rom und das Patrimonium Se. Petri mußten
und sollten ihm bleiben. Auf dieser Basis schloß er am 15. September 1864
die Konvention mit Italien ab, die dieses verpflichtete, das päpstliche Gebiet
nicht nur zu respektieren, sondern auch zu schützen, und seit dem Oktober 1865,
nachdem die Hauptstadt des Königreichs vertragsmäßig Florenz geworden war,
zog er seine Truppen aus der ewigen Stadt zurück. Um so enger wurde
der Anschluß Italiens an Frankreich, an dem die regierende piemontesische
Consorteria grundsätzlich festhielt. Denn mit Napoleons Hilfe glaubte sie
Venezien erwerben zu können, und darauf zielte die ganze Politik des Kaisers
im Jahre 1866.

Freilich haben schließlich die preußischen Waffen, nicht die französische
Diplomatie, den Italienern Venezien verschafft, aber die schlaffe Kriegführung
Lmnarmoras im Sommer 1866, die den preußischen Wünschen ganz und gar
zuwiderlies und nicht einmal den Abzug der österreichischen Südarmee nach
der Donau, also gegen Preußen hinderte, erklärt sich aus diesen Beziehungen.
Doch schließlich wurde Rom der Stein des Anstoßes, woran die ganze
Napoleonische Politik zerschellte. Als die schwache italienische Regierung,
zwischen ihren Verpflichtungen gegenüber Frankreich und der erregten Volks¬
stimmung unsicher hin und her schwankend, im Oktober 1867 Garibaldis Zug
gegen Rom zuließ, taten die französischen Chassepots gegen seine Rothemden
bei Mendana ihre ersten "Wunder," und aufs neue hielt eine französische
Garnison die Wacht in Rom. Das gab dem französisch-italienischen Einver¬
ständnis den ersten Riß, denn die Hoffnung der Italiener blieb auf Rom
gerichtet. Daß Napoleon nicht imstande war, ihnen Rom preiszugeben, das
und nur das verhinderte den Abschluß der französisch-italienisch-österreichischen
Koalition gegen das aufstrebende Deutschland. Kein Mensch kann sagen,
wie die Dinge im Jahre 1870 verlaufen sein würden, wenn sie zustande
gekommen wäre. Pius der Neunte ist damals der beste Bundesgenosse
Deutschlands gewesen, denn an seinem unbeugsamen Widerspruch scheiterte jede
Verständigung über Rom.

Der Sturz Napoleons, der den Italienern endlich erlaubte, Rom zu
nehmen, eröffnete eine zweite Periode in dem französisch-italienischen Ver¬
hältnis. Denn die junge französische Republik schien der baldigen Umwand¬
lung in eine klerikale bourbonische Monarchie entgegcnzugehn, und anch als
Graf Heinrich von Chambord im Oktober 1873 die ihm tatsächlich sichre Krone
abgelehnt hatte, weil er nicht ein "König der Revolution" sein wollte, blieb
die monarchisch-klerikale Richtung mächtig, bis endlich im Januar 1879 der
Marschall Mac Mahon zurücktrat. So schwenkte Italien von Frankreich ab
und näherte sich den Kaisermächtcn. Im Jahre 1873 besuchte König Viktor
Emanuel der Zweite Wien und Berlin, 1875 empfing er den Gegenbesuch des
Kaisers Franz Joseph in Venedig, des Kaisers Wilhelm in Mailand. Den


Italien und Frankreich

liehen Mittelitalicns außer Rom und des bourbonischen Süditcilicns, also die
Bildung des Königreichs Italien, die nationale Einheit der Halbinsel, hat er
weder gewünscht noch begünstigt. Denn aus Rücksicht auf die französischen
Klerikalen, deren Beistand er nicht entbehren konnte, durfte er den Papst
niemals preisgeben; wenigstens Rom und das Patrimonium Se. Petri mußten
und sollten ihm bleiben. Auf dieser Basis schloß er am 15. September 1864
die Konvention mit Italien ab, die dieses verpflichtete, das päpstliche Gebiet
nicht nur zu respektieren, sondern auch zu schützen, und seit dem Oktober 1865,
nachdem die Hauptstadt des Königreichs vertragsmäßig Florenz geworden war,
zog er seine Truppen aus der ewigen Stadt zurück. Um so enger wurde
der Anschluß Italiens an Frankreich, an dem die regierende piemontesische
Consorteria grundsätzlich festhielt. Denn mit Napoleons Hilfe glaubte sie
Venezien erwerben zu können, und darauf zielte die ganze Politik des Kaisers
im Jahre 1866.

Freilich haben schließlich die preußischen Waffen, nicht die französische
Diplomatie, den Italienern Venezien verschafft, aber die schlaffe Kriegführung
Lmnarmoras im Sommer 1866, die den preußischen Wünschen ganz und gar
zuwiderlies und nicht einmal den Abzug der österreichischen Südarmee nach
der Donau, also gegen Preußen hinderte, erklärt sich aus diesen Beziehungen.
Doch schließlich wurde Rom der Stein des Anstoßes, woran die ganze
Napoleonische Politik zerschellte. Als die schwache italienische Regierung,
zwischen ihren Verpflichtungen gegenüber Frankreich und der erregten Volks¬
stimmung unsicher hin und her schwankend, im Oktober 1867 Garibaldis Zug
gegen Rom zuließ, taten die französischen Chassepots gegen seine Rothemden
bei Mendana ihre ersten „Wunder," und aufs neue hielt eine französische
Garnison die Wacht in Rom. Das gab dem französisch-italienischen Einver¬
ständnis den ersten Riß, denn die Hoffnung der Italiener blieb auf Rom
gerichtet. Daß Napoleon nicht imstande war, ihnen Rom preiszugeben, das
und nur das verhinderte den Abschluß der französisch-italienisch-österreichischen
Koalition gegen das aufstrebende Deutschland. Kein Mensch kann sagen,
wie die Dinge im Jahre 1870 verlaufen sein würden, wenn sie zustande
gekommen wäre. Pius der Neunte ist damals der beste Bundesgenosse
Deutschlands gewesen, denn an seinem unbeugsamen Widerspruch scheiterte jede
Verständigung über Rom.

Der Sturz Napoleons, der den Italienern endlich erlaubte, Rom zu
nehmen, eröffnete eine zweite Periode in dem französisch-italienischen Ver¬
hältnis. Denn die junge französische Republik schien der baldigen Umwand¬
lung in eine klerikale bourbonische Monarchie entgegcnzugehn, und anch als
Graf Heinrich von Chambord im Oktober 1873 die ihm tatsächlich sichre Krone
abgelehnt hatte, weil er nicht ein „König der Revolution" sein wollte, blieb
die monarchisch-klerikale Richtung mächtig, bis endlich im Januar 1879 der
Marschall Mac Mahon zurücktrat. So schwenkte Italien von Frankreich ab
und näherte sich den Kaisermächtcn. Im Jahre 1873 besuchte König Viktor
Emanuel der Zweite Wien und Berlin, 1875 empfing er den Gegenbesuch des
Kaisers Franz Joseph in Venedig, des Kaisers Wilhelm in Mailand. Den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0374" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/293993"/>
          <fw type="header" place="top"> Italien und Frankreich</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1675" prev="#ID_1674"> liehen Mittelitalicns außer Rom und des bourbonischen Süditcilicns, also die<lb/>
Bildung des Königreichs Italien, die nationale Einheit der Halbinsel, hat er<lb/>
weder gewünscht noch begünstigt. Denn aus Rücksicht auf die französischen<lb/>
Klerikalen, deren Beistand er nicht entbehren konnte, durfte er den Papst<lb/>
niemals preisgeben; wenigstens Rom und das Patrimonium Se. Petri mußten<lb/>
und sollten ihm bleiben. Auf dieser Basis schloß er am 15. September 1864<lb/>
die Konvention mit Italien ab, die dieses verpflichtete, das päpstliche Gebiet<lb/>
nicht nur zu respektieren, sondern auch zu schützen, und seit dem Oktober 1865,<lb/>
nachdem die Hauptstadt des Königreichs vertragsmäßig Florenz geworden war,<lb/>
zog er seine Truppen aus der ewigen Stadt zurück. Um so enger wurde<lb/>
der Anschluß Italiens an Frankreich, an dem die regierende piemontesische<lb/>
Consorteria grundsätzlich festhielt. Denn mit Napoleons Hilfe glaubte sie<lb/>
Venezien erwerben zu können, und darauf zielte die ganze Politik des Kaisers<lb/>
im Jahre 1866.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1676"> Freilich haben schließlich die preußischen Waffen, nicht die französische<lb/>
Diplomatie, den Italienern Venezien verschafft, aber die schlaffe Kriegführung<lb/>
Lmnarmoras im Sommer 1866, die den preußischen Wünschen ganz und gar<lb/>
zuwiderlies und nicht einmal den Abzug der österreichischen Südarmee nach<lb/>
der Donau, also gegen Preußen hinderte, erklärt sich aus diesen Beziehungen.<lb/>
Doch schließlich wurde Rom der Stein des Anstoßes, woran die ganze<lb/>
Napoleonische Politik zerschellte. Als die schwache italienische Regierung,<lb/>
zwischen ihren Verpflichtungen gegenüber Frankreich und der erregten Volks¬<lb/>
stimmung unsicher hin und her schwankend, im Oktober 1867 Garibaldis Zug<lb/>
gegen Rom zuließ, taten die französischen Chassepots gegen seine Rothemden<lb/>
bei Mendana ihre ersten &#x201E;Wunder," und aufs neue hielt eine französische<lb/>
Garnison die Wacht in Rom. Das gab dem französisch-italienischen Einver¬<lb/>
ständnis den ersten Riß, denn die Hoffnung der Italiener blieb auf Rom<lb/>
gerichtet. Daß Napoleon nicht imstande war, ihnen Rom preiszugeben, das<lb/>
und nur das verhinderte den Abschluß der französisch-italienisch-österreichischen<lb/>
Koalition gegen das aufstrebende Deutschland. Kein Mensch kann sagen,<lb/>
wie die Dinge im Jahre 1870 verlaufen sein würden, wenn sie zustande<lb/>
gekommen wäre. Pius der Neunte ist damals der beste Bundesgenosse<lb/>
Deutschlands gewesen, denn an seinem unbeugsamen Widerspruch scheiterte jede<lb/>
Verständigung über Rom.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1677" next="#ID_1678"> Der Sturz Napoleons, der den Italienern endlich erlaubte, Rom zu<lb/>
nehmen, eröffnete eine zweite Periode in dem französisch-italienischen Ver¬<lb/>
hältnis. Denn die junge französische Republik schien der baldigen Umwand¬<lb/>
lung in eine klerikale bourbonische Monarchie entgegcnzugehn, und anch als<lb/>
Graf Heinrich von Chambord im Oktober 1873 die ihm tatsächlich sichre Krone<lb/>
abgelehnt hatte, weil er nicht ein &#x201E;König der Revolution" sein wollte, blieb<lb/>
die monarchisch-klerikale Richtung mächtig, bis endlich im Januar 1879 der<lb/>
Marschall Mac Mahon zurücktrat. So schwenkte Italien von Frankreich ab<lb/>
und näherte sich den Kaisermächtcn. Im Jahre 1873 besuchte König Viktor<lb/>
Emanuel der Zweite Wien und Berlin, 1875 empfing er den Gegenbesuch des<lb/>
Kaisers Franz Joseph in Venedig, des Kaisers Wilhelm in Mailand. Den</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0374] Italien und Frankreich liehen Mittelitalicns außer Rom und des bourbonischen Süditcilicns, also die Bildung des Königreichs Italien, die nationale Einheit der Halbinsel, hat er weder gewünscht noch begünstigt. Denn aus Rücksicht auf die französischen Klerikalen, deren Beistand er nicht entbehren konnte, durfte er den Papst niemals preisgeben; wenigstens Rom und das Patrimonium Se. Petri mußten und sollten ihm bleiben. Auf dieser Basis schloß er am 15. September 1864 die Konvention mit Italien ab, die dieses verpflichtete, das päpstliche Gebiet nicht nur zu respektieren, sondern auch zu schützen, und seit dem Oktober 1865, nachdem die Hauptstadt des Königreichs vertragsmäßig Florenz geworden war, zog er seine Truppen aus der ewigen Stadt zurück. Um so enger wurde der Anschluß Italiens an Frankreich, an dem die regierende piemontesische Consorteria grundsätzlich festhielt. Denn mit Napoleons Hilfe glaubte sie Venezien erwerben zu können, und darauf zielte die ganze Politik des Kaisers im Jahre 1866. Freilich haben schließlich die preußischen Waffen, nicht die französische Diplomatie, den Italienern Venezien verschafft, aber die schlaffe Kriegführung Lmnarmoras im Sommer 1866, die den preußischen Wünschen ganz und gar zuwiderlies und nicht einmal den Abzug der österreichischen Südarmee nach der Donau, also gegen Preußen hinderte, erklärt sich aus diesen Beziehungen. Doch schließlich wurde Rom der Stein des Anstoßes, woran die ganze Napoleonische Politik zerschellte. Als die schwache italienische Regierung, zwischen ihren Verpflichtungen gegenüber Frankreich und der erregten Volks¬ stimmung unsicher hin und her schwankend, im Oktober 1867 Garibaldis Zug gegen Rom zuließ, taten die französischen Chassepots gegen seine Rothemden bei Mendana ihre ersten „Wunder," und aufs neue hielt eine französische Garnison die Wacht in Rom. Das gab dem französisch-italienischen Einver¬ ständnis den ersten Riß, denn die Hoffnung der Italiener blieb auf Rom gerichtet. Daß Napoleon nicht imstande war, ihnen Rom preiszugeben, das und nur das verhinderte den Abschluß der französisch-italienisch-österreichischen Koalition gegen das aufstrebende Deutschland. Kein Mensch kann sagen, wie die Dinge im Jahre 1870 verlaufen sein würden, wenn sie zustande gekommen wäre. Pius der Neunte ist damals der beste Bundesgenosse Deutschlands gewesen, denn an seinem unbeugsamen Widerspruch scheiterte jede Verständigung über Rom. Der Sturz Napoleons, der den Italienern endlich erlaubte, Rom zu nehmen, eröffnete eine zweite Periode in dem französisch-italienischen Ver¬ hältnis. Denn die junge französische Republik schien der baldigen Umwand¬ lung in eine klerikale bourbonische Monarchie entgegcnzugehn, und anch als Graf Heinrich von Chambord im Oktober 1873 die ihm tatsächlich sichre Krone abgelehnt hatte, weil er nicht ein „König der Revolution" sein wollte, blieb die monarchisch-klerikale Richtung mächtig, bis endlich im Januar 1879 der Marschall Mac Mahon zurücktrat. So schwenkte Italien von Frankreich ab und näherte sich den Kaisermächtcn. Im Jahre 1873 besuchte König Viktor Emanuel der Zweite Wien und Berlin, 1875 empfing er den Gegenbesuch des Kaisers Franz Joseph in Venedig, des Kaisers Wilhelm in Mailand. Den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/374
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/374>, abgerufen am 30.06.2024.