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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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noch uneingerichtetes Zimmer, wo Kisten, Schränke, Möbel umherstanden. Aber
ich sah inmitten des Chaos einen jungen Europäer, der mich in fließendem Fran¬
zösisch anredete, womit mir ein wahrer Stein vom Herzen fiel. O heiliger Segen
einer weitverbreiteten Kultursprache, die du den Menschen dem Menschen gesellst!
Mit französischer Politesse nötigte er mich, auf einer der Kisten Platz zu nehmen,
und eröffnete mir dann, daß der nächste sichere Dampfer ein Russe sei, der aber
erst am andern Morgen um fünf Uhr gehe. Immerhin sei möglich, daß am
heutigen Abend noch ein kleines griechisches Frachtschiff durchkäme, doch könne ich
nicht darauf rechnen. Merkwürdigerweise war auch sofort der russische Agent zur
Stelle, ein schlauer Grieche, der mir sofort Billetts in beliebiger Anzahl zur Ver¬
fügung stellte. Das erweckte in mir Bedenken, ich sagte ihm, ich wolle lieber
erst die etwaige Ankunft des Griechen erwarten. Darauf empfahl ich mich dem
Franzosen, ließ mir von dem russischen Agenten sein Bureau zeigen -- bis sechs
Uhr werde er es für uns offen halten --, entlohnte meinen Führer und humpelte
durch die Gassen nach dem xenoäoebion ton xsnon zurück.

Hier waren die Pferde sowohl wie die Menschen verschwunden, nur unser
Gepäck lag im Hausflur aufgeschichtet. Von einem sichern Instinkt getrieben fischte
ich aus dem Häuser meine Tasche und meine gerollte Decke heraus, suchte mir
oben im zweiten Stock ein einbettiges, kleines, getünchtes Zimmer und legte meine
Sachen auf das Bett. So hatte ich mir für die Nacht auf alle Fälle eine Schlaf¬
stätte gesichert. Dann erkundigte ich mich, wo die IlM (Herren) wären. Man
wies mich in die Hauptstraße in ein Hestiatorion (Speisewirtschaft).

Dort fand ich die Genossen denn auch beim Mahle sitzend. Da ich seit
Morgen nichts gegessen hatte, und es jetzt vier Uhr sein mochte, so spürte ich
Plötzlich einen gewaltigen Hunger. Das Hestiatorion wurde von zwei alten Jungfern
gehalten. Fett und aufgeschwemmt, mit großen Brillen und ansehnlichen Bärten,
Wie solche dem orientalischen Weibe im Alter anfliegen und leicht etwas Hexen¬
artiges verleihen, standen sie hinter dem Büfett und schössen ab und zu mit einem
Besen bewaffnet hervor, um die Schuhputzjungen zu verjagen, die sich beständig
von der Straße her einschlichen und unter den Tischen meuchlings Stiefel zu
wichsen begannen. Das enge Lokal war mit brenzligem Fettdampf erfüllt, die
Tischtücher und Servietten von Saucen und Weiuslecken getigert, die Teller, die
man bekam, zeigten noch Talgreste von der letzten Hammelportion. Denn etwas
andres als Armati gab es selbstverständlich auch hier nicht, und da die Damen
auf eine solche Menge Besucher nicht eingerichtet waren, so ließen sie, als das
Reisch zur Neige ging, auch Kusche", Haut und Sehnen portionsweise anrichten.
Ich hielt mich also an den höchst sauern Salat, das Brot und deu Wein.

Nach dem Essen begann eine allgemeine Geldwechsclei. Das ist ein wichtiges
und schwieriges Geschäft in der Türkei. In der Hauptstraße stehn zahlreiche
Wechslertische halb auf der Straße, halb im Laden. Man zeigt nun einem dieser
Geldmakler einen Napoleon. Dann nennt er die Summe, die er dafür geben
will. Scheint einem die zu gering, so geht man zum nächsten, bis man ungefähr
den Kurs heraus hat. Erklärt man sich dann bereit, das Geschäft zu machen, so
sa'sie einem der Wechsler in langen Reihen alle möglichen Geldsorten auf, die mau
Zunächst natürlich nicht kennt. Man läßt sich also die Medschidsche. die Fünf-, die
Zwei- und die Eiupiasterstücke zeigen, dann das Kupfergeld und das "Metallik."
Dann addiere man die ganze Geschichte, was bei der türkischen Währung, wo
^edschidsches, Franken, Piaster und Paras durcheinander gehn, keineswegs einfach ist.
Zuletzt sieht man jedes Geldstück genau auf seine Prägung an. Denn in der
-Türkei sind abgegriffne Münzen gesetzlich uugiltig, dem Fremden werden aber
natürlich gerade mit Vorliebe diese alten Ladenhüter zugeschanzt. Man mustert
also alle verdächtigen Stücke aus und verlangt bessere, die der Händler schließlich
uach einigem Grunzen auch darreicht. Später erweist sich denn doch die eine oder
die andre Münze als ungiltig. Wir erhielten in den Dardanellen eine Menge
Kupfer- und Blechstücke, die je eine oder zwei Para gelten sollten (gleich vier bis


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noch uneingerichtetes Zimmer, wo Kisten, Schränke, Möbel umherstanden. Aber
ich sah inmitten des Chaos einen jungen Europäer, der mich in fließendem Fran¬
zösisch anredete, womit mir ein wahrer Stein vom Herzen fiel. O heiliger Segen
einer weitverbreiteten Kultursprache, die du den Menschen dem Menschen gesellst!
Mit französischer Politesse nötigte er mich, auf einer der Kisten Platz zu nehmen,
und eröffnete mir dann, daß der nächste sichere Dampfer ein Russe sei, der aber
erst am andern Morgen um fünf Uhr gehe. Immerhin sei möglich, daß am
heutigen Abend noch ein kleines griechisches Frachtschiff durchkäme, doch könne ich
nicht darauf rechnen. Merkwürdigerweise war auch sofort der russische Agent zur
Stelle, ein schlauer Grieche, der mir sofort Billetts in beliebiger Anzahl zur Ver¬
fügung stellte. Das erweckte in mir Bedenken, ich sagte ihm, ich wolle lieber
erst die etwaige Ankunft des Griechen erwarten. Darauf empfahl ich mich dem
Franzosen, ließ mir von dem russischen Agenten sein Bureau zeigen — bis sechs
Uhr werde er es für uns offen halten —, entlohnte meinen Führer und humpelte
durch die Gassen nach dem xenoäoebion ton xsnon zurück.

Hier waren die Pferde sowohl wie die Menschen verschwunden, nur unser
Gepäck lag im Hausflur aufgeschichtet. Von einem sichern Instinkt getrieben fischte
ich aus dem Häuser meine Tasche und meine gerollte Decke heraus, suchte mir
oben im zweiten Stock ein einbettiges, kleines, getünchtes Zimmer und legte meine
Sachen auf das Bett. So hatte ich mir für die Nacht auf alle Fälle eine Schlaf¬
stätte gesichert. Dann erkundigte ich mich, wo die IlM (Herren) wären. Man
wies mich in die Hauptstraße in ein Hestiatorion (Speisewirtschaft).

Dort fand ich die Genossen denn auch beim Mahle sitzend. Da ich seit
Morgen nichts gegessen hatte, und es jetzt vier Uhr sein mochte, so spürte ich
Plötzlich einen gewaltigen Hunger. Das Hestiatorion wurde von zwei alten Jungfern
gehalten. Fett und aufgeschwemmt, mit großen Brillen und ansehnlichen Bärten,
Wie solche dem orientalischen Weibe im Alter anfliegen und leicht etwas Hexen¬
artiges verleihen, standen sie hinter dem Büfett und schössen ab und zu mit einem
Besen bewaffnet hervor, um die Schuhputzjungen zu verjagen, die sich beständig
von der Straße her einschlichen und unter den Tischen meuchlings Stiefel zu
wichsen begannen. Das enge Lokal war mit brenzligem Fettdampf erfüllt, die
Tischtücher und Servietten von Saucen und Weiuslecken getigert, die Teller, die
man bekam, zeigten noch Talgreste von der letzten Hammelportion. Denn etwas
andres als Armati gab es selbstverständlich auch hier nicht, und da die Damen
auf eine solche Menge Besucher nicht eingerichtet waren, so ließen sie, als das
Reisch zur Neige ging, auch Kusche», Haut und Sehnen portionsweise anrichten.
Ich hielt mich also an den höchst sauern Salat, das Brot und deu Wein.

Nach dem Essen begann eine allgemeine Geldwechsclei. Das ist ein wichtiges
und schwieriges Geschäft in der Türkei. In der Hauptstraße stehn zahlreiche
Wechslertische halb auf der Straße, halb im Laden. Man zeigt nun einem dieser
Geldmakler einen Napoleon. Dann nennt er die Summe, die er dafür geben
will. Scheint einem die zu gering, so geht man zum nächsten, bis man ungefähr
den Kurs heraus hat. Erklärt man sich dann bereit, das Geschäft zu machen, so
sa'sie einem der Wechsler in langen Reihen alle möglichen Geldsorten auf, die mau
Zunächst natürlich nicht kennt. Man läßt sich also die Medschidsche. die Fünf-, die
Zwei- und die Eiupiasterstücke zeigen, dann das Kupfergeld und das „Metallik."
Dann addiere man die ganze Geschichte, was bei der türkischen Währung, wo
^edschidsches, Franken, Piaster und Paras durcheinander gehn, keineswegs einfach ist.
Zuletzt sieht man jedes Geldstück genau auf seine Prägung an. Denn in der
-Türkei sind abgegriffne Münzen gesetzlich uugiltig, dem Fremden werden aber
natürlich gerade mit Vorliebe diese alten Ladenhüter zugeschanzt. Man mustert
also alle verdächtigen Stücke aus und verlangt bessere, die der Händler schließlich
uach einigem Grunzen auch darreicht. Später erweist sich denn doch die eine oder
die andre Münze als ungiltig. Wir erhielten in den Dardanellen eine Menge
Kupfer- und Blechstücke, die je eine oder zwei Para gelten sollten (gleich vier bis


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[0357] Line Trojafahrt noch uneingerichtetes Zimmer, wo Kisten, Schränke, Möbel umherstanden. Aber ich sah inmitten des Chaos einen jungen Europäer, der mich in fließendem Fran¬ zösisch anredete, womit mir ein wahrer Stein vom Herzen fiel. O heiliger Segen einer weitverbreiteten Kultursprache, die du den Menschen dem Menschen gesellst! Mit französischer Politesse nötigte er mich, auf einer der Kisten Platz zu nehmen, und eröffnete mir dann, daß der nächste sichere Dampfer ein Russe sei, der aber erst am andern Morgen um fünf Uhr gehe. Immerhin sei möglich, daß am heutigen Abend noch ein kleines griechisches Frachtschiff durchkäme, doch könne ich nicht darauf rechnen. Merkwürdigerweise war auch sofort der russische Agent zur Stelle, ein schlauer Grieche, der mir sofort Billetts in beliebiger Anzahl zur Ver¬ fügung stellte. Das erweckte in mir Bedenken, ich sagte ihm, ich wolle lieber erst die etwaige Ankunft des Griechen erwarten. Darauf empfahl ich mich dem Franzosen, ließ mir von dem russischen Agenten sein Bureau zeigen — bis sechs Uhr werde er es für uns offen halten —, entlohnte meinen Führer und humpelte durch die Gassen nach dem xenoäoebion ton xsnon zurück. Hier waren die Pferde sowohl wie die Menschen verschwunden, nur unser Gepäck lag im Hausflur aufgeschichtet. Von einem sichern Instinkt getrieben fischte ich aus dem Häuser meine Tasche und meine gerollte Decke heraus, suchte mir oben im zweiten Stock ein einbettiges, kleines, getünchtes Zimmer und legte meine Sachen auf das Bett. So hatte ich mir für die Nacht auf alle Fälle eine Schlaf¬ stätte gesichert. Dann erkundigte ich mich, wo die IlM (Herren) wären. Man wies mich in die Hauptstraße in ein Hestiatorion (Speisewirtschaft). Dort fand ich die Genossen denn auch beim Mahle sitzend. Da ich seit Morgen nichts gegessen hatte, und es jetzt vier Uhr sein mochte, so spürte ich Plötzlich einen gewaltigen Hunger. Das Hestiatorion wurde von zwei alten Jungfern gehalten. Fett und aufgeschwemmt, mit großen Brillen und ansehnlichen Bärten, Wie solche dem orientalischen Weibe im Alter anfliegen und leicht etwas Hexen¬ artiges verleihen, standen sie hinter dem Büfett und schössen ab und zu mit einem Besen bewaffnet hervor, um die Schuhputzjungen zu verjagen, die sich beständig von der Straße her einschlichen und unter den Tischen meuchlings Stiefel zu wichsen begannen. Das enge Lokal war mit brenzligem Fettdampf erfüllt, die Tischtücher und Servietten von Saucen und Weiuslecken getigert, die Teller, die man bekam, zeigten noch Talgreste von der letzten Hammelportion. Denn etwas andres als Armati gab es selbstverständlich auch hier nicht, und da die Damen auf eine solche Menge Besucher nicht eingerichtet waren, so ließen sie, als das Reisch zur Neige ging, auch Kusche», Haut und Sehnen portionsweise anrichten. Ich hielt mich also an den höchst sauern Salat, das Brot und deu Wein. Nach dem Essen begann eine allgemeine Geldwechsclei. Das ist ein wichtiges und schwieriges Geschäft in der Türkei. In der Hauptstraße stehn zahlreiche Wechslertische halb auf der Straße, halb im Laden. Man zeigt nun einem dieser Geldmakler einen Napoleon. Dann nennt er die Summe, die er dafür geben will. Scheint einem die zu gering, so geht man zum nächsten, bis man ungefähr den Kurs heraus hat. Erklärt man sich dann bereit, das Geschäft zu machen, so sa'sie einem der Wechsler in langen Reihen alle möglichen Geldsorten auf, die mau Zunächst natürlich nicht kennt. Man läßt sich also die Medschidsche. die Fünf-, die Zwei- und die Eiupiasterstücke zeigen, dann das Kupfergeld und das „Metallik." Dann addiere man die ganze Geschichte, was bei der türkischen Währung, wo ^edschidsches, Franken, Piaster und Paras durcheinander gehn, keineswegs einfach ist. Zuletzt sieht man jedes Geldstück genau auf seine Prägung an. Denn in der -Türkei sind abgegriffne Münzen gesetzlich uugiltig, dem Fremden werden aber natürlich gerade mit Vorliebe diese alten Ladenhüter zugeschanzt. Man mustert also alle verdächtigen Stücke aus und verlangt bessere, die der Händler schließlich uach einigem Grunzen auch darreicht. Später erweist sich denn doch die eine oder die andre Münze als ungiltig. Wir erhielten in den Dardanellen eine Menge Kupfer- und Blechstücke, die je eine oder zwei Para gelten sollten (gleich vier bis

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/357>, abgerufen am 04.07.2024.