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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Line Trojafahrt

kommen. Gespenstisch glitten Kamelkarawanen an mir vorbei, wie durch einen Schleier
erkannte ich die Stelle, wo mich der Huf getroffen, und den Wegrand, an dem
ich gesessen und mein Blut abgewischt hatte. Dann merkte ich, wie mir der Agojat
eine Gerte in die Hand drückte, es rauschte unter mir, das letztemal gings durch
einen Fluß. Endlich, endlich nach acht qualvollen Stunden ritten wir in die Dar-
danellenstadt ein. Noch immer stand der Hornist an der Kaserne und blies noch
immer dieselben mißtönenden Signale, noch immer heulten die Straßenhunde, noch
immer saßen die Türken in den Cafes und schmauchten.

In einer engen Gasse an einer kleinen Hintertür, über der die Worte ge¬
schrieben standen: xenoäooblon ton xsnon (Gasthaus der Fremden), hielten unsre
Pferde. Wir sprangen ab und wurden sofort von den Agojaten umdrängt, die
mit geöffneten Händen nach Backschisch schrieen. Mein wohleingelerntes "inno xliro-
inSoo" half gar nichts. So zahlten wir denn jedem der Rosselenker ein kleines
Silberstück in die Hand. Sie wurden dadurch zufriedengestellt und zogen ab,
ließen aber die Pferde einfach auf der Straße stehn und uns dazwischen. Früher
hätten wir kein Arg dabei gehabt, durch die mannigfaltigen Zwischenfälle der letzten
Tage waren wir doch aber kopfscheu geworden und drückten uns mit großer Vor¬
sicht an deu wohlbehufteu Pferdebeinen vorbei, bald hier bald da ein Hinterteil
sanft zur Seite drängend. Jeder, der aus der drangvoll fürchterlichen Enge heraus
war, atmete erleichtert auf. Ich wandte mich nun an mehrere der umherstehenden,
uns stumpfsinnig betrachtenden Kerle mit der Dörpfeldschen Frage: "?oth tovji to
xroro vspori ala tin xolin?" konnte aber aus dem wirren Durcheinanderreden der
Leute nicht klug werden und beschloß darum, zu Herrn de Caravel zu gehn.

Ein Kerl, den ich dazu aufforderte, führte mich, und zwar, da mir nach dem
laugen Ritt das Gehen sehr beschwerlich war, bei der bekannten Tücke, die das
Schicksal bei solchen Gelegenheiten immer ausübt, bis ans äußerste Ende der Stadt.
Das Pflaster war so schlecht, daß jeder Schritt wehe tat, die Mittagsonne machte
die Straßen zum Backofen, die Haremsgitter der mohammedanischen und die Per-
siennen der griechischen Häuser verliehen der Stadt einen verschlossenen, ausge¬
storbnen Charakter, um so mehr, als sich zu dieser Tageszeit kaum ein Mensch
auf der Straße zeigte.

So wandelten, Gespenstern gleich, der Orientale und der Abendländer mit¬
sammen durch der Straße" lange, ja überlange Zeile, bis Wir an einem blendend
weißen Hause des äußern, vornehmern Stadtteils Halt machten. Der Türke zog
die Klingel, empfing sein Backschisch und ging. Ich stand allein auf weiter Flur,
und niemand öffnete mir. Endlich nach langem Warten und wiederholtem Klingeln
tat sich die Tür auf, "ut ich trat in einen geräumigen dunkeln Vorsaal, der offen¬
bar zugleich als Eßzimmer diente. Vor mir stand eine häßliche Magd, die mich
ebensowenig verstand wie ich sie. Nach mehrfachen vergeblichen Versuchen machte
mir die Person ein Zeichen, mich zu setzen, und verschwand im Hintergrunde des
dämmrigen Gemachs. Da saß ich um in der Dardanellenstadt im "Vorsaal eines
Reichen" und wartete und wartete. Im Orient hat man Zeit, viel Zeit, immer Zeit.
Ungeduld ist dort das nbelangebrachtcste Ding von der Welt. Endlich tat sich die
Tür auf, und es erschien ein weibliches Wesen, die mir die Frau des Hauses zu
sein schien. Ich sprach sie zunächst französisch an, ihr Achselzucken aber bewies,
daß sie das nicht verstand. Auf Italienisch war dagegen eine notdürftige Ver¬
ständigung möglich. Ich erfuhr von ihr zunächst, daß Herr Caravel unwohl sei
und keinen Besuch empfangen könne -- seine Krankheit hieß offenbar Siesta --,
ferner daß sie selbst über die Dampfer gar nichts wisse, und endlich, daß ich mich
zur Ageuzia begeben solle, wo ich alles Wünschenswerte und noch etwas mehr er¬
fahren werde.

Einsam wankte ich die weiße tote Gasse, die ich gekommen, wieder hinab und
ließ mich von dem ersten besten Menschen nach der Agentur führen. Diese war
aus ihrem bisherigen Hause soeben verlegt worden, und mein Führer mußte sich
erst nach dem neuen Quartier durchfragen. Dort angekommen, traten wir in ein


Line Trojafahrt

kommen. Gespenstisch glitten Kamelkarawanen an mir vorbei, wie durch einen Schleier
erkannte ich die Stelle, wo mich der Huf getroffen, und den Wegrand, an dem
ich gesessen und mein Blut abgewischt hatte. Dann merkte ich, wie mir der Agojat
eine Gerte in die Hand drückte, es rauschte unter mir, das letztemal gings durch
einen Fluß. Endlich, endlich nach acht qualvollen Stunden ritten wir in die Dar-
danellenstadt ein. Noch immer stand der Hornist an der Kaserne und blies noch
immer dieselben mißtönenden Signale, noch immer heulten die Straßenhunde, noch
immer saßen die Türken in den Cafes und schmauchten.

In einer engen Gasse an einer kleinen Hintertür, über der die Worte ge¬
schrieben standen: xenoäooblon ton xsnon (Gasthaus der Fremden), hielten unsre
Pferde. Wir sprangen ab und wurden sofort von den Agojaten umdrängt, die
mit geöffneten Händen nach Backschisch schrieen. Mein wohleingelerntes „inno xliro-
inSoo" half gar nichts. So zahlten wir denn jedem der Rosselenker ein kleines
Silberstück in die Hand. Sie wurden dadurch zufriedengestellt und zogen ab,
ließen aber die Pferde einfach auf der Straße stehn und uns dazwischen. Früher
hätten wir kein Arg dabei gehabt, durch die mannigfaltigen Zwischenfälle der letzten
Tage waren wir doch aber kopfscheu geworden und drückten uns mit großer Vor¬
sicht an deu wohlbehufteu Pferdebeinen vorbei, bald hier bald da ein Hinterteil
sanft zur Seite drängend. Jeder, der aus der drangvoll fürchterlichen Enge heraus
war, atmete erleichtert auf. Ich wandte mich nun an mehrere der umherstehenden,
uns stumpfsinnig betrachtenden Kerle mit der Dörpfeldschen Frage: „?oth tovji to
xroro vspori ala tin xolin?" konnte aber aus dem wirren Durcheinanderreden der
Leute nicht klug werden und beschloß darum, zu Herrn de Caravel zu gehn.

Ein Kerl, den ich dazu aufforderte, führte mich, und zwar, da mir nach dem
laugen Ritt das Gehen sehr beschwerlich war, bei der bekannten Tücke, die das
Schicksal bei solchen Gelegenheiten immer ausübt, bis ans äußerste Ende der Stadt.
Das Pflaster war so schlecht, daß jeder Schritt wehe tat, die Mittagsonne machte
die Straßen zum Backofen, die Haremsgitter der mohammedanischen und die Per-
siennen der griechischen Häuser verliehen der Stadt einen verschlossenen, ausge¬
storbnen Charakter, um so mehr, als sich zu dieser Tageszeit kaum ein Mensch
auf der Straße zeigte.

So wandelten, Gespenstern gleich, der Orientale und der Abendländer mit¬
sammen durch der Straße» lange, ja überlange Zeile, bis Wir an einem blendend
weißen Hause des äußern, vornehmern Stadtteils Halt machten. Der Türke zog
die Klingel, empfing sein Backschisch und ging. Ich stand allein auf weiter Flur,
und niemand öffnete mir. Endlich nach langem Warten und wiederholtem Klingeln
tat sich die Tür auf, »ut ich trat in einen geräumigen dunkeln Vorsaal, der offen¬
bar zugleich als Eßzimmer diente. Vor mir stand eine häßliche Magd, die mich
ebensowenig verstand wie ich sie. Nach mehrfachen vergeblichen Versuchen machte
mir die Person ein Zeichen, mich zu setzen, und verschwand im Hintergrunde des
dämmrigen Gemachs. Da saß ich um in der Dardanellenstadt im „Vorsaal eines
Reichen" und wartete und wartete. Im Orient hat man Zeit, viel Zeit, immer Zeit.
Ungeduld ist dort das nbelangebrachtcste Ding von der Welt. Endlich tat sich die
Tür auf, und es erschien ein weibliches Wesen, die mir die Frau des Hauses zu
sein schien. Ich sprach sie zunächst französisch an, ihr Achselzucken aber bewies,
daß sie das nicht verstand. Auf Italienisch war dagegen eine notdürftige Ver¬
ständigung möglich. Ich erfuhr von ihr zunächst, daß Herr Caravel unwohl sei
und keinen Besuch empfangen könne — seine Krankheit hieß offenbar Siesta —,
ferner daß sie selbst über die Dampfer gar nichts wisse, und endlich, daß ich mich
zur Ageuzia begeben solle, wo ich alles Wünschenswerte und noch etwas mehr er¬
fahren werde.

Einsam wankte ich die weiße tote Gasse, die ich gekommen, wieder hinab und
ließ mich von dem ersten besten Menschen nach der Agentur führen. Diese war
aus ihrem bisherigen Hause soeben verlegt worden, und mein Führer mußte sich
erst nach dem neuen Quartier durchfragen. Dort angekommen, traten wir in ein


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[0356] Line Trojafahrt kommen. Gespenstisch glitten Kamelkarawanen an mir vorbei, wie durch einen Schleier erkannte ich die Stelle, wo mich der Huf getroffen, und den Wegrand, an dem ich gesessen und mein Blut abgewischt hatte. Dann merkte ich, wie mir der Agojat eine Gerte in die Hand drückte, es rauschte unter mir, das letztemal gings durch einen Fluß. Endlich, endlich nach acht qualvollen Stunden ritten wir in die Dar- danellenstadt ein. Noch immer stand der Hornist an der Kaserne und blies noch immer dieselben mißtönenden Signale, noch immer heulten die Straßenhunde, noch immer saßen die Türken in den Cafes und schmauchten. In einer engen Gasse an einer kleinen Hintertür, über der die Worte ge¬ schrieben standen: xenoäooblon ton xsnon (Gasthaus der Fremden), hielten unsre Pferde. Wir sprangen ab und wurden sofort von den Agojaten umdrängt, die mit geöffneten Händen nach Backschisch schrieen. Mein wohleingelerntes „inno xliro- inSoo" half gar nichts. So zahlten wir denn jedem der Rosselenker ein kleines Silberstück in die Hand. Sie wurden dadurch zufriedengestellt und zogen ab, ließen aber die Pferde einfach auf der Straße stehn und uns dazwischen. Früher hätten wir kein Arg dabei gehabt, durch die mannigfaltigen Zwischenfälle der letzten Tage waren wir doch aber kopfscheu geworden und drückten uns mit großer Vor¬ sicht an deu wohlbehufteu Pferdebeinen vorbei, bald hier bald da ein Hinterteil sanft zur Seite drängend. Jeder, der aus der drangvoll fürchterlichen Enge heraus war, atmete erleichtert auf. Ich wandte mich nun an mehrere der umherstehenden, uns stumpfsinnig betrachtenden Kerle mit der Dörpfeldschen Frage: „?oth tovji to xroro vspori ala tin xolin?" konnte aber aus dem wirren Durcheinanderreden der Leute nicht klug werden und beschloß darum, zu Herrn de Caravel zu gehn. Ein Kerl, den ich dazu aufforderte, führte mich, und zwar, da mir nach dem laugen Ritt das Gehen sehr beschwerlich war, bei der bekannten Tücke, die das Schicksal bei solchen Gelegenheiten immer ausübt, bis ans äußerste Ende der Stadt. Das Pflaster war so schlecht, daß jeder Schritt wehe tat, die Mittagsonne machte die Straßen zum Backofen, die Haremsgitter der mohammedanischen und die Per- siennen der griechischen Häuser verliehen der Stadt einen verschlossenen, ausge¬ storbnen Charakter, um so mehr, als sich zu dieser Tageszeit kaum ein Mensch auf der Straße zeigte. So wandelten, Gespenstern gleich, der Orientale und der Abendländer mit¬ sammen durch der Straße» lange, ja überlange Zeile, bis Wir an einem blendend weißen Hause des äußern, vornehmern Stadtteils Halt machten. Der Türke zog die Klingel, empfing sein Backschisch und ging. Ich stand allein auf weiter Flur, und niemand öffnete mir. Endlich nach langem Warten und wiederholtem Klingeln tat sich die Tür auf, »ut ich trat in einen geräumigen dunkeln Vorsaal, der offen¬ bar zugleich als Eßzimmer diente. Vor mir stand eine häßliche Magd, die mich ebensowenig verstand wie ich sie. Nach mehrfachen vergeblichen Versuchen machte mir die Person ein Zeichen, mich zu setzen, und verschwand im Hintergrunde des dämmrigen Gemachs. Da saß ich um in der Dardanellenstadt im „Vorsaal eines Reichen" und wartete und wartete. Im Orient hat man Zeit, viel Zeit, immer Zeit. Ungeduld ist dort das nbelangebrachtcste Ding von der Welt. Endlich tat sich die Tür auf, und es erschien ein weibliches Wesen, die mir die Frau des Hauses zu sein schien. Ich sprach sie zunächst französisch an, ihr Achselzucken aber bewies, daß sie das nicht verstand. Auf Italienisch war dagegen eine notdürftige Ver¬ ständigung möglich. Ich erfuhr von ihr zunächst, daß Herr Caravel unwohl sei und keinen Besuch empfangen könne — seine Krankheit hieß offenbar Siesta —, ferner daß sie selbst über die Dampfer gar nichts wisse, und endlich, daß ich mich zur Ageuzia begeben solle, wo ich alles Wünschenswerte und noch etwas mehr er¬ fahren werde. Einsam wankte ich die weiße tote Gasse, die ich gekommen, wieder hinab und ließ mich von dem ersten besten Menschen nach der Agentur führen. Diese war aus ihrem bisherigen Hause soeben verlegt worden, und mein Führer mußte sich erst nach dem neuen Quartier durchfragen. Dort angekommen, traten wir in ein

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/356>, abgerufen am 02.07.2024.