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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Line Trojafahrt

Der letzte Abend wurde noch recht lustig, ja fast zu lustig. Denn der Deutsche
ist nun einmal äußerlich nie vergnügter, als wenn er innerlich eine gewisse Wehmut
fühlt. Der Wein der Polyxene wurde nicht geschont, und das "morgen können
wirs nicht mehr, darum laßt uus heute leben," klang durch alle die zahlreichen
Reden hindurch, die zum Nachthimmel und zum rußigen Deckbalken des Gemachs
emporstiegen. Die Herzen gingen gegeneinander ans. Aber anch an Reibungen
fehlte es nicht. Es gibt Menschen, denen in erregten Stimmungen eine leichte
Händelsucht anfliegt, vielleicht eine Folge studentischer Sitten. So schraubte in
einem Toaste auf Dörpfeld jemand einen andern, der sich vor dein Reiten etwas
gescheut hatte, mit seiner Angst vor dem "trojanischen Pferd." Darauf erhob sich
der Geneckte und sagte, er wolle einmal das trojanische Pferd mit dem Vorredner
vergleichen. Beide ragten hoch über die gewöhnlichen Sterblichen empor, das tro¬
janische Pferd habe aber in seinem Leibe Helden gehabt, der Herr Vorredner dagegen
nur -- Kohl. Das war etwas kräftig, aber schließlich -- wir standen auf dem
Boden, wo sich sogar die Helden schimpften, und Paris hatte hier noch ganz andre
Dinge einstecken müssen. Dörpfeld erhob sich von seinem kurulischen Schliemannsessel
und lenkte die Gedanken durch einen Toast ans die abwesende Frau Sophie Schliemann
ab, und das Lied: "O alte Bnrschenherrlichkeit," in das auch die Amerikaner ein¬
stimmten, die ja alle in Deutschland studiert hatten, tönte weithin durch die ambrosische
Nacht. Staunend mochten es die Geister der zeusentsprossenen Helden und weiß-
armigen Kvuigsfrauen vernehmen, vorausgesetzt, daß sie die Stätte ihrer ehemaligen
Freuden und Leiden nächtlicherweile nach Geisterrecht umschwebten. Das "o ^as
mutg-tlo rsrum!" war ihnen dann sicher aus der Seele gesungen.

Am andern Morgen beim Frühstück erteilte Dörpfeld mir als dem Ältesten
einige Weisungen für die Führung der konstantinopolitanischen Expedition, soweit
überhaupt eine Führung notwendig sei. Vor allen Dingen dürfe den Agojaten kein
Trinkgeld verabreicht werden, sie seien schon überreichlich bezahlt. Wenn sie noch
etwas verlangten, solle ich nur sagen mus xliromüno (es ist bezahlt). In der Dar¬
danellenstadt sollte ich mich zum italienischen und französischen Konsul Monsieur
de Caravel begeben, der habe bei dem Besuche des Kaisers einen deutschen Orden
bekommen und sei dadurch den Deutschen zu Gefälligkeit und Auskunfterteilung ver¬
bunden. Im übrigen brauchte ich nur zu fragen: ?oth tsvji ro xroto vsxori aus.
tin xolin (wann geht der nächste Dampfer nach der Stadt)? Darauf werde
mir auf der Straße jeder Erwachsne Antwort erteilen können. Wir könnten übrigens
mit Sicherheit darauf rechnen, daß noch heute Abend ein Dampfschiff "nach der
Stadt" gehn werde. Um sieben Uhr saßen wir zu etwa fünfzehn Mann auf den
Gäulen und reichten dem liebenswürdigen Leiter mit herzlichem Dank und den Ge¬
nossen mit guten Wünschen für die Weiterreise die Hand zum Abschied. Die Damen
winkten uus noch einen Gruß, und fort gings den Burghügel hinunter und über
den Simois.

Auf den Freudenbecher folgte nun, wie so oft im Leben, der bittere Nachgeschmack,
und eine Art Katzenjammerstimmung bemächtigte sich unser. Die Sonne brannte
heiß hernieder, und mir tat eigentlich alles weh, das Bein vom Unterschenkel an,
der ganz niederträchtig geschwollen war, dnrch das Knie hindurch bis zum Ober¬
schenkel, außerdem aber auch von dem vielen Reiten das Kreuz und die Hüften.
Sehr bald gesellte sich dazu als schlimmster Feind die unsagbare Schlafmüdigkeit,
die den, der unter südlichem Himmel reitet, ergreift, sobald die Sonne längere Zeit
seinen Nacken bescheint. Es war mir, als flimmere der Horizont, und ich schwankte
auf meinem Gaule in ganz bedenklicher Weise hin und her. Dazu die fürchterliche
Langsamkeit. Die Pferde, die sich in den letzten Tagen hinreichend ausgetobt hatten,
waren durch keine Macht der Erde zu einer schnellern Gangart zu bringen. Eins
hinter dein andern, oft in weiten Abständen, so zottelten sie langsam fürbaß. Wie
im Traum zog die grüne Eichcnlandschaft an mir vorüber, dann kamen die jetzt fast
menschenleeren Straßen von Ercnkoi, und dann der endlose Weg am Strande entlang.
Der weiße Leuchtturm jenseits der großen Bucht wollte und wollte nicht näher


Line Trojafahrt

Der letzte Abend wurde noch recht lustig, ja fast zu lustig. Denn der Deutsche
ist nun einmal äußerlich nie vergnügter, als wenn er innerlich eine gewisse Wehmut
fühlt. Der Wein der Polyxene wurde nicht geschont, und das „morgen können
wirs nicht mehr, darum laßt uus heute leben," klang durch alle die zahlreichen
Reden hindurch, die zum Nachthimmel und zum rußigen Deckbalken des Gemachs
emporstiegen. Die Herzen gingen gegeneinander ans. Aber anch an Reibungen
fehlte es nicht. Es gibt Menschen, denen in erregten Stimmungen eine leichte
Händelsucht anfliegt, vielleicht eine Folge studentischer Sitten. So schraubte in
einem Toaste auf Dörpfeld jemand einen andern, der sich vor dein Reiten etwas
gescheut hatte, mit seiner Angst vor dem „trojanischen Pferd." Darauf erhob sich
der Geneckte und sagte, er wolle einmal das trojanische Pferd mit dem Vorredner
vergleichen. Beide ragten hoch über die gewöhnlichen Sterblichen empor, das tro¬
janische Pferd habe aber in seinem Leibe Helden gehabt, der Herr Vorredner dagegen
nur — Kohl. Das war etwas kräftig, aber schließlich — wir standen auf dem
Boden, wo sich sogar die Helden schimpften, und Paris hatte hier noch ganz andre
Dinge einstecken müssen. Dörpfeld erhob sich von seinem kurulischen Schliemannsessel
und lenkte die Gedanken durch einen Toast ans die abwesende Frau Sophie Schliemann
ab, und das Lied: „O alte Bnrschenherrlichkeit," in das auch die Amerikaner ein¬
stimmten, die ja alle in Deutschland studiert hatten, tönte weithin durch die ambrosische
Nacht. Staunend mochten es die Geister der zeusentsprossenen Helden und weiß-
armigen Kvuigsfrauen vernehmen, vorausgesetzt, daß sie die Stätte ihrer ehemaligen
Freuden und Leiden nächtlicherweile nach Geisterrecht umschwebten. Das „o ^as
mutg-tlo rsrum!" war ihnen dann sicher aus der Seele gesungen.

Am andern Morgen beim Frühstück erteilte Dörpfeld mir als dem Ältesten
einige Weisungen für die Führung der konstantinopolitanischen Expedition, soweit
überhaupt eine Führung notwendig sei. Vor allen Dingen dürfe den Agojaten kein
Trinkgeld verabreicht werden, sie seien schon überreichlich bezahlt. Wenn sie noch
etwas verlangten, solle ich nur sagen mus xliromüno (es ist bezahlt). In der Dar¬
danellenstadt sollte ich mich zum italienischen und französischen Konsul Monsieur
de Caravel begeben, der habe bei dem Besuche des Kaisers einen deutschen Orden
bekommen und sei dadurch den Deutschen zu Gefälligkeit und Auskunfterteilung ver¬
bunden. Im übrigen brauchte ich nur zu fragen: ?oth tsvji ro xroto vsxori aus.
tin xolin (wann geht der nächste Dampfer nach der Stadt)? Darauf werde
mir auf der Straße jeder Erwachsne Antwort erteilen können. Wir könnten übrigens
mit Sicherheit darauf rechnen, daß noch heute Abend ein Dampfschiff „nach der
Stadt" gehn werde. Um sieben Uhr saßen wir zu etwa fünfzehn Mann auf den
Gäulen und reichten dem liebenswürdigen Leiter mit herzlichem Dank und den Ge¬
nossen mit guten Wünschen für die Weiterreise die Hand zum Abschied. Die Damen
winkten uus noch einen Gruß, und fort gings den Burghügel hinunter und über
den Simois.

Auf den Freudenbecher folgte nun, wie so oft im Leben, der bittere Nachgeschmack,
und eine Art Katzenjammerstimmung bemächtigte sich unser. Die Sonne brannte
heiß hernieder, und mir tat eigentlich alles weh, das Bein vom Unterschenkel an,
der ganz niederträchtig geschwollen war, dnrch das Knie hindurch bis zum Ober¬
schenkel, außerdem aber auch von dem vielen Reiten das Kreuz und die Hüften.
Sehr bald gesellte sich dazu als schlimmster Feind die unsagbare Schlafmüdigkeit,
die den, der unter südlichem Himmel reitet, ergreift, sobald die Sonne längere Zeit
seinen Nacken bescheint. Es war mir, als flimmere der Horizont, und ich schwankte
auf meinem Gaule in ganz bedenklicher Weise hin und her. Dazu die fürchterliche
Langsamkeit. Die Pferde, die sich in den letzten Tagen hinreichend ausgetobt hatten,
waren durch keine Macht der Erde zu einer schnellern Gangart zu bringen. Eins
hinter dein andern, oft in weiten Abständen, so zottelten sie langsam fürbaß. Wie
im Traum zog die grüne Eichcnlandschaft an mir vorüber, dann kamen die jetzt fast
menschenleeren Straßen von Ercnkoi, und dann der endlose Weg am Strande entlang.
Der weiße Leuchtturm jenseits der großen Bucht wollte und wollte nicht näher


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[0355] Line Trojafahrt Der letzte Abend wurde noch recht lustig, ja fast zu lustig. Denn der Deutsche ist nun einmal äußerlich nie vergnügter, als wenn er innerlich eine gewisse Wehmut fühlt. Der Wein der Polyxene wurde nicht geschont, und das „morgen können wirs nicht mehr, darum laßt uus heute leben," klang durch alle die zahlreichen Reden hindurch, die zum Nachthimmel und zum rußigen Deckbalken des Gemachs emporstiegen. Die Herzen gingen gegeneinander ans. Aber anch an Reibungen fehlte es nicht. Es gibt Menschen, denen in erregten Stimmungen eine leichte Händelsucht anfliegt, vielleicht eine Folge studentischer Sitten. So schraubte in einem Toaste auf Dörpfeld jemand einen andern, der sich vor dein Reiten etwas gescheut hatte, mit seiner Angst vor dem „trojanischen Pferd." Darauf erhob sich der Geneckte und sagte, er wolle einmal das trojanische Pferd mit dem Vorredner vergleichen. Beide ragten hoch über die gewöhnlichen Sterblichen empor, das tro¬ janische Pferd habe aber in seinem Leibe Helden gehabt, der Herr Vorredner dagegen nur — Kohl. Das war etwas kräftig, aber schließlich — wir standen auf dem Boden, wo sich sogar die Helden schimpften, und Paris hatte hier noch ganz andre Dinge einstecken müssen. Dörpfeld erhob sich von seinem kurulischen Schliemannsessel und lenkte die Gedanken durch einen Toast ans die abwesende Frau Sophie Schliemann ab, und das Lied: „O alte Bnrschenherrlichkeit," in das auch die Amerikaner ein¬ stimmten, die ja alle in Deutschland studiert hatten, tönte weithin durch die ambrosische Nacht. Staunend mochten es die Geister der zeusentsprossenen Helden und weiß- armigen Kvuigsfrauen vernehmen, vorausgesetzt, daß sie die Stätte ihrer ehemaligen Freuden und Leiden nächtlicherweile nach Geisterrecht umschwebten. Das „o ^as mutg-tlo rsrum!" war ihnen dann sicher aus der Seele gesungen. Am andern Morgen beim Frühstück erteilte Dörpfeld mir als dem Ältesten einige Weisungen für die Führung der konstantinopolitanischen Expedition, soweit überhaupt eine Führung notwendig sei. Vor allen Dingen dürfe den Agojaten kein Trinkgeld verabreicht werden, sie seien schon überreichlich bezahlt. Wenn sie noch etwas verlangten, solle ich nur sagen mus xliromüno (es ist bezahlt). In der Dar¬ danellenstadt sollte ich mich zum italienischen und französischen Konsul Monsieur de Caravel begeben, der habe bei dem Besuche des Kaisers einen deutschen Orden bekommen und sei dadurch den Deutschen zu Gefälligkeit und Auskunfterteilung ver¬ bunden. Im übrigen brauchte ich nur zu fragen: ?oth tsvji ro xroto vsxori aus. tin xolin (wann geht der nächste Dampfer nach der Stadt)? Darauf werde mir auf der Straße jeder Erwachsne Antwort erteilen können. Wir könnten übrigens mit Sicherheit darauf rechnen, daß noch heute Abend ein Dampfschiff „nach der Stadt" gehn werde. Um sieben Uhr saßen wir zu etwa fünfzehn Mann auf den Gäulen und reichten dem liebenswürdigen Leiter mit herzlichem Dank und den Ge¬ nossen mit guten Wünschen für die Weiterreise die Hand zum Abschied. Die Damen winkten uus noch einen Gruß, und fort gings den Burghügel hinunter und über den Simois. Auf den Freudenbecher folgte nun, wie so oft im Leben, der bittere Nachgeschmack, und eine Art Katzenjammerstimmung bemächtigte sich unser. Die Sonne brannte heiß hernieder, und mir tat eigentlich alles weh, das Bein vom Unterschenkel an, der ganz niederträchtig geschwollen war, dnrch das Knie hindurch bis zum Ober¬ schenkel, außerdem aber auch von dem vielen Reiten das Kreuz und die Hüften. Sehr bald gesellte sich dazu als schlimmster Feind die unsagbare Schlafmüdigkeit, die den, der unter südlichem Himmel reitet, ergreift, sobald die Sonne längere Zeit seinen Nacken bescheint. Es war mir, als flimmere der Horizont, und ich schwankte auf meinem Gaule in ganz bedenklicher Weise hin und her. Dazu die fürchterliche Langsamkeit. Die Pferde, die sich in den letzten Tagen hinreichend ausgetobt hatten, waren durch keine Macht der Erde zu einer schnellern Gangart zu bringen. Eins hinter dein andern, oft in weiten Abständen, so zottelten sie langsam fürbaß. Wie im Traum zog die grüne Eichcnlandschaft an mir vorüber, dann kamen die jetzt fast menschenleeren Straßen von Ercnkoi, und dann der endlose Weg am Strande entlang. Der weiße Leuchtturm jenseits der großen Bucht wollte und wollte nicht näher

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/355>, abgerufen am 30.06.2024.