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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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"Line Trojafahrt

worden und Pfiff kalt und schneidend durch die Türspaltcn auf meine drei Mäntel.
Schlimmer aber war, daß ich deutlich spürte, daß meine Wunde nicht nur nicht
besser, sondern entschieden schlimmer geworden war. Ein Wunder war das nicht.
Denn der Arzt in Konstantinopel sagte mir, daß das Herumklettern und besonders
das Reiten "das reine Gift" für mich gewesen wäre. Solche Beinwunden heilten
nur, wenn man den Blutzufluß hindre, indem man das Bein hochlege und ruhig
halte. Am nächsten Nachmittag sollte nun nach Bunarbaschi geritten werden. Es
war mir jedoch trotz aller Vernunftgründe nicht möglich, zurückzubleiben. "Heilen
lassen kann ich mich immer noch, Buuarbaschi sehen nur heute," sagte ich denen, die
mich graulich machen wollten.

Um ein Uhr ritten wir los, über Berg und Tal südwärts. Wir kamen über
den Hof des Landgutes des Herrn Calvert und besuchten den im Garten liegenden
Hanai-Tepe, einen stattlichen Hügel, der aber kein Tumulus, sondern eine alte Wohn¬
stätte ist. Schliemann und Calvert haben in ihm verschiedne Schichten der Be¬
siedlung aufgedeckt und vermuten wohl mit Recht, daß er die Stätte der schon von
Homer erwähnten Stadt Thymbra sei. Das hübsche Landgut mit seinem wohlge¬
pflegten Garten liegt oben auf einem Berge und fällt schon aus der Ferne durch sein
saftiges Grün angenehm ins Auge. Bald hinter dieser erquickenden Oase erwartete
uns unser Freund von gestern, der Skamander, in seiner ganzen gelben Wildheit.
Heute war er ungalant oder vielmehr galant genug, sogar eine Dame an seinen
Busen zu ziehen. Unmittelbar vor mir ritt eine junge Amerikanerin in den tückischen
Strom, a onsval und ohne Hut, die Fülle ihrer locker aufgesteckten blonden Haare
waren ihr Hut genug. Kaum aber spürte ihr Roß das erquickende Naß um den
Bauch, da legte es sich einfach auf die Seite, und die Miß versank mit leisem
Aufschrei in den kühlen Muter. Der Agojat zog sie heraus. Als ich am andern
Ufer in die Höhe ritt, schaute ich mich nach ihr um und sah, wie sie auf dem steilen
Rande des verlassenen Ufers saß, die Schuhe und Strümpfe ausgezogen hatte und
eben ihr goldnes Haar zwar nicht mit goldnem aber doch mit einem Kamme
kämmte -- eine ins Wasser gefallne Lorelei. Eine halbe Stunde später trabte sie
schon wieder an mir vorbei, die nassen Kleider klebten ihr am Leibe, als habe sie
einem Bildhauer als Modell zu einer Gewandstatne gedient, und die Haare flogen
ihr im Winde wie einer Walküre -- der ganze wilde Westen. Ich sagte zu ihr:

Aber, mein Fräulein, fürchten Sie sich denn gar nicht, so naß in diesem kalten
Winde zu reiten?

Was soll ich tun, erwiderte sie mit stark englischem Accent, Sitzenbleiben ist
noch schlimmer.

Da haben Sie Recht, antwortete ich, Sitzenbleiben ist für junge Damen immer
schlimm.

Sie hatte durch diesen kühlen Heroismus mein Interesse erregt, und ich fragte
sie, ob sie trotz ihrer Jugend schon Lehrerin sei. Sie antwortete:

In Chicago Lehrerin, aber jetzt -- Student. Daß sie bei dem letzten Worte
die Femininendung wegließ, fand ich durchaus berechtigt. Denn auch der flotteste
Mensurengänger hätte sie an Männlichkeit und kalter Ruhe nicht übertreffen können.
Und doch -- die beiden deutschen Damen, die auf Calverts Farm geblieben waren
und dort Inschriften abklatschten, waren mir lieber.

Mittlerweile waren wir am Balidagh angekommen und ritten nun langsam
den kahlen, steinigen Berg hinan. Oben am Abhang liegen mehrere Grabhügel,
von denen einer der des Priamos, ein andrer der des Hektor genannt wird. Das
ottomanische Museum zu Konstantinopel ließ hier, um sich einen guten Namen zu
machen, "Ausgrabungen veranstalten." Sechs bis sieben Arbeiter schaufelten und
hackten unter der Aufsicht eines unteroffiziermäßig aussehenden Kerls in der Erde
herum. Es war ein Jammer zu schauen. Unsre Archäologen von Fach waren
außer sich. Denn wo diese Leute gegraben haben, da ist jede wirklich wissenschaft¬
liche Aufnahme des Tatbestandes für immer unmöglich gemacht. Ans dem Berge


«Line Trojafahrt

worden und Pfiff kalt und schneidend durch die Türspaltcn auf meine drei Mäntel.
Schlimmer aber war, daß ich deutlich spürte, daß meine Wunde nicht nur nicht
besser, sondern entschieden schlimmer geworden war. Ein Wunder war das nicht.
Denn der Arzt in Konstantinopel sagte mir, daß das Herumklettern und besonders
das Reiten „das reine Gift" für mich gewesen wäre. Solche Beinwunden heilten
nur, wenn man den Blutzufluß hindre, indem man das Bein hochlege und ruhig
halte. Am nächsten Nachmittag sollte nun nach Bunarbaschi geritten werden. Es
war mir jedoch trotz aller Vernunftgründe nicht möglich, zurückzubleiben. „Heilen
lassen kann ich mich immer noch, Buuarbaschi sehen nur heute," sagte ich denen, die
mich graulich machen wollten.

Um ein Uhr ritten wir los, über Berg und Tal südwärts. Wir kamen über
den Hof des Landgutes des Herrn Calvert und besuchten den im Garten liegenden
Hanai-Tepe, einen stattlichen Hügel, der aber kein Tumulus, sondern eine alte Wohn¬
stätte ist. Schliemann und Calvert haben in ihm verschiedne Schichten der Be¬
siedlung aufgedeckt und vermuten wohl mit Recht, daß er die Stätte der schon von
Homer erwähnten Stadt Thymbra sei. Das hübsche Landgut mit seinem wohlge¬
pflegten Garten liegt oben auf einem Berge und fällt schon aus der Ferne durch sein
saftiges Grün angenehm ins Auge. Bald hinter dieser erquickenden Oase erwartete
uns unser Freund von gestern, der Skamander, in seiner ganzen gelben Wildheit.
Heute war er ungalant oder vielmehr galant genug, sogar eine Dame an seinen
Busen zu ziehen. Unmittelbar vor mir ritt eine junge Amerikanerin in den tückischen
Strom, a onsval und ohne Hut, die Fülle ihrer locker aufgesteckten blonden Haare
waren ihr Hut genug. Kaum aber spürte ihr Roß das erquickende Naß um den
Bauch, da legte es sich einfach auf die Seite, und die Miß versank mit leisem
Aufschrei in den kühlen Muter. Der Agojat zog sie heraus. Als ich am andern
Ufer in die Höhe ritt, schaute ich mich nach ihr um und sah, wie sie auf dem steilen
Rande des verlassenen Ufers saß, die Schuhe und Strümpfe ausgezogen hatte und
eben ihr goldnes Haar zwar nicht mit goldnem aber doch mit einem Kamme
kämmte — eine ins Wasser gefallne Lorelei. Eine halbe Stunde später trabte sie
schon wieder an mir vorbei, die nassen Kleider klebten ihr am Leibe, als habe sie
einem Bildhauer als Modell zu einer Gewandstatne gedient, und die Haare flogen
ihr im Winde wie einer Walküre — der ganze wilde Westen. Ich sagte zu ihr:

Aber, mein Fräulein, fürchten Sie sich denn gar nicht, so naß in diesem kalten
Winde zu reiten?

Was soll ich tun, erwiderte sie mit stark englischem Accent, Sitzenbleiben ist
noch schlimmer.

Da haben Sie Recht, antwortete ich, Sitzenbleiben ist für junge Damen immer
schlimm.

Sie hatte durch diesen kühlen Heroismus mein Interesse erregt, und ich fragte
sie, ob sie trotz ihrer Jugend schon Lehrerin sei. Sie antwortete:

In Chicago Lehrerin, aber jetzt — Student. Daß sie bei dem letzten Worte
die Femininendung wegließ, fand ich durchaus berechtigt. Denn auch der flotteste
Mensurengänger hätte sie an Männlichkeit und kalter Ruhe nicht übertreffen können.
Und doch — die beiden deutschen Damen, die auf Calverts Farm geblieben waren
und dort Inschriften abklatschten, waren mir lieber.

Mittlerweile waren wir am Balidagh angekommen und ritten nun langsam
den kahlen, steinigen Berg hinan. Oben am Abhang liegen mehrere Grabhügel,
von denen einer der des Priamos, ein andrer der des Hektor genannt wird. Das
ottomanische Museum zu Konstantinopel ließ hier, um sich einen guten Namen zu
machen, „Ausgrabungen veranstalten." Sechs bis sieben Arbeiter schaufelten und
hackten unter der Aufsicht eines unteroffiziermäßig aussehenden Kerls in der Erde
herum. Es war ein Jammer zu schauen. Unsre Archäologen von Fach waren
außer sich. Denn wo diese Leute gegraben haben, da ist jede wirklich wissenschaft¬
liche Aufnahme des Tatbestandes für immer unmöglich gemacht. Ans dem Berge


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[0352] «Line Trojafahrt worden und Pfiff kalt und schneidend durch die Türspaltcn auf meine drei Mäntel. Schlimmer aber war, daß ich deutlich spürte, daß meine Wunde nicht nur nicht besser, sondern entschieden schlimmer geworden war. Ein Wunder war das nicht. Denn der Arzt in Konstantinopel sagte mir, daß das Herumklettern und besonders das Reiten „das reine Gift" für mich gewesen wäre. Solche Beinwunden heilten nur, wenn man den Blutzufluß hindre, indem man das Bein hochlege und ruhig halte. Am nächsten Nachmittag sollte nun nach Bunarbaschi geritten werden. Es war mir jedoch trotz aller Vernunftgründe nicht möglich, zurückzubleiben. „Heilen lassen kann ich mich immer noch, Buuarbaschi sehen nur heute," sagte ich denen, die mich graulich machen wollten. Um ein Uhr ritten wir los, über Berg und Tal südwärts. Wir kamen über den Hof des Landgutes des Herrn Calvert und besuchten den im Garten liegenden Hanai-Tepe, einen stattlichen Hügel, der aber kein Tumulus, sondern eine alte Wohn¬ stätte ist. Schliemann und Calvert haben in ihm verschiedne Schichten der Be¬ siedlung aufgedeckt und vermuten wohl mit Recht, daß er die Stätte der schon von Homer erwähnten Stadt Thymbra sei. Das hübsche Landgut mit seinem wohlge¬ pflegten Garten liegt oben auf einem Berge und fällt schon aus der Ferne durch sein saftiges Grün angenehm ins Auge. Bald hinter dieser erquickenden Oase erwartete uns unser Freund von gestern, der Skamander, in seiner ganzen gelben Wildheit. Heute war er ungalant oder vielmehr galant genug, sogar eine Dame an seinen Busen zu ziehen. Unmittelbar vor mir ritt eine junge Amerikanerin in den tückischen Strom, a onsval und ohne Hut, die Fülle ihrer locker aufgesteckten blonden Haare waren ihr Hut genug. Kaum aber spürte ihr Roß das erquickende Naß um den Bauch, da legte es sich einfach auf die Seite, und die Miß versank mit leisem Aufschrei in den kühlen Muter. Der Agojat zog sie heraus. Als ich am andern Ufer in die Höhe ritt, schaute ich mich nach ihr um und sah, wie sie auf dem steilen Rande des verlassenen Ufers saß, die Schuhe und Strümpfe ausgezogen hatte und eben ihr goldnes Haar zwar nicht mit goldnem aber doch mit einem Kamme kämmte — eine ins Wasser gefallne Lorelei. Eine halbe Stunde später trabte sie schon wieder an mir vorbei, die nassen Kleider klebten ihr am Leibe, als habe sie einem Bildhauer als Modell zu einer Gewandstatne gedient, und die Haare flogen ihr im Winde wie einer Walküre — der ganze wilde Westen. Ich sagte zu ihr: Aber, mein Fräulein, fürchten Sie sich denn gar nicht, so naß in diesem kalten Winde zu reiten? Was soll ich tun, erwiderte sie mit stark englischem Accent, Sitzenbleiben ist noch schlimmer. Da haben Sie Recht, antwortete ich, Sitzenbleiben ist für junge Damen immer schlimm. Sie hatte durch diesen kühlen Heroismus mein Interesse erregt, und ich fragte sie, ob sie trotz ihrer Jugend schon Lehrerin sei. Sie antwortete: In Chicago Lehrerin, aber jetzt — Student. Daß sie bei dem letzten Worte die Femininendung wegließ, fand ich durchaus berechtigt. Denn auch der flotteste Mensurengänger hätte sie an Männlichkeit und kalter Ruhe nicht übertreffen können. Und doch — die beiden deutschen Damen, die auf Calverts Farm geblieben waren und dort Inschriften abklatschten, waren mir lieber. Mittlerweile waren wir am Balidagh angekommen und ritten nun langsam den kahlen, steinigen Berg hinan. Oben am Abhang liegen mehrere Grabhügel, von denen einer der des Priamos, ein andrer der des Hektor genannt wird. Das ottomanische Museum zu Konstantinopel ließ hier, um sich einen guten Namen zu machen, „Ausgrabungen veranstalten." Sechs bis sieben Arbeiter schaufelten und hackten unter der Aufsicht eines unteroffiziermäßig aussehenden Kerls in der Erde herum. Es war ein Jammer zu schauen. Unsre Archäologen von Fach waren außer sich. Denn wo diese Leute gegraben haben, da ist jede wirklich wissenschaft¬ liche Aufnahme des Tatbestandes für immer unmöglich gemacht. Ans dem Berge

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/352>, abgerufen am 02.07.2024.