Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Man hätte denken sollen, das; nach diesen unwiderleglicher Ausführungen die So tief aber, wie sie gefaßt werden konnte und mußte, faßte die Sache keiner Maßgebliches und Unmaßgebliches Man hätte denken sollen, das; nach diesen unwiderleglicher Ausführungen die So tief aber, wie sie gefaßt werden konnte und mußte, faßte die Sache keiner <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0245" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/293864"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1041"> Man hätte denken sollen, das; nach diesen unwiderleglicher Ausführungen die<lb/> Sache, soweit sie die Kammer anging, erledigt gewesen wäre. In der Tat stimmten<lb/> die beiden Oberbürgermeister von Chemnitz (Beck) und Dresden (Beutler) dem<lb/> Kultusminister in längern Ausführungen entschieden bei, und auch ein Konservativer,<lb/> von Frege, tat es mit einem allerdings höchst anfechtbaren Vermittluugsvorschlage i<lb/> aber nicht nur der Justizminister Dr. Otto, sondern auch die beiden Vertreter der<lb/> Universität Leipzig, der Jurist Dr. Wach und der Theologe Dr. Hofmann, stellten<lb/> sich auf einen ablehnenden Standpunkt. Leider muß mau sagen: sie kannten alle<lb/> weder das heutige humanistische Gymnasium noch das jetzige Realgymnasium, urteilten<lb/> im besten Falle von vereinzelten Wahrnehmungen, zuweilen aber anch von vorgefaßten<lb/> Meinungen aus, und mancher Anhänger des humanistischen Gymnasiums, für das<lb/> sie ja alle in ihrer Art eintraten, wird bei diesen Reden geseufzt haben: „Gott<lb/> schütze uns vor unsern Freunden!" Merkwürdigerweise kam dabei der eine große<lb/> Vorzug des humanistischen Gymnasiums, daß es nämlich durch den Betrieb des<lb/> Griechischen unmittelbar und mit einer gewissen Gründlichkeit in die griechische<lb/> Kultur, die eigentliche Grundlage der modernen, einführt und dadurch in die<lb/> tiefsten, bis aus die Gegenwart fortwirkenden Zusammenhänge der europäischen<lb/> Kultur, so gut wie gar nicht zur Geltung, denn dem Juristen liegt das Hellencn-<lb/> tum, das ja leider kein Vorxus stiri« hervorgebracht hat und für die äußerliche<lb/> Reglementierung des Lebens bei der unendlichen Vielseitigkeit und Mannigfaltigkeit<lb/> seines Wesens zu geistreich war, im Grunde ganz fern und dem Theologen innerlich<lb/> vielleicht nicht nahe genug. Sonst hätte doch wohl hervorgehoben werden können,<lb/> daß es ein unersetzlicher Verlust für unsre höhere Bildung wäre, wenn junge Leute<lb/> der obersten Klassen nicht mehr in Sophokles und Plato, Thukydides und Demosthenes<lb/> eingeführt werden könnten, oder wenigstens nur durch Übersetzungen, denn dieses<lb/> Mittel bleibt überall nur ein durstiger Notbehelf, der Schüler muß sich hier nichts<lb/> selbst erarbeiten, und die ganze Kultur, deren feinste Blüten sich ihm hier er¬<lb/> schließen sollen, steht ihm zu fern, sie ist und bleibt ihm fremdartig. Von diesem<lb/> Standpunkt aus hätte sich auch ohne Mühe nachweisen lassen, daß der Unterricht<lb/> des humanistischen Gymnasiums insofern besonders die Mittel biete, eine idealistische<lb/> Gesinnung zu erziehn (was er natürlich nicht i» jedem einzelnen Falle wirklich er¬<lb/> reicht), als er zu eingehenderer Beschäftigung mit Dingen, die mit dem Tagesleben<lb/> gar nichts zu tuu bilden, sondern nur wegen ihres unvergänglichen Wertes (natürlich<lb/> nicht als Vorbilder, sondern als Erzeugnisse des genialsten Volks und der edelsten<lb/> Kultur der Menschheit) anleite und somit lehre, an solche Dinge die beste Kraft<lb/> zu setzen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1042" next="#ID_1043"> So tief aber, wie sie gefaßt werden konnte und mußte, faßte die Sache keiner<lb/> von den Gegnern der Zulassung. Sie redeten zwar von der Förderung des Idea¬<lb/> lismus als von einer wichtigen Bedingung eines gedeihlichen juristischen Stu¬<lb/> diums; aber die Erweckung einer idealistischen Gesinnung hängt weniger von dem<lb/> Gegenstande als von der Art seiner Behandlung, also vor allem von den Lehrern<lb/> ab, von denen in der ganzen Debatte außer dem Unterrichtsminister nnr der Ober¬<lb/> bürgermeister Beck gesprochen hat; hegen diese nicht eine solche Gesinnung, so werden<lb/> sie aus dem edelsten Gestein kein Feuer schlagen. Auf der andern Seite bietet das<lb/> Realgymnasium in Geschichte und Deutsch, schließlich auch in der Lektüre so manches<lb/> französischen und englischen Schriftstellers (z. B. Shakespeares) wie in dem starken Be¬<lb/> triebe der exakten Fächer, die bekanntlich die praktische Verwendbarkeit der er-<lb/> worbnen Kenntnisse keineswegs in den Vordergrund stellen, genügende Stoffe zur<lb/> Pflege einer über den engen Interessenkreis des Einzelnen hinaushebenden Ge¬<lb/> sinnung. Ob sie freilich wirklich erweckt wird, das kommt überall auch auf die<lb/> Schüler an, und da kaun man die Frage nicht unterdrücken, ob denn die Mehr¬<lb/> zahl der Gymnasiasten, die sich für das juristische Studium entscheiden, wirklich<lb/> von einer solchen Gesinnung erfüllt ist, ob nicht die meisten es nicht aus innerer<lb/> Steigung wählen, sondern als ein Verlegenheitsstudium, das ihnen einen schnellern</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0245]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Man hätte denken sollen, das; nach diesen unwiderleglicher Ausführungen die
Sache, soweit sie die Kammer anging, erledigt gewesen wäre. In der Tat stimmten
die beiden Oberbürgermeister von Chemnitz (Beck) und Dresden (Beutler) dem
Kultusminister in längern Ausführungen entschieden bei, und auch ein Konservativer,
von Frege, tat es mit einem allerdings höchst anfechtbaren Vermittluugsvorschlage i
aber nicht nur der Justizminister Dr. Otto, sondern auch die beiden Vertreter der
Universität Leipzig, der Jurist Dr. Wach und der Theologe Dr. Hofmann, stellten
sich auf einen ablehnenden Standpunkt. Leider muß mau sagen: sie kannten alle
weder das heutige humanistische Gymnasium noch das jetzige Realgymnasium, urteilten
im besten Falle von vereinzelten Wahrnehmungen, zuweilen aber anch von vorgefaßten
Meinungen aus, und mancher Anhänger des humanistischen Gymnasiums, für das
sie ja alle in ihrer Art eintraten, wird bei diesen Reden geseufzt haben: „Gott
schütze uns vor unsern Freunden!" Merkwürdigerweise kam dabei der eine große
Vorzug des humanistischen Gymnasiums, daß es nämlich durch den Betrieb des
Griechischen unmittelbar und mit einer gewissen Gründlichkeit in die griechische
Kultur, die eigentliche Grundlage der modernen, einführt und dadurch in die
tiefsten, bis aus die Gegenwart fortwirkenden Zusammenhänge der europäischen
Kultur, so gut wie gar nicht zur Geltung, denn dem Juristen liegt das Hellencn-
tum, das ja leider kein Vorxus stiri« hervorgebracht hat und für die äußerliche
Reglementierung des Lebens bei der unendlichen Vielseitigkeit und Mannigfaltigkeit
seines Wesens zu geistreich war, im Grunde ganz fern und dem Theologen innerlich
vielleicht nicht nahe genug. Sonst hätte doch wohl hervorgehoben werden können,
daß es ein unersetzlicher Verlust für unsre höhere Bildung wäre, wenn junge Leute
der obersten Klassen nicht mehr in Sophokles und Plato, Thukydides und Demosthenes
eingeführt werden könnten, oder wenigstens nur durch Übersetzungen, denn dieses
Mittel bleibt überall nur ein durstiger Notbehelf, der Schüler muß sich hier nichts
selbst erarbeiten, und die ganze Kultur, deren feinste Blüten sich ihm hier er¬
schließen sollen, steht ihm zu fern, sie ist und bleibt ihm fremdartig. Von diesem
Standpunkt aus hätte sich auch ohne Mühe nachweisen lassen, daß der Unterricht
des humanistischen Gymnasiums insofern besonders die Mittel biete, eine idealistische
Gesinnung zu erziehn (was er natürlich nicht i» jedem einzelnen Falle wirklich er¬
reicht), als er zu eingehenderer Beschäftigung mit Dingen, die mit dem Tagesleben
gar nichts zu tuu bilden, sondern nur wegen ihres unvergänglichen Wertes (natürlich
nicht als Vorbilder, sondern als Erzeugnisse des genialsten Volks und der edelsten
Kultur der Menschheit) anleite und somit lehre, an solche Dinge die beste Kraft
zu setzen.
So tief aber, wie sie gefaßt werden konnte und mußte, faßte die Sache keiner
von den Gegnern der Zulassung. Sie redeten zwar von der Förderung des Idea¬
lismus als von einer wichtigen Bedingung eines gedeihlichen juristischen Stu¬
diums; aber die Erweckung einer idealistischen Gesinnung hängt weniger von dem
Gegenstande als von der Art seiner Behandlung, also vor allem von den Lehrern
ab, von denen in der ganzen Debatte außer dem Unterrichtsminister nnr der Ober¬
bürgermeister Beck gesprochen hat; hegen diese nicht eine solche Gesinnung, so werden
sie aus dem edelsten Gestein kein Feuer schlagen. Auf der andern Seite bietet das
Realgymnasium in Geschichte und Deutsch, schließlich auch in der Lektüre so manches
französischen und englischen Schriftstellers (z. B. Shakespeares) wie in dem starken Be¬
triebe der exakten Fächer, die bekanntlich die praktische Verwendbarkeit der er-
worbnen Kenntnisse keineswegs in den Vordergrund stellen, genügende Stoffe zur
Pflege einer über den engen Interessenkreis des Einzelnen hinaushebenden Ge¬
sinnung. Ob sie freilich wirklich erweckt wird, das kommt überall auch auf die
Schüler an, und da kaun man die Frage nicht unterdrücken, ob denn die Mehr¬
zahl der Gymnasiasten, die sich für das juristische Studium entscheiden, wirklich
von einer solchen Gesinnung erfüllt ist, ob nicht die meisten es nicht aus innerer
Steigung wählen, sondern als ein Verlegenheitsstudium, das ihnen einen schnellern
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |