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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Erinnerungen

gefährlicher Ratgeber Laster ist. Daß Preußen in der Sozialistenvorlage das
Reichsamt für Vereinswesen und Presse hat fallen lassen, ist ausschließlich auf
Bismarcks sehr bestimmt geäußerten Willen zurückzuführen. Freilich, wer kennt wie
dieser die Strömungen in den Negierungskreiseu der einzelnen Bundesstaaten, und
wer übersieht auch nur annähernd wie er die Notwendigkeit des Nachgebens in
kleinern Fragen, um Größeres damit zu gewinnen oder zu sichern? Aussicht, die
im Bundesrat geänderte Vorlage im Reichstage durchzubringen, besteht auch nach
Graf Eulenburgs Ansicht nicht. Aber vielleicht will Fürst Bismarck nur abhandeln.
Wenn man jetzt den Bundesrat als Kontrollinstanz fordert, so hofft er vielleicht
das Neichsamt zu bekommen. Das wäre eine parlamentarische Taktik, die nur
Fürst Bismarck zu ersinnen das Zeug und auszuführen den Mut und das Selbst¬
vertrauen hat. -- Fürst Bismarck ist voll Gift und Galle über das Verhalten der
Nationalliberalen bei den Wahlen. Deshalb will er auch zum Reichstage her¬
kommen. Er muß sich seinen Zorn von der Seele sprechen. Viel mehr Sorge als
um den Reichstag hat Graf Eulenburg um den Landtag. Am meisten wegen der
haarsträubenden Finanzlage. Kurz, er sieht die politische Lage sehr ernst an,
aber er ist doch nicht mutlos. Georg von Bunsen hat über das Sozialistengesetz
eine Ansprache an seine Wähler losgelassen! sie reicht nicht über den landläufigen
Liberalismus hinaus. Graf Eulenburg taxiert Bunsen, glaube ich, richtig.

27. August. Graf Stolberg fing bei dem heutigen Vortrage von selbst davon
an, daß er die positiven Reformen, mit denen der sozialdemokratischen Gefahr
innerlich entgegenzuwirken sei, nunmehr in Anregung bringen wolle. Ich soll
mir die einzelnen Punkte überlegen und ihm dann Vortrag halten. Ein gesunder
und staatsmännischer Gedanke des Grafen. Um sechs Uhr bei Graf Stolberg ge¬
gessen mit dem Minister des Innern, dem Finanzminister, Geheimen Rat Starke
"ut Wirklichen Geheimen Legationsrat v. Jordan. nett, aber ohne bemerkens¬
werten Gewinn. Man stellt sich nur zu leicht vor, daß die Unterhaltung so hoch¬
stehender und kluger Männer immer wie ein Lied im höhern Chor klingen müsse.
Das ist aber gegen die Natur. Auch sie kochen mit Wasser.

29. August. Sitzung des Staatsministeriums. Danach vertrauliche Besprechung
der Minister über den Entwurf der Thronrede für den am 9. September zusammen¬
tretender Reichstag. Der Entwurf ist meiner Empfindung nach zu gewunden. Er
müßte mehr warmes Herz für das wirklich vorhandne Elend des Volks und be¬
sonders für den Arbeiterstand bekunden. Das einseitige Betonen des Sozialisten¬
gesetzes, als wenn davon allein alles Heil zu erwarten sei, entspricht nicht der
Wahrheit. Angesichts der vorhandnen Notlage und der aus den Attentaten sich
ergebenden Krisis erscheint mir der Entwurf viel zu kühl.

1. September, Sonntag. Nach der Kirche fand ich einen eigenhändigen
Brief des Grafen Stolberg vor mit einem zu schärferen Vorgehn gegen die Beamten
aus Anlaß der Harburger Revolte dringenden Ukas des Fürsten Bismarck, der
zugleich eine bittre Bemerkung über den Justizminister Leonhard enthält. Unter
seiner Verantwortlichkeit habe sich die jetzige politisch unzuverlässige Zusammensetzung
der Nichterkollegien in der Provinz Hannover gebildet. Mit diesem Erlasse wird
wenig anzufangen sein. Er enthält im Grnnde einen schweren Vorwurf gegen die
Ressortminister und deren Handhabung der Disziplin, ohne ihn näher zu begründen.
Graf Stolberg, dem ich gleich Vortrag gehalten habe, will, daß zunächst an den
Minister des Innern und den Oberpräsidenten v. Leipziger in Hannover geschrieben
werde. Gewiß muß das geschehn. Es wird auch nicht schaden, aber viel helfen
wird es auch uicht. vstsrnm esusso, das Notwendigste ist, daß die Regierung zu
großer positiver Initiative auf sozialem Gebiete sich aufrafft. Das Land muß eine
bewußte Tatkraft der Regierung sehen. Die Regierung muß führen und regieren.
Das Beamtentum tut dann von selbst seine Pflicht. Im großen und ganzen ist
unser Beamtentum guten Willens und treu bis auf die Knochen.

4. September. Besuch von Professor Dr. Brecher. Auffallend war mir, wie


Erinnerungen

gefährlicher Ratgeber Laster ist. Daß Preußen in der Sozialistenvorlage das
Reichsamt für Vereinswesen und Presse hat fallen lassen, ist ausschließlich auf
Bismarcks sehr bestimmt geäußerten Willen zurückzuführen. Freilich, wer kennt wie
dieser die Strömungen in den Negierungskreiseu der einzelnen Bundesstaaten, und
wer übersieht auch nur annähernd wie er die Notwendigkeit des Nachgebens in
kleinern Fragen, um Größeres damit zu gewinnen oder zu sichern? Aussicht, die
im Bundesrat geänderte Vorlage im Reichstage durchzubringen, besteht auch nach
Graf Eulenburgs Ansicht nicht. Aber vielleicht will Fürst Bismarck nur abhandeln.
Wenn man jetzt den Bundesrat als Kontrollinstanz fordert, so hofft er vielleicht
das Neichsamt zu bekommen. Das wäre eine parlamentarische Taktik, die nur
Fürst Bismarck zu ersinnen das Zeug und auszuführen den Mut und das Selbst¬
vertrauen hat. — Fürst Bismarck ist voll Gift und Galle über das Verhalten der
Nationalliberalen bei den Wahlen. Deshalb will er auch zum Reichstage her¬
kommen. Er muß sich seinen Zorn von der Seele sprechen. Viel mehr Sorge als
um den Reichstag hat Graf Eulenburg um den Landtag. Am meisten wegen der
haarsträubenden Finanzlage. Kurz, er sieht die politische Lage sehr ernst an,
aber er ist doch nicht mutlos. Georg von Bunsen hat über das Sozialistengesetz
eine Ansprache an seine Wähler losgelassen! sie reicht nicht über den landläufigen
Liberalismus hinaus. Graf Eulenburg taxiert Bunsen, glaube ich, richtig.

27. August. Graf Stolberg fing bei dem heutigen Vortrage von selbst davon
an, daß er die positiven Reformen, mit denen der sozialdemokratischen Gefahr
innerlich entgegenzuwirken sei, nunmehr in Anregung bringen wolle. Ich soll
mir die einzelnen Punkte überlegen und ihm dann Vortrag halten. Ein gesunder
und staatsmännischer Gedanke des Grafen. Um sechs Uhr bei Graf Stolberg ge¬
gessen mit dem Minister des Innern, dem Finanzminister, Geheimen Rat Starke
»ut Wirklichen Geheimen Legationsrat v. Jordan. nett, aber ohne bemerkens¬
werten Gewinn. Man stellt sich nur zu leicht vor, daß die Unterhaltung so hoch¬
stehender und kluger Männer immer wie ein Lied im höhern Chor klingen müsse.
Das ist aber gegen die Natur. Auch sie kochen mit Wasser.

29. August. Sitzung des Staatsministeriums. Danach vertrauliche Besprechung
der Minister über den Entwurf der Thronrede für den am 9. September zusammen¬
tretender Reichstag. Der Entwurf ist meiner Empfindung nach zu gewunden. Er
müßte mehr warmes Herz für das wirklich vorhandne Elend des Volks und be¬
sonders für den Arbeiterstand bekunden. Das einseitige Betonen des Sozialisten¬
gesetzes, als wenn davon allein alles Heil zu erwarten sei, entspricht nicht der
Wahrheit. Angesichts der vorhandnen Notlage und der aus den Attentaten sich
ergebenden Krisis erscheint mir der Entwurf viel zu kühl.

1. September, Sonntag. Nach der Kirche fand ich einen eigenhändigen
Brief des Grafen Stolberg vor mit einem zu schärferen Vorgehn gegen die Beamten
aus Anlaß der Harburger Revolte dringenden Ukas des Fürsten Bismarck, der
zugleich eine bittre Bemerkung über den Justizminister Leonhard enthält. Unter
seiner Verantwortlichkeit habe sich die jetzige politisch unzuverlässige Zusammensetzung
der Nichterkollegien in der Provinz Hannover gebildet. Mit diesem Erlasse wird
wenig anzufangen sein. Er enthält im Grnnde einen schweren Vorwurf gegen die
Ressortminister und deren Handhabung der Disziplin, ohne ihn näher zu begründen.
Graf Stolberg, dem ich gleich Vortrag gehalten habe, will, daß zunächst an den
Minister des Innern und den Oberpräsidenten v. Leipziger in Hannover geschrieben
werde. Gewiß muß das geschehn. Es wird auch nicht schaden, aber viel helfen
wird es auch uicht. vstsrnm esusso, das Notwendigste ist, daß die Regierung zu
großer positiver Initiative auf sozialem Gebiete sich aufrafft. Das Land muß eine
bewußte Tatkraft der Regierung sehen. Die Regierung muß führen und regieren.
Das Beamtentum tut dann von selbst seine Pflicht. Im großen und ganzen ist
unser Beamtentum guten Willens und treu bis auf die Knochen.

4. September. Besuch von Professor Dr. Brecher. Auffallend war mir, wie


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[0171] Erinnerungen gefährlicher Ratgeber Laster ist. Daß Preußen in der Sozialistenvorlage das Reichsamt für Vereinswesen und Presse hat fallen lassen, ist ausschließlich auf Bismarcks sehr bestimmt geäußerten Willen zurückzuführen. Freilich, wer kennt wie dieser die Strömungen in den Negierungskreiseu der einzelnen Bundesstaaten, und wer übersieht auch nur annähernd wie er die Notwendigkeit des Nachgebens in kleinern Fragen, um Größeres damit zu gewinnen oder zu sichern? Aussicht, die im Bundesrat geänderte Vorlage im Reichstage durchzubringen, besteht auch nach Graf Eulenburgs Ansicht nicht. Aber vielleicht will Fürst Bismarck nur abhandeln. Wenn man jetzt den Bundesrat als Kontrollinstanz fordert, so hofft er vielleicht das Neichsamt zu bekommen. Das wäre eine parlamentarische Taktik, die nur Fürst Bismarck zu ersinnen das Zeug und auszuführen den Mut und das Selbst¬ vertrauen hat. — Fürst Bismarck ist voll Gift und Galle über das Verhalten der Nationalliberalen bei den Wahlen. Deshalb will er auch zum Reichstage her¬ kommen. Er muß sich seinen Zorn von der Seele sprechen. Viel mehr Sorge als um den Reichstag hat Graf Eulenburg um den Landtag. Am meisten wegen der haarsträubenden Finanzlage. Kurz, er sieht die politische Lage sehr ernst an, aber er ist doch nicht mutlos. Georg von Bunsen hat über das Sozialistengesetz eine Ansprache an seine Wähler losgelassen! sie reicht nicht über den landläufigen Liberalismus hinaus. Graf Eulenburg taxiert Bunsen, glaube ich, richtig. 27. August. Graf Stolberg fing bei dem heutigen Vortrage von selbst davon an, daß er die positiven Reformen, mit denen der sozialdemokratischen Gefahr innerlich entgegenzuwirken sei, nunmehr in Anregung bringen wolle. Ich soll mir die einzelnen Punkte überlegen und ihm dann Vortrag halten. Ein gesunder und staatsmännischer Gedanke des Grafen. Um sechs Uhr bei Graf Stolberg ge¬ gessen mit dem Minister des Innern, dem Finanzminister, Geheimen Rat Starke »ut Wirklichen Geheimen Legationsrat v. Jordan. nett, aber ohne bemerkens¬ werten Gewinn. Man stellt sich nur zu leicht vor, daß die Unterhaltung so hoch¬ stehender und kluger Männer immer wie ein Lied im höhern Chor klingen müsse. Das ist aber gegen die Natur. Auch sie kochen mit Wasser. 29. August. Sitzung des Staatsministeriums. Danach vertrauliche Besprechung der Minister über den Entwurf der Thronrede für den am 9. September zusammen¬ tretender Reichstag. Der Entwurf ist meiner Empfindung nach zu gewunden. Er müßte mehr warmes Herz für das wirklich vorhandne Elend des Volks und be¬ sonders für den Arbeiterstand bekunden. Das einseitige Betonen des Sozialisten¬ gesetzes, als wenn davon allein alles Heil zu erwarten sei, entspricht nicht der Wahrheit. Angesichts der vorhandnen Notlage und der aus den Attentaten sich ergebenden Krisis erscheint mir der Entwurf viel zu kühl. 1. September, Sonntag. Nach der Kirche fand ich einen eigenhändigen Brief des Grafen Stolberg vor mit einem zu schärferen Vorgehn gegen die Beamten aus Anlaß der Harburger Revolte dringenden Ukas des Fürsten Bismarck, der zugleich eine bittre Bemerkung über den Justizminister Leonhard enthält. Unter seiner Verantwortlichkeit habe sich die jetzige politisch unzuverlässige Zusammensetzung der Nichterkollegien in der Provinz Hannover gebildet. Mit diesem Erlasse wird wenig anzufangen sein. Er enthält im Grnnde einen schweren Vorwurf gegen die Ressortminister und deren Handhabung der Disziplin, ohne ihn näher zu begründen. Graf Stolberg, dem ich gleich Vortrag gehalten habe, will, daß zunächst an den Minister des Innern und den Oberpräsidenten v. Leipziger in Hannover geschrieben werde. Gewiß muß das geschehn. Es wird auch nicht schaden, aber viel helfen wird es auch uicht. vstsrnm esusso, das Notwendigste ist, daß die Regierung zu großer positiver Initiative auf sozialem Gebiete sich aufrafft. Das Land muß eine bewußte Tatkraft der Regierung sehen. Die Regierung muß führen und regieren. Das Beamtentum tut dann von selbst seine Pflicht. Im großen und ganzen ist unser Beamtentum guten Willens und treu bis auf die Knochen. 4. September. Besuch von Professor Dr. Brecher. Auffallend war mir, wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/171>, abgerufen am 04.07.2024.