Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Line Trojafahrt

Von denen ungefähr die Hälfte schon die beiden ersten Reisen mitgemacht hatte. Wir
Reichsdeutschen mochten etwa ein Drittel der Gesellschaft ausmachen. Die übrigen
waren Ausländer, besonders Österreicher und Amerikaner. Auch fünf Damen nahmen
an dieser Reise teil, zu der für Frauen immer ein gewisser Wagemut und einige
Entbehrungsfrendigkeit gehört. Um halb zwei Uhr wurden die Anker gelichtet; wir
glitten an den Molenköpfen des Hafens vorüber, und bald verschwanden die Akropolis,
der Hymettos, dann auch Salamis und Ägina unsern Blicken. Wir fuhren an der
öden und einsamen Felsenküste von Attika entlang gegen einen eisigkalten Wind, der
uns, obgleich wir Mitte Mai schrieben, bis auf die Knochen durchfröstelte. An der
Südspitze Attikas, dem Kap Sunion, grüßten uns die weißen Säulen des Poseidon-
tcmpels vom hohen Klippengestade. Ich kenne kaum eine melancholischere Landschaft
als diese. Das Felsenufer braun und dürr und umschauend von weißlicher Brandung,
und auf der Höhe die stolzen, schlanken Säulen, die letzten Reste verschwundner
Pracht und Herrlichkeit. Kein Baum, kein Strauch erquickt mit belebendem Grün
das Auge, und kein lebendes Wesen bringt Bewegung in das starre Bild. Nur
ein nach Fischen spähender Raubvogel zieht oben seine einsamen Kreise. Aber die
plastischen Formen der Landschaft, der ganze Aufbau der klippennmsäumten Fels¬
massen, wie er sich aus dem tiefen, dunkelblauen Untergrunde heraushebt, die schmale
weiße Brandungslinie dazwischen, verleiht dieser schwermütigen Landschaft einen ganz
eigentümlichen Zauber.

Geradezu trostlos wurde die Küste später, als an die Stelle der edeln Tempel-
trümmer des Vorgebirges die Schmelzöfen und die Essen von Lcmrion am Gestade
erschienen, und sich zugleich widrige Schlacken- und Schwefeldämpfe weithin bemerkbar
machten. Gegen Abend fuhren wir zwischen Euböa und Andros hinaus in das
offne Ägäische Meer. Ich saß nach dem Abendbrot ganz oben auf der Kommando¬
brücke -- das ist auf griechischen Schiffen nicht verboten, wie in Griechenland
überhaupt "indes verboten ist -- und freute mich des wunderbaren Sonnenunter-
ganges. Über die Berge von Euböa blitzen die letzten Strahlen zu mir herüber,
dann entfaltete sich am westlichen Himmel ein rotglühender, mit goldnen Streifen
verbrämter Riesenmantel, von dem sich die zackige Reihe der Bergeshänpter wie
mit der Schere geschnitten abhob, während in den Lücken des Gebirges das warme
Licht nach der bläulich-dunkeln Schattenseite herüberflutete. Das brennende Not
wurde dunkler, violett, bläulich, und wie mit einem Schlage war der Himmel über
mir besät mit den abertnnsend glänzenden Punkten der südlichen Sterne, die dort
klarer leuchten als bei uns am kältesten Wintertnge. Zugleich flammte rechts das
Leuchtfeuer von Andros auf. Der Wind hatte sich völlig gelegt, und leise plätscherten
die dunkeln Wogen um deu Bug unsers ruhig seine Bahn furchenden Schiffes.
Plötzlich erklang vom Vorderdeck her Gesang. Die Amerikaner mit ihren drei Damen
trugen vier- und zweistimmige Lieder vor, und zwar zur Hälfte deutsche. Sie sangen:
O Tannenbaum, Verlassen, verlassen, Ärmchen von Tharan. Unser deutsches Volks¬
lied erobert die Welt. Den Amerikanern antwortete bald ein kunstloser deutscher
Chor, der sich schon auf der "Inselreihe" zusammengefunden hatte. So ging es im
Wechselgesang weiter, bis es Zeit wurde, die Kabinen aufzusuchen.

Ich teilte die meinige mit Dvrpfeld, schlief wunderschön, mußte aber, da sich
in der Kabine selbst keinerlei Waschgelegenhcit befand, am andern Morgen im
gemeinsamen Salon Toilette machen, wo schon einige Herren und Damm am
Frühstückstische saßen. Eine grüne Gardine, die sich vor die Waschecke ziehn ließ,
schützte mich nur notdürftig. Auf deu kleinen griechischen Schiffen muß man sich
eben an vieles gewöhnen und darf es nicht so genau nehmen. Das war noch
nicht das Schlimmste. Ich machte einmal -- es war auf der "Inselreihe" -- den
.Kellner darauf aufmerksam, daß meine Tasse am obern Rande noch von gestern
her schmutzig sei. Da feuchtete der Biedere Zeigefinger und Daumen rin der Zunge,
wischte mit diesen Fingern in die Runde fahrend die Tasse ab und war höchlichst
erstaunt, als ich sie trotz dieser Reinigung dankend zurückwies.


Line Trojafahrt

Von denen ungefähr die Hälfte schon die beiden ersten Reisen mitgemacht hatte. Wir
Reichsdeutschen mochten etwa ein Drittel der Gesellschaft ausmachen. Die übrigen
waren Ausländer, besonders Österreicher und Amerikaner. Auch fünf Damen nahmen
an dieser Reise teil, zu der für Frauen immer ein gewisser Wagemut und einige
Entbehrungsfrendigkeit gehört. Um halb zwei Uhr wurden die Anker gelichtet; wir
glitten an den Molenköpfen des Hafens vorüber, und bald verschwanden die Akropolis,
der Hymettos, dann auch Salamis und Ägina unsern Blicken. Wir fuhren an der
öden und einsamen Felsenküste von Attika entlang gegen einen eisigkalten Wind, der
uns, obgleich wir Mitte Mai schrieben, bis auf die Knochen durchfröstelte. An der
Südspitze Attikas, dem Kap Sunion, grüßten uns die weißen Säulen des Poseidon-
tcmpels vom hohen Klippengestade. Ich kenne kaum eine melancholischere Landschaft
als diese. Das Felsenufer braun und dürr und umschauend von weißlicher Brandung,
und auf der Höhe die stolzen, schlanken Säulen, die letzten Reste verschwundner
Pracht und Herrlichkeit. Kein Baum, kein Strauch erquickt mit belebendem Grün
das Auge, und kein lebendes Wesen bringt Bewegung in das starre Bild. Nur
ein nach Fischen spähender Raubvogel zieht oben seine einsamen Kreise. Aber die
plastischen Formen der Landschaft, der ganze Aufbau der klippennmsäumten Fels¬
massen, wie er sich aus dem tiefen, dunkelblauen Untergrunde heraushebt, die schmale
weiße Brandungslinie dazwischen, verleiht dieser schwermütigen Landschaft einen ganz
eigentümlichen Zauber.

Geradezu trostlos wurde die Küste später, als an die Stelle der edeln Tempel-
trümmer des Vorgebirges die Schmelzöfen und die Essen von Lcmrion am Gestade
erschienen, und sich zugleich widrige Schlacken- und Schwefeldämpfe weithin bemerkbar
machten. Gegen Abend fuhren wir zwischen Euböa und Andros hinaus in das
offne Ägäische Meer. Ich saß nach dem Abendbrot ganz oben auf der Kommando¬
brücke — das ist auf griechischen Schiffen nicht verboten, wie in Griechenland
überhaupt «indes verboten ist — und freute mich des wunderbaren Sonnenunter-
ganges. Über die Berge von Euböa blitzen die letzten Strahlen zu mir herüber,
dann entfaltete sich am westlichen Himmel ein rotglühender, mit goldnen Streifen
verbrämter Riesenmantel, von dem sich die zackige Reihe der Bergeshänpter wie
mit der Schere geschnitten abhob, während in den Lücken des Gebirges das warme
Licht nach der bläulich-dunkeln Schattenseite herüberflutete. Das brennende Not
wurde dunkler, violett, bläulich, und wie mit einem Schlage war der Himmel über
mir besät mit den abertnnsend glänzenden Punkten der südlichen Sterne, die dort
klarer leuchten als bei uns am kältesten Wintertnge. Zugleich flammte rechts das
Leuchtfeuer von Andros auf. Der Wind hatte sich völlig gelegt, und leise plätscherten
die dunkeln Wogen um deu Bug unsers ruhig seine Bahn furchenden Schiffes.
Plötzlich erklang vom Vorderdeck her Gesang. Die Amerikaner mit ihren drei Damen
trugen vier- und zweistimmige Lieder vor, und zwar zur Hälfte deutsche. Sie sangen:
O Tannenbaum, Verlassen, verlassen, Ärmchen von Tharan. Unser deutsches Volks¬
lied erobert die Welt. Den Amerikanern antwortete bald ein kunstloser deutscher
Chor, der sich schon auf der „Inselreihe" zusammengefunden hatte. So ging es im
Wechselgesang weiter, bis es Zeit wurde, die Kabinen aufzusuchen.

Ich teilte die meinige mit Dvrpfeld, schlief wunderschön, mußte aber, da sich
in der Kabine selbst keinerlei Waschgelegenhcit befand, am andern Morgen im
gemeinsamen Salon Toilette machen, wo schon einige Herren und Damm am
Frühstückstische saßen. Eine grüne Gardine, die sich vor die Waschecke ziehn ließ,
schützte mich nur notdürftig. Auf deu kleinen griechischen Schiffen muß man sich
eben an vieles gewöhnen und darf es nicht so genau nehmen. Das war noch
nicht das Schlimmste. Ich machte einmal — es war auf der „Inselreihe" — den
.Kellner darauf aufmerksam, daß meine Tasse am obern Rande noch von gestern
her schmutzig sei. Da feuchtete der Biedere Zeigefinger und Daumen rin der Zunge,
wischte mit diesen Fingern in die Runde fahrend die Tasse ab und war höchlichst
erstaunt, als ich sie trotz dieser Reinigung dankend zurückwies.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0112" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/293731"/>
          <fw type="header" place="top"> Line Trojafahrt</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_375" prev="#ID_374"> Von denen ungefähr die Hälfte schon die beiden ersten Reisen mitgemacht hatte. Wir<lb/>
Reichsdeutschen mochten etwa ein Drittel der Gesellschaft ausmachen. Die übrigen<lb/>
waren Ausländer, besonders Österreicher und Amerikaner. Auch fünf Damen nahmen<lb/>
an dieser Reise teil, zu der für Frauen immer ein gewisser Wagemut und einige<lb/>
Entbehrungsfrendigkeit gehört. Um halb zwei Uhr wurden die Anker gelichtet; wir<lb/>
glitten an den Molenköpfen des Hafens vorüber, und bald verschwanden die Akropolis,<lb/>
der Hymettos, dann auch Salamis und Ägina unsern Blicken. Wir fuhren an der<lb/>
öden und einsamen Felsenküste von Attika entlang gegen einen eisigkalten Wind, der<lb/>
uns, obgleich wir Mitte Mai schrieben, bis auf die Knochen durchfröstelte. An der<lb/>
Südspitze Attikas, dem Kap Sunion, grüßten uns die weißen Säulen des Poseidon-<lb/>
tcmpels vom hohen Klippengestade. Ich kenne kaum eine melancholischere Landschaft<lb/>
als diese. Das Felsenufer braun und dürr und umschauend von weißlicher Brandung,<lb/>
und auf der Höhe die stolzen, schlanken Säulen, die letzten Reste verschwundner<lb/>
Pracht und Herrlichkeit. Kein Baum, kein Strauch erquickt mit belebendem Grün<lb/>
das Auge, und kein lebendes Wesen bringt Bewegung in das starre Bild. Nur<lb/>
ein nach Fischen spähender Raubvogel zieht oben seine einsamen Kreise. Aber die<lb/>
plastischen Formen der Landschaft, der ganze Aufbau der klippennmsäumten Fels¬<lb/>
massen, wie er sich aus dem tiefen, dunkelblauen Untergrunde heraushebt, die schmale<lb/>
weiße Brandungslinie dazwischen, verleiht dieser schwermütigen Landschaft einen ganz<lb/>
eigentümlichen Zauber.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_376"> Geradezu trostlos wurde die Küste später, als an die Stelle der edeln Tempel-<lb/>
trümmer des Vorgebirges die Schmelzöfen und die Essen von Lcmrion am Gestade<lb/>
erschienen, und sich zugleich widrige Schlacken- und Schwefeldämpfe weithin bemerkbar<lb/>
machten. Gegen Abend fuhren wir zwischen Euböa und Andros hinaus in das<lb/>
offne Ägäische Meer. Ich saß nach dem Abendbrot ganz oben auf der Kommando¬<lb/>
brücke &#x2014; das ist auf griechischen Schiffen nicht verboten, wie in Griechenland<lb/>
überhaupt «indes verboten ist &#x2014; und freute mich des wunderbaren Sonnenunter-<lb/>
ganges. Über die Berge von Euböa blitzen die letzten Strahlen zu mir herüber,<lb/>
dann entfaltete sich am westlichen Himmel ein rotglühender, mit goldnen Streifen<lb/>
verbrämter Riesenmantel, von dem sich die zackige Reihe der Bergeshänpter wie<lb/>
mit der Schere geschnitten abhob, während in den Lücken des Gebirges das warme<lb/>
Licht nach der bläulich-dunkeln Schattenseite herüberflutete. Das brennende Not<lb/>
wurde dunkler, violett, bläulich, und wie mit einem Schlage war der Himmel über<lb/>
mir besät mit den abertnnsend glänzenden Punkten der südlichen Sterne, die dort<lb/>
klarer leuchten als bei uns am kältesten Wintertnge. Zugleich flammte rechts das<lb/>
Leuchtfeuer von Andros auf. Der Wind hatte sich völlig gelegt, und leise plätscherten<lb/>
die dunkeln Wogen um deu Bug unsers ruhig seine Bahn furchenden Schiffes.<lb/>
Plötzlich erklang vom Vorderdeck her Gesang. Die Amerikaner mit ihren drei Damen<lb/>
trugen vier- und zweistimmige Lieder vor, und zwar zur Hälfte deutsche. Sie sangen:<lb/>
O Tannenbaum, Verlassen, verlassen, Ärmchen von Tharan. Unser deutsches Volks¬<lb/>
lied erobert die Welt. Den Amerikanern antwortete bald ein kunstloser deutscher<lb/>
Chor, der sich schon auf der &#x201E;Inselreihe" zusammengefunden hatte. So ging es im<lb/>
Wechselgesang weiter, bis es Zeit wurde, die Kabinen aufzusuchen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_377"> Ich teilte die meinige mit Dvrpfeld, schlief wunderschön, mußte aber, da sich<lb/>
in der Kabine selbst keinerlei Waschgelegenhcit befand, am andern Morgen im<lb/>
gemeinsamen Salon Toilette machen, wo schon einige Herren und Damm am<lb/>
Frühstückstische saßen. Eine grüne Gardine, die sich vor die Waschecke ziehn ließ,<lb/>
schützte mich nur notdürftig. Auf deu kleinen griechischen Schiffen muß man sich<lb/>
eben an vieles gewöhnen und darf es nicht so genau nehmen. Das war noch<lb/>
nicht das Schlimmste. Ich machte einmal &#x2014; es war auf der &#x201E;Inselreihe" &#x2014; den<lb/>
.Kellner darauf aufmerksam, daß meine Tasse am obern Rande noch von gestern<lb/>
her schmutzig sei. Da feuchtete der Biedere Zeigefinger und Daumen rin der Zunge,<lb/>
wischte mit diesen Fingern in die Runde fahrend die Tasse ab und war höchlichst<lb/>
erstaunt, als ich sie trotz dieser Reinigung dankend zurückwies.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0112] Line Trojafahrt Von denen ungefähr die Hälfte schon die beiden ersten Reisen mitgemacht hatte. Wir Reichsdeutschen mochten etwa ein Drittel der Gesellschaft ausmachen. Die übrigen waren Ausländer, besonders Österreicher und Amerikaner. Auch fünf Damen nahmen an dieser Reise teil, zu der für Frauen immer ein gewisser Wagemut und einige Entbehrungsfrendigkeit gehört. Um halb zwei Uhr wurden die Anker gelichtet; wir glitten an den Molenköpfen des Hafens vorüber, und bald verschwanden die Akropolis, der Hymettos, dann auch Salamis und Ägina unsern Blicken. Wir fuhren an der öden und einsamen Felsenküste von Attika entlang gegen einen eisigkalten Wind, der uns, obgleich wir Mitte Mai schrieben, bis auf die Knochen durchfröstelte. An der Südspitze Attikas, dem Kap Sunion, grüßten uns die weißen Säulen des Poseidon- tcmpels vom hohen Klippengestade. Ich kenne kaum eine melancholischere Landschaft als diese. Das Felsenufer braun und dürr und umschauend von weißlicher Brandung, und auf der Höhe die stolzen, schlanken Säulen, die letzten Reste verschwundner Pracht und Herrlichkeit. Kein Baum, kein Strauch erquickt mit belebendem Grün das Auge, und kein lebendes Wesen bringt Bewegung in das starre Bild. Nur ein nach Fischen spähender Raubvogel zieht oben seine einsamen Kreise. Aber die plastischen Formen der Landschaft, der ganze Aufbau der klippennmsäumten Fels¬ massen, wie er sich aus dem tiefen, dunkelblauen Untergrunde heraushebt, die schmale weiße Brandungslinie dazwischen, verleiht dieser schwermütigen Landschaft einen ganz eigentümlichen Zauber. Geradezu trostlos wurde die Küste später, als an die Stelle der edeln Tempel- trümmer des Vorgebirges die Schmelzöfen und die Essen von Lcmrion am Gestade erschienen, und sich zugleich widrige Schlacken- und Schwefeldämpfe weithin bemerkbar machten. Gegen Abend fuhren wir zwischen Euböa und Andros hinaus in das offne Ägäische Meer. Ich saß nach dem Abendbrot ganz oben auf der Kommando¬ brücke — das ist auf griechischen Schiffen nicht verboten, wie in Griechenland überhaupt «indes verboten ist — und freute mich des wunderbaren Sonnenunter- ganges. Über die Berge von Euböa blitzen die letzten Strahlen zu mir herüber, dann entfaltete sich am westlichen Himmel ein rotglühender, mit goldnen Streifen verbrämter Riesenmantel, von dem sich die zackige Reihe der Bergeshänpter wie mit der Schere geschnitten abhob, während in den Lücken des Gebirges das warme Licht nach der bläulich-dunkeln Schattenseite herüberflutete. Das brennende Not wurde dunkler, violett, bläulich, und wie mit einem Schlage war der Himmel über mir besät mit den abertnnsend glänzenden Punkten der südlichen Sterne, die dort klarer leuchten als bei uns am kältesten Wintertnge. Zugleich flammte rechts das Leuchtfeuer von Andros auf. Der Wind hatte sich völlig gelegt, und leise plätscherten die dunkeln Wogen um deu Bug unsers ruhig seine Bahn furchenden Schiffes. Plötzlich erklang vom Vorderdeck her Gesang. Die Amerikaner mit ihren drei Damen trugen vier- und zweistimmige Lieder vor, und zwar zur Hälfte deutsche. Sie sangen: O Tannenbaum, Verlassen, verlassen, Ärmchen von Tharan. Unser deutsches Volks¬ lied erobert die Welt. Den Amerikanern antwortete bald ein kunstloser deutscher Chor, der sich schon auf der „Inselreihe" zusammengefunden hatte. So ging es im Wechselgesang weiter, bis es Zeit wurde, die Kabinen aufzusuchen. Ich teilte die meinige mit Dvrpfeld, schlief wunderschön, mußte aber, da sich in der Kabine selbst keinerlei Waschgelegenhcit befand, am andern Morgen im gemeinsamen Salon Toilette machen, wo schon einige Herren und Damm am Frühstückstische saßen. Eine grüne Gardine, die sich vor die Waschecke ziehn ließ, schützte mich nur notdürftig. Auf deu kleinen griechischen Schiffen muß man sich eben an vieles gewöhnen und darf es nicht so genau nehmen. Das war noch nicht das Schlimmste. Ich machte einmal — es war auf der „Inselreihe" — den .Kellner darauf aufmerksam, daß meine Tasse am obern Rande noch von gestern her schmutzig sei. Da feuchtete der Biedere Zeigefinger und Daumen rin der Zunge, wischte mit diesen Fingern in die Runde fahrend die Tasse ab und war höchlichst erstaunt, als ich sie trotz dieser Reinigung dankend zurückwies.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/112
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/112>, abgerufen am 04.07.2024.