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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Dante in der konfessionellen Polemik

zeit vor Augen behalten und nie vergessen, daß seit Jahrhunderten jedesmal
klägliche Zerrüttung, schmachvolle Ohnmacht und Unterwerfung unter einen
fremden Willen die Folgen solcher Rückfälle waren.




Dante in der konfessionellen Polemik
des sechzehnten und des siebzehnten Jahrhunderts
von Adolf Schmitthenner

s war im Jahre des Heils 1563 am 7. März, daß in der be¬
rühmten Schuster- und Dichterwerkstatt zu Nürnberg eine ge¬
reimte Historia fabriziert wurde, die den Titel führt: "Dantes
der Poet von Florentz." An jenem Lenztage geschah es zum
erstenmal, daß ein deutscher Dichter dem Florentiner Kollegen in
die düstern Augen schaute.

Es ist reizvoll, sich den Besuch des großen Schattens bei dem Nürnberger
Meistersinger vorzustellen. Bei diesem Zusammentreffen mag es etwas anders
zugegangen sein als bei der Dichterbegeguung, die in der Komödie geschildert
wird. Dante, von Virgil geleitet, durchschreitet die Vorhölle. Da sieht er
vier hohe Gestalten in vornehmer Absonderung beieinander stehn. Virgil nennt
sie: Homer, Horaz. Ovid, Luken; es sind die Schatten, die mit ihm selber die
Fünfzahl der großen Dichter der Vorzeit darstellen. Grüßend wenden sich die
edeln Gestalten dem Florentiner zu. Virgil lächelt bei diesem Empfang. Und
uun gesellen sich die beiden Ankömmlinge zu ihren Genossen, und es wandeln
die sechs ersten Dichter der Welt dahin, fünf Schatten und ein Lebendiger,
und reden von Dingen, über die "hier zu schweigen schön ist, wie dort das
Reden schön gewesen war."

Zwar nicht mit so edelm Anstand, wohl aber mit biderben Handschlag
begrüßte der Nürnberger Poet die florentinische Feuerseele. Es wurde ihm
nicht im geringsten verlegen ums Herz. Er beschallte den Gast mit seinen
klugen, hellen Augen und behandelte ihn ohne viel Federlesens nicht anders
als alle die übrigen vornehmen Herren und Damen der Weltgeschichte: er
reimte eine Historia über "Dantes den Poeten von Florentz."

Der Inhalt der Historia ist eine von den vielen Dauteanekdoten, die in
Italien gang und gäbe waren. Als nach des Dichters Tod seinen Werken
in Italien allgemeine Anerkennung zuteil wurde, suchte man sich überall,
wohin der Unstete gekommen war, für die Gastfreundschaft, die man ihm
willig oder unwillig gewährt hatte, durch charakteristische Aussprüche, die er
getan haben sollte, bezahlt zu machen. So entstanden die Dantehistörchen,
die sich teils in den Lebensbeschreibungen und den Kommentaren, teils in den
Anekdotcnsammlnngen finden. Mehrere von diesen Geschichtchen stimmen zu
der Art des Dichters wenig. Um ihnen ein besseres Ansehen zu geben, krönte
man sie mit seinem Namen. Was die Italiener von Dante erzählten, das


Grenzboten 1 1S04 12
Dante in der konfessionellen Polemik

zeit vor Augen behalten und nie vergessen, daß seit Jahrhunderten jedesmal
klägliche Zerrüttung, schmachvolle Ohnmacht und Unterwerfung unter einen
fremden Willen die Folgen solcher Rückfälle waren.




Dante in der konfessionellen Polemik
des sechzehnten und des siebzehnten Jahrhunderts
von Adolf Schmitthenner

s war im Jahre des Heils 1563 am 7. März, daß in der be¬
rühmten Schuster- und Dichterwerkstatt zu Nürnberg eine ge¬
reimte Historia fabriziert wurde, die den Titel führt: „Dantes
der Poet von Florentz." An jenem Lenztage geschah es zum
erstenmal, daß ein deutscher Dichter dem Florentiner Kollegen in
die düstern Augen schaute.

Es ist reizvoll, sich den Besuch des großen Schattens bei dem Nürnberger
Meistersinger vorzustellen. Bei diesem Zusammentreffen mag es etwas anders
zugegangen sein als bei der Dichterbegeguung, die in der Komödie geschildert
wird. Dante, von Virgil geleitet, durchschreitet die Vorhölle. Da sieht er
vier hohe Gestalten in vornehmer Absonderung beieinander stehn. Virgil nennt
sie: Homer, Horaz. Ovid, Luken; es sind die Schatten, die mit ihm selber die
Fünfzahl der großen Dichter der Vorzeit darstellen. Grüßend wenden sich die
edeln Gestalten dem Florentiner zu. Virgil lächelt bei diesem Empfang. Und
uun gesellen sich die beiden Ankömmlinge zu ihren Genossen, und es wandeln
die sechs ersten Dichter der Welt dahin, fünf Schatten und ein Lebendiger,
und reden von Dingen, über die „hier zu schweigen schön ist, wie dort das
Reden schön gewesen war."

Zwar nicht mit so edelm Anstand, wohl aber mit biderben Handschlag
begrüßte der Nürnberger Poet die florentinische Feuerseele. Es wurde ihm
nicht im geringsten verlegen ums Herz. Er beschallte den Gast mit seinen
klugen, hellen Augen und behandelte ihn ohne viel Federlesens nicht anders
als alle die übrigen vornehmen Herren und Damen der Weltgeschichte: er
reimte eine Historia über „Dantes den Poeten von Florentz."

Der Inhalt der Historia ist eine von den vielen Dauteanekdoten, die in
Italien gang und gäbe waren. Als nach des Dichters Tod seinen Werken
in Italien allgemeine Anerkennung zuteil wurde, suchte man sich überall,
wohin der Unstete gekommen war, für die Gastfreundschaft, die man ihm
willig oder unwillig gewährt hatte, durch charakteristische Aussprüche, die er
getan haben sollte, bezahlt zu machen. So entstanden die Dantehistörchen,
die sich teils in den Lebensbeschreibungen und den Kommentaren, teils in den
Anekdotcnsammlnngen finden. Mehrere von diesen Geschichtchen stimmen zu
der Art des Dichters wenig. Um ihnen ein besseres Ansehen zu geben, krönte
man sie mit seinem Namen. Was die Italiener von Dante erzählten, das


Grenzboten 1 1S04 12
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[0095] Dante in der konfessionellen Polemik zeit vor Augen behalten und nie vergessen, daß seit Jahrhunderten jedesmal klägliche Zerrüttung, schmachvolle Ohnmacht und Unterwerfung unter einen fremden Willen die Folgen solcher Rückfälle waren. Dante in der konfessionellen Polemik des sechzehnten und des siebzehnten Jahrhunderts von Adolf Schmitthenner s war im Jahre des Heils 1563 am 7. März, daß in der be¬ rühmten Schuster- und Dichterwerkstatt zu Nürnberg eine ge¬ reimte Historia fabriziert wurde, die den Titel führt: „Dantes der Poet von Florentz." An jenem Lenztage geschah es zum erstenmal, daß ein deutscher Dichter dem Florentiner Kollegen in die düstern Augen schaute. Es ist reizvoll, sich den Besuch des großen Schattens bei dem Nürnberger Meistersinger vorzustellen. Bei diesem Zusammentreffen mag es etwas anders zugegangen sein als bei der Dichterbegeguung, die in der Komödie geschildert wird. Dante, von Virgil geleitet, durchschreitet die Vorhölle. Da sieht er vier hohe Gestalten in vornehmer Absonderung beieinander stehn. Virgil nennt sie: Homer, Horaz. Ovid, Luken; es sind die Schatten, die mit ihm selber die Fünfzahl der großen Dichter der Vorzeit darstellen. Grüßend wenden sich die edeln Gestalten dem Florentiner zu. Virgil lächelt bei diesem Empfang. Und uun gesellen sich die beiden Ankömmlinge zu ihren Genossen, und es wandeln die sechs ersten Dichter der Welt dahin, fünf Schatten und ein Lebendiger, und reden von Dingen, über die „hier zu schweigen schön ist, wie dort das Reden schön gewesen war." Zwar nicht mit so edelm Anstand, wohl aber mit biderben Handschlag begrüßte der Nürnberger Poet die florentinische Feuerseele. Es wurde ihm nicht im geringsten verlegen ums Herz. Er beschallte den Gast mit seinen klugen, hellen Augen und behandelte ihn ohne viel Federlesens nicht anders als alle die übrigen vornehmen Herren und Damen der Weltgeschichte: er reimte eine Historia über „Dantes den Poeten von Florentz." Der Inhalt der Historia ist eine von den vielen Dauteanekdoten, die in Italien gang und gäbe waren. Als nach des Dichters Tod seinen Werken in Italien allgemeine Anerkennung zuteil wurde, suchte man sich überall, wohin der Unstete gekommen war, für die Gastfreundschaft, die man ihm willig oder unwillig gewährt hatte, durch charakteristische Aussprüche, die er getan haben sollte, bezahlt zu machen. So entstanden die Dantehistörchen, die sich teils in den Lebensbeschreibungen und den Kommentaren, teils in den Anekdotcnsammlnngen finden. Mehrere von diesen Geschichtchen stimmen zu der Art des Dichters wenig. Um ihnen ein besseres Ansehen zu geben, krönte man sie mit seinem Namen. Was die Italiener von Dante erzählten, das Grenzboten 1 1S04 12

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/95>, abgerufen am 22.07.2024.