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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Dante in der konfessionellen Polemik

erzählten die Deutschen vom König Salomo oder am Ende gar von jenem
mundfertigen Hirtenbüblein.

Andre Anekdoten zeichnen das Bild eines finstern, schweigsamen, stolzen
Mannes, der seine Überlegenheit fühlen läßt. Von dieser Art ist die Ge¬
schichte, die Hans Sachs für seine Landsleute nacherzählt. Ihr erster Er¬
zähler ist Petrarka. Sie lautet bei diesem folgendermaßen: Durch sein strenges
Wesen wurde Dante seinem Wirt und Gönner, dem Fürsten Can Grande von
Verona, bald verleidet, während ein andrer Florentiner, ein Possenreißer, der
Liebling des ganzen Hofes wurde. Als einmal der Spaßmacher durch seine
Tollheiten allgemeines Entzücken hervorgerufen hatte, lobte ihn der Fürst
höchlichst und wandte sich dann an den mürrisch dreinschauenden Dante mit
den Worten: Ich wundre mich, daß dieser Narr mir und uns allen zu ge¬
fallen weiß, während du, der du doch für einen Weise" giltst, dies nicht ver¬
stehst. Dante gab die beißende Antwort: Du würdest dich nicht Wundern,
wenn du wüßtest, daß Wohlgefallen auf Seelenverwandtschaft beruht.

Diese Erzühluug Petrarkas findet man mit manchen Abänderungen und
Erweiterungen in den Facetien des Poggio und in andern italienischen
Schnurrensammlungen. In einem dieser Bücher las Sebastian Braut unsre
Geschichte. Sie gefiel ihm, und er nahm sie auf in sein Fabelbuch, das 1497
erschienen ist. Hier hat Hans Sachs die Anekdote gefunden. Er sagt das
selbst im "Beschluß" des Gedichts:

Woher aber weiß denn Hans Sachs, was er im Eingang seiner Historia
über Dante sagt? Er kennt nicht nur dessen Lebensgang, er weiß auch etwas
von dem Hauptwerke, der Komödie:

Die Anekdote war dem Ruhme des Dichters voransgeflogen; das war
geschehn im Jahre 1497. Aber im Jahre 1563, da mußte der Dichter selbst
seinen Einzug in Deutschland gehalten haben. Wann war das geschehn?

Es war geschehn mitten in den Stürmen der Reformation. Ja, gerade
der Lärm des Streites hatte den streitbaren über die Alpen gerufen. Nach
dem Schmalkaldischen Kriege war in dem Vaterlande Huttens der Zorn gegen
Rom wieder aufgeflammt. In Norddeutschland war damals eine ähnliche
Stimmung wie zweihundertsechzig Jahre später vor den Freiheitskriegen. Was
Ernst Moriz Arndt mit seinen Flugschriften und Liedern für die Preußen ge-


Dante in der konfessionellen Polemik

erzählten die Deutschen vom König Salomo oder am Ende gar von jenem
mundfertigen Hirtenbüblein.

Andre Anekdoten zeichnen das Bild eines finstern, schweigsamen, stolzen
Mannes, der seine Überlegenheit fühlen läßt. Von dieser Art ist die Ge¬
schichte, die Hans Sachs für seine Landsleute nacherzählt. Ihr erster Er¬
zähler ist Petrarka. Sie lautet bei diesem folgendermaßen: Durch sein strenges
Wesen wurde Dante seinem Wirt und Gönner, dem Fürsten Can Grande von
Verona, bald verleidet, während ein andrer Florentiner, ein Possenreißer, der
Liebling des ganzen Hofes wurde. Als einmal der Spaßmacher durch seine
Tollheiten allgemeines Entzücken hervorgerufen hatte, lobte ihn der Fürst
höchlichst und wandte sich dann an den mürrisch dreinschauenden Dante mit
den Worten: Ich wundre mich, daß dieser Narr mir und uns allen zu ge¬
fallen weiß, während du, der du doch für einen Weise» giltst, dies nicht ver¬
stehst. Dante gab die beißende Antwort: Du würdest dich nicht Wundern,
wenn du wüßtest, daß Wohlgefallen auf Seelenverwandtschaft beruht.

Diese Erzühluug Petrarkas findet man mit manchen Abänderungen und
Erweiterungen in den Facetien des Poggio und in andern italienischen
Schnurrensammlungen. In einem dieser Bücher las Sebastian Braut unsre
Geschichte. Sie gefiel ihm, und er nahm sie auf in sein Fabelbuch, das 1497
erschienen ist. Hier hat Hans Sachs die Anekdote gefunden. Er sagt das
selbst im „Beschluß" des Gedichts:

Woher aber weiß denn Hans Sachs, was er im Eingang seiner Historia
über Dante sagt? Er kennt nicht nur dessen Lebensgang, er weiß auch etwas
von dem Hauptwerke, der Komödie:

Die Anekdote war dem Ruhme des Dichters voransgeflogen; das war
geschehn im Jahre 1497. Aber im Jahre 1563, da mußte der Dichter selbst
seinen Einzug in Deutschland gehalten haben. Wann war das geschehn?

Es war geschehn mitten in den Stürmen der Reformation. Ja, gerade
der Lärm des Streites hatte den streitbaren über die Alpen gerufen. Nach
dem Schmalkaldischen Kriege war in dem Vaterlande Huttens der Zorn gegen
Rom wieder aufgeflammt. In Norddeutschland war damals eine ähnliche
Stimmung wie zweihundertsechzig Jahre später vor den Freiheitskriegen. Was
Ernst Moriz Arndt mit seinen Flugschriften und Liedern für die Preußen ge-


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[0096] Dante in der konfessionellen Polemik erzählten die Deutschen vom König Salomo oder am Ende gar von jenem mundfertigen Hirtenbüblein. Andre Anekdoten zeichnen das Bild eines finstern, schweigsamen, stolzen Mannes, der seine Überlegenheit fühlen läßt. Von dieser Art ist die Ge¬ schichte, die Hans Sachs für seine Landsleute nacherzählt. Ihr erster Er¬ zähler ist Petrarka. Sie lautet bei diesem folgendermaßen: Durch sein strenges Wesen wurde Dante seinem Wirt und Gönner, dem Fürsten Can Grande von Verona, bald verleidet, während ein andrer Florentiner, ein Possenreißer, der Liebling des ganzen Hofes wurde. Als einmal der Spaßmacher durch seine Tollheiten allgemeines Entzücken hervorgerufen hatte, lobte ihn der Fürst höchlichst und wandte sich dann an den mürrisch dreinschauenden Dante mit den Worten: Ich wundre mich, daß dieser Narr mir und uns allen zu ge¬ fallen weiß, während du, der du doch für einen Weise» giltst, dies nicht ver¬ stehst. Dante gab die beißende Antwort: Du würdest dich nicht Wundern, wenn du wüßtest, daß Wohlgefallen auf Seelenverwandtschaft beruht. Diese Erzühluug Petrarkas findet man mit manchen Abänderungen und Erweiterungen in den Facetien des Poggio und in andern italienischen Schnurrensammlungen. In einem dieser Bücher las Sebastian Braut unsre Geschichte. Sie gefiel ihm, und er nahm sie auf in sein Fabelbuch, das 1497 erschienen ist. Hier hat Hans Sachs die Anekdote gefunden. Er sagt das selbst im „Beschluß" des Gedichts: Woher aber weiß denn Hans Sachs, was er im Eingang seiner Historia über Dante sagt? Er kennt nicht nur dessen Lebensgang, er weiß auch etwas von dem Hauptwerke, der Komödie: Die Anekdote war dem Ruhme des Dichters voransgeflogen; das war geschehn im Jahre 1497. Aber im Jahre 1563, da mußte der Dichter selbst seinen Einzug in Deutschland gehalten haben. Wann war das geschehn? Es war geschehn mitten in den Stürmen der Reformation. Ja, gerade der Lärm des Streites hatte den streitbaren über die Alpen gerufen. Nach dem Schmalkaldischen Kriege war in dem Vaterlande Huttens der Zorn gegen Rom wieder aufgeflammt. In Norddeutschland war damals eine ähnliche Stimmung wie zweihundertsechzig Jahre später vor den Freiheitskriegen. Was Ernst Moriz Arndt mit seinen Flugschriften und Liedern für die Preußen ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/96>, abgerufen am 24.08.2024.