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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Der Lnrstentag z" Lrfnrt im Jahre 1,303

reiste nach Weimar, Napoleon kehrte nach Erfurt zurück. Sie sollten sich nie¬
mals wiedersehen, und keiner ihrer damaligen Entwürfe, auch nicht einer,
sollte verwirklicht werden.

Nicht lange nach der Rückkehr erteilte Napoleon Abschiedsaudieuzen und
nahm selbst Abschied von den Bewohnern Erfurts unter den heißesten Segens¬
wünschen und dein Donner der Kanonen, sowie dem Geläut sämtlicher Glocken.
Wie beim Einzug ertönte aus allen Kehlen der versammelten Menschenmasse
Vivs l'öinxsröur! An derselben Stelle, wo der Magistrat und die Universität
bei der Ankunft den Kaiser empfangen hatten, am Sibyllentürmchen, verab¬
schiedeten sie sich von Kaiser Napoleon. Der Monarch neigte sich gegen den
Rektor der Universität, Muth, und den Stadtdirektor von Danzen. "Anmut
und Wohlwollen leuchtete aus allen seinen Zügen." Die Bürgergarde der
Erfurter Kaufleute begleitete ihn bis zur Gothaischen Grenze. Hier schwenkte
sie unter lautem Vivo 1'swxsrsur! ihre Säbel, und der Monarch grüßte sie
huldreichst aus seinein Wagen. Nun übernahmen die Husaren wieder die
Bedeckung. Bald verließen auch die übrigen hohen Herrschaften die Stadt
Erfurt.




Fünfnndsiebzig Jahre nach dein Erfurter Kongreß, im Jahre 1883, brauste
wiederum tausendfacher Jubel durch die dichte Masse der Bevölkerung Erfurts.
Wiederum donnerten die Kanonen und läuteten sämtliche Glocken der Stadt,
nicht aber um einen korsischen Parvenu zu begrüße", sondern um den preußischen
König und ersten deutschen Kaiser zu feiern, der in Begleitung des Kron¬
prinzen, des Prinzen Wilhelm, sowie der im letzten Kriege erprobten und
bewährten Schlachtenlenker und Sieger nach Erfurt kam. Und dasselbe geschah
1891, too Kaiser Wilhelm der Zweite in Begleitung der Könige von Sachsen,
von Württemberg und andrer hoher Herrscher in Erfurt einzog. Das waren
andre Tage als 1808, Tage der reinsten Festfreude und patriotischer Be¬
geisterung. Die Tage vom 13. bis zum 16. September 1891 stehn jedem, der
sie erlebt und mitgefeiert hat, in unauslöschlicher Erinnerung. Aber auch
welcher Umschwung seit 1808!

Wie ans den vom Hagel zerschlagnen Feldern Halme und Blüten wieder
aufsteigen, so blieb auch das von Napoleon zertretene deutsche Land nicht ohne
keimendes Leben. Durch die besten Männer zuckte ein antiker Heroismus - die
Verzweiflung verwandelte sich in kalte Entschlossenheit. In zwei Feldzügen
brach die Macht Napoleons zusammen. Aber das in den herz erheb enden Be¬
freiungskriegen vergossene Blut unsrer Bäter hatte sich nicht als ausreichendes
Heilmittel gegen die Hauptschaden Deutschlands erwiesen. Die alte Mißgunst
und Zwietracht der deutschen Fürsten und Völker untereinander erwachten wieder.
Es bedürfte noch andrer Mittel.

Seit 1870 beginnt der Deutsche von seiner Erbkrankheit zu genesen. Rück-
fälle werden schwerlich wieder diese Genesung gefährden, wenn wir unsre eigne
so ruhmvolle und doch wieder so jammervolle Geschichte als beste Lehre jeder<


Der Lnrstentag z» Lrfnrt im Jahre 1,303

reiste nach Weimar, Napoleon kehrte nach Erfurt zurück. Sie sollten sich nie¬
mals wiedersehen, und keiner ihrer damaligen Entwürfe, auch nicht einer,
sollte verwirklicht werden.

Nicht lange nach der Rückkehr erteilte Napoleon Abschiedsaudieuzen und
nahm selbst Abschied von den Bewohnern Erfurts unter den heißesten Segens¬
wünschen und dein Donner der Kanonen, sowie dem Geläut sämtlicher Glocken.
Wie beim Einzug ertönte aus allen Kehlen der versammelten Menschenmasse
Vivs l'öinxsröur! An derselben Stelle, wo der Magistrat und die Universität
bei der Ankunft den Kaiser empfangen hatten, am Sibyllentürmchen, verab¬
schiedeten sie sich von Kaiser Napoleon. Der Monarch neigte sich gegen den
Rektor der Universität, Muth, und den Stadtdirektor von Danzen. „Anmut
und Wohlwollen leuchtete aus allen seinen Zügen." Die Bürgergarde der
Erfurter Kaufleute begleitete ihn bis zur Gothaischen Grenze. Hier schwenkte
sie unter lautem Vivo 1'swxsrsur! ihre Säbel, und der Monarch grüßte sie
huldreichst aus seinein Wagen. Nun übernahmen die Husaren wieder die
Bedeckung. Bald verließen auch die übrigen hohen Herrschaften die Stadt
Erfurt.




Fünfnndsiebzig Jahre nach dein Erfurter Kongreß, im Jahre 1883, brauste
wiederum tausendfacher Jubel durch die dichte Masse der Bevölkerung Erfurts.
Wiederum donnerten die Kanonen und läuteten sämtliche Glocken der Stadt,
nicht aber um einen korsischen Parvenu zu begrüße», sondern um den preußischen
König und ersten deutschen Kaiser zu feiern, der in Begleitung des Kron¬
prinzen, des Prinzen Wilhelm, sowie der im letzten Kriege erprobten und
bewährten Schlachtenlenker und Sieger nach Erfurt kam. Und dasselbe geschah
1891, too Kaiser Wilhelm der Zweite in Begleitung der Könige von Sachsen,
von Württemberg und andrer hoher Herrscher in Erfurt einzog. Das waren
andre Tage als 1808, Tage der reinsten Festfreude und patriotischer Be¬
geisterung. Die Tage vom 13. bis zum 16. September 1891 stehn jedem, der
sie erlebt und mitgefeiert hat, in unauslöschlicher Erinnerung. Aber auch
welcher Umschwung seit 1808!

Wie ans den vom Hagel zerschlagnen Feldern Halme und Blüten wieder
aufsteigen, so blieb auch das von Napoleon zertretene deutsche Land nicht ohne
keimendes Leben. Durch die besten Männer zuckte ein antiker Heroismus - die
Verzweiflung verwandelte sich in kalte Entschlossenheit. In zwei Feldzügen
brach die Macht Napoleons zusammen. Aber das in den herz erheb enden Be¬
freiungskriegen vergossene Blut unsrer Bäter hatte sich nicht als ausreichendes
Heilmittel gegen die Hauptschaden Deutschlands erwiesen. Die alte Mißgunst
und Zwietracht der deutschen Fürsten und Völker untereinander erwachten wieder.
Es bedürfte noch andrer Mittel.

Seit 1870 beginnt der Deutsche von seiner Erbkrankheit zu genesen. Rück-
fälle werden schwerlich wieder diese Genesung gefährden, wenn wir unsre eigne
so ruhmvolle und doch wieder so jammervolle Geschichte als beste Lehre jeder<


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[0094] Der Lnrstentag z» Lrfnrt im Jahre 1,303 reiste nach Weimar, Napoleon kehrte nach Erfurt zurück. Sie sollten sich nie¬ mals wiedersehen, und keiner ihrer damaligen Entwürfe, auch nicht einer, sollte verwirklicht werden. Nicht lange nach der Rückkehr erteilte Napoleon Abschiedsaudieuzen und nahm selbst Abschied von den Bewohnern Erfurts unter den heißesten Segens¬ wünschen und dein Donner der Kanonen, sowie dem Geläut sämtlicher Glocken. Wie beim Einzug ertönte aus allen Kehlen der versammelten Menschenmasse Vivs l'öinxsröur! An derselben Stelle, wo der Magistrat und die Universität bei der Ankunft den Kaiser empfangen hatten, am Sibyllentürmchen, verab¬ schiedeten sie sich von Kaiser Napoleon. Der Monarch neigte sich gegen den Rektor der Universität, Muth, und den Stadtdirektor von Danzen. „Anmut und Wohlwollen leuchtete aus allen seinen Zügen." Die Bürgergarde der Erfurter Kaufleute begleitete ihn bis zur Gothaischen Grenze. Hier schwenkte sie unter lautem Vivo 1'swxsrsur! ihre Säbel, und der Monarch grüßte sie huldreichst aus seinein Wagen. Nun übernahmen die Husaren wieder die Bedeckung. Bald verließen auch die übrigen hohen Herrschaften die Stadt Erfurt. Fünfnndsiebzig Jahre nach dein Erfurter Kongreß, im Jahre 1883, brauste wiederum tausendfacher Jubel durch die dichte Masse der Bevölkerung Erfurts. Wiederum donnerten die Kanonen und läuteten sämtliche Glocken der Stadt, nicht aber um einen korsischen Parvenu zu begrüße», sondern um den preußischen König und ersten deutschen Kaiser zu feiern, der in Begleitung des Kron¬ prinzen, des Prinzen Wilhelm, sowie der im letzten Kriege erprobten und bewährten Schlachtenlenker und Sieger nach Erfurt kam. Und dasselbe geschah 1891, too Kaiser Wilhelm der Zweite in Begleitung der Könige von Sachsen, von Württemberg und andrer hoher Herrscher in Erfurt einzog. Das waren andre Tage als 1808, Tage der reinsten Festfreude und patriotischer Be¬ geisterung. Die Tage vom 13. bis zum 16. September 1891 stehn jedem, der sie erlebt und mitgefeiert hat, in unauslöschlicher Erinnerung. Aber auch welcher Umschwung seit 1808! Wie ans den vom Hagel zerschlagnen Feldern Halme und Blüten wieder aufsteigen, so blieb auch das von Napoleon zertretene deutsche Land nicht ohne keimendes Leben. Durch die besten Männer zuckte ein antiker Heroismus - die Verzweiflung verwandelte sich in kalte Entschlossenheit. In zwei Feldzügen brach die Macht Napoleons zusammen. Aber das in den herz erheb enden Be¬ freiungskriegen vergossene Blut unsrer Bäter hatte sich nicht als ausreichendes Heilmittel gegen die Hauptschaden Deutschlands erwiesen. Die alte Mißgunst und Zwietracht der deutschen Fürsten und Völker untereinander erwachten wieder. Es bedürfte noch andrer Mittel. Seit 1870 beginnt der Deutsche von seiner Erbkrankheit zu genesen. Rück- fälle werden schwerlich wieder diese Genesung gefährden, wenn wir unsre eigne so ruhmvolle und doch wieder so jammervolle Geschichte als beste Lehre jeder<

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/94>, abgerufen am 24.08.2024.