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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

über z. B. das Vorgehn der Jenenser Studenten gegen eine farbentragende katholische
Verbindung! Konfessionelle Verbindungen, Gliederungen der akademischen Jugend
nach dem Bekenntnis, sind an sich gewiß nicht erwünscht. Aber was dem Wingolf
als Protestantischer farbentrageuder Verbindung recht ist, sollte auch einer katholischen
Verbindung billig sein. Es ist darüber in Jena zu Tätlichkeiten gekommen, nud
der Jenenser Senat hat im Interesse des akademischen Friedens, vielleicht auch
mit Rücksicht auf die Nähe der Wartburg und ihrer Luthcreriuuernngen, die
katholische Verbindung untersagt. Die Beschwerden der "Germania" über die
dortigen Zusammenstoße zu prüfen, wird Sache des Richters sein. Den Reichstag,
der sich damit befassen soll, geht unsers Erachtens die Sache wenig an, der
Reichstag ist dafür nicht zuständig. Es wäre auch bedenklich, wollte man mit
Reichstagsbeschlüssen, je nach den wechselnden Majoritäten, in das innere Leben
unsrer Hochschulen eingreifen. Niemand ist gezwungen, auf der einen oder der
andern Universität zu studieren. Junge Leute, denen ein konfessionelles Farben¬
tragen Bedürfnis ist, mögen einstweilen nicht uach Jena gehn, bis sich auch dort
die Stimmung wieder beruhigt haben wird. Es wird so lange nicht dauern.

Vielleicht kommen inzwischen auch Organe wieder zur Besinnung, wie die
"Wartburg" des Herrn Superintendenten I). Meyer in Zwickau, der in seiner
"dritten Jesuitennnmmer," nachdem er zu wiederholten malen sein a,ng,tbomii "it!
über den Reichskanzler ausgesprochen, wörtlich schreibt:

"Zwar an den Jesuiten wird der Protestantismus nicht zugrunde gehn;
in: Gegenteil, er wird durch den Gegensatz gegen sie und im Kampfe mit ihnen
lebendiger und mächtiger werden. Aber den schwersten Schlag hat Graf Bülow
der römischen Kirche selber und dem Reich (!) versetzt."

Nun, wenn der Protestantismus durch die Aufhebung des Paragraphen 2
uur lebendiger und mächtiger wird, wenn der Reichskanzler damit "der römischen
Kirche selber" den schwersten Schlag versetzt hat, dann wäre es eigentlich doch wohl
logischer, wenn Herr v. Meyer dem Grafen Bülow ein begeistertes Dankvotum
schriebe. Besseres kann er sich ja in seinem Sinne gar nicht wünschen, als einen
Reichskanzler, "der der römischen Kirche den schwersten Schlag versetzt" und den
Protestantismus neu beleben hilft. Wir glauben, daß in der letzten Hinsicht Herr
v. Meyer sogar die ernstesten Wünsche des Reichskanzlers trifft. Was soll es denn
nu" aber heißen, wenn Herr v. Meyer weiter schreibt:

"Jetzt ist es unsre Aufgabe, die zukünftigen Wahlen vorzubereiten, daß sie uicht
im Sinne Vülows, der, um mehr Kähne, um die Handelsverträge, um eine ge¬
schlossene Phalanx gegen die Sozialdemokratie zu bekommen, mit dem Zentrum
handelt auf Kosten unsers Volkstunis und unsrer Kultur, sondern im Sinne unsrer
großen Geschichte zur Rettung der idealen Güter, der Glaubens- und Gewissens¬
freiheit erfolgen."

Man Wäre geneigt, an den Verfasser die bekannte Frage zu richten: "Wo
warst du deun, als mau die Welt verleitet?" Also keine Wehrkraft, keine Handels-
bcrträgc, keine Niederwerfung der Sozialdemokratie, auf alle diese Lebensbedingungen
unsrer staatlichen und nationalen Existenz kommt es nicht an, sondern ausschließlich
cris die idealen Güter der Glaubens- und Gewissensfreiheit. Selbstverständlich die
Glaubens- und Gewissensfreiheit nur für deu Protestantismus. Was mit den zwanzig
Millionen deutscher Katholiken werden soll, darüber läßt Herr v. Meyer uns leider
M unklaren; jedoch -- wenn es ihm gelingt, einen solchen Reichstag der idealen
Güter zu schaffen, wird sich Graf Bülow oder sein Nachfolger sicherlich mit dieser
neuen Majorität abzufinden wissen. Einstweilen wird Herr v. Meyer aber doch
gut tun, die Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs und seiner Folgen recht gründ¬
lich zu studieren. Um ausschließlich seinen idealen Gütern leben zu können, braucht
ein Volt vor allen Dingen einen starken Schutz seiner politischen und wirtschaft¬
lichen Unabhängigkeit. Deutschland ist lange genug bei der Weltverteilung zu spät
gekommen. Wenn Herr v. Meyer unser Volk heute, im Jahre 1904, freundlich einlädt,


Maßgebliches und Unmaßgebliches

über z. B. das Vorgehn der Jenenser Studenten gegen eine farbentragende katholische
Verbindung! Konfessionelle Verbindungen, Gliederungen der akademischen Jugend
nach dem Bekenntnis, sind an sich gewiß nicht erwünscht. Aber was dem Wingolf
als Protestantischer farbentrageuder Verbindung recht ist, sollte auch einer katholischen
Verbindung billig sein. Es ist darüber in Jena zu Tätlichkeiten gekommen, nud
der Jenenser Senat hat im Interesse des akademischen Friedens, vielleicht auch
mit Rücksicht auf die Nähe der Wartburg und ihrer Luthcreriuuernngen, die
katholische Verbindung untersagt. Die Beschwerden der „Germania" über die
dortigen Zusammenstoße zu prüfen, wird Sache des Richters sein. Den Reichstag,
der sich damit befassen soll, geht unsers Erachtens die Sache wenig an, der
Reichstag ist dafür nicht zuständig. Es wäre auch bedenklich, wollte man mit
Reichstagsbeschlüssen, je nach den wechselnden Majoritäten, in das innere Leben
unsrer Hochschulen eingreifen. Niemand ist gezwungen, auf der einen oder der
andern Universität zu studieren. Junge Leute, denen ein konfessionelles Farben¬
tragen Bedürfnis ist, mögen einstweilen nicht uach Jena gehn, bis sich auch dort
die Stimmung wieder beruhigt haben wird. Es wird so lange nicht dauern.

Vielleicht kommen inzwischen auch Organe wieder zur Besinnung, wie die
„Wartburg" des Herrn Superintendenten I). Meyer in Zwickau, der in seiner
„dritten Jesuitennnmmer," nachdem er zu wiederholten malen sein a,ng,tbomii «it!
über den Reichskanzler ausgesprochen, wörtlich schreibt:

„Zwar an den Jesuiten wird der Protestantismus nicht zugrunde gehn;
in: Gegenteil, er wird durch den Gegensatz gegen sie und im Kampfe mit ihnen
lebendiger und mächtiger werden. Aber den schwersten Schlag hat Graf Bülow
der römischen Kirche selber und dem Reich (!) versetzt."

Nun, wenn der Protestantismus durch die Aufhebung des Paragraphen 2
uur lebendiger und mächtiger wird, wenn der Reichskanzler damit „der römischen
Kirche selber" den schwersten Schlag versetzt hat, dann wäre es eigentlich doch wohl
logischer, wenn Herr v. Meyer dem Grafen Bülow ein begeistertes Dankvotum
schriebe. Besseres kann er sich ja in seinem Sinne gar nicht wünschen, als einen
Reichskanzler, „der der römischen Kirche den schwersten Schlag versetzt" und den
Protestantismus neu beleben hilft. Wir glauben, daß in der letzten Hinsicht Herr
v. Meyer sogar die ernstesten Wünsche des Reichskanzlers trifft. Was soll es denn
nu» aber heißen, wenn Herr v. Meyer weiter schreibt:

„Jetzt ist es unsre Aufgabe, die zukünftigen Wahlen vorzubereiten, daß sie uicht
im Sinne Vülows, der, um mehr Kähne, um die Handelsverträge, um eine ge¬
schlossene Phalanx gegen die Sozialdemokratie zu bekommen, mit dem Zentrum
handelt auf Kosten unsers Volkstunis und unsrer Kultur, sondern im Sinne unsrer
großen Geschichte zur Rettung der idealen Güter, der Glaubens- und Gewissens¬
freiheit erfolgen."

Man Wäre geneigt, an den Verfasser die bekannte Frage zu richten: „Wo
warst du deun, als mau die Welt verleitet?" Also keine Wehrkraft, keine Handels-
bcrträgc, keine Niederwerfung der Sozialdemokratie, auf alle diese Lebensbedingungen
unsrer staatlichen und nationalen Existenz kommt es nicht an, sondern ausschließlich
cris die idealen Güter der Glaubens- und Gewissensfreiheit. Selbstverständlich die
Glaubens- und Gewissensfreiheit nur für deu Protestantismus. Was mit den zwanzig
Millionen deutscher Katholiken werden soll, darüber läßt Herr v. Meyer uns leider
M unklaren; jedoch — wenn es ihm gelingt, einen solchen Reichstag der idealen
Güter zu schaffen, wird sich Graf Bülow oder sein Nachfolger sicherlich mit dieser
neuen Majorität abzufinden wissen. Einstweilen wird Herr v. Meyer aber doch
gut tun, die Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs und seiner Folgen recht gründ¬
lich zu studieren. Um ausschließlich seinen idealen Gütern leben zu können, braucht
ein Volt vor allen Dingen einen starken Schutz seiner politischen und wirtschaft¬
lichen Unabhängigkeit. Deutschland ist lange genug bei der Weltverteilung zu spät
gekommen. Wenn Herr v. Meyer unser Volk heute, im Jahre 1904, freundlich einlädt,


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[0809] Maßgebliches und Unmaßgebliches über z. B. das Vorgehn der Jenenser Studenten gegen eine farbentragende katholische Verbindung! Konfessionelle Verbindungen, Gliederungen der akademischen Jugend nach dem Bekenntnis, sind an sich gewiß nicht erwünscht. Aber was dem Wingolf als Protestantischer farbentrageuder Verbindung recht ist, sollte auch einer katholischen Verbindung billig sein. Es ist darüber in Jena zu Tätlichkeiten gekommen, nud der Jenenser Senat hat im Interesse des akademischen Friedens, vielleicht auch mit Rücksicht auf die Nähe der Wartburg und ihrer Luthcreriuuernngen, die katholische Verbindung untersagt. Die Beschwerden der „Germania" über die dortigen Zusammenstoße zu prüfen, wird Sache des Richters sein. Den Reichstag, der sich damit befassen soll, geht unsers Erachtens die Sache wenig an, der Reichstag ist dafür nicht zuständig. Es wäre auch bedenklich, wollte man mit Reichstagsbeschlüssen, je nach den wechselnden Majoritäten, in das innere Leben unsrer Hochschulen eingreifen. Niemand ist gezwungen, auf der einen oder der andern Universität zu studieren. Junge Leute, denen ein konfessionelles Farben¬ tragen Bedürfnis ist, mögen einstweilen nicht uach Jena gehn, bis sich auch dort die Stimmung wieder beruhigt haben wird. Es wird so lange nicht dauern. Vielleicht kommen inzwischen auch Organe wieder zur Besinnung, wie die „Wartburg" des Herrn Superintendenten I). Meyer in Zwickau, der in seiner „dritten Jesuitennnmmer," nachdem er zu wiederholten malen sein a,ng,tbomii «it! über den Reichskanzler ausgesprochen, wörtlich schreibt: „Zwar an den Jesuiten wird der Protestantismus nicht zugrunde gehn; in: Gegenteil, er wird durch den Gegensatz gegen sie und im Kampfe mit ihnen lebendiger und mächtiger werden. Aber den schwersten Schlag hat Graf Bülow der römischen Kirche selber und dem Reich (!) versetzt." Nun, wenn der Protestantismus durch die Aufhebung des Paragraphen 2 uur lebendiger und mächtiger wird, wenn der Reichskanzler damit „der römischen Kirche selber" den schwersten Schlag versetzt hat, dann wäre es eigentlich doch wohl logischer, wenn Herr v. Meyer dem Grafen Bülow ein begeistertes Dankvotum schriebe. Besseres kann er sich ja in seinem Sinne gar nicht wünschen, als einen Reichskanzler, „der der römischen Kirche den schwersten Schlag versetzt" und den Protestantismus neu beleben hilft. Wir glauben, daß in der letzten Hinsicht Herr v. Meyer sogar die ernstesten Wünsche des Reichskanzlers trifft. Was soll es denn nu» aber heißen, wenn Herr v. Meyer weiter schreibt: „Jetzt ist es unsre Aufgabe, die zukünftigen Wahlen vorzubereiten, daß sie uicht im Sinne Vülows, der, um mehr Kähne, um die Handelsverträge, um eine ge¬ schlossene Phalanx gegen die Sozialdemokratie zu bekommen, mit dem Zentrum handelt auf Kosten unsers Volkstunis und unsrer Kultur, sondern im Sinne unsrer großen Geschichte zur Rettung der idealen Güter, der Glaubens- und Gewissens¬ freiheit erfolgen." Man Wäre geneigt, an den Verfasser die bekannte Frage zu richten: „Wo warst du deun, als mau die Welt verleitet?" Also keine Wehrkraft, keine Handels- bcrträgc, keine Niederwerfung der Sozialdemokratie, auf alle diese Lebensbedingungen unsrer staatlichen und nationalen Existenz kommt es nicht an, sondern ausschließlich cris die idealen Güter der Glaubens- und Gewissensfreiheit. Selbstverständlich die Glaubens- und Gewissensfreiheit nur für deu Protestantismus. Was mit den zwanzig Millionen deutscher Katholiken werden soll, darüber läßt Herr v. Meyer uns leider M unklaren; jedoch — wenn es ihm gelingt, einen solchen Reichstag der idealen Güter zu schaffen, wird sich Graf Bülow oder sein Nachfolger sicherlich mit dieser neuen Majorität abzufinden wissen. Einstweilen wird Herr v. Meyer aber doch gut tun, die Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs und seiner Folgen recht gründ¬ lich zu studieren. Um ausschließlich seinen idealen Gütern leben zu können, braucht ein Volt vor allen Dingen einen starken Schutz seiner politischen und wirtschaft¬ lichen Unabhängigkeit. Deutschland ist lange genug bei der Weltverteilung zu spät gekommen. Wenn Herr v. Meyer unser Volk heute, im Jahre 1904, freundlich einlädt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/809>, abgerufen am 01.07.2024.