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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

gewesen, in Leo dem Dreizehnter einen Papst zu finden, mit dem er den -zäitus
g,ni xaesm vereinbaren konnte. Der hergestellte Friede mit Rom war die
Situation, die die Nachfolger Bismnrcks vorfanden. Die Neigung, daran
zu rütteln, hat keiner von ihnen gehabt und wird auch so leicht keiner haben,
womit noch keineswegs gesagt ist, daß sie alle Wünsche Roms oder des Zentrums
erfüllt haben oder je erfüllen werden. Die Aufhebung des Jesuitengesetzes ist vom
Grafen Caprivi und vom Fürsten Hohenlohe wie mich jetzt wieder vom Bundesrat
abgelehnt worden, zur Aufhebung des Paragraphen 2 war sogar Fürst Hohenlohe,
der alte prinzipielle Jesnitengegner, bereit. Aber dein Zentrum genügte damals
der kleine Finger nicht, es verlangte die ganze Hand, sonst hätte schon der Vor¬
gänger des Grafen Bülow das Odium der Aufhebung des Paragraphen 2 auf sich
genommen. Fürst Hohenlohe hat vielleicht dieses "Odium" für geringer geschätzt, als
es sich heute, wenigstens in diesem Augenblick, trotz aller Reichstagsvoten herausstellt.

Ein Wahlerfolg gegen das Zentrum wäre im letzten Jahrzehnt nnr in einem
einzige" Falle möglich gewesen: als der Reichstag dem Fürsten Bismarck den
Ehrengruß zu seinem achtzigsten Geburtstage versagte, und der Kaiser ohne Verzug
seine entrüstete Mißbilligung öffentlich aussprach. Wäre die Neichstagsauflösung
da unmittelbar auf dem Fuße gefolgt, so würde inmitten der damaligen hoch¬
gehenden Wogen patriotischer Bewegung eine starke Niederlage des Zentrums vielleicht
in Aussicht zu nehmen gewesen sein. Dem Fürsten Hohenlohe ist ini Laufe des
Jahres 1895 der Rat, die aus Anlaß der fünfundzwanzigjährigen Gedenkfeier in
erfreulichster Weise betätigte patriotische Stimmung der Bevölkerung zu eiuer
Neichstagsauflösung zu benutzen, wiederholt nahegelegt worden. Er glaubte an
einen Erfolg nicht, vielleicht waren auch andre Gründe mit im Spiel, aber jeden¬
falls hat es seitdem weder für ihn noch für seine Nachfolger eine Gelegenheit
gegeben, wo mit einem Mißerfolg des Zentrums bei den Wahlen zu rechnen ge¬
wesen wäre. Wir glauben deshalb auch nicht, daß die vom Evangelischen Bunde
und seinen Organen in Aussicht genommene sofortige Vorbereitung künftiger Wahlen
von Erfolg sei" wird. Dazu wäre eine Belebung unsrer protestantischen Bevöl¬
kerung nötig, die sich in einem einheitlichen Sinne doch nie betätigen wird.
Auch wenn es gelänge, den größten Teil der zwei Millionen Wähler auf die
Beine zu bringen, die bei den letzten Reichstagswahlen gefehlt haben, und dieser
Teil weder der Zentrumspartei noch der Sozialdemokratie starke Kvntingente
abgäbe, so würde das Ergebnis wahrscheinlich viel mehr eine Bekämpfung der
"protestantischen" politischen Parteien untereinander als ein Zusammenschluß gegen
das Zentrum sein; dieses würde schwerlich ein Dutzend Sitze verlieren, vielleicht
kaum ein halbes, zumal da es bei eiuer solchen Bewegung auf die kräftigste Unter¬
stützung der Sozialdemokratie zählen könnte.

Hat man aber mit dieser Tatsache zu rechnen, so ergibt sich daraus für jeden
verständigen Politiker, daß wir in Deutschland mit dem konfessionellen Fanatismus
weder der einen uoch der andern Seite wirtschaften können, sondern daß wir ans
eine friedliche Gemeinschaft und ein friedliches Zusammenleben der
Konfessionen angewiesen sind. Das Deutsche Reich ist eine politische und
wirtschaftliche Gemeinschaft, eine Rechtsgemeinschaft, eine Waffengemeinschaft zu
Schutz und Trutz. Polnischer und wirtschaftlicher Niedergang oder gar militärische
Niederlagen würden uns alle, ohne Ausnahme und ohne Auswahl des Bekennt¬
nisses, treffen; so etwas zu verhindern haben alle ein gemeinsames Interesse. Am
Morgen der Schlacht von Se. Privat kam in der frühen Dämmerung ein evan¬
gelischer Feldgeistlicher an ein Bataillon der Gardeinfanterie herangeritten und rief
dem Kommandeur zu: "Herr Major, ich bitte um die evangelischen Mannschaften
des Bataillons." Die Antwort lautete: "Wir dienen alle einem Gott und folgen
eiuer Fahne, kommt uur alle her!" Und sie kamen -- für viele von ihnen,
Katholiken wie Protestanten, angesichts der aufgehenden Sonne des weltgeschicht¬
lichen Tages das letzte Gebet. Was soll nun dem Ernst einer großen Zeit gegen-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

gewesen, in Leo dem Dreizehnter einen Papst zu finden, mit dem er den -zäitus
g,ni xaesm vereinbaren konnte. Der hergestellte Friede mit Rom war die
Situation, die die Nachfolger Bismnrcks vorfanden. Die Neigung, daran
zu rütteln, hat keiner von ihnen gehabt und wird auch so leicht keiner haben,
womit noch keineswegs gesagt ist, daß sie alle Wünsche Roms oder des Zentrums
erfüllt haben oder je erfüllen werden. Die Aufhebung des Jesuitengesetzes ist vom
Grafen Caprivi und vom Fürsten Hohenlohe wie mich jetzt wieder vom Bundesrat
abgelehnt worden, zur Aufhebung des Paragraphen 2 war sogar Fürst Hohenlohe,
der alte prinzipielle Jesnitengegner, bereit. Aber dein Zentrum genügte damals
der kleine Finger nicht, es verlangte die ganze Hand, sonst hätte schon der Vor¬
gänger des Grafen Bülow das Odium der Aufhebung des Paragraphen 2 auf sich
genommen. Fürst Hohenlohe hat vielleicht dieses „Odium" für geringer geschätzt, als
es sich heute, wenigstens in diesem Augenblick, trotz aller Reichstagsvoten herausstellt.

Ein Wahlerfolg gegen das Zentrum wäre im letzten Jahrzehnt nnr in einem
einzige» Falle möglich gewesen: als der Reichstag dem Fürsten Bismarck den
Ehrengruß zu seinem achtzigsten Geburtstage versagte, und der Kaiser ohne Verzug
seine entrüstete Mißbilligung öffentlich aussprach. Wäre die Neichstagsauflösung
da unmittelbar auf dem Fuße gefolgt, so würde inmitten der damaligen hoch¬
gehenden Wogen patriotischer Bewegung eine starke Niederlage des Zentrums vielleicht
in Aussicht zu nehmen gewesen sein. Dem Fürsten Hohenlohe ist ini Laufe des
Jahres 1895 der Rat, die aus Anlaß der fünfundzwanzigjährigen Gedenkfeier in
erfreulichster Weise betätigte patriotische Stimmung der Bevölkerung zu eiuer
Neichstagsauflösung zu benutzen, wiederholt nahegelegt worden. Er glaubte an
einen Erfolg nicht, vielleicht waren auch andre Gründe mit im Spiel, aber jeden¬
falls hat es seitdem weder für ihn noch für seine Nachfolger eine Gelegenheit
gegeben, wo mit einem Mißerfolg des Zentrums bei den Wahlen zu rechnen ge¬
wesen wäre. Wir glauben deshalb auch nicht, daß die vom Evangelischen Bunde
und seinen Organen in Aussicht genommene sofortige Vorbereitung künftiger Wahlen
von Erfolg sei» wird. Dazu wäre eine Belebung unsrer protestantischen Bevöl¬
kerung nötig, die sich in einem einheitlichen Sinne doch nie betätigen wird.
Auch wenn es gelänge, den größten Teil der zwei Millionen Wähler auf die
Beine zu bringen, die bei den letzten Reichstagswahlen gefehlt haben, und dieser
Teil weder der Zentrumspartei noch der Sozialdemokratie starke Kvntingente
abgäbe, so würde das Ergebnis wahrscheinlich viel mehr eine Bekämpfung der
„protestantischen" politischen Parteien untereinander als ein Zusammenschluß gegen
das Zentrum sein; dieses würde schwerlich ein Dutzend Sitze verlieren, vielleicht
kaum ein halbes, zumal da es bei eiuer solchen Bewegung auf die kräftigste Unter¬
stützung der Sozialdemokratie zählen könnte.

Hat man aber mit dieser Tatsache zu rechnen, so ergibt sich daraus für jeden
verständigen Politiker, daß wir in Deutschland mit dem konfessionellen Fanatismus
weder der einen uoch der andern Seite wirtschaften können, sondern daß wir ans
eine friedliche Gemeinschaft und ein friedliches Zusammenleben der
Konfessionen angewiesen sind. Das Deutsche Reich ist eine politische und
wirtschaftliche Gemeinschaft, eine Rechtsgemeinschaft, eine Waffengemeinschaft zu
Schutz und Trutz. Polnischer und wirtschaftlicher Niedergang oder gar militärische
Niederlagen würden uns alle, ohne Ausnahme und ohne Auswahl des Bekennt¬
nisses, treffen; so etwas zu verhindern haben alle ein gemeinsames Interesse. Am
Morgen der Schlacht von Se. Privat kam in der frühen Dämmerung ein evan¬
gelischer Feldgeistlicher an ein Bataillon der Gardeinfanterie herangeritten und rief
dem Kommandeur zu: „Herr Major, ich bitte um die evangelischen Mannschaften
des Bataillons." Die Antwort lautete: „Wir dienen alle einem Gott und folgen
eiuer Fahne, kommt uur alle her!" Und sie kamen — für viele von ihnen,
Katholiken wie Protestanten, angesichts der aufgehenden Sonne des weltgeschicht¬
lichen Tages das letzte Gebet. Was soll nun dem Ernst einer großen Zeit gegen-


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[0808] Maßgebliches und Unmaßgebliches gewesen, in Leo dem Dreizehnter einen Papst zu finden, mit dem er den -zäitus g,ni xaesm vereinbaren konnte. Der hergestellte Friede mit Rom war die Situation, die die Nachfolger Bismnrcks vorfanden. Die Neigung, daran zu rütteln, hat keiner von ihnen gehabt und wird auch so leicht keiner haben, womit noch keineswegs gesagt ist, daß sie alle Wünsche Roms oder des Zentrums erfüllt haben oder je erfüllen werden. Die Aufhebung des Jesuitengesetzes ist vom Grafen Caprivi und vom Fürsten Hohenlohe wie mich jetzt wieder vom Bundesrat abgelehnt worden, zur Aufhebung des Paragraphen 2 war sogar Fürst Hohenlohe, der alte prinzipielle Jesnitengegner, bereit. Aber dein Zentrum genügte damals der kleine Finger nicht, es verlangte die ganze Hand, sonst hätte schon der Vor¬ gänger des Grafen Bülow das Odium der Aufhebung des Paragraphen 2 auf sich genommen. Fürst Hohenlohe hat vielleicht dieses „Odium" für geringer geschätzt, als es sich heute, wenigstens in diesem Augenblick, trotz aller Reichstagsvoten herausstellt. Ein Wahlerfolg gegen das Zentrum wäre im letzten Jahrzehnt nnr in einem einzige» Falle möglich gewesen: als der Reichstag dem Fürsten Bismarck den Ehrengruß zu seinem achtzigsten Geburtstage versagte, und der Kaiser ohne Verzug seine entrüstete Mißbilligung öffentlich aussprach. Wäre die Neichstagsauflösung da unmittelbar auf dem Fuße gefolgt, so würde inmitten der damaligen hoch¬ gehenden Wogen patriotischer Bewegung eine starke Niederlage des Zentrums vielleicht in Aussicht zu nehmen gewesen sein. Dem Fürsten Hohenlohe ist ini Laufe des Jahres 1895 der Rat, die aus Anlaß der fünfundzwanzigjährigen Gedenkfeier in erfreulichster Weise betätigte patriotische Stimmung der Bevölkerung zu eiuer Neichstagsauflösung zu benutzen, wiederholt nahegelegt worden. Er glaubte an einen Erfolg nicht, vielleicht waren auch andre Gründe mit im Spiel, aber jeden¬ falls hat es seitdem weder für ihn noch für seine Nachfolger eine Gelegenheit gegeben, wo mit einem Mißerfolg des Zentrums bei den Wahlen zu rechnen ge¬ wesen wäre. Wir glauben deshalb auch nicht, daß die vom Evangelischen Bunde und seinen Organen in Aussicht genommene sofortige Vorbereitung künftiger Wahlen von Erfolg sei» wird. Dazu wäre eine Belebung unsrer protestantischen Bevöl¬ kerung nötig, die sich in einem einheitlichen Sinne doch nie betätigen wird. Auch wenn es gelänge, den größten Teil der zwei Millionen Wähler auf die Beine zu bringen, die bei den letzten Reichstagswahlen gefehlt haben, und dieser Teil weder der Zentrumspartei noch der Sozialdemokratie starke Kvntingente abgäbe, so würde das Ergebnis wahrscheinlich viel mehr eine Bekämpfung der „protestantischen" politischen Parteien untereinander als ein Zusammenschluß gegen das Zentrum sein; dieses würde schwerlich ein Dutzend Sitze verlieren, vielleicht kaum ein halbes, zumal da es bei eiuer solchen Bewegung auf die kräftigste Unter¬ stützung der Sozialdemokratie zählen könnte. Hat man aber mit dieser Tatsache zu rechnen, so ergibt sich daraus für jeden verständigen Politiker, daß wir in Deutschland mit dem konfessionellen Fanatismus weder der einen uoch der andern Seite wirtschaften können, sondern daß wir ans eine friedliche Gemeinschaft und ein friedliches Zusammenleben der Konfessionen angewiesen sind. Das Deutsche Reich ist eine politische und wirtschaftliche Gemeinschaft, eine Rechtsgemeinschaft, eine Waffengemeinschaft zu Schutz und Trutz. Polnischer und wirtschaftlicher Niedergang oder gar militärische Niederlagen würden uns alle, ohne Ausnahme und ohne Auswahl des Bekennt¬ nisses, treffen; so etwas zu verhindern haben alle ein gemeinsames Interesse. Am Morgen der Schlacht von Se. Privat kam in der frühen Dämmerung ein evan¬ gelischer Feldgeistlicher an ein Bataillon der Gardeinfanterie herangeritten und rief dem Kommandeur zu: „Herr Major, ich bitte um die evangelischen Mannschaften des Bataillons." Die Antwort lautete: „Wir dienen alle einem Gott und folgen eiuer Fahne, kommt uur alle her!" Und sie kamen — für viele von ihnen, Katholiken wie Protestanten, angesichts der aufgehenden Sonne des weltgeschicht¬ lichen Tages das letzte Gebet. Was soll nun dem Ernst einer großen Zeit gegen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/808>, abgerufen am 03.07.2024.