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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Chartres und von Bourbon dem Könige gereicht wurden, der sich damit die
Hände wischte.

Zu der Menge überlebter, zum Teil uralter Einrichtungen, mit denen
die große Revolution aufräumte, gehörte auch das attouoluziuöut, das, wie
wan damals glauben durfte, mit seinem Träger, dem bourbonischen Königtum,
für immer verschwand. Und doch sollte es noch einmal eine kurze Auferstehung
erleben. Während Ludwig der Achtzehnte in den Mühen um die Neuordnung
der Verhältnisse vor und nach den hundert Tagen keine Zeit für eine Krönungs-
feier gefunden hatte, deutete sein Bruder und Nachfolger Karl der Zehnte
schon durch die prunkvolle Feierlichkeit, mit der er sich (29. bis 31. Mai 1825)
"ach dem alten, nur wenig zurechtgestutzten Zeremoniell in der Kathedrale zu
Reims salben und krönen ließ, unmißverständlich an, daß er ganz im Sinne
der alten "allerchristlichsten" Könige zu regieren gedenke. Die dort von ihm
vollzogn" Berührung sollte sich in die Gesamtheit der Mittel für die politisch¬
kirchliche Wiedergeburt einfügen, trug aber nur dazu bei, daß sich die große
Masse der Nation von einem Monarchen abwandte, der in hartnäckiger Ver¬
blendung die Verehrung alter, aus der roycilistischen Rumpelkammer an das
helle Tageslicht hervorgeholter Fratzen einem veränderten Zeitgeist aufnötigen
wollte. Ob und wie oft Karl der Zehnte nach den Tagen von Reims die
Berührung vollzogen habe, vermag ich nicht zu sagen, da ich keine Gelegen¬
heit gehabt habe, deu Moniteur aus den Jahren 1825 bis 1830 zu lesen,
worin sich die entsprechenden Angaben finden müßten.

In der wundertätigen Berührung können wir auch vom christlichen Stand¬
punkt aus nur ein Phantasiegebilde, einen Aberglauben sehen. Der evangelische
Glaube bedarf, wie wir schon von Füller gehört haben, solcher Surrogat¬
wunder nicht. Dennoch wäre es ungerecht, wenigstens für die ältere Zeit,
"on einem Schwindel zu reden; es war eine Verirrung, deren Wurzeln in
einem überspannten Begriff vom Königtum zu suchen sind. Das Alte Testament
^Zählt in einer der vielen großartig einfachen Geschichten, die für erste
Menschheitserfahrungen geradezu typisch sind, die Entstehung des Königtums
bei den Jsraeliten. Wie Samuel dem Volke vorhält, hätte dieses sich in
republikanischer Freiheit, nnr nach den Gesetzen Gottes, selbst regieren können,
wenn in ihm eine idealere, opferfreudige Gesinnung geherrscht Hütte. Aber
^e Menschen waren eben nicht danach. Sie fanden es bequemer, einen
^b'nig zu verlangen, wie alle Heiden hatten, der sie richtete und vor ihnen
Herzöge und ihre Kriege führte, und erwarteten von ihm eine Besserung ihres
selbstverschuldeten staatlichen und nationalen Elends. Daß einem solchen
^bnig neben schweren Pflichten auch weitgehende Rechte zufallen mußten, ohne
die er die Pflichten gar nicht erfüllen konnte, davon wollten sie nichts hören,
obgleich Samuel es ihnen nüchtern und eindringlich genug vorstellte. Der
höhere Nechtsstand des Königs fand feinen Ausdruck in der Salbung. Der
Won Gott berufne, gottgeweihte Herrscher, der Gesalbte des Herrn, wurde
bannt nicht zu einem Übermenschen gemacht, wohl aber, wie schon früher die
fester, aus der Masse des Volkes herausgehoben und auf eine höhere
^ose gestellt. Auch für uns sind die Titel "Kaiserliche und Königliche


Chartres und von Bourbon dem Könige gereicht wurden, der sich damit die
Hände wischte.

Zu der Menge überlebter, zum Teil uralter Einrichtungen, mit denen
die große Revolution aufräumte, gehörte auch das attouoluziuöut, das, wie
wan damals glauben durfte, mit seinem Träger, dem bourbonischen Königtum,
für immer verschwand. Und doch sollte es noch einmal eine kurze Auferstehung
erleben. Während Ludwig der Achtzehnte in den Mühen um die Neuordnung
der Verhältnisse vor und nach den hundert Tagen keine Zeit für eine Krönungs-
feier gefunden hatte, deutete sein Bruder und Nachfolger Karl der Zehnte
schon durch die prunkvolle Feierlichkeit, mit der er sich (29. bis 31. Mai 1825)
«ach dem alten, nur wenig zurechtgestutzten Zeremoniell in der Kathedrale zu
Reims salben und krönen ließ, unmißverständlich an, daß er ganz im Sinne
der alten „allerchristlichsten" Könige zu regieren gedenke. Die dort von ihm
vollzogn« Berührung sollte sich in die Gesamtheit der Mittel für die politisch¬
kirchliche Wiedergeburt einfügen, trug aber nur dazu bei, daß sich die große
Masse der Nation von einem Monarchen abwandte, der in hartnäckiger Ver¬
blendung die Verehrung alter, aus der roycilistischen Rumpelkammer an das
helle Tageslicht hervorgeholter Fratzen einem veränderten Zeitgeist aufnötigen
wollte. Ob und wie oft Karl der Zehnte nach den Tagen von Reims die
Berührung vollzogen habe, vermag ich nicht zu sagen, da ich keine Gelegen¬
heit gehabt habe, deu Moniteur aus den Jahren 1825 bis 1830 zu lesen,
worin sich die entsprechenden Angaben finden müßten.

In der wundertätigen Berührung können wir auch vom christlichen Stand¬
punkt aus nur ein Phantasiegebilde, einen Aberglauben sehen. Der evangelische
Glaube bedarf, wie wir schon von Füller gehört haben, solcher Surrogat¬
wunder nicht. Dennoch wäre es ungerecht, wenigstens für die ältere Zeit,
"on einem Schwindel zu reden; es war eine Verirrung, deren Wurzeln in
einem überspannten Begriff vom Königtum zu suchen sind. Das Alte Testament
^Zählt in einer der vielen großartig einfachen Geschichten, die für erste
Menschheitserfahrungen geradezu typisch sind, die Entstehung des Königtums
bei den Jsraeliten. Wie Samuel dem Volke vorhält, hätte dieses sich in
republikanischer Freiheit, nnr nach den Gesetzen Gottes, selbst regieren können,
wenn in ihm eine idealere, opferfreudige Gesinnung geherrscht Hütte. Aber
^e Menschen waren eben nicht danach. Sie fanden es bequemer, einen
^b'nig zu verlangen, wie alle Heiden hatten, der sie richtete und vor ihnen
Herzöge und ihre Kriege führte, und erwarteten von ihm eine Besserung ihres
selbstverschuldeten staatlichen und nationalen Elends. Daß einem solchen
^bnig neben schweren Pflichten auch weitgehende Rechte zufallen mußten, ohne
die er die Pflichten gar nicht erfüllen konnte, davon wollten sie nichts hören,
obgleich Samuel es ihnen nüchtern und eindringlich genug vorstellte. Der
höhere Nechtsstand des Königs fand feinen Ausdruck in der Salbung. Der
Won Gott berufne, gottgeweihte Herrscher, der Gesalbte des Herrn, wurde
bannt nicht zu einem Übermenschen gemacht, wohl aber, wie schon früher die
fester, aus der Masse des Volkes herausgehoben und auf eine höhere
^ose gestellt. Auch für uns sind die Titel „Kaiserliche und Königliche


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[0779] Chartres und von Bourbon dem Könige gereicht wurden, der sich damit die Hände wischte. Zu der Menge überlebter, zum Teil uralter Einrichtungen, mit denen die große Revolution aufräumte, gehörte auch das attouoluziuöut, das, wie wan damals glauben durfte, mit seinem Träger, dem bourbonischen Königtum, für immer verschwand. Und doch sollte es noch einmal eine kurze Auferstehung erleben. Während Ludwig der Achtzehnte in den Mühen um die Neuordnung der Verhältnisse vor und nach den hundert Tagen keine Zeit für eine Krönungs- feier gefunden hatte, deutete sein Bruder und Nachfolger Karl der Zehnte schon durch die prunkvolle Feierlichkeit, mit der er sich (29. bis 31. Mai 1825) «ach dem alten, nur wenig zurechtgestutzten Zeremoniell in der Kathedrale zu Reims salben und krönen ließ, unmißverständlich an, daß er ganz im Sinne der alten „allerchristlichsten" Könige zu regieren gedenke. Die dort von ihm vollzogn« Berührung sollte sich in die Gesamtheit der Mittel für die politisch¬ kirchliche Wiedergeburt einfügen, trug aber nur dazu bei, daß sich die große Masse der Nation von einem Monarchen abwandte, der in hartnäckiger Ver¬ blendung die Verehrung alter, aus der roycilistischen Rumpelkammer an das helle Tageslicht hervorgeholter Fratzen einem veränderten Zeitgeist aufnötigen wollte. Ob und wie oft Karl der Zehnte nach den Tagen von Reims die Berührung vollzogen habe, vermag ich nicht zu sagen, da ich keine Gelegen¬ heit gehabt habe, deu Moniteur aus den Jahren 1825 bis 1830 zu lesen, worin sich die entsprechenden Angaben finden müßten. In der wundertätigen Berührung können wir auch vom christlichen Stand¬ punkt aus nur ein Phantasiegebilde, einen Aberglauben sehen. Der evangelische Glaube bedarf, wie wir schon von Füller gehört haben, solcher Surrogat¬ wunder nicht. Dennoch wäre es ungerecht, wenigstens für die ältere Zeit, "on einem Schwindel zu reden; es war eine Verirrung, deren Wurzeln in einem überspannten Begriff vom Königtum zu suchen sind. Das Alte Testament ^Zählt in einer der vielen großartig einfachen Geschichten, die für erste Menschheitserfahrungen geradezu typisch sind, die Entstehung des Königtums bei den Jsraeliten. Wie Samuel dem Volke vorhält, hätte dieses sich in republikanischer Freiheit, nnr nach den Gesetzen Gottes, selbst regieren können, wenn in ihm eine idealere, opferfreudige Gesinnung geherrscht Hütte. Aber ^e Menschen waren eben nicht danach. Sie fanden es bequemer, einen ^b'nig zu verlangen, wie alle Heiden hatten, der sie richtete und vor ihnen Herzöge und ihre Kriege führte, und erwarteten von ihm eine Besserung ihres selbstverschuldeten staatlichen und nationalen Elends. Daß einem solchen ^bnig neben schweren Pflichten auch weitgehende Rechte zufallen mußten, ohne die er die Pflichten gar nicht erfüllen konnte, davon wollten sie nichts hören, obgleich Samuel es ihnen nüchtern und eindringlich genug vorstellte. Der höhere Nechtsstand des Königs fand feinen Ausdruck in der Salbung. Der Won Gott berufne, gottgeweihte Herrscher, der Gesalbte des Herrn, wurde bannt nicht zu einem Übermenschen gemacht, wohl aber, wie schon früher die fester, aus der Masse des Volkes herausgehoben und auf eine höhere ^ose gestellt. Auch für uns sind die Titel „Kaiserliche und Königliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/779>, abgerufen am 03.07.2024.