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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

sondern weil alle Bücher, die ich geschrieben habe -- mit Ausnahme der ersten,
als ich noch ganz jung war --, alle Bücher, die ich in den letzten 23 Jahren, wo
ich verheiratet war, geschrieben habe, in der Weise entstanden sind, daß meine ver¬
storbne Fran und ich vom ersten Anfang an, kann ich sagen, alleinunter den Plan
entworfen und besprochen und Figuren und Einzelheiten eingehend erörtert haben.
Und wenn ich sie niederschrieb -- meist geschah dies in den Sommerferien --, so
waren in der Regel alle Details im voraus geordnet, und ich kann sagen, daß ich
ihr jede Seite, die ich schrieb, vorlas, mit ihr darüber sprach und aus ihrer Kritik
beständig Anregung empfing. Sie war von der größten Liebe zur Poesie und
zur Kunst beseelt und hatte das feinste Verständnis für alles, was darauf Bezug
hatte. Niemand hat geahnt, daß sie mehrere kleine Sachen, in Prosa wie in Versen,
die auch gedruckt worden sind, allerdings ohne ihren Namen, geschrieben hat. Sie
modellierte auch ganz außerordentlich hübsch, ohne es je gelernt zu haben, sowohl
Büsten als Reliefs, und in allein, was sie anfaßte, kam ihre Liebe zum Schönen
und Reinen zum Ausdruck.

Und deshalb -- ja, man soll die Zukunft nicht voraussage", aber ich kann
mir jetzt jedenfalls nicht denken, daß ich je wieder etwas größeres zu schreiben vermag.
Ich glaube, dieses Buch bleibt das letzte. Es erhielt auch auf eine so merkwürdige
Weise seinen Abschluß. Ein Paar Jahre hatte ich daran gearbeitet, dafür gesammelt
und darüber nachgedacht; ich hatte es schon zum drittenmal vollendet -- ich arbeite
meistens jedes Buch dreimal durch --, und nun wollte ich mir gern noch einige un¬
bedeutende Kleinigkeiten in den Lokalverhältnissen von Helsingör und ganz besonders
von dem Karmeliterkloster ansehen. So zogen wir Ostern nach Helsingör hinauf. Dort
wurde meine Frau krank, von dort brachte ich sie krank nach Hause -- glücklicherweise
erreichten wir noch unser Heim in Charlottenlund. Hier starb sie nach vierzehntägigem
Krankenlager. Wenn man weiß, wie wir zusammen gelebt und gearbeitet hatten, wird
man verstehn, daß ich wahrscheinlich nie mehr ein größeres Buch schreiben werde.

Was nun das Buch selbst anbetrifft, so wird jeder verstehn, daß ich nicht als
Historiker auftrete; es war durchaus nicht meine Absicht, die Behauptung aufzustellen,
Shakespeare sei wirklich in Helsingör gewesen, sondern ich habe eine dichterische Dar¬
stellung davon gegeben, wie Shakespeare in Helsingör hätte gewesen sein und Motive
von seinem dortigen Aufenthalt zum Hamlet hätte benutzen können.

Fragt man mich aber, ob ich persönlich glaube, daß Shakespeare in Helsingör
gewesen ist, so antworte ich, ja, das glaube ich unbedingt. Denn seine Bekannt¬
schaft mit den Örtlichkeiten in Helsingör nud den dänischen Verhältnissen, wie sie
sich im Hamlet zeigt, ist weit zwangloser auf die Weise zu erklären, daß Shake¬
speare dort gewesen ist, als auf irgend eine andre. Und warum in aller Welt
sollte er nicht dort gewesen sein? Im Jahre 1586 war dort, wie jetzt alle wissen,
eine Gesellschaft von englischen Komödianten, die oben auf Kronborg spielten. Unter
ihnen waren z. B. William Kemp, Thomas Pope und George Bryan, die später
nachweisbar Shakespeares Kameraden am Theater in London waren. Selbst¬
verständlich kann Shakespeare seine Kenntnisse von ihnen erhalten haben, aber
es scheint mir eine weit natürlichere Vorstellung, daß er selbst in Helsingör ge¬
wesen sei, um so mehr, als kein Mensch weiß, wo er im Jahre 1586 war. Man
weiß nur, daß er weder in seiner Vaterstadt uoch in London war. Über das
Schloß am Sund kann Shakespeare selbstverständlich aus den Erzählungen der
Kameraden hinreichende Aufklärungen erhalten haben, aber es gibt andre Dinge
im Hamlet, bei denen man sich schwer vorstellen kann, wie Shakespeare darauf ge¬
kommen sein sollte, wenn er sich nicht selbst eine Zeit lang in Dänemark aufge¬
halten hätte. Man denke zum Beispiel daran, daß Shakespeare, als er zwei
dänische Adliche nennen will, gerade auf die Namen Rosenkrands und Gyldenstjerne
verfallen ist, die zu der Zeit am meisten im Vordergründe standen. Man beachte
die Äußerungen über die Trinkgelage in Dänemark, über Horatio, der in Witten-
berg studiert, wo so viele Dänen aber so gut wie niemals Engländer studierten.
Man denke an solche Dinge wie die Terrasse am Meer unterhalb Kronborgs, an


Maßgebliches und Unmaßgebliches

sondern weil alle Bücher, die ich geschrieben habe — mit Ausnahme der ersten,
als ich noch ganz jung war —, alle Bücher, die ich in den letzten 23 Jahren, wo
ich verheiratet war, geschrieben habe, in der Weise entstanden sind, daß meine ver¬
storbne Fran und ich vom ersten Anfang an, kann ich sagen, alleinunter den Plan
entworfen und besprochen und Figuren und Einzelheiten eingehend erörtert haben.
Und wenn ich sie niederschrieb — meist geschah dies in den Sommerferien —, so
waren in der Regel alle Details im voraus geordnet, und ich kann sagen, daß ich
ihr jede Seite, die ich schrieb, vorlas, mit ihr darüber sprach und aus ihrer Kritik
beständig Anregung empfing. Sie war von der größten Liebe zur Poesie und
zur Kunst beseelt und hatte das feinste Verständnis für alles, was darauf Bezug
hatte. Niemand hat geahnt, daß sie mehrere kleine Sachen, in Prosa wie in Versen,
die auch gedruckt worden sind, allerdings ohne ihren Namen, geschrieben hat. Sie
modellierte auch ganz außerordentlich hübsch, ohne es je gelernt zu haben, sowohl
Büsten als Reliefs, und in allein, was sie anfaßte, kam ihre Liebe zum Schönen
und Reinen zum Ausdruck.

Und deshalb — ja, man soll die Zukunft nicht voraussage», aber ich kann
mir jetzt jedenfalls nicht denken, daß ich je wieder etwas größeres zu schreiben vermag.
Ich glaube, dieses Buch bleibt das letzte. Es erhielt auch auf eine so merkwürdige
Weise seinen Abschluß. Ein Paar Jahre hatte ich daran gearbeitet, dafür gesammelt
und darüber nachgedacht; ich hatte es schon zum drittenmal vollendet — ich arbeite
meistens jedes Buch dreimal durch —, und nun wollte ich mir gern noch einige un¬
bedeutende Kleinigkeiten in den Lokalverhältnissen von Helsingör und ganz besonders
von dem Karmeliterkloster ansehen. So zogen wir Ostern nach Helsingör hinauf. Dort
wurde meine Frau krank, von dort brachte ich sie krank nach Hause — glücklicherweise
erreichten wir noch unser Heim in Charlottenlund. Hier starb sie nach vierzehntägigem
Krankenlager. Wenn man weiß, wie wir zusammen gelebt und gearbeitet hatten, wird
man verstehn, daß ich wahrscheinlich nie mehr ein größeres Buch schreiben werde.

Was nun das Buch selbst anbetrifft, so wird jeder verstehn, daß ich nicht als
Historiker auftrete; es war durchaus nicht meine Absicht, die Behauptung aufzustellen,
Shakespeare sei wirklich in Helsingör gewesen, sondern ich habe eine dichterische Dar¬
stellung davon gegeben, wie Shakespeare in Helsingör hätte gewesen sein und Motive
von seinem dortigen Aufenthalt zum Hamlet hätte benutzen können.

Fragt man mich aber, ob ich persönlich glaube, daß Shakespeare in Helsingör
gewesen ist, so antworte ich, ja, das glaube ich unbedingt. Denn seine Bekannt¬
schaft mit den Örtlichkeiten in Helsingör nud den dänischen Verhältnissen, wie sie
sich im Hamlet zeigt, ist weit zwangloser auf die Weise zu erklären, daß Shake¬
speare dort gewesen ist, als auf irgend eine andre. Und warum in aller Welt
sollte er nicht dort gewesen sein? Im Jahre 1586 war dort, wie jetzt alle wissen,
eine Gesellschaft von englischen Komödianten, die oben auf Kronborg spielten. Unter
ihnen waren z. B. William Kemp, Thomas Pope und George Bryan, die später
nachweisbar Shakespeares Kameraden am Theater in London waren. Selbst¬
verständlich kann Shakespeare seine Kenntnisse von ihnen erhalten haben, aber
es scheint mir eine weit natürlichere Vorstellung, daß er selbst in Helsingör ge¬
wesen sei, um so mehr, als kein Mensch weiß, wo er im Jahre 1586 war. Man
weiß nur, daß er weder in seiner Vaterstadt uoch in London war. Über das
Schloß am Sund kann Shakespeare selbstverständlich aus den Erzählungen der
Kameraden hinreichende Aufklärungen erhalten haben, aber es gibt andre Dinge
im Hamlet, bei denen man sich schwer vorstellen kann, wie Shakespeare darauf ge¬
kommen sein sollte, wenn er sich nicht selbst eine Zeit lang in Dänemark aufge¬
halten hätte. Man denke zum Beispiel daran, daß Shakespeare, als er zwei
dänische Adliche nennen will, gerade auf die Namen Rosenkrands und Gyldenstjerne
verfallen ist, die zu der Zeit am meisten im Vordergründe standen. Man beachte
die Äußerungen über die Trinkgelage in Dänemark, über Horatio, der in Witten-
berg studiert, wo so viele Dänen aber so gut wie niemals Engländer studierten.
Man denke an solche Dinge wie die Terrasse am Meer unterhalb Kronborgs, an


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[0068] Maßgebliches und Unmaßgebliches sondern weil alle Bücher, die ich geschrieben habe — mit Ausnahme der ersten, als ich noch ganz jung war —, alle Bücher, die ich in den letzten 23 Jahren, wo ich verheiratet war, geschrieben habe, in der Weise entstanden sind, daß meine ver¬ storbne Fran und ich vom ersten Anfang an, kann ich sagen, alleinunter den Plan entworfen und besprochen und Figuren und Einzelheiten eingehend erörtert haben. Und wenn ich sie niederschrieb — meist geschah dies in den Sommerferien —, so waren in der Regel alle Details im voraus geordnet, und ich kann sagen, daß ich ihr jede Seite, die ich schrieb, vorlas, mit ihr darüber sprach und aus ihrer Kritik beständig Anregung empfing. Sie war von der größten Liebe zur Poesie und zur Kunst beseelt und hatte das feinste Verständnis für alles, was darauf Bezug hatte. Niemand hat geahnt, daß sie mehrere kleine Sachen, in Prosa wie in Versen, die auch gedruckt worden sind, allerdings ohne ihren Namen, geschrieben hat. Sie modellierte auch ganz außerordentlich hübsch, ohne es je gelernt zu haben, sowohl Büsten als Reliefs, und in allein, was sie anfaßte, kam ihre Liebe zum Schönen und Reinen zum Ausdruck. Und deshalb — ja, man soll die Zukunft nicht voraussage», aber ich kann mir jetzt jedenfalls nicht denken, daß ich je wieder etwas größeres zu schreiben vermag. Ich glaube, dieses Buch bleibt das letzte. Es erhielt auch auf eine so merkwürdige Weise seinen Abschluß. Ein Paar Jahre hatte ich daran gearbeitet, dafür gesammelt und darüber nachgedacht; ich hatte es schon zum drittenmal vollendet — ich arbeite meistens jedes Buch dreimal durch —, und nun wollte ich mir gern noch einige un¬ bedeutende Kleinigkeiten in den Lokalverhältnissen von Helsingör und ganz besonders von dem Karmeliterkloster ansehen. So zogen wir Ostern nach Helsingör hinauf. Dort wurde meine Frau krank, von dort brachte ich sie krank nach Hause — glücklicherweise erreichten wir noch unser Heim in Charlottenlund. Hier starb sie nach vierzehntägigem Krankenlager. Wenn man weiß, wie wir zusammen gelebt und gearbeitet hatten, wird man verstehn, daß ich wahrscheinlich nie mehr ein größeres Buch schreiben werde. Was nun das Buch selbst anbetrifft, so wird jeder verstehn, daß ich nicht als Historiker auftrete; es war durchaus nicht meine Absicht, die Behauptung aufzustellen, Shakespeare sei wirklich in Helsingör gewesen, sondern ich habe eine dichterische Dar¬ stellung davon gegeben, wie Shakespeare in Helsingör hätte gewesen sein und Motive von seinem dortigen Aufenthalt zum Hamlet hätte benutzen können. Fragt man mich aber, ob ich persönlich glaube, daß Shakespeare in Helsingör gewesen ist, so antworte ich, ja, das glaube ich unbedingt. Denn seine Bekannt¬ schaft mit den Örtlichkeiten in Helsingör nud den dänischen Verhältnissen, wie sie sich im Hamlet zeigt, ist weit zwangloser auf die Weise zu erklären, daß Shake¬ speare dort gewesen ist, als auf irgend eine andre. Und warum in aller Welt sollte er nicht dort gewesen sein? Im Jahre 1586 war dort, wie jetzt alle wissen, eine Gesellschaft von englischen Komödianten, die oben auf Kronborg spielten. Unter ihnen waren z. B. William Kemp, Thomas Pope und George Bryan, die später nachweisbar Shakespeares Kameraden am Theater in London waren. Selbst¬ verständlich kann Shakespeare seine Kenntnisse von ihnen erhalten haben, aber es scheint mir eine weit natürlichere Vorstellung, daß er selbst in Helsingör ge¬ wesen sei, um so mehr, als kein Mensch weiß, wo er im Jahre 1586 war. Man weiß nur, daß er weder in seiner Vaterstadt uoch in London war. Über das Schloß am Sund kann Shakespeare selbstverständlich aus den Erzählungen der Kameraden hinreichende Aufklärungen erhalten haben, aber es gibt andre Dinge im Hamlet, bei denen man sich schwer vorstellen kann, wie Shakespeare darauf ge¬ kommen sein sollte, wenn er sich nicht selbst eine Zeit lang in Dänemark aufge¬ halten hätte. Man denke zum Beispiel daran, daß Shakespeare, als er zwei dänische Adliche nennen will, gerade auf die Namen Rosenkrands und Gyldenstjerne verfallen ist, die zu der Zeit am meisten im Vordergründe standen. Man beachte die Äußerungen über die Trinkgelage in Dänemark, über Horatio, der in Witten- berg studiert, wo so viele Dänen aber so gut wie niemals Engländer studierten. Man denke an solche Dinge wie die Terrasse am Meer unterhalb Kronborgs, an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/68>, abgerufen am 22.07.2024.