Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.Feldmarschall Graf Waldersee ihren Lagerdienst usw., eine Art "kleiner Waldersee" des französischen Heeres, Der Krieg brachte dem Grafen Waldersee Gelegenheit zu einer hervor¬ Feldmarschall Graf Waldersee ihren Lagerdienst usw., eine Art „kleiner Waldersee" des französischen Heeres, Der Krieg brachte dem Grafen Waldersee Gelegenheit zu einer hervor¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0629" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/293426"/> <fw type="header" place="top"> Feldmarschall Graf Waldersee</fw><lb/> <p xml:id="ID_3605" prev="#ID_3604"> ihren Lagerdienst usw., eine Art „kleiner Waldersee" des französischen Heeres,<lb/> gelangte in den Tagen nach der Kriegserklärung vom 19. Juli in Berlin zur<lb/> Veröffentlichung und ist in vielen Tausenden von Exemplaren als „Leitfaden<lb/> für den Sieg" mit nach Frankreich gewandert. Bei der Mobilmachung wurde<lb/> Waldersee zum Oberstleutnant befördert und in das Große Hauptquartier be¬<lb/> rufen. Seine dortige dienstliche Stellung führte ihn häufig mit Bismarck zu¬<lb/> sammen, an dessen Tisch er ein nicht seltner Gast war. Buschs bekannte Auf¬<lb/> zeichnungen enthalten darüber mancherlei Material. Zum erstenmal finden wir<lb/> ihn am 21. August in Commercy erwähnt, wo sich Bismarck beim Könige<lb/> bemüht hatte, die Verleihung des Eisernen Kreuzes an die Süddeutschen durch¬<lb/> zusetzen, aber sowohl beim Monarchen als bei Moltke auf entschiednen Wider¬<lb/> spruch gestoßen war.</p><lb/> <p xml:id="ID_3606" next="#ID_3607"> Der Krieg brachte dem Grafen Waldersee Gelegenheit zu einer hervor¬<lb/> ragenden Dienstleistung, die nicht nur die Augen der gesamten Armee, sondern<lb/> auch weiter Kreise im Vaterlande auf ihn richtete. Die Operationen gegen die<lb/> französischen Neuformationen an der Loire waren durch die dazu bestimmte<lb/> Armeeabteilung des Großherzogs von Mecklenburg und die gegen Mitte No¬<lb/> vember nach der Kapitulation von Metz dort eingetroffne zweite Armee nicht<lb/> mit dem Grade von Umsicht und Energie betrieben worden, den die Kriegs¬<lb/> lage verlangte. Man begann in Versailles wegen der weitern Entwicklung der<lb/> Dinge Besorgnis zu empfinden, und der König, der den Optimismus seiner<lb/> militärischen Umgebung seit Sedan ohnehin nicht zu teilen vermochte, mit der<lb/> Berichterstattung der beiden genannten Oberkommandos auch wenig zufrieden<lb/> war, beschloß einen Offizier dorthin zu senden, der in unabhängiger Stellung<lb/> die Sachlage prüfen, ihm Bericht erstatten und zumal bei dem Prinzen Friedrich<lb/> Karl die Anschauungen des Königs vertreten sollte. Zu diesem Entschluß<lb/> scheint der König nach dem Militärvortrage vom 23. November gelangt zu<lb/> sein. Die Wahl war nicht leicht zu treffen. Es mußte die Empfindlichkeit<lb/> des Prinzen geschont, auf die souveräne Stellung des Großherzogs, nicht<lb/> minder auf Moltke und den Großen Generalstab Rücksicht genommen, dennoch<lb/> aber im Sinne des Königs mit Energie gehandelt werden. Der König trug<lb/> den Gedanken einen ganzen Tag lang mit sich herum, ohne mit jemand<lb/> darüber zu sprechen. Schließlich fiel seine Wahl auf den Grafen Waldersee, aber<lb/> erst am folgenden Morgen erhielt dieser durch den General von Albedyll den<lb/> Befehl, sich zur sofortigen Abreise in das Hauptquartier des Prinzen Friedrich<lb/> Karl bereit zu Machen. Bald darauf wurde er zum Könige entboten, der ihm<lb/> mit der ihm eignen ruhigen Klarheit auseinandersetzte, um was es sich handelte,<lb/> ihm auch ein Schreiben an den Prinzen behündigte, worin die Ansichten des<lb/> Königs entwickelt waren, die Waldersee seinerseits noch mündlich erläutern<lb/> sollte. Die Abreise sollte ohne vorherige Meldung oder Rücksprache bei Moltke<lb/> oder dem Generalstab erfolgen, damit Graf Waldersee die Anschauungen des<lb/> Königs in voller Unabhängigkeit und unbeeinflußt vertreten konnte; er erhielt<lb/> zudem den Befehl, bis zu seiner Abberufung bei dem Prinzen zu bleiben und<lb/> dem Könige täglich zu berichten. (Über diese Mission enthält Fritz Honigs vor¬<lb/> zügliches Buch „Der Volkskrieg an der Loire" sehr eingehende und interessante</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0629]
Feldmarschall Graf Waldersee
ihren Lagerdienst usw., eine Art „kleiner Waldersee" des französischen Heeres,
gelangte in den Tagen nach der Kriegserklärung vom 19. Juli in Berlin zur
Veröffentlichung und ist in vielen Tausenden von Exemplaren als „Leitfaden
für den Sieg" mit nach Frankreich gewandert. Bei der Mobilmachung wurde
Waldersee zum Oberstleutnant befördert und in das Große Hauptquartier be¬
rufen. Seine dortige dienstliche Stellung führte ihn häufig mit Bismarck zu¬
sammen, an dessen Tisch er ein nicht seltner Gast war. Buschs bekannte Auf¬
zeichnungen enthalten darüber mancherlei Material. Zum erstenmal finden wir
ihn am 21. August in Commercy erwähnt, wo sich Bismarck beim Könige
bemüht hatte, die Verleihung des Eisernen Kreuzes an die Süddeutschen durch¬
zusetzen, aber sowohl beim Monarchen als bei Moltke auf entschiednen Wider¬
spruch gestoßen war.
Der Krieg brachte dem Grafen Waldersee Gelegenheit zu einer hervor¬
ragenden Dienstleistung, die nicht nur die Augen der gesamten Armee, sondern
auch weiter Kreise im Vaterlande auf ihn richtete. Die Operationen gegen die
französischen Neuformationen an der Loire waren durch die dazu bestimmte
Armeeabteilung des Großherzogs von Mecklenburg und die gegen Mitte No¬
vember nach der Kapitulation von Metz dort eingetroffne zweite Armee nicht
mit dem Grade von Umsicht und Energie betrieben worden, den die Kriegs¬
lage verlangte. Man begann in Versailles wegen der weitern Entwicklung der
Dinge Besorgnis zu empfinden, und der König, der den Optimismus seiner
militärischen Umgebung seit Sedan ohnehin nicht zu teilen vermochte, mit der
Berichterstattung der beiden genannten Oberkommandos auch wenig zufrieden
war, beschloß einen Offizier dorthin zu senden, der in unabhängiger Stellung
die Sachlage prüfen, ihm Bericht erstatten und zumal bei dem Prinzen Friedrich
Karl die Anschauungen des Königs vertreten sollte. Zu diesem Entschluß
scheint der König nach dem Militärvortrage vom 23. November gelangt zu
sein. Die Wahl war nicht leicht zu treffen. Es mußte die Empfindlichkeit
des Prinzen geschont, auf die souveräne Stellung des Großherzogs, nicht
minder auf Moltke und den Großen Generalstab Rücksicht genommen, dennoch
aber im Sinne des Königs mit Energie gehandelt werden. Der König trug
den Gedanken einen ganzen Tag lang mit sich herum, ohne mit jemand
darüber zu sprechen. Schließlich fiel seine Wahl auf den Grafen Waldersee, aber
erst am folgenden Morgen erhielt dieser durch den General von Albedyll den
Befehl, sich zur sofortigen Abreise in das Hauptquartier des Prinzen Friedrich
Karl bereit zu Machen. Bald darauf wurde er zum Könige entboten, der ihm
mit der ihm eignen ruhigen Klarheit auseinandersetzte, um was es sich handelte,
ihm auch ein Schreiben an den Prinzen behündigte, worin die Ansichten des
Königs entwickelt waren, die Waldersee seinerseits noch mündlich erläutern
sollte. Die Abreise sollte ohne vorherige Meldung oder Rücksprache bei Moltke
oder dem Generalstab erfolgen, damit Graf Waldersee die Anschauungen des
Königs in voller Unabhängigkeit und unbeeinflußt vertreten konnte; er erhielt
zudem den Befehl, bis zu seiner Abberufung bei dem Prinzen zu bleiben und
dem Könige täglich zu berichten. (Über diese Mission enthält Fritz Honigs vor¬
zügliches Buch „Der Volkskrieg an der Loire" sehr eingehende und interessante
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