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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Die Alabunkerstraße

nicht nahe getreten war. Wenigstens Elisabeth hatte nichts davon gespürt. Das
junge Paar hatte bei der Mutter gelebt, und Elisabeth hatte in der Unerfahrenheit
ihrer neunzehn Jahre geglaubt, daß es immer so bleiben werde. Das war aber
nicht gegangen. Ihre Mutter lebte von der bescheidnen Pension einer Beamten¬
witwe, und Wolf mußte sich nach einer Beschäftigung umsehen. Der arme Wolf,
der aus altadlichem Hause stammte und nur so viel gearbeitet hatte, wie es sich für
die Kenntnisse eines Reiteroffiziers schickte.

Die Wolffenradts waren ein vornehmes, aber kein reiches Geschlecht. Was
Wolf an Vermögen gehabt hatte, war längst verbraucht; von seinem ältern Bruder,
der als Majoratsherr ans der Wolffenburg saß, hatte er schon mehr erhalten, als
er verlangen konnte. Seine Heirat mit einem bürgerlichen armen Mädchen nahm
man ihm natürlich übel, und man ließ es sich deutlich merken, daß er nun allein
fertig werden müßte. Wolf wollte auch allein fertig werden. Er war ein guter
Offizier, ein schneidiger Reiter gewesen; er glaubte auch mit Leichtigkeit einen
andern Beruf ergreifen zu können.

Aber es ging nicht. Was der Baron auch versuchte, alles schlug ihm fehl;
und wie Elisabeth getreulich mit ihm von einer Stadt in die andre zog, wurde
ihr Herz allmählich schwer, und ihre Sorgen wuchsen. Zwei kleine Mädchen waren
bald nacheinander geboren worden; und als Elisabeth zu allem Ungemach nun auch
noch ihre Mutter verlor, da empfand sie außer dem Schmerz noch eine angstvolle
Einsamkeit. Zwar liebte sie ihren Mann wie zuvor, und er liebte sie; aber die
grauen Wolken der Sorge verdunkelten den Sonnenschein im Hause.

Es war hier in Hamburg gewesen, daß sich Wolf für einige Zeit von seiner
Familie getrennt hatte. Seine Schwester, die Stiftsdame Asta von Wolffenradt.
hatte ihm vorgeschlagen, sich in der Nähe ihres Klosters auf den Postdienst vor¬
zubereiten. Ihr Brief war nach einer Reihe von Jahren das erste Lebenszeichen
gewesen, das Wolf von seiner Verwandtschaft erhalten hatte, und er freute sich
nicht wenig darüber. Er war in Worten zornig auf die Wolffenradts, weil sie
ihn vernachlässigt hatten; seine Frau aber wußte, daß er sich nach ihnen sehnte.
Im Traum sprach er von seinem Stammschloß, von seinem Bruder, von der alten
Familiengruft, in der seine Eltern ruhten.

Elisabeth redete ihrem Manne zu, dem Vorschlage der Schwester zu folgen,
und er ging mit Freuden. Dicht bei dem Dameukloster Wittekind lag die kleine
Stadt, wo er den Postdienst erlernen sollte, und wo er wieder versuchen wollte,
sich eine Existenz zu gründen.

In den letzten Monaten war es dem Ehepaar schlecht genug ergangen; aus
einer verhältnismäßig guten Wohnung waren sie in die Paulinenterrasse geflüchtet,
wo die Mieteu billig waren. Nirgends war Geld zu verdienen, und die Schulden
wuchsen aus der Erde. Kurz vor ihrer Verlobung hatte Elisabeth ihr Examen
gemacht; jetzt versuchte sie Stunden zu geben. Wolf schalt darüber; er hatte es
nicht gern, wenn Frauen schufteten, wie er es nannte. Da war es denn doppelt
gut, daß er wegging, denn Elisabeth mußte arbeiten. Nicht allein ihres Lebens¬
unterhalts wegen, sondern auch um ihre Gedanken zu betäuben.

Was sollte aus ihnen werden? Und um Weihnachten mußte die Wiege wieder
in Bereitschaft gestellt werden, aus der die kleine Irmgard kaum heransgekrabbelt
war. Elisabeth drängte ihren Mann zu gehn und womöglich mit den Geschwistern
seinen Frieden zu machen. Er tat es; und nun war er drei Monate weg und
schrieb sehr selten. Hier und dort eine Karte, einen Gruß, aber niemals aus¬
führlich -- das war so seine Art; er hatte immer ungern Briefe geschrieben, aber
es war eine häßliche Angewohnheit.

Wenn Elisabeth in der Nacht nicht schlafen konnte, dann sah sie Wolf vor
sich und sein geliebtes sorgloses Gesicht. Er haßte Sorgen, Nachdenken und alles
Schwere im Leben. Deshalb mußte sie sich freuen, daß er wo anders war und
sich bemühte, eine hoffentlich nicht zu schwere Stellung zu erringen.


Die Alabunkerstraße

nicht nahe getreten war. Wenigstens Elisabeth hatte nichts davon gespürt. Das
junge Paar hatte bei der Mutter gelebt, und Elisabeth hatte in der Unerfahrenheit
ihrer neunzehn Jahre geglaubt, daß es immer so bleiben werde. Das war aber
nicht gegangen. Ihre Mutter lebte von der bescheidnen Pension einer Beamten¬
witwe, und Wolf mußte sich nach einer Beschäftigung umsehen. Der arme Wolf,
der aus altadlichem Hause stammte und nur so viel gearbeitet hatte, wie es sich für
die Kenntnisse eines Reiteroffiziers schickte.

Die Wolffenradts waren ein vornehmes, aber kein reiches Geschlecht. Was
Wolf an Vermögen gehabt hatte, war längst verbraucht; von seinem ältern Bruder,
der als Majoratsherr ans der Wolffenburg saß, hatte er schon mehr erhalten, als
er verlangen konnte. Seine Heirat mit einem bürgerlichen armen Mädchen nahm
man ihm natürlich übel, und man ließ es sich deutlich merken, daß er nun allein
fertig werden müßte. Wolf wollte auch allein fertig werden. Er war ein guter
Offizier, ein schneidiger Reiter gewesen; er glaubte auch mit Leichtigkeit einen
andern Beruf ergreifen zu können.

Aber es ging nicht. Was der Baron auch versuchte, alles schlug ihm fehl;
und wie Elisabeth getreulich mit ihm von einer Stadt in die andre zog, wurde
ihr Herz allmählich schwer, und ihre Sorgen wuchsen. Zwei kleine Mädchen waren
bald nacheinander geboren worden; und als Elisabeth zu allem Ungemach nun auch
noch ihre Mutter verlor, da empfand sie außer dem Schmerz noch eine angstvolle
Einsamkeit. Zwar liebte sie ihren Mann wie zuvor, und er liebte sie; aber die
grauen Wolken der Sorge verdunkelten den Sonnenschein im Hause.

Es war hier in Hamburg gewesen, daß sich Wolf für einige Zeit von seiner
Familie getrennt hatte. Seine Schwester, die Stiftsdame Asta von Wolffenradt.
hatte ihm vorgeschlagen, sich in der Nähe ihres Klosters auf den Postdienst vor¬
zubereiten. Ihr Brief war nach einer Reihe von Jahren das erste Lebenszeichen
gewesen, das Wolf von seiner Verwandtschaft erhalten hatte, und er freute sich
nicht wenig darüber. Er war in Worten zornig auf die Wolffenradts, weil sie
ihn vernachlässigt hatten; seine Frau aber wußte, daß er sich nach ihnen sehnte.
Im Traum sprach er von seinem Stammschloß, von seinem Bruder, von der alten
Familiengruft, in der seine Eltern ruhten.

Elisabeth redete ihrem Manne zu, dem Vorschlage der Schwester zu folgen,
und er ging mit Freuden. Dicht bei dem Dameukloster Wittekind lag die kleine
Stadt, wo er den Postdienst erlernen sollte, und wo er wieder versuchen wollte,
sich eine Existenz zu gründen.

In den letzten Monaten war es dem Ehepaar schlecht genug ergangen; aus
einer verhältnismäßig guten Wohnung waren sie in die Paulinenterrasse geflüchtet,
wo die Mieteu billig waren. Nirgends war Geld zu verdienen, und die Schulden
wuchsen aus der Erde. Kurz vor ihrer Verlobung hatte Elisabeth ihr Examen
gemacht; jetzt versuchte sie Stunden zu geben. Wolf schalt darüber; er hatte es
nicht gern, wenn Frauen schufteten, wie er es nannte. Da war es denn doppelt
gut, daß er wegging, denn Elisabeth mußte arbeiten. Nicht allein ihres Lebens¬
unterhalts wegen, sondern auch um ihre Gedanken zu betäuben.

Was sollte aus ihnen werden? Und um Weihnachten mußte die Wiege wieder
in Bereitschaft gestellt werden, aus der die kleine Irmgard kaum heransgekrabbelt
war. Elisabeth drängte ihren Mann zu gehn und womöglich mit den Geschwistern
seinen Frieden zu machen. Er tat es; und nun war er drei Monate weg und
schrieb sehr selten. Hier und dort eine Karte, einen Gruß, aber niemals aus¬
führlich — das war so seine Art; er hatte immer ungern Briefe geschrieben, aber
es war eine häßliche Angewohnheit.

Wenn Elisabeth in der Nacht nicht schlafen konnte, dann sah sie Wolf vor
sich und sein geliebtes sorgloses Gesicht. Er haßte Sorgen, Nachdenken und alles
Schwere im Leben. Deshalb mußte sie sich freuen, daß er wo anders war und
sich bemühte, eine hoffentlich nicht zu schwere Stellung zu erringen.


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[0053] Die Alabunkerstraße nicht nahe getreten war. Wenigstens Elisabeth hatte nichts davon gespürt. Das junge Paar hatte bei der Mutter gelebt, und Elisabeth hatte in der Unerfahrenheit ihrer neunzehn Jahre geglaubt, daß es immer so bleiben werde. Das war aber nicht gegangen. Ihre Mutter lebte von der bescheidnen Pension einer Beamten¬ witwe, und Wolf mußte sich nach einer Beschäftigung umsehen. Der arme Wolf, der aus altadlichem Hause stammte und nur so viel gearbeitet hatte, wie es sich für die Kenntnisse eines Reiteroffiziers schickte. Die Wolffenradts waren ein vornehmes, aber kein reiches Geschlecht. Was Wolf an Vermögen gehabt hatte, war längst verbraucht; von seinem ältern Bruder, der als Majoratsherr ans der Wolffenburg saß, hatte er schon mehr erhalten, als er verlangen konnte. Seine Heirat mit einem bürgerlichen armen Mädchen nahm man ihm natürlich übel, und man ließ es sich deutlich merken, daß er nun allein fertig werden müßte. Wolf wollte auch allein fertig werden. Er war ein guter Offizier, ein schneidiger Reiter gewesen; er glaubte auch mit Leichtigkeit einen andern Beruf ergreifen zu können. Aber es ging nicht. Was der Baron auch versuchte, alles schlug ihm fehl; und wie Elisabeth getreulich mit ihm von einer Stadt in die andre zog, wurde ihr Herz allmählich schwer, und ihre Sorgen wuchsen. Zwei kleine Mädchen waren bald nacheinander geboren worden; und als Elisabeth zu allem Ungemach nun auch noch ihre Mutter verlor, da empfand sie außer dem Schmerz noch eine angstvolle Einsamkeit. Zwar liebte sie ihren Mann wie zuvor, und er liebte sie; aber die grauen Wolken der Sorge verdunkelten den Sonnenschein im Hause. Es war hier in Hamburg gewesen, daß sich Wolf für einige Zeit von seiner Familie getrennt hatte. Seine Schwester, die Stiftsdame Asta von Wolffenradt. hatte ihm vorgeschlagen, sich in der Nähe ihres Klosters auf den Postdienst vor¬ zubereiten. Ihr Brief war nach einer Reihe von Jahren das erste Lebenszeichen gewesen, das Wolf von seiner Verwandtschaft erhalten hatte, und er freute sich nicht wenig darüber. Er war in Worten zornig auf die Wolffenradts, weil sie ihn vernachlässigt hatten; seine Frau aber wußte, daß er sich nach ihnen sehnte. Im Traum sprach er von seinem Stammschloß, von seinem Bruder, von der alten Familiengruft, in der seine Eltern ruhten. Elisabeth redete ihrem Manne zu, dem Vorschlage der Schwester zu folgen, und er ging mit Freuden. Dicht bei dem Dameukloster Wittekind lag die kleine Stadt, wo er den Postdienst erlernen sollte, und wo er wieder versuchen wollte, sich eine Existenz zu gründen. In den letzten Monaten war es dem Ehepaar schlecht genug ergangen; aus einer verhältnismäßig guten Wohnung waren sie in die Paulinenterrasse geflüchtet, wo die Mieteu billig waren. Nirgends war Geld zu verdienen, und die Schulden wuchsen aus der Erde. Kurz vor ihrer Verlobung hatte Elisabeth ihr Examen gemacht; jetzt versuchte sie Stunden zu geben. Wolf schalt darüber; er hatte es nicht gern, wenn Frauen schufteten, wie er es nannte. Da war es denn doppelt gut, daß er wegging, denn Elisabeth mußte arbeiten. Nicht allein ihres Lebens¬ unterhalts wegen, sondern auch um ihre Gedanken zu betäuben. Was sollte aus ihnen werden? Und um Weihnachten mußte die Wiege wieder in Bereitschaft gestellt werden, aus der die kleine Irmgard kaum heransgekrabbelt war. Elisabeth drängte ihren Mann zu gehn und womöglich mit den Geschwistern seinen Frieden zu machen. Er tat es; und nun war er drei Monate weg und schrieb sehr selten. Hier und dort eine Karte, einen Gruß, aber niemals aus¬ führlich — das war so seine Art; er hatte immer ungern Briefe geschrieben, aber es war eine häßliche Angewohnheit. Wenn Elisabeth in der Nacht nicht schlafen konnte, dann sah sie Wolf vor sich und sein geliebtes sorgloses Gesicht. Er haßte Sorgen, Nachdenken und alles Schwere im Leben. Deshalb mußte sie sich freuen, daß er wo anders war und sich bemühte, eine hoffentlich nicht zu schwere Stellung zu erringen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/53>, abgerufen am 03.07.2024.