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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Athene porne und die ?onde" Uölusiu""

leim nicht. Wenn wirklich der größte Teil des gebildeten deutschen Publikums
den "Simplicissimus" geradezu für unentbehrlich hält, wie der Abgeordnete
Müller meint, so tut er das aus Indolenz oder Feigheit.

Es drückt zu viele deutsche Männer das Bewußtsein, daß sie in jungen
Jahren in maßlosem Genusse das Recht, diese sittlichen Schäden zu bekämpfen,
verscherzt haben, und daß sie es immer wieder in reifen und alten Tagen auf
der Metbank verscherzen. Wie wüchse die Zahl der Streiter gegen die Feinde
unsrer Jugend, wenn dieser Druck nicht viele sonst tüchtige Männer verhin¬
derte, an dem Kampfe teilzunehmen, und wenn der Stammtisch nicht wäre
mit seiner "blonden Jda," irgend einem armen Mädchen, dessen Blüte junge
oder alte Wüstlinge gebrochen haben, und das nnn unbewußt die beleidigte
Würde seines Geschlechts rächt, indem es nur durch seine Anwesenheit oder
durch Koketterie die Zote nährt, die alles Gute und Schöne, was sonst aus
froher Geselligkeit erwachsen könnte, erstickt, sonst ernste Männer entwürdigt,
sonst gewissenhafte Diener des Staats zur Gefährdung der Volkskraft ver¬
führt. Wie viele Stammtische gibt es im weiten Deutschen Reiche, an denen
nicht "Erzählungen für die reifere Jugend," ekelerregende Verse von dem
Wirtshaus an der Lahn, Mikvschgeschichtcn und andre Widerwärtigkeiten Tag
für Tag erzählt und sogar von denen belacht werden, die dabei schamrot
werden, weil sie sich nicht zornrot zu werden getrauen. Denn oft genug sind
es ältere Leute, Vorgesetzte, die in dieser Weise die Geselligkeit entweihn. .

Aber mächtiger noch als der Respekt vor dem Alter und der amtlichen
oder gesellschaftlichen Würde fesselt die Furcht vor der Lächerlichkeit, die stärkste
Form der Feigheit, den Widerspruch. So vermögen die Vertreter jener ge¬
fährlichen Erzeugnisse der Presse einen weit wirkenden Terrorismus aus¬
zuüben. Denn nichts fürchtet der Gebildete mehr, als des verzeihlichsten und
verbreitetsten Mangels, des Mangels an Kunstverständnis, geziehen zu werden.
So strecken die meisten vor allem, was sich Kunst nennt, nicht nur die
Waffen der ästhetischen und technischen, sondern auch der moralischen und
politischen Kritik.

Die Konfiszierung der Nummer 42 des "Simplicissimus" war in diesem
Augenblicke ein Mißgriff, der die Verständigung zwischen den in allen Par¬
teien vorhandnen Männern, in deren Herzen unter dem Gestrüpp der Partei¬
wünsche die Liebe zum Vaterlande schüchtern blüht, noch schwieriger macht,
als sie ohnehin schon war.

So bleibt es vorderhand dabei: Oorruioxere et oorrumpi s^evuluni
vooawr. Wie lange noch? Das goldne nee, das Tacitus diesen Worten vor¬
setzen konnte, wann wird es wieder wahr?

Wann steigt dem deutschen Michel die Zornesröte in die Wangen über
die Frechheit, womit die Zote die deutsche Frau leise und laut umkichert und
umwiehert? schamrot zu werden über diesen Frevel, dazu hat er nicht mehr
Zeit, nur noch zum Dreinhauen. Wer von den Neichsboten reicht ihm dazu
die Waffe, seis Hammer oder Schwert?




Athene porne und die ?onde« Uölusiu»«

leim nicht. Wenn wirklich der größte Teil des gebildeten deutschen Publikums
den „Simplicissimus" geradezu für unentbehrlich hält, wie der Abgeordnete
Müller meint, so tut er das aus Indolenz oder Feigheit.

Es drückt zu viele deutsche Männer das Bewußtsein, daß sie in jungen
Jahren in maßlosem Genusse das Recht, diese sittlichen Schäden zu bekämpfen,
verscherzt haben, und daß sie es immer wieder in reifen und alten Tagen auf
der Metbank verscherzen. Wie wüchse die Zahl der Streiter gegen die Feinde
unsrer Jugend, wenn dieser Druck nicht viele sonst tüchtige Männer verhin¬
derte, an dem Kampfe teilzunehmen, und wenn der Stammtisch nicht wäre
mit seiner „blonden Jda," irgend einem armen Mädchen, dessen Blüte junge
oder alte Wüstlinge gebrochen haben, und das nnn unbewußt die beleidigte
Würde seines Geschlechts rächt, indem es nur durch seine Anwesenheit oder
durch Koketterie die Zote nährt, die alles Gute und Schöne, was sonst aus
froher Geselligkeit erwachsen könnte, erstickt, sonst ernste Männer entwürdigt,
sonst gewissenhafte Diener des Staats zur Gefährdung der Volkskraft ver¬
führt. Wie viele Stammtische gibt es im weiten Deutschen Reiche, an denen
nicht „Erzählungen für die reifere Jugend," ekelerregende Verse von dem
Wirtshaus an der Lahn, Mikvschgeschichtcn und andre Widerwärtigkeiten Tag
für Tag erzählt und sogar von denen belacht werden, die dabei schamrot
werden, weil sie sich nicht zornrot zu werden getrauen. Denn oft genug sind
es ältere Leute, Vorgesetzte, die in dieser Weise die Geselligkeit entweihn. .

Aber mächtiger noch als der Respekt vor dem Alter und der amtlichen
oder gesellschaftlichen Würde fesselt die Furcht vor der Lächerlichkeit, die stärkste
Form der Feigheit, den Widerspruch. So vermögen die Vertreter jener ge¬
fährlichen Erzeugnisse der Presse einen weit wirkenden Terrorismus aus¬
zuüben. Denn nichts fürchtet der Gebildete mehr, als des verzeihlichsten und
verbreitetsten Mangels, des Mangels an Kunstverständnis, geziehen zu werden.
So strecken die meisten vor allem, was sich Kunst nennt, nicht nur die
Waffen der ästhetischen und technischen, sondern auch der moralischen und
politischen Kritik.

Die Konfiszierung der Nummer 42 des „Simplicissimus" war in diesem
Augenblicke ein Mißgriff, der die Verständigung zwischen den in allen Par¬
teien vorhandnen Männern, in deren Herzen unter dem Gestrüpp der Partei¬
wünsche die Liebe zum Vaterlande schüchtern blüht, noch schwieriger macht,
als sie ohnehin schon war.

So bleibt es vorderhand dabei: Oorruioxere et oorrumpi s^evuluni
vooawr. Wie lange noch? Das goldne nee, das Tacitus diesen Worten vor¬
setzen konnte, wann wird es wieder wahr?

Wann steigt dem deutschen Michel die Zornesröte in die Wangen über
die Frechheit, womit die Zote die deutsche Frau leise und laut umkichert und
umwiehert? schamrot zu werden über diesen Frevel, dazu hat er nicht mehr
Zeit, nur noch zum Dreinhauen. Wer von den Neichsboten reicht ihm dazu
die Waffe, seis Hammer oder Schwert?




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/362>, abgerufen am 22.07.2024.