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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Rußland und Japan

in Japan so sehr erregt, daß auf beiden Seiten sehr emsig an den Kriegsvor¬
bereitungen gearbeitet wurde. Wenn auch der japanische Handel in der Mand¬
schurei in den letzten Jahren sehr zugenommen hat, so ist doch in dieser Be¬
ziehung keine Kriegsgefahr zu befürchten, da das Festhalten der Mandschurei
durch Nußland Japan im allgemeinen weniger interessiert. Es würde aber
sehr in Mitleidenschaft gezogen werden, sobald diese Besitzergreifung auf die
Verhältnisse in Korea einwirkte. Bei der Betrachtung der geographischen Lage
von Korea muß es aber jedem klar werden, daß dieses als breites Hindernis
zwischen Wladiwostok und Port Arthur liegt.

Japan ist deshalb zu der Ansicht geneigt, daß der erste Schritt Rußlands
nach dem Permanentwerden der Besetzung der Mandschurei ein Versuch sein
werde, Korea zu besetzen. Für die gesunde Weiterentwicklung des russischen
Ostasiens, dessen beide Hauptplätze am Großen Ozean durch ein Korea in feind¬
lichen Händen nicht nur getrennt, sondern flankiert würden, wäre dies ein durch¬
aus verständlicher und folgerichtiger Schritt.

Die japanische Regierung kann aber der Besetzung Koreas durch Nußland
durchaus nicht zustimmen, da sowohl die geographische Nähe dieses Landes
seine freie insulare Stellung sehr schwächen würde, als auch die Tradition seines
Volks und seine großen Ziele in betreff der mongolischen Rasse dies nie zulassen
könnten. Es hat infolgedessen die dem Kriege folgende Zeit nicht unbenutzt
gelassen und sowohl die Armee wie die Marine außerordentlich verstärkt und
modernisiert, sodaß es ihm gelungen ist, mit Rußlands allein Feind und Rivalen
in Asien -- England -- ein Bündnis für fünf Jahre abzuschließen, dessen
Artikel ich der großen Wichtigkeit wegen, die sie unter den augenblicklichen Ver¬
hältnissen haben, wörtlich folgen lasse. Der Grundgedanke dieses Vertrages ist
die Erhaltung des staws ano und der Interessen beider Länder in Ostasien,
sowie die Verhinderung irgend welchen Eingreifens einer dritten Macht bei einem
Kriege zwischen Japan und Rußland.

Wenn man diese Handlungsweise Englands ganz verstehn will, muß man
sich die Geschichte der vorhergehenden Zeit der Rivalität Rußlands und Eng¬
lands in Ostasien vor Augen halten.

Während England in Ostasien die Vorherrschaft seit seinem ersten Auf¬
treten hatte, gelang es Nußland, auch diesem gegenüber in den letzten Jahr¬
zehnten ähnliche Erfolge zu erlangen wie gegen Japan. Aber auch die Erfolge
Rußlands gegen Japan sind als Mißerfolge seines Rivalen England anzusehen,
da dieses sein diplomatisches Gewicht immer zu dessen Gunsten eingesetzt hat.

Nachdem Rußland im Jahre 1835 seine Truppen gegen die afghanische
Grenze vorgeschoben hatte, besetzte England Port Hamilton. das die Korea¬
straße beherrscht und die Seeverbindung von Wladiwostok mit dem Gelben
Meere abschneidet. Ein energischer Protest Rußlands unter gleichzeitiger Zu¬
sammenziehung seiner Land- und Seestreitkräfte in Wladiwostok bewirkte die
Räumung Port Hamiltons durch England.

Der zweite große Erfolg Rußlands gegen England war die Rückgabe der
Halbinsel Licmtung. Denn während Rußland mit Deutschland und Frankreich
gegen die Abtretung dieses Gebiets und gegen jedes Fußfassen Japans auf


Grenzboten I 1904 42
Rußland und Japan

in Japan so sehr erregt, daß auf beiden Seiten sehr emsig an den Kriegsvor¬
bereitungen gearbeitet wurde. Wenn auch der japanische Handel in der Mand¬
schurei in den letzten Jahren sehr zugenommen hat, so ist doch in dieser Be¬
ziehung keine Kriegsgefahr zu befürchten, da das Festhalten der Mandschurei
durch Nußland Japan im allgemeinen weniger interessiert. Es würde aber
sehr in Mitleidenschaft gezogen werden, sobald diese Besitzergreifung auf die
Verhältnisse in Korea einwirkte. Bei der Betrachtung der geographischen Lage
von Korea muß es aber jedem klar werden, daß dieses als breites Hindernis
zwischen Wladiwostok und Port Arthur liegt.

Japan ist deshalb zu der Ansicht geneigt, daß der erste Schritt Rußlands
nach dem Permanentwerden der Besetzung der Mandschurei ein Versuch sein
werde, Korea zu besetzen. Für die gesunde Weiterentwicklung des russischen
Ostasiens, dessen beide Hauptplätze am Großen Ozean durch ein Korea in feind¬
lichen Händen nicht nur getrennt, sondern flankiert würden, wäre dies ein durch¬
aus verständlicher und folgerichtiger Schritt.

Die japanische Regierung kann aber der Besetzung Koreas durch Nußland
durchaus nicht zustimmen, da sowohl die geographische Nähe dieses Landes
seine freie insulare Stellung sehr schwächen würde, als auch die Tradition seines
Volks und seine großen Ziele in betreff der mongolischen Rasse dies nie zulassen
könnten. Es hat infolgedessen die dem Kriege folgende Zeit nicht unbenutzt
gelassen und sowohl die Armee wie die Marine außerordentlich verstärkt und
modernisiert, sodaß es ihm gelungen ist, mit Rußlands allein Feind und Rivalen
in Asien — England — ein Bündnis für fünf Jahre abzuschließen, dessen
Artikel ich der großen Wichtigkeit wegen, die sie unter den augenblicklichen Ver¬
hältnissen haben, wörtlich folgen lasse. Der Grundgedanke dieses Vertrages ist
die Erhaltung des staws ano und der Interessen beider Länder in Ostasien,
sowie die Verhinderung irgend welchen Eingreifens einer dritten Macht bei einem
Kriege zwischen Japan und Rußland.

Wenn man diese Handlungsweise Englands ganz verstehn will, muß man
sich die Geschichte der vorhergehenden Zeit der Rivalität Rußlands und Eng¬
lands in Ostasien vor Augen halten.

Während England in Ostasien die Vorherrschaft seit seinem ersten Auf¬
treten hatte, gelang es Nußland, auch diesem gegenüber in den letzten Jahr¬
zehnten ähnliche Erfolge zu erlangen wie gegen Japan. Aber auch die Erfolge
Rußlands gegen Japan sind als Mißerfolge seines Rivalen England anzusehen,
da dieses sein diplomatisches Gewicht immer zu dessen Gunsten eingesetzt hat.

Nachdem Rußland im Jahre 1835 seine Truppen gegen die afghanische
Grenze vorgeschoben hatte, besetzte England Port Hamilton. das die Korea¬
straße beherrscht und die Seeverbindung von Wladiwostok mit dem Gelben
Meere abschneidet. Ein energischer Protest Rußlands unter gleichzeitiger Zu¬
sammenziehung seiner Land- und Seestreitkräfte in Wladiwostok bewirkte die
Räumung Port Hamiltons durch England.

Der zweite große Erfolg Rußlands gegen England war die Rückgabe der
Halbinsel Licmtung. Denn während Rußland mit Deutschland und Frankreich
gegen die Abtretung dieses Gebiets und gegen jedes Fußfassen Japans auf


Grenzboten I 1904 42
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[0329] Rußland und Japan in Japan so sehr erregt, daß auf beiden Seiten sehr emsig an den Kriegsvor¬ bereitungen gearbeitet wurde. Wenn auch der japanische Handel in der Mand¬ schurei in den letzten Jahren sehr zugenommen hat, so ist doch in dieser Be¬ ziehung keine Kriegsgefahr zu befürchten, da das Festhalten der Mandschurei durch Nußland Japan im allgemeinen weniger interessiert. Es würde aber sehr in Mitleidenschaft gezogen werden, sobald diese Besitzergreifung auf die Verhältnisse in Korea einwirkte. Bei der Betrachtung der geographischen Lage von Korea muß es aber jedem klar werden, daß dieses als breites Hindernis zwischen Wladiwostok und Port Arthur liegt. Japan ist deshalb zu der Ansicht geneigt, daß der erste Schritt Rußlands nach dem Permanentwerden der Besetzung der Mandschurei ein Versuch sein werde, Korea zu besetzen. Für die gesunde Weiterentwicklung des russischen Ostasiens, dessen beide Hauptplätze am Großen Ozean durch ein Korea in feind¬ lichen Händen nicht nur getrennt, sondern flankiert würden, wäre dies ein durch¬ aus verständlicher und folgerichtiger Schritt. Die japanische Regierung kann aber der Besetzung Koreas durch Nußland durchaus nicht zustimmen, da sowohl die geographische Nähe dieses Landes seine freie insulare Stellung sehr schwächen würde, als auch die Tradition seines Volks und seine großen Ziele in betreff der mongolischen Rasse dies nie zulassen könnten. Es hat infolgedessen die dem Kriege folgende Zeit nicht unbenutzt gelassen und sowohl die Armee wie die Marine außerordentlich verstärkt und modernisiert, sodaß es ihm gelungen ist, mit Rußlands allein Feind und Rivalen in Asien — England — ein Bündnis für fünf Jahre abzuschließen, dessen Artikel ich der großen Wichtigkeit wegen, die sie unter den augenblicklichen Ver¬ hältnissen haben, wörtlich folgen lasse. Der Grundgedanke dieses Vertrages ist die Erhaltung des staws ano und der Interessen beider Länder in Ostasien, sowie die Verhinderung irgend welchen Eingreifens einer dritten Macht bei einem Kriege zwischen Japan und Rußland. Wenn man diese Handlungsweise Englands ganz verstehn will, muß man sich die Geschichte der vorhergehenden Zeit der Rivalität Rußlands und Eng¬ lands in Ostasien vor Augen halten. Während England in Ostasien die Vorherrschaft seit seinem ersten Auf¬ treten hatte, gelang es Nußland, auch diesem gegenüber in den letzten Jahr¬ zehnten ähnliche Erfolge zu erlangen wie gegen Japan. Aber auch die Erfolge Rußlands gegen Japan sind als Mißerfolge seines Rivalen England anzusehen, da dieses sein diplomatisches Gewicht immer zu dessen Gunsten eingesetzt hat. Nachdem Rußland im Jahre 1835 seine Truppen gegen die afghanische Grenze vorgeschoben hatte, besetzte England Port Hamilton. das die Korea¬ straße beherrscht und die Seeverbindung von Wladiwostok mit dem Gelben Meere abschneidet. Ein energischer Protest Rußlands unter gleichzeitiger Zu¬ sammenziehung seiner Land- und Seestreitkräfte in Wladiwostok bewirkte die Räumung Port Hamiltons durch England. Der zweite große Erfolg Rußlands gegen England war die Rückgabe der Halbinsel Licmtung. Denn während Rußland mit Deutschland und Frankreich gegen die Abtretung dieses Gebiets und gegen jedes Fußfassen Japans auf Grenzboten I 1904 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/329>, abgerufen am 01.07.2024.