Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Kunst der Frnhgestorbnen

Darum fehlt dein Stil der Frühverstorbnen die Eigenschaft der Jugend¬
lichkeit, er trägt vielmehr den Charakter einer ausnahmsweise, einer unheimlich
rasch eingetretnen Reife. Doch nicht einer Reife, wie sie das schließliche Ergebnis
langer Entwicklungsprozesse ist, sondern einer forcierten Vollendung, die nur mit
einer Überspannung aller Kräfte erreicht werden kann. Eben ihres erzwungnen,
bewußten Charakters wegen ist diese Feinheit schon dein Raffinement benachbart.
Der Stil der Frühgestorbnen geht leicht in Manier über.

Ich erinnere an Watteaus letzte Bilder, an Jakobsens "Hier sollten Rosen
stehn" und an Illustrationen Beardsleys.

Aber neben Höchstvollendetem steht ganz Unfertiges, neben dem Schönen
das Absurde. Was nicht auf den ersten Wurf gelingt, glückt diesen Künstlern
überhaupt nicht, und was unrein herauskommt, bleibt so. Die Arbeitsmethode
der Frühgestorbnen ist die Improvisation; Folgen improvisierter Leistungen
sind jene Erscheinungen.

Watteau malte sein berühmtestes Bild, die "Einschiffung nach Cythere"
(Louvre), in wenig Tagen, sein letztes, das Firmenschild Gersaints, in den
Morgenstunden einer Woche, und auch Giorgione liebte die Technik des
Malens Mg, xrimg.. Die Form der "Penthesilea" Kleists zeigt in ihrem
durch keinen Akteinschnitt gehemmten, stürmischen Ablauf den Rhythmus, in dem
die Tragödie geschaffen wurde.

Zum Feilen, zum Glätten, zum Redigieren kommen die Frühgestorbnen
nicht, weil sie keine Pausen zwischen zwei Schaffensperioden kennen. Die
Zeiten der Unfruchtbarkeit oder des stillen Keimens zukünftiger Werke und
des Pflegens schon vorhandner sind ihnen fremd. Kaum konzipiert, muß eine
künstlerische Idee auch schon ausgeführt werden, daß sie der nächsten Platz
mache. Homer, der "zu Zeiten schläft," war ein Langelebender, die Jung¬
verstorbnen sind die Jmmerwachen.

Sie fühlen sich gehetzt von hundert Problemen und Sehnsuchten; jede
hat so unendlich viel zu sagen -- so werden diese Menschen die großen
Fragmentisten. Wie die Improvisation ihre Methode, ist das Fragment
ihre Form.

Kleists dramatisches Schaffen drängt sich in dem Zeitraum von zehn
Jahren zusammen -- sein größtcmgelegtes Werk, der "Robert Guiskard," blieb
ein Bruchstück. Die junggestorbnen Hölderlin und Novalis, von denen der
eine wahnsinnig wurde, wie Schumann und Hugo Wolf, der andre an der
Schwindsucht starb, wie Watteau, Jakobsen und Chopin, waren die Fragmen¬
tisten unter den Romantikern. Fast sämtliche Bilder Marees sind unvollendet
geblieben, und aus der Überfülle von Plänen und Gedanken heraus, die zu
verwirklichen die Kraft fehlt, ruft Jakobsen:


O, welche Lust, nicht weiter denken,
Als ein verschlafnes Auge sieht.

Und nun, neben starker schöpferischer Kraft, neben den ungeheuer ge¬
steigerten Vorsätzen -- ein diesen hohen Selbstansprüchen nicht immer genügendes
Gestaltungsvermögen: die Unfähigkeit, das übergroß gedachte auch übergroß
zu verwirklichen. Das ist der Konflikt, der sie so rasch verbraucht, der sie


Die Kunst der Frnhgestorbnen

Darum fehlt dein Stil der Frühverstorbnen die Eigenschaft der Jugend¬
lichkeit, er trägt vielmehr den Charakter einer ausnahmsweise, einer unheimlich
rasch eingetretnen Reife. Doch nicht einer Reife, wie sie das schließliche Ergebnis
langer Entwicklungsprozesse ist, sondern einer forcierten Vollendung, die nur mit
einer Überspannung aller Kräfte erreicht werden kann. Eben ihres erzwungnen,
bewußten Charakters wegen ist diese Feinheit schon dein Raffinement benachbart.
Der Stil der Frühgestorbnen geht leicht in Manier über.

Ich erinnere an Watteaus letzte Bilder, an Jakobsens „Hier sollten Rosen
stehn" und an Illustrationen Beardsleys.

Aber neben Höchstvollendetem steht ganz Unfertiges, neben dem Schönen
das Absurde. Was nicht auf den ersten Wurf gelingt, glückt diesen Künstlern
überhaupt nicht, und was unrein herauskommt, bleibt so. Die Arbeitsmethode
der Frühgestorbnen ist die Improvisation; Folgen improvisierter Leistungen
sind jene Erscheinungen.

Watteau malte sein berühmtestes Bild, die „Einschiffung nach Cythere"
(Louvre), in wenig Tagen, sein letztes, das Firmenschild Gersaints, in den
Morgenstunden einer Woche, und auch Giorgione liebte die Technik des
Malens Mg, xrimg.. Die Form der „Penthesilea" Kleists zeigt in ihrem
durch keinen Akteinschnitt gehemmten, stürmischen Ablauf den Rhythmus, in dem
die Tragödie geschaffen wurde.

Zum Feilen, zum Glätten, zum Redigieren kommen die Frühgestorbnen
nicht, weil sie keine Pausen zwischen zwei Schaffensperioden kennen. Die
Zeiten der Unfruchtbarkeit oder des stillen Keimens zukünftiger Werke und
des Pflegens schon vorhandner sind ihnen fremd. Kaum konzipiert, muß eine
künstlerische Idee auch schon ausgeführt werden, daß sie der nächsten Platz
mache. Homer, der „zu Zeiten schläft," war ein Langelebender, die Jung¬
verstorbnen sind die Jmmerwachen.

Sie fühlen sich gehetzt von hundert Problemen und Sehnsuchten; jede
hat so unendlich viel zu sagen — so werden diese Menschen die großen
Fragmentisten. Wie die Improvisation ihre Methode, ist das Fragment
ihre Form.

Kleists dramatisches Schaffen drängt sich in dem Zeitraum von zehn
Jahren zusammen — sein größtcmgelegtes Werk, der „Robert Guiskard," blieb
ein Bruchstück. Die junggestorbnen Hölderlin und Novalis, von denen der
eine wahnsinnig wurde, wie Schumann und Hugo Wolf, der andre an der
Schwindsucht starb, wie Watteau, Jakobsen und Chopin, waren die Fragmen¬
tisten unter den Romantikern. Fast sämtliche Bilder Marees sind unvollendet
geblieben, und aus der Überfülle von Plänen und Gedanken heraus, die zu
verwirklichen die Kraft fehlt, ruft Jakobsen:


O, welche Lust, nicht weiter denken,
Als ein verschlafnes Auge sieht.

Und nun, neben starker schöpferischer Kraft, neben den ungeheuer ge¬
steigerten Vorsätzen — ein diesen hohen Selbstansprüchen nicht immer genügendes
Gestaltungsvermögen: die Unfähigkeit, das übergroß gedachte auch übergroß
zu verwirklichen. Das ist der Konflikt, der sie so rasch verbraucht, der sie


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0228" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/293025"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Kunst der Frnhgestorbnen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1062"> Darum fehlt dein Stil der Frühverstorbnen die Eigenschaft der Jugend¬<lb/>
lichkeit, er trägt vielmehr den Charakter einer ausnahmsweise, einer unheimlich<lb/>
rasch eingetretnen Reife. Doch nicht einer Reife, wie sie das schließliche Ergebnis<lb/>
langer Entwicklungsprozesse ist, sondern einer forcierten Vollendung, die nur mit<lb/>
einer Überspannung aller Kräfte erreicht werden kann. Eben ihres erzwungnen,<lb/>
bewußten Charakters wegen ist diese Feinheit schon dein Raffinement benachbart.<lb/>
Der Stil der Frühgestorbnen geht leicht in Manier über.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1063"> Ich erinnere an Watteaus letzte Bilder, an Jakobsens &#x201E;Hier sollten Rosen<lb/>
stehn" und an Illustrationen Beardsleys.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1064"> Aber neben Höchstvollendetem steht ganz Unfertiges, neben dem Schönen<lb/>
das Absurde. Was nicht auf den ersten Wurf gelingt, glückt diesen Künstlern<lb/>
überhaupt nicht, und was unrein herauskommt, bleibt so. Die Arbeitsmethode<lb/>
der Frühgestorbnen ist die Improvisation; Folgen improvisierter Leistungen<lb/>
sind jene Erscheinungen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1065"> Watteau malte sein berühmtestes Bild, die &#x201E;Einschiffung nach Cythere"<lb/>
(Louvre), in wenig Tagen, sein letztes, das Firmenschild Gersaints, in den<lb/>
Morgenstunden einer Woche, und auch Giorgione liebte die Technik des<lb/>
Malens Mg, xrimg.. Die Form der &#x201E;Penthesilea" Kleists zeigt in ihrem<lb/>
durch keinen Akteinschnitt gehemmten, stürmischen Ablauf den Rhythmus, in dem<lb/>
die Tragödie geschaffen wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1066"> Zum Feilen, zum Glätten, zum Redigieren kommen die Frühgestorbnen<lb/>
nicht, weil sie keine Pausen zwischen zwei Schaffensperioden kennen. Die<lb/>
Zeiten der Unfruchtbarkeit oder des stillen Keimens zukünftiger Werke und<lb/>
des Pflegens schon vorhandner sind ihnen fremd. Kaum konzipiert, muß eine<lb/>
künstlerische Idee auch schon ausgeführt werden, daß sie der nächsten Platz<lb/>
mache. Homer, der &#x201E;zu Zeiten schläft," war ein Langelebender, die Jung¬<lb/>
verstorbnen sind die Jmmerwachen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1067"> Sie fühlen sich gehetzt von hundert Problemen und Sehnsuchten; jede<lb/>
hat so unendlich viel zu sagen &#x2014; so werden diese Menschen die großen<lb/>
Fragmentisten. Wie die Improvisation ihre Methode, ist das Fragment<lb/>
ihre Form.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1068"> Kleists dramatisches Schaffen drängt sich in dem Zeitraum von zehn<lb/>
Jahren zusammen &#x2014; sein größtcmgelegtes Werk, der &#x201E;Robert Guiskard," blieb<lb/>
ein Bruchstück. Die junggestorbnen Hölderlin und Novalis, von denen der<lb/>
eine wahnsinnig wurde, wie Schumann und Hugo Wolf, der andre an der<lb/>
Schwindsucht starb, wie Watteau, Jakobsen und Chopin, waren die Fragmen¬<lb/>
tisten unter den Romantikern. Fast sämtliche Bilder Marees sind unvollendet<lb/>
geblieben, und aus der Überfülle von Plänen und Gedanken heraus, die zu<lb/>
verwirklichen die Kraft fehlt, ruft Jakobsen:</p><lb/>
          <quote> O, welche Lust, nicht weiter denken,<lb/>
Als ein verschlafnes Auge sieht.</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1069" next="#ID_1070"> Und nun, neben starker schöpferischer Kraft, neben den ungeheuer ge¬<lb/>
steigerten Vorsätzen &#x2014; ein diesen hohen Selbstansprüchen nicht immer genügendes<lb/>
Gestaltungsvermögen: die Unfähigkeit, das übergroß gedachte auch übergroß<lb/>
zu verwirklichen.  Das ist der Konflikt, der sie so rasch verbraucht, der sie</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0228] Die Kunst der Frnhgestorbnen Darum fehlt dein Stil der Frühverstorbnen die Eigenschaft der Jugend¬ lichkeit, er trägt vielmehr den Charakter einer ausnahmsweise, einer unheimlich rasch eingetretnen Reife. Doch nicht einer Reife, wie sie das schließliche Ergebnis langer Entwicklungsprozesse ist, sondern einer forcierten Vollendung, die nur mit einer Überspannung aller Kräfte erreicht werden kann. Eben ihres erzwungnen, bewußten Charakters wegen ist diese Feinheit schon dein Raffinement benachbart. Der Stil der Frühgestorbnen geht leicht in Manier über. Ich erinnere an Watteaus letzte Bilder, an Jakobsens „Hier sollten Rosen stehn" und an Illustrationen Beardsleys. Aber neben Höchstvollendetem steht ganz Unfertiges, neben dem Schönen das Absurde. Was nicht auf den ersten Wurf gelingt, glückt diesen Künstlern überhaupt nicht, und was unrein herauskommt, bleibt so. Die Arbeitsmethode der Frühgestorbnen ist die Improvisation; Folgen improvisierter Leistungen sind jene Erscheinungen. Watteau malte sein berühmtestes Bild, die „Einschiffung nach Cythere" (Louvre), in wenig Tagen, sein letztes, das Firmenschild Gersaints, in den Morgenstunden einer Woche, und auch Giorgione liebte die Technik des Malens Mg, xrimg.. Die Form der „Penthesilea" Kleists zeigt in ihrem durch keinen Akteinschnitt gehemmten, stürmischen Ablauf den Rhythmus, in dem die Tragödie geschaffen wurde. Zum Feilen, zum Glätten, zum Redigieren kommen die Frühgestorbnen nicht, weil sie keine Pausen zwischen zwei Schaffensperioden kennen. Die Zeiten der Unfruchtbarkeit oder des stillen Keimens zukünftiger Werke und des Pflegens schon vorhandner sind ihnen fremd. Kaum konzipiert, muß eine künstlerische Idee auch schon ausgeführt werden, daß sie der nächsten Platz mache. Homer, der „zu Zeiten schläft," war ein Langelebender, die Jung¬ verstorbnen sind die Jmmerwachen. Sie fühlen sich gehetzt von hundert Problemen und Sehnsuchten; jede hat so unendlich viel zu sagen — so werden diese Menschen die großen Fragmentisten. Wie die Improvisation ihre Methode, ist das Fragment ihre Form. Kleists dramatisches Schaffen drängt sich in dem Zeitraum von zehn Jahren zusammen — sein größtcmgelegtes Werk, der „Robert Guiskard," blieb ein Bruchstück. Die junggestorbnen Hölderlin und Novalis, von denen der eine wahnsinnig wurde, wie Schumann und Hugo Wolf, der andre an der Schwindsucht starb, wie Watteau, Jakobsen und Chopin, waren die Fragmen¬ tisten unter den Romantikern. Fast sämtliche Bilder Marees sind unvollendet geblieben, und aus der Überfülle von Plänen und Gedanken heraus, die zu verwirklichen die Kraft fehlt, ruft Jakobsen: O, welche Lust, nicht weiter denken, Als ein verschlafnes Auge sieht. Und nun, neben starker schöpferischer Kraft, neben den ungeheuer ge¬ steigerten Vorsätzen — ein diesen hohen Selbstansprüchen nicht immer genügendes Gestaltungsvermögen: die Unfähigkeit, das übergroß gedachte auch übergroß zu verwirklichen. Das ist der Konflikt, der sie so rasch verbraucht, der sie

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/228
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/228>, abgerufen am 24.08.2024.