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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Die llunst der Frühgestorbnen

schneller vernichtet, als es aller ihnen eigne Mangel an Ökonomie der Lebens¬
führung, aller maßlose Energieverbrauch tut.

Die Mittelmäßigkeit hat die Genügsamkeit, nicht mehr zu wollen, als sie
kann, die sich organisch entfaltenden und langsam auflebenden Genies haben
die glückliche Gabe, zu können, was sie wollen.

Beides ist den Früh gestorbnen versagt. Schwerer als andre müssen sie,
Wie die Brahmanen:


^ ^ Haupt im Himmel weilend
Fühlen, Paria, dieser Erde
niederziehende Gewalt.

Die großen Vorsätze sind die vornehmste Eigenschaft der Frühgestorbnen.
Auf der einen Seite -- bei Watteau. Chopin und Jakobsen -- ist es der
Kampf der lebendigen Psyche mit der kranken Physis. Diese Menschen, die
ihr Körper zeitlebens zur Zuschauerrolle dem Leben gegenüber verurteilt.
vutMsrs scheinbar des Glücks und der Schönheit, erobern sich die Welt im
Traum und genießen sie in der Erscheinungsform der Kunst. lädörtm
Esprit, Unis sag<z as uusurs, sagte Gersaint von Watteau, dem Maler des
"Dekamerone in Rokokotracht," und das Motto über Jakobsens Leben ist das
seines Mogens: In Sehnsucht leb ich, in Sehnen. Auf der andern Seite der
Kampf der Ansprüche, die der Künstler an sich selbst stellt mit seiner Leistungs¬
fähigkeit. Das Leben Kleists wie das Marees läßt sich bezeichnen als ein
Ringen mit dem Ideal.

Kleist ging daran zugrunde, daß seine künstlerische Schaffenskraft ihn
enttäuschte. Er hatte sein Leben daran gesetzt, ein Ideal der dramatischen
Kunst, die Vereinigung der Griechen mit Shakespeare, zu erreichen; Guiskard
war der Stoff, in dem es verwirklicht werden sollte. Als Kleist in dieser
Geisterfchlacht unterlag, fühlte er sich ganz reif zum Tode, wie seine Penthesilea,
die er sein Schicksal erleben und für sich sprechen ließ:


Das Äußerste, das Menschenkräfte leisten.
Hab ich getan -- Unmögliches versucht,
Mein Alles hab ich an den Wurf gesetzt,
Der Würfel, der entscheidet, liegt, er liegt:
Begreifen muss ichs, und daß ich verlor.

Kleist wußte, daß es für ihn ein Herabsteigen vor sich selbst nicht gab.
Da ihm das künstlerische Schaffen die einzige Realität war. bedeutete dessen
Auflösung für ihn den Tod. Sein Tod war sein letztes Werk: der not¬
wendige Schlußakt einer Tragödie, deren Dichter, Spieler und Held Kleist
selber war.

Auch Hans von Marees war am Ende, als er starb. Seine Freunde
gestehn es ein: er hätte Großes nicht mehr geleistet. Das Leben wäre ihm eine
Kette der furchtbarsten Enttäuschungen geworden. Die Lösung seines Lebens¬
problems: der nackte Mensch im Raume, war ihm zu finden nicht beschreden.
Seine Bedeutung liegt in der Tiefe und im Schwunge seiner Intentionen.
Er geizte nie mit seiner Kraft -- und das ist das Vornehme.

Da es also diesen Künstlern nicht vergönnt ist, die Fülle an Schönheit.
Gefühlsanteil und Leidenschaft, die ihnen eigen sind, zu verteilen auf eine


Die llunst der Frühgestorbnen

schneller vernichtet, als es aller ihnen eigne Mangel an Ökonomie der Lebens¬
führung, aller maßlose Energieverbrauch tut.

Die Mittelmäßigkeit hat die Genügsamkeit, nicht mehr zu wollen, als sie
kann, die sich organisch entfaltenden und langsam auflebenden Genies haben
die glückliche Gabe, zu können, was sie wollen.

Beides ist den Früh gestorbnen versagt. Schwerer als andre müssen sie,
Wie die Brahmanen:


^ ^ Haupt im Himmel weilend
Fühlen, Paria, dieser Erde
niederziehende Gewalt.

Die großen Vorsätze sind die vornehmste Eigenschaft der Frühgestorbnen.
Auf der einen Seite — bei Watteau. Chopin und Jakobsen — ist es der
Kampf der lebendigen Psyche mit der kranken Physis. Diese Menschen, die
ihr Körper zeitlebens zur Zuschauerrolle dem Leben gegenüber verurteilt.
vutMsrs scheinbar des Glücks und der Schönheit, erobern sich die Welt im
Traum und genießen sie in der Erscheinungsform der Kunst. lädörtm
Esprit, Unis sag<z as uusurs, sagte Gersaint von Watteau, dem Maler des
"Dekamerone in Rokokotracht," und das Motto über Jakobsens Leben ist das
seines Mogens: In Sehnsucht leb ich, in Sehnen. Auf der andern Seite der
Kampf der Ansprüche, die der Künstler an sich selbst stellt mit seiner Leistungs¬
fähigkeit. Das Leben Kleists wie das Marees läßt sich bezeichnen als ein
Ringen mit dem Ideal.

Kleist ging daran zugrunde, daß seine künstlerische Schaffenskraft ihn
enttäuschte. Er hatte sein Leben daran gesetzt, ein Ideal der dramatischen
Kunst, die Vereinigung der Griechen mit Shakespeare, zu erreichen; Guiskard
war der Stoff, in dem es verwirklicht werden sollte. Als Kleist in dieser
Geisterfchlacht unterlag, fühlte er sich ganz reif zum Tode, wie seine Penthesilea,
die er sein Schicksal erleben und für sich sprechen ließ:


Das Äußerste, das Menschenkräfte leisten.
Hab ich getan — Unmögliches versucht,
Mein Alles hab ich an den Wurf gesetzt,
Der Würfel, der entscheidet, liegt, er liegt:
Begreifen muss ichs, und daß ich verlor.

Kleist wußte, daß es für ihn ein Herabsteigen vor sich selbst nicht gab.
Da ihm das künstlerische Schaffen die einzige Realität war. bedeutete dessen
Auflösung für ihn den Tod. Sein Tod war sein letztes Werk: der not¬
wendige Schlußakt einer Tragödie, deren Dichter, Spieler und Held Kleist
selber war.

Auch Hans von Marees war am Ende, als er starb. Seine Freunde
gestehn es ein: er hätte Großes nicht mehr geleistet. Das Leben wäre ihm eine
Kette der furchtbarsten Enttäuschungen geworden. Die Lösung seines Lebens¬
problems: der nackte Mensch im Raume, war ihm zu finden nicht beschreden.
Seine Bedeutung liegt in der Tiefe und im Schwunge seiner Intentionen.
Er geizte nie mit seiner Kraft — und das ist das Vornehme.

Da es also diesen Künstlern nicht vergönnt ist, die Fülle an Schönheit.
Gefühlsanteil und Leidenschaft, die ihnen eigen sind, zu verteilen auf eine


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[0229] Die llunst der Frühgestorbnen schneller vernichtet, als es aller ihnen eigne Mangel an Ökonomie der Lebens¬ führung, aller maßlose Energieverbrauch tut. Die Mittelmäßigkeit hat die Genügsamkeit, nicht mehr zu wollen, als sie kann, die sich organisch entfaltenden und langsam auflebenden Genies haben die glückliche Gabe, zu können, was sie wollen. Beides ist den Früh gestorbnen versagt. Schwerer als andre müssen sie, Wie die Brahmanen: ^ ^ Haupt im Himmel weilend Fühlen, Paria, dieser Erde niederziehende Gewalt. Die großen Vorsätze sind die vornehmste Eigenschaft der Frühgestorbnen. Auf der einen Seite — bei Watteau. Chopin und Jakobsen — ist es der Kampf der lebendigen Psyche mit der kranken Physis. Diese Menschen, die ihr Körper zeitlebens zur Zuschauerrolle dem Leben gegenüber verurteilt. vutMsrs scheinbar des Glücks und der Schönheit, erobern sich die Welt im Traum und genießen sie in der Erscheinungsform der Kunst. lädörtm Esprit, Unis sag<z as uusurs, sagte Gersaint von Watteau, dem Maler des "Dekamerone in Rokokotracht," und das Motto über Jakobsens Leben ist das seines Mogens: In Sehnsucht leb ich, in Sehnen. Auf der andern Seite der Kampf der Ansprüche, die der Künstler an sich selbst stellt mit seiner Leistungs¬ fähigkeit. Das Leben Kleists wie das Marees läßt sich bezeichnen als ein Ringen mit dem Ideal. Kleist ging daran zugrunde, daß seine künstlerische Schaffenskraft ihn enttäuschte. Er hatte sein Leben daran gesetzt, ein Ideal der dramatischen Kunst, die Vereinigung der Griechen mit Shakespeare, zu erreichen; Guiskard war der Stoff, in dem es verwirklicht werden sollte. Als Kleist in dieser Geisterfchlacht unterlag, fühlte er sich ganz reif zum Tode, wie seine Penthesilea, die er sein Schicksal erleben und für sich sprechen ließ: Das Äußerste, das Menschenkräfte leisten. Hab ich getan — Unmögliches versucht, Mein Alles hab ich an den Wurf gesetzt, Der Würfel, der entscheidet, liegt, er liegt: Begreifen muss ichs, und daß ich verlor. Kleist wußte, daß es für ihn ein Herabsteigen vor sich selbst nicht gab. Da ihm das künstlerische Schaffen die einzige Realität war. bedeutete dessen Auflösung für ihn den Tod. Sein Tod war sein letztes Werk: der not¬ wendige Schlußakt einer Tragödie, deren Dichter, Spieler und Held Kleist selber war. Auch Hans von Marees war am Ende, als er starb. Seine Freunde gestehn es ein: er hätte Großes nicht mehr geleistet. Das Leben wäre ihm eine Kette der furchtbarsten Enttäuschungen geworden. Die Lösung seines Lebens¬ problems: der nackte Mensch im Raume, war ihm zu finden nicht beschreden. Seine Bedeutung liegt in der Tiefe und im Schwunge seiner Intentionen. Er geizte nie mit seiner Kraft — und das ist das Vornehme. Da es also diesen Künstlern nicht vergönnt ist, die Fülle an Schönheit. Gefühlsanteil und Leidenschaft, die ihnen eigen sind, zu verteilen auf eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/229>, abgerufen am 23.07.2024.