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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Dante in der konfessionellen Polemik

Es entsprach mehr reformierter Sinnesweise, die Verwandtschaft mit den
großen Geistern der Vergangenheit wert zu halten. Zudem war es für die
Ausbreitung des reformierten Protestantismus in den romanischen Ländern
von förderlichster Bedeutung, wenn die Stimme des größten Romanen für ihn
oder wenigstens wider den Gegner laut wurde.

Sobald diese Polemik auf den reformierten Boden übergegangen war,
nahm sie einen größern Stil an. In der deutschen Kirche litt sie an einer
gewissen Beschränktheit. Man kümmerte sich nur um den einen Traktat,
dessen Eintreten für das Imperium nicht nur dem Protestanten, sondern auch
dem Deutschen wohltat. Sobald sich aber die Reformierten dieser Waffe
bemächtigten, war es der ganze Dante, den man für sich in Anspruch nahm.
Man machte ihn nicht nur zum Zeugen wider Nom, sondern man machte
ihn wieder zu dem, was er sein wollte, zum Herold Gottes für sein italienisches
Volk, und man war kühn genug, ihm den Ruf zur evangelischen Freiheit in
den Mund zu legen.

Im Jahre 1586 erschien ein jetzt äußerst selten gewordnes Buch: ^.vviso
plan-kivoliz ctato alla bsllg, Itg.!la. Es will in München gedruckt sei" und ver¬
schweigt deu Verfasser. Die Danteforscher nehmen an, daß der Hugenotte
FrcmsMs Perot, Seigneur de Mezieres, das Buch geschrieben habe. Als
Druckort wird Genf vermutet. Der Verfasser will Italien für die evan¬
gelische Lehre durch den Beweis gewinnen, daß die Entwicklung seiner Kultur
es dazu drüuge, sich vom Papste loszusagen. Die Männer, denen das
italienische Volk seinen geistigen Aufschwung zu verdanken habe, Dante, Petrcirka,
Boccaccio, seien Gegner des Papsttums gewesen, und wenn Italien in der
Richtung, die diese Männer ihm gewiesen hätten, weiter schreiten wolle, so
müsse es mit der römische" Kirche brechen.

Der eickalos'UL des Flacius hatte keine Entgegnung gefunden. Es ist
das begreiflich. Der vat-no^us war ja nichts andres als ein umgekehrter
inclsx libroi-um xroliiditornm. Man brauchte nur ans das Titelblatt zu
drucken: an"wi0AU8 tösliurn lÄkoruiu, so war das Buch für die katholische
Kirche brauchbar.

Der Angriff dagegen, der durch den ^.wi^o geschah, war ein mit
französischem Ungestüm ausgeführter Sturm gegen die Citadelle der römischen
Weltmacht. Der Abfall Italiens wäre der Untergang der Kirche gewesen.
Aber auch schou allein den Verlust der großen Heroen des italienischen Volkes
konnte die Kirche damals nicht mehr ertragen. Sie hatte sich schon längst
mit der italienischen Kultur, deren evangelische Ansätze durch die spanische
Reaktion ausgetilgt worden waren, vollständig ausgesöhnt. So ist es natür¬
lich, daß diese Schrift alsbald eine Entgegnung fand. Der sie widerlegte,
war kein geringrcr als Robert Bellnrmin, der größte Apologet und Polemiker
der römischen Kirche. Bellarmin war damals in Nom und war mit der Ab¬
fassung polemischer Schriften beschäftigt. Da kam ihm das kleine Büchlein
gerade recht. Einem Gegner gegenüber, der viele Blößen bot, konnte da der
gelehrte und scharfsinnige Jesuit seine Meisterschaft zeigen. Seine Wider¬
legung erschien unter dem Titel Loutrovorsi^ö. Er geht auf die einzelnen


Dante in der konfessionellen Polemik

Es entsprach mehr reformierter Sinnesweise, die Verwandtschaft mit den
großen Geistern der Vergangenheit wert zu halten. Zudem war es für die
Ausbreitung des reformierten Protestantismus in den romanischen Ländern
von förderlichster Bedeutung, wenn die Stimme des größten Romanen für ihn
oder wenigstens wider den Gegner laut wurde.

Sobald diese Polemik auf den reformierten Boden übergegangen war,
nahm sie einen größern Stil an. In der deutschen Kirche litt sie an einer
gewissen Beschränktheit. Man kümmerte sich nur um den einen Traktat,
dessen Eintreten für das Imperium nicht nur dem Protestanten, sondern auch
dem Deutschen wohltat. Sobald sich aber die Reformierten dieser Waffe
bemächtigten, war es der ganze Dante, den man für sich in Anspruch nahm.
Man machte ihn nicht nur zum Zeugen wider Nom, sondern man machte
ihn wieder zu dem, was er sein wollte, zum Herold Gottes für sein italienisches
Volk, und man war kühn genug, ihm den Ruf zur evangelischen Freiheit in
den Mund zu legen.

Im Jahre 1586 erschien ein jetzt äußerst selten gewordnes Buch: ^.vviso
plan-kivoliz ctato alla bsllg, Itg.!la. Es will in München gedruckt sei» und ver¬
schweigt deu Verfasser. Die Danteforscher nehmen an, daß der Hugenotte
FrcmsMs Perot, Seigneur de Mezieres, das Buch geschrieben habe. Als
Druckort wird Genf vermutet. Der Verfasser will Italien für die evan¬
gelische Lehre durch den Beweis gewinnen, daß die Entwicklung seiner Kultur
es dazu drüuge, sich vom Papste loszusagen. Die Männer, denen das
italienische Volk seinen geistigen Aufschwung zu verdanken habe, Dante, Petrcirka,
Boccaccio, seien Gegner des Papsttums gewesen, und wenn Italien in der
Richtung, die diese Männer ihm gewiesen hätten, weiter schreiten wolle, so
müsse es mit der römische» Kirche brechen.

Der eickalos'UL des Flacius hatte keine Entgegnung gefunden. Es ist
das begreiflich. Der vat-no^us war ja nichts andres als ein umgekehrter
inclsx libroi-um xroliiditornm. Man brauchte nur ans das Titelblatt zu
drucken: an»wi0AU8 tösliurn lÄkoruiu, so war das Buch für die katholische
Kirche brauchbar.

Der Angriff dagegen, der durch den ^.wi^o geschah, war ein mit
französischem Ungestüm ausgeführter Sturm gegen die Citadelle der römischen
Weltmacht. Der Abfall Italiens wäre der Untergang der Kirche gewesen.
Aber auch schou allein den Verlust der großen Heroen des italienischen Volkes
konnte die Kirche damals nicht mehr ertragen. Sie hatte sich schon längst
mit der italienischen Kultur, deren evangelische Ansätze durch die spanische
Reaktion ausgetilgt worden waren, vollständig ausgesöhnt. So ist es natür¬
lich, daß diese Schrift alsbald eine Entgegnung fand. Der sie widerlegte,
war kein geringrcr als Robert Bellnrmin, der größte Apologet und Polemiker
der römischen Kirche. Bellarmin war damals in Nom und war mit der Ab¬
fassung polemischer Schriften beschäftigt. Da kam ihm das kleine Büchlein
gerade recht. Einem Gegner gegenüber, der viele Blößen bot, konnte da der
gelehrte und scharfsinnige Jesuit seine Meisterschaft zeigen. Seine Wider¬
legung erschien unter dem Titel Loutrovorsi^ö. Er geht auf die einzelnen


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[0102] Dante in der konfessionellen Polemik Es entsprach mehr reformierter Sinnesweise, die Verwandtschaft mit den großen Geistern der Vergangenheit wert zu halten. Zudem war es für die Ausbreitung des reformierten Protestantismus in den romanischen Ländern von förderlichster Bedeutung, wenn die Stimme des größten Romanen für ihn oder wenigstens wider den Gegner laut wurde. Sobald diese Polemik auf den reformierten Boden übergegangen war, nahm sie einen größern Stil an. In der deutschen Kirche litt sie an einer gewissen Beschränktheit. Man kümmerte sich nur um den einen Traktat, dessen Eintreten für das Imperium nicht nur dem Protestanten, sondern auch dem Deutschen wohltat. Sobald sich aber die Reformierten dieser Waffe bemächtigten, war es der ganze Dante, den man für sich in Anspruch nahm. Man machte ihn nicht nur zum Zeugen wider Nom, sondern man machte ihn wieder zu dem, was er sein wollte, zum Herold Gottes für sein italienisches Volk, und man war kühn genug, ihm den Ruf zur evangelischen Freiheit in den Mund zu legen. Im Jahre 1586 erschien ein jetzt äußerst selten gewordnes Buch: ^.vviso plan-kivoliz ctato alla bsllg, Itg.!la. Es will in München gedruckt sei» und ver¬ schweigt deu Verfasser. Die Danteforscher nehmen an, daß der Hugenotte FrcmsMs Perot, Seigneur de Mezieres, das Buch geschrieben habe. Als Druckort wird Genf vermutet. Der Verfasser will Italien für die evan¬ gelische Lehre durch den Beweis gewinnen, daß die Entwicklung seiner Kultur es dazu drüuge, sich vom Papste loszusagen. Die Männer, denen das italienische Volk seinen geistigen Aufschwung zu verdanken habe, Dante, Petrcirka, Boccaccio, seien Gegner des Papsttums gewesen, und wenn Italien in der Richtung, die diese Männer ihm gewiesen hätten, weiter schreiten wolle, so müsse es mit der römische» Kirche brechen. Der eickalos'UL des Flacius hatte keine Entgegnung gefunden. Es ist das begreiflich. Der vat-no^us war ja nichts andres als ein umgekehrter inclsx libroi-um xroliiditornm. Man brauchte nur ans das Titelblatt zu drucken: an»wi0AU8 tösliurn lÄkoruiu, so war das Buch für die katholische Kirche brauchbar. Der Angriff dagegen, der durch den ^.wi^o geschah, war ein mit französischem Ungestüm ausgeführter Sturm gegen die Citadelle der römischen Weltmacht. Der Abfall Italiens wäre der Untergang der Kirche gewesen. Aber auch schou allein den Verlust der großen Heroen des italienischen Volkes konnte die Kirche damals nicht mehr ertragen. Sie hatte sich schon längst mit der italienischen Kultur, deren evangelische Ansätze durch die spanische Reaktion ausgetilgt worden waren, vollständig ausgesöhnt. So ist es natür¬ lich, daß diese Schrift alsbald eine Entgegnung fand. Der sie widerlegte, war kein geringrcr als Robert Bellnrmin, der größte Apologet und Polemiker der römischen Kirche. Bellarmin war damals in Nom und war mit der Ab¬ fassung polemischer Schriften beschäftigt. Da kam ihm das kleine Büchlein gerade recht. Einem Gegner gegenüber, der viele Blößen bot, konnte da der gelehrte und scharfsinnige Jesuit seine Meisterschaft zeigen. Seine Wider¬ legung erschien unter dem Titel Loutrovorsi^ö. Er geht auf die einzelnen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/102>, abgerufen am 22.07.2024.