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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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nichts Von Hinneigung zur Bevorzugung des Deutschen, so muß es schon, auch
dem ärgsten Buchstabentüftler gegenüber, bei dem bleiben, was oben, und zum
Teil unter Heranziehung wirklich drastischer Belege, ausgeführt ist. Es kann
nichts andres gesagt werden, als daß Preußen in der hier besprochnen Periode
der Sprachenfrage gegenüber völlig gleichgültig gewesen ist.

Das ist nicht so geblieben.

Preußen hat in der Sprachenfrage eine Entwicklung erlebt, die sich
nach schüchternen Anfängen gewaltig genug ausgewachsen hat, die freilich
noch nicht zum Abschlüsse gelangt ist, deren Ziel aber schon klar und sicher
zu sehen ist.

Wie auch immer sich die preußische Negierung zu deu Geistesregungen
nach den Freiheitskriegen gestellt haben mag, sie hat sich doch ihren Ein¬
wirkungen nicht entzieh" können. Die hohe volkstümliche, deutschtümliche Er¬
regung von 1813 bis 1815 war nicht spurlos verflogen. Was in diesen
Jahren als Grimm gegen den fremden Vergewaltiger wild nach außen empor¬
geschlagen war, das hatte sich etwa von 1820 an nach innen gewandt und da
einen neuen Trieb gezeitigt. Nicht nur in der Burschcnschaftsbewegung, in allen
denkenden Köpfen des Volks gewann die Richtung, die zuerst Herder und die
Romantiker gepflegt hatten, immer größern Einfluß. Immer weitere Kreise
empfanden sich bewußt als Deutsche und begannen mit Stolz ihr Deutschtum
zu betonen. Das drang auch in die Negierungszirkel ein. Damit war an
der entscheidenden Stelle der Zweifel um der Richtigkeit der bisherigen Gleich-
giltigkeit in der Spracheufmge wach gerufen. Ihn gerade hier zu verschärfen
und zu vertiefen, hat noch ein andrer Umstand mitgewirkt. Die preußische
Regierung hatte allmählich böse Erfahrungen mit ihrer Zuvorkommenheit gegen
die Polen gemacht. Diese hatten die Zugeständnisse an ihren Nationalismus,
besonders die weitgehende Berücksichtigung ihres Idioms nur dazu benutzt,
unter ihrem Schilde die grvßpolnische Idee neu zu beleben. Baldigst waren
sie dazu geschritten, dieses milde, sie schützende Preußentum als Zwangsjacke
hinzustellen, die sie am rechten Ausbau ihres Polentums hinderte. Schon
gleich nach 1815 hatten sie dem Vertmnensmanne des Königs, dem Statt¬
halter Fürsten Nadziwill, ins Gesicht gesagt, ihr Land solle nur einen Staat
im Staate bilden, und das anch nur bis zur Wiedervereinigung mit den
übrigen Polen. Leute wie Kofinski und Mvrnwski, die sich Gemäßigte nannten,
hatten sich, wie freundlich! mit der Forderung begnügen wollen, daß 1. die
Armee national sein und ausschließlich polnische Offiziere haben, 2. ein Pro-
vinziallandtag mit einem stehenden Ausschüsse zur Wahrung der polnischen
Rechte und einer Kommission zur Leitung des Schulwesens und Besetzung aller
Ämter mit Eingebornen auf Vorschlag der Provinzialstände errichtet werden,
3. zwei Landsmannbeamte zu feiten des Königs zum unmittelbaren Vortrag
über alle polnischem Angelegenheiten bestellt werden sollten. General Dom-
browski dann hatte 1818 den Plan zu einer geheimen polnischen Verbrüderung
in Posen entworfen. Im Jahre 1830 war es gar so weit gekommen, daß
Preußen, um weiteres Unheil zu verhüten, sein halbes Heer unter seinem besten
Feldherrn im Osten aufbieten mußte. Da trieb auch im Gerichtswesen die


nichts Von Hinneigung zur Bevorzugung des Deutschen, so muß es schon, auch
dem ärgsten Buchstabentüftler gegenüber, bei dem bleiben, was oben, und zum
Teil unter Heranziehung wirklich drastischer Belege, ausgeführt ist. Es kann
nichts andres gesagt werden, als daß Preußen in der hier besprochnen Periode
der Sprachenfrage gegenüber völlig gleichgültig gewesen ist.

Das ist nicht so geblieben.

Preußen hat in der Sprachenfrage eine Entwicklung erlebt, die sich
nach schüchternen Anfängen gewaltig genug ausgewachsen hat, die freilich
noch nicht zum Abschlüsse gelangt ist, deren Ziel aber schon klar und sicher
zu sehen ist.

Wie auch immer sich die preußische Negierung zu deu Geistesregungen
nach den Freiheitskriegen gestellt haben mag, sie hat sich doch ihren Ein¬
wirkungen nicht entzieh» können. Die hohe volkstümliche, deutschtümliche Er¬
regung von 1813 bis 1815 war nicht spurlos verflogen. Was in diesen
Jahren als Grimm gegen den fremden Vergewaltiger wild nach außen empor¬
geschlagen war, das hatte sich etwa von 1820 an nach innen gewandt und da
einen neuen Trieb gezeitigt. Nicht nur in der Burschcnschaftsbewegung, in allen
denkenden Köpfen des Volks gewann die Richtung, die zuerst Herder und die
Romantiker gepflegt hatten, immer größern Einfluß. Immer weitere Kreise
empfanden sich bewußt als Deutsche und begannen mit Stolz ihr Deutschtum
zu betonen. Das drang auch in die Negierungszirkel ein. Damit war an
der entscheidenden Stelle der Zweifel um der Richtigkeit der bisherigen Gleich-
giltigkeit in der Spracheufmge wach gerufen. Ihn gerade hier zu verschärfen
und zu vertiefen, hat noch ein andrer Umstand mitgewirkt. Die preußische
Regierung hatte allmählich böse Erfahrungen mit ihrer Zuvorkommenheit gegen
die Polen gemacht. Diese hatten die Zugeständnisse an ihren Nationalismus,
besonders die weitgehende Berücksichtigung ihres Idioms nur dazu benutzt,
unter ihrem Schilde die grvßpolnische Idee neu zu beleben. Baldigst waren
sie dazu geschritten, dieses milde, sie schützende Preußentum als Zwangsjacke
hinzustellen, die sie am rechten Ausbau ihres Polentums hinderte. Schon
gleich nach 1815 hatten sie dem Vertmnensmanne des Königs, dem Statt¬
halter Fürsten Nadziwill, ins Gesicht gesagt, ihr Land solle nur einen Staat
im Staate bilden, und das anch nur bis zur Wiedervereinigung mit den
übrigen Polen. Leute wie Kofinski und Mvrnwski, die sich Gemäßigte nannten,
hatten sich, wie freundlich! mit der Forderung begnügen wollen, daß 1. die
Armee national sein und ausschließlich polnische Offiziere haben, 2. ein Pro-
vinziallandtag mit einem stehenden Ausschüsse zur Wahrung der polnischen
Rechte und einer Kommission zur Leitung des Schulwesens und Besetzung aller
Ämter mit Eingebornen auf Vorschlag der Provinzialstände errichtet werden,
3. zwei Landsmannbeamte zu feiten des Königs zum unmittelbaren Vortrag
über alle polnischem Angelegenheiten bestellt werden sollten. General Dom-
browski dann hatte 1818 den Plan zu einer geheimen polnischen Verbrüderung
in Posen entworfen. Im Jahre 1830 war es gar so weit gekommen, daß
Preußen, um weiteres Unheil zu verhüten, sein halbes Heer unter seinem besten
Feldherrn im Osten aufbieten mußte. Da trieb auch im Gerichtswesen die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/92>, abgerufen am 24.08.2024.