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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Die zwölf Nächte

großen Schlitten all der Spitze des Zuges aus. Nicht das; sie trotz der redlichsten
Bemühungen auch nur für Augenblicke wirklich zusammengekommen wären, aber sie
waren ähnlich wie Husaren gekleidet und hatten rote, schreibe und lies rote Feder¬
stütze ans ihren Pelzmützen, die sie. sie mochten aussehen, wie sie wollten, durch die
Bank als Kolpaks bezeichneten. Ihre Pferde waren und Bändern und Schellen¬
geläute besonders reich bedacht worden, und auf ihrem Schlitten war anch das
Fäßchen Rum, das man jedes Jahr in weislicher Fürsorge für den Fall mitnahm,
daß es in Stolper an Rum fehlen könnte. Da diese Kalamität den Wehlenern
auch dieses Jahr wieder erspart blieb, so mußte das Fäßchen auf der Rückfahrt ge¬
leert werden, was den Erfolg hatte, daß der Musikschlitten wie Charons Nachen
mit iilchts als entseelten Körpern gefüllt in Wehten eintraf und nur ganz allmählich
durch je zwei freiwillige Krankenträger geleert werden konnte. Sie hätten auf dem
Rückwege "stille Musik" gespielt, meinte Krügerhans, der auf dem Nachhausewege
das Gespenst um so entgegenkommender gefunden hatte, je gründlicher die Wach¬
samkeit des ihm unbequemen Argus durch Grogrunden beeinträchtigt worden war.

Kegels, Mann und Frau, hatten sich der Fahrt angeschlossen: ihr Schlitten war
sogar einer der nettesten und flottesten, aber ihre Tochter, die neunmal ge¬
mähte Minna, hatte nicht teilnehmen wollen. Sie hatte Unwohlsein vorgeschützt,
und dn Nöbers, die nirgends fehlten, wo es ein Vergnügen gab, sich auch dieses-
mnl nicht ausgeschlossen und den noch immer an den Großvnterstnhl gebannten Sohn
seinem Schicksal überlassen hatten, so hatte Minna richtig kalkuliere/daß sie schwer¬
lich jemals eine günstigere Gelegenheit finden konnte, die Sache mit dem schönen
Don Juan in aller Stille in Ordnung zu bringen. Ihn aufzusuchen hätte sie sich
zwar gescheut, wenn sie hätte voraussehen müssen, daß die Tatsache ihres Besuches
bekannt werden und zu allerhand unliebsamen Redereien Veranlassung geben könnte:
so aber, wo alle Bekannten anßer Fräulein Mergner weg waren, uiid wo sie sich
deshalb unbemerkt zu dem schönen Karl begeben konnte/ nahm sie keinen Anstand,
den etwas gewagten und für ein junges Mädchen ungewöhnlichen Schritt zu tun
und den Patienten in der Dämmerungsstunde aufzusuchen. So schön wie vor der
Schlacht sah Karl freilich nicht aus: die Lippen waren noch immer vcrschwollen und
>chies, auch wollte es mit dem Reden nicht so flott gehn wie bor der Verwundung-
Aber die Augen waren ja die alten geblieben, und die treue Minna stürzte sich mit
derselben Leidenschaft in die ihr von dem Patienten eiitgegengestreckten Arme, mit
der der hungrige Tiger in die verlockende Grube springt, ans deren Grund ein
appetitliches Lämmlein festgebunden blöke. Sie hätte diesen gewagten Bestich lieber
unterlassen und eine günstigere Gelegenheit abwarten sollen, bei der der schone Karl
den ersten Schritt hätte tun müssen und tun können, während er jetzt, durch den
noch immer schmerzenden Fuß im Grvßvaterstnhle festgehalten, sich wie ein wunder¬
tätiges Bild verehren und abküssen ließ. Sie hatte durch ihre Eile, die Sache zum
Abschluß zu bringen, die leidenschaftlichen Wünsche ihres verliebten Herzens ver¬
raten, und Karl, so zärtlich und feurig er sich auch anstellte, hatte von der ersten
Minnte um ein Oberwasser, aus dem er trotz Minnas spätern Bemühungen nicht
wieder zu bringen war. Sie hatte sich in freiwillige Knechtschaft begeben, und so
wenig war ihr Wille dem geliebten Despoten gegenüber maßgebend, daß ihr blau
und weiß karierter Traum nie in Erfüllung ging, deun die Bezüge mußten, um
Karl zu gefallen, rot und weiß sein, und wenn sie beim Mängeln Hilfe brauchte,
mußte sie einem der Lehrlinge oder Hofjungcn der Nachbarschaft gute Worte geben;
Herr Roher war trotz des geringen Wnschcvvrrats, den er in den neuen Hausstand
eingebracht hatte, zu vornehm, die Rolle für seine Frau zu drehn.da

Am vierten Feiertage, dem Tage der unschuldigen Kindlein, erfuhr Westen. ß
Hodewitschens Heleuchen mit Max Hodewitsch, dem Pontvuier. der ja, wie gesagt,
nicht ihr Blutsverwandter, sondern nur ihr Namensvetter war, verlobt sei, und dem
Kegelschen Ehepaare wurde durch Fräulein Mergner eine Kunde zuteil, die alle
Zukunftspläne für ihre Minna über den Hansen warf. Fräulein Mergner, die
ihr Leben lang tugendhaft gewesen und wie der benachbarte Königstein uneingenvmmcn
geblieben war, hatte -- eine schwache Seite muß der Mensch haben -- der Ver¬
suchung nicht widerstehn können, sich während der Schlittenfahrt im Orte umzusehen,
um zu erspähen, was sich während der Abwesenheit ihrer Bekannten in deren
Häusern zutrug. Sie hatte bei Röbers, zu denen sie gleich zuerst gegangen war,
weil ja der schöne Karl zuhause sein mußte, durchs Fenster den Tiger in der Falle
und mit Verzehrung des blökenden Lämmlcius beschäftigt gesehen, und die Zeit bis


Die zwölf Nächte

großen Schlitten all der Spitze des Zuges aus. Nicht das; sie trotz der redlichsten
Bemühungen auch nur für Augenblicke wirklich zusammengekommen wären, aber sie
waren ähnlich wie Husaren gekleidet und hatten rote, schreibe und lies rote Feder¬
stütze ans ihren Pelzmützen, die sie. sie mochten aussehen, wie sie wollten, durch die
Bank als Kolpaks bezeichneten. Ihre Pferde waren und Bändern und Schellen¬
geläute besonders reich bedacht worden, und auf ihrem Schlitten war anch das
Fäßchen Rum, das man jedes Jahr in weislicher Fürsorge für den Fall mitnahm,
daß es in Stolper an Rum fehlen könnte. Da diese Kalamität den Wehlenern
auch dieses Jahr wieder erspart blieb, so mußte das Fäßchen auf der Rückfahrt ge¬
leert werden, was den Erfolg hatte, daß der Musikschlitten wie Charons Nachen
mit iilchts als entseelten Körpern gefüllt in Wehten eintraf und nur ganz allmählich
durch je zwei freiwillige Krankenträger geleert werden konnte. Sie hätten auf dem
Rückwege „stille Musik" gespielt, meinte Krügerhans, der auf dem Nachhausewege
das Gespenst um so entgegenkommender gefunden hatte, je gründlicher die Wach¬
samkeit des ihm unbequemen Argus durch Grogrunden beeinträchtigt worden war.

Kegels, Mann und Frau, hatten sich der Fahrt angeschlossen: ihr Schlitten war
sogar einer der nettesten und flottesten, aber ihre Tochter, die neunmal ge¬
mähte Minna, hatte nicht teilnehmen wollen. Sie hatte Unwohlsein vorgeschützt,
und dn Nöbers, die nirgends fehlten, wo es ein Vergnügen gab, sich auch dieses-
mnl nicht ausgeschlossen und den noch immer an den Großvnterstnhl gebannten Sohn
seinem Schicksal überlassen hatten, so hatte Minna richtig kalkuliere/daß sie schwer¬
lich jemals eine günstigere Gelegenheit finden konnte, die Sache mit dem schönen
Don Juan in aller Stille in Ordnung zu bringen. Ihn aufzusuchen hätte sie sich
zwar gescheut, wenn sie hätte voraussehen müssen, daß die Tatsache ihres Besuches
bekannt werden und zu allerhand unliebsamen Redereien Veranlassung geben könnte:
so aber, wo alle Bekannten anßer Fräulein Mergner weg waren, uiid wo sie sich
deshalb unbemerkt zu dem schönen Karl begeben konnte/ nahm sie keinen Anstand,
den etwas gewagten und für ein junges Mädchen ungewöhnlichen Schritt zu tun
und den Patienten in der Dämmerungsstunde aufzusuchen. So schön wie vor der
Schlacht sah Karl freilich nicht aus: die Lippen waren noch immer vcrschwollen und
>chies, auch wollte es mit dem Reden nicht so flott gehn wie bor der Verwundung-
Aber die Augen waren ja die alten geblieben, und die treue Minna stürzte sich mit
derselben Leidenschaft in die ihr von dem Patienten eiitgegengestreckten Arme, mit
der der hungrige Tiger in die verlockende Grube springt, ans deren Grund ein
appetitliches Lämmlein festgebunden blöke. Sie hätte diesen gewagten Bestich lieber
unterlassen und eine günstigere Gelegenheit abwarten sollen, bei der der schone Karl
den ersten Schritt hätte tun müssen und tun können, während er jetzt, durch den
noch immer schmerzenden Fuß im Grvßvaterstnhle festgehalten, sich wie ein wunder¬
tätiges Bild verehren und abküssen ließ. Sie hatte durch ihre Eile, die Sache zum
Abschluß zu bringen, die leidenschaftlichen Wünsche ihres verliebten Herzens ver¬
raten, und Karl, so zärtlich und feurig er sich auch anstellte, hatte von der ersten
Minnte um ein Oberwasser, aus dem er trotz Minnas spätern Bemühungen nicht
wieder zu bringen war. Sie hatte sich in freiwillige Knechtschaft begeben, und so
wenig war ihr Wille dem geliebten Despoten gegenüber maßgebend, daß ihr blau
und weiß karierter Traum nie in Erfüllung ging, deun die Bezüge mußten, um
Karl zu gefallen, rot und weiß sein, und wenn sie beim Mängeln Hilfe brauchte,
mußte sie einem der Lehrlinge oder Hofjungcn der Nachbarschaft gute Worte geben;
Herr Roher war trotz des geringen Wnschcvvrrats, den er in den neuen Hausstand
eingebracht hatte, zu vornehm, die Rolle für seine Frau zu drehn.da

Am vierten Feiertage, dem Tage der unschuldigen Kindlein, erfuhr Westen. ß
Hodewitschens Heleuchen mit Max Hodewitsch, dem Pontvuier. der ja, wie gesagt,
nicht ihr Blutsverwandter, sondern nur ihr Namensvetter war, verlobt sei, und dem
Kegelschen Ehepaare wurde durch Fräulein Mergner eine Kunde zuteil, die alle
Zukunftspläne für ihre Minna über den Hansen warf. Fräulein Mergner, die
ihr Leben lang tugendhaft gewesen und wie der benachbarte Königstein uneingenvmmcn
geblieben war, hatte — eine schwache Seite muß der Mensch haben — der Ver¬
suchung nicht widerstehn können, sich während der Schlittenfahrt im Orte umzusehen,
um zu erspähen, was sich während der Abwesenheit ihrer Bekannten in deren
Häusern zutrug. Sie hatte bei Röbers, zu denen sie gleich zuerst gegangen war,
weil ja der schöne Karl zuhause sein mußte, durchs Fenster den Tiger in der Falle
und mit Verzehrung des blökenden Lämmlcius beschäftigt gesehen, und die Zeit bis


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[0884] Die zwölf Nächte großen Schlitten all der Spitze des Zuges aus. Nicht das; sie trotz der redlichsten Bemühungen auch nur für Augenblicke wirklich zusammengekommen wären, aber sie waren ähnlich wie Husaren gekleidet und hatten rote, schreibe und lies rote Feder¬ stütze ans ihren Pelzmützen, die sie. sie mochten aussehen, wie sie wollten, durch die Bank als Kolpaks bezeichneten. Ihre Pferde waren und Bändern und Schellen¬ geläute besonders reich bedacht worden, und auf ihrem Schlitten war anch das Fäßchen Rum, das man jedes Jahr in weislicher Fürsorge für den Fall mitnahm, daß es in Stolper an Rum fehlen könnte. Da diese Kalamität den Wehlenern auch dieses Jahr wieder erspart blieb, so mußte das Fäßchen auf der Rückfahrt ge¬ leert werden, was den Erfolg hatte, daß der Musikschlitten wie Charons Nachen mit iilchts als entseelten Körpern gefüllt in Wehten eintraf und nur ganz allmählich durch je zwei freiwillige Krankenträger geleert werden konnte. Sie hätten auf dem Rückwege „stille Musik" gespielt, meinte Krügerhans, der auf dem Nachhausewege das Gespenst um so entgegenkommender gefunden hatte, je gründlicher die Wach¬ samkeit des ihm unbequemen Argus durch Grogrunden beeinträchtigt worden war. Kegels, Mann und Frau, hatten sich der Fahrt angeschlossen: ihr Schlitten war sogar einer der nettesten und flottesten, aber ihre Tochter, die neunmal ge¬ mähte Minna, hatte nicht teilnehmen wollen. Sie hatte Unwohlsein vorgeschützt, und dn Nöbers, die nirgends fehlten, wo es ein Vergnügen gab, sich auch dieses- mnl nicht ausgeschlossen und den noch immer an den Großvnterstnhl gebannten Sohn seinem Schicksal überlassen hatten, so hatte Minna richtig kalkuliere/daß sie schwer¬ lich jemals eine günstigere Gelegenheit finden konnte, die Sache mit dem schönen Don Juan in aller Stille in Ordnung zu bringen. Ihn aufzusuchen hätte sie sich zwar gescheut, wenn sie hätte voraussehen müssen, daß die Tatsache ihres Besuches bekannt werden und zu allerhand unliebsamen Redereien Veranlassung geben könnte: so aber, wo alle Bekannten anßer Fräulein Mergner weg waren, uiid wo sie sich deshalb unbemerkt zu dem schönen Karl begeben konnte/ nahm sie keinen Anstand, den etwas gewagten und für ein junges Mädchen ungewöhnlichen Schritt zu tun und den Patienten in der Dämmerungsstunde aufzusuchen. So schön wie vor der Schlacht sah Karl freilich nicht aus: die Lippen waren noch immer vcrschwollen und >chies, auch wollte es mit dem Reden nicht so flott gehn wie bor der Verwundung- Aber die Augen waren ja die alten geblieben, und die treue Minna stürzte sich mit derselben Leidenschaft in die ihr von dem Patienten eiitgegengestreckten Arme, mit der der hungrige Tiger in die verlockende Grube springt, ans deren Grund ein appetitliches Lämmlein festgebunden blöke. Sie hätte diesen gewagten Bestich lieber unterlassen und eine günstigere Gelegenheit abwarten sollen, bei der der schone Karl den ersten Schritt hätte tun müssen und tun können, während er jetzt, durch den noch immer schmerzenden Fuß im Grvßvaterstnhle festgehalten, sich wie ein wunder¬ tätiges Bild verehren und abküssen ließ. Sie hatte durch ihre Eile, die Sache zum Abschluß zu bringen, die leidenschaftlichen Wünsche ihres verliebten Herzens ver¬ raten, und Karl, so zärtlich und feurig er sich auch anstellte, hatte von der ersten Minnte um ein Oberwasser, aus dem er trotz Minnas spätern Bemühungen nicht wieder zu bringen war. Sie hatte sich in freiwillige Knechtschaft begeben, und so wenig war ihr Wille dem geliebten Despoten gegenüber maßgebend, daß ihr blau und weiß karierter Traum nie in Erfüllung ging, deun die Bezüge mußten, um Karl zu gefallen, rot und weiß sein, und wenn sie beim Mängeln Hilfe brauchte, mußte sie einem der Lehrlinge oder Hofjungcn der Nachbarschaft gute Worte geben; Herr Roher war trotz des geringen Wnschcvvrrats, den er in den neuen Hausstand eingebracht hatte, zu vornehm, die Rolle für seine Frau zu drehn.da Am vierten Feiertage, dem Tage der unschuldigen Kindlein, erfuhr Westen. ß Hodewitschens Heleuchen mit Max Hodewitsch, dem Pontvuier. der ja, wie gesagt, nicht ihr Blutsverwandter, sondern nur ihr Namensvetter war, verlobt sei, und dem Kegelschen Ehepaare wurde durch Fräulein Mergner eine Kunde zuteil, die alle Zukunftspläne für ihre Minna über den Hansen warf. Fräulein Mergner, die ihr Leben lang tugendhaft gewesen und wie der benachbarte Königstein uneingenvmmcn geblieben war, hatte — eine schwache Seite muß der Mensch haben — der Ver¬ suchung nicht widerstehn können, sich während der Schlittenfahrt im Orte umzusehen, um zu erspähen, was sich während der Abwesenheit ihrer Bekannten in deren Häusern zutrug. Sie hatte bei Röbers, zu denen sie gleich zuerst gegangen war, weil ja der schöne Karl zuhause sein mußte, durchs Fenster den Tiger in der Falle und mit Verzehrung des blökenden Lämmlcius beschäftigt gesehen, und die Zeit bis

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/884>, abgerufen am 22.07.2024.