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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Schlittenpartien nach Stolper waren, wenn es Schnee gab, in der Zeit zwischen
Weihnachten und dem Hohen Neujahr ein beliebtes Vergnügen der Wehlener. Man
konnte sich, wenn man die vielen Schlitten und Pferde sah, mit denen sich Jung
und Alt auf die Fahrt machte, nicht recht erklären, wo sie alle herkamen. Zum
großen Teil aus der Nachbarschaft, und da' dem Wehlener, der in den Sommer¬
monaten durch den Fremdenverkehr einen schönen Verdienst hatte, in der festlichen,
der Erholung gewidmeten Winterzeit keine Wurscht zu teuer war, so wurde er von
allen Seiten willig versorgt. Großartig brauchte ja das Gefährt nicht zu sein;
wenn die Pferde nur ordentlich laufen konnten, und wenn der Schlitten nnr solange
zusammenhielt, bis man wieder zuhause war. Vom jungen Volk fuhren nur Liebes¬
paare zusammen, höchstens daß man hinten auf der Pritsche einen Bruder oder einen
Lehrling mitnahm, der mit der langen Schlittcnpeitsche knallen mußte, bis ihm der
Arm wehtat, und der infolge des Schlittenrechts auf der Hin- und der Rückfahrt,
namentlich aber auf dieser, viel zu sehen und zu hören bekam, was er verschwiegner¬
weise für sich zu behalten hatte. Brüder und Lehrlinge, die sich zu betragen wußten,
als wären sie taubstumm geboren, waren für solche Gelegenheiten besonders gesucht,
und wenn sie zu wünsche" übrig ließen, wurde ihnen in Stolper mit Grog solange
zugesetzt, bis sie so waren, wie sie sein sollten. Aber die alten und die mittelalter¬
lichen Paare -- oftmals waren es Vater und Mutter -- ließen den Affen ebenso¬
gut los wie die unverheirateten Jungen. Wer, wie Fräulein Mergner, griesgrämig
war, blieb zuHanse.

So schöne Schlittenbahn wie dieses Jahr hatte es lange nicht gegeben; überall
lag der Schnee fußhoch, und da es keinen Wind gegeben hatte, so fehlten die lästigen
Schneewehen und die noch lästigern vom Winde bloßgewehten kahlen Stellen. Partien
von drei bis vier Schlitten fanden alle Tage statt, aber die große Schlittenfahrt mit
Musik kam schon am dritten Feiertage zustande, weil tags daraus die Urlauber wieder
"fort mußten."

Das Hodewitschische Ehepaar hatte sich getrennt. Frau Hodewitsch fuhr init
dem Gevatter Mergner, der alte Hodewitsch fuhr die Wirtin von der Elbterrasse,
eine stattliche Witwe, mit der er immer seinen Spaß hatte, und der ihn seine Frau
getrost anvertrauen konnte, denn sie kannte seine Schwächen, und wenn er auf der
Rückfahrt statt zu kutschieren zu steuern anfing, nahm sie ihm die Zügel aus der
Hand und hatte ihn bis jetzt immer wohlbehalten nach Hause gebracht. Heimchen
fuhr mit Max, der sich dazu früh in der zehnten Stunde die Erlaubnis der Eltern
erbeten hatte und -- ein glückverheißendes Zeichen -- zum Mittagessen dabehalte"
Worden war. Johannes Krüger fuhr mit andern jungen Leuten in einem großen
Korbschlitten, worin auch das ihm besonders wohlwollende Gespenst und dessen eigent¬
licher Liebhaber, der Lösersche Knecht, saßen. Die beiden Rivalen hatten sich ver¬
söhnt, das Gespenst gehörte, wie billig, dem Knecht und dem unternehmenden Pon-
tvuier wurde" nur die allgemeinen Gunstbezeugungen zuteil, die ein Frauenzimmer
einem ehrbaren Urlauber nicht abschlagen konnte. Das Gespenst hätte gern ein
wenig über de" Strang geschlagen, aber der Knecht sah ihn, scharf auf die Finger,
und da ihm die Prügel, die es auf dem Kirchhof bekommen hatte, noch in lebhaf¬
tester Erinnerung standen, so war es auf seiner Hut und wich Krügers Vertraulich¬
keiten nach Kräften aus, aber psychische Hörner trug der Knecht doch, denn das Ge¬
spenst zog ihm den Poutonier "in Uneform" in seinem innersten Herzen vor und
rriev mit verstohlnen Blicke" und Händedrücken arge" Mißbrauch.

August, den Merg"ersehen Bootsjungen, hatten Max und Heimchen sehr gegen
Mullen Mergners Wunsch als Pritschenreiter mitgenommen. Obwohl er infolge
n, s^" er sich durch seine Teilnahme an der Schlittenfahrt schuldig ge¬
macht hatte, für morgen einem völligen Fasttage entgegensehen mußte, klatschte er heute
""t voller Kraft in die sich weiß und weich wie eine Tafel Watte in all-
best Steigung nach Stolper hinaufziehende Landschaft hinein und schenkte
si^ ^ ^ illo" gemäß dein vor ihn: sitzende" Liebespaar so wenig Beachtung, daß
^" c,. " S"uz behaglich und unter vier Augen fühlte", und daß Max -- der
^'Se schien nicht bloß stumm und taub, sondern auch blind zu sein -- seinen
n^en Arm um Heimchens rundliche Taille legte: jeder Gefahr, daß sie wie eine
i,k Kugel aus dem leichten schillenden hätte herauskollern können, war
"Uf diese Weise Vorgebeugt. ^ i ^ ^

Um schönsten nahmen sich die Musikanten in ihren, mit Tannenreis geschmückte"


Schlittenpartien nach Stolper waren, wenn es Schnee gab, in der Zeit zwischen
Weihnachten und dem Hohen Neujahr ein beliebtes Vergnügen der Wehlener. Man
konnte sich, wenn man die vielen Schlitten und Pferde sah, mit denen sich Jung
und Alt auf die Fahrt machte, nicht recht erklären, wo sie alle herkamen. Zum
großen Teil aus der Nachbarschaft, und da' dem Wehlener, der in den Sommer¬
monaten durch den Fremdenverkehr einen schönen Verdienst hatte, in der festlichen,
der Erholung gewidmeten Winterzeit keine Wurscht zu teuer war, so wurde er von
allen Seiten willig versorgt. Großartig brauchte ja das Gefährt nicht zu sein;
wenn die Pferde nur ordentlich laufen konnten, und wenn der Schlitten nnr solange
zusammenhielt, bis man wieder zuhause war. Vom jungen Volk fuhren nur Liebes¬
paare zusammen, höchstens daß man hinten auf der Pritsche einen Bruder oder einen
Lehrling mitnahm, der mit der langen Schlittcnpeitsche knallen mußte, bis ihm der
Arm wehtat, und der infolge des Schlittenrechts auf der Hin- und der Rückfahrt,
namentlich aber auf dieser, viel zu sehen und zu hören bekam, was er verschwiegner¬
weise für sich zu behalten hatte. Brüder und Lehrlinge, die sich zu betragen wußten,
als wären sie taubstumm geboren, waren für solche Gelegenheiten besonders gesucht,
und wenn sie zu wünsche» übrig ließen, wurde ihnen in Stolper mit Grog solange
zugesetzt, bis sie so waren, wie sie sein sollten. Aber die alten und die mittelalter¬
lichen Paare — oftmals waren es Vater und Mutter — ließen den Affen ebenso¬
gut los wie die unverheirateten Jungen. Wer, wie Fräulein Mergner, griesgrämig
war, blieb zuHanse.

So schöne Schlittenbahn wie dieses Jahr hatte es lange nicht gegeben; überall
lag der Schnee fußhoch, und da es keinen Wind gegeben hatte, so fehlten die lästigen
Schneewehen und die noch lästigern vom Winde bloßgewehten kahlen Stellen. Partien
von drei bis vier Schlitten fanden alle Tage statt, aber die große Schlittenfahrt mit
Musik kam schon am dritten Feiertage zustande, weil tags daraus die Urlauber wieder
«fort mußten."

Das Hodewitschische Ehepaar hatte sich getrennt. Frau Hodewitsch fuhr init
dem Gevatter Mergner, der alte Hodewitsch fuhr die Wirtin von der Elbterrasse,
eine stattliche Witwe, mit der er immer seinen Spaß hatte, und der ihn seine Frau
getrost anvertrauen konnte, denn sie kannte seine Schwächen, und wenn er auf der
Rückfahrt statt zu kutschieren zu steuern anfing, nahm sie ihm die Zügel aus der
Hand und hatte ihn bis jetzt immer wohlbehalten nach Hause gebracht. Heimchen
fuhr mit Max, der sich dazu früh in der zehnten Stunde die Erlaubnis der Eltern
erbeten hatte und — ein glückverheißendes Zeichen — zum Mittagessen dabehalte»
Worden war. Johannes Krüger fuhr mit andern jungen Leuten in einem großen
Korbschlitten, worin auch das ihm besonders wohlwollende Gespenst und dessen eigent¬
licher Liebhaber, der Lösersche Knecht, saßen. Die beiden Rivalen hatten sich ver¬
söhnt, das Gespenst gehörte, wie billig, dem Knecht und dem unternehmenden Pon-
tvuier wurde» nur die allgemeinen Gunstbezeugungen zuteil, die ein Frauenzimmer
einem ehrbaren Urlauber nicht abschlagen konnte. Das Gespenst hätte gern ein
wenig über de» Strang geschlagen, aber der Knecht sah ihn, scharf auf die Finger,
und da ihm die Prügel, die es auf dem Kirchhof bekommen hatte, noch in lebhaf¬
tester Erinnerung standen, so war es auf seiner Hut und wich Krügers Vertraulich¬
keiten nach Kräften aus, aber psychische Hörner trug der Knecht doch, denn das Ge¬
spenst zog ihm den Poutonier „in Uneform" in seinem innersten Herzen vor und
rriev mit verstohlnen Blicke» und Händedrücken arge» Mißbrauch.

August, den Merg»ersehen Bootsjungen, hatten Max und Heimchen sehr gegen
Mullen Mergners Wunsch als Pritschenreiter mitgenommen. Obwohl er infolge
n, s^» er sich durch seine Teilnahme an der Schlittenfahrt schuldig ge¬
macht hatte, für morgen einem völligen Fasttage entgegensehen mußte, klatschte er heute
""t voller Kraft in die sich weiß und weich wie eine Tafel Watte in all-
best Steigung nach Stolper hinaufziehende Landschaft hinein und schenkte
si^ ^ ^ illo» gemäß dein vor ihn: sitzende» Liebespaar so wenig Beachtung, daß
^„ c,. " S"uz behaglich und unter vier Augen fühlte», und daß Max — der
^'Se schien nicht bloß stumm und taub, sondern auch blind zu sein — seinen
n^en Arm um Heimchens rundliche Taille legte: jeder Gefahr, daß sie wie eine
i,k Kugel aus dem leichten schillenden hätte herauskollern können, war
"Uf diese Weise Vorgebeugt. ^ i ^ ^

Um schönsten nahmen sich die Musikanten in ihren, mit Tannenreis geschmückte»


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[0883] Schlittenpartien nach Stolper waren, wenn es Schnee gab, in der Zeit zwischen Weihnachten und dem Hohen Neujahr ein beliebtes Vergnügen der Wehlener. Man konnte sich, wenn man die vielen Schlitten und Pferde sah, mit denen sich Jung und Alt auf die Fahrt machte, nicht recht erklären, wo sie alle herkamen. Zum großen Teil aus der Nachbarschaft, und da' dem Wehlener, der in den Sommer¬ monaten durch den Fremdenverkehr einen schönen Verdienst hatte, in der festlichen, der Erholung gewidmeten Winterzeit keine Wurscht zu teuer war, so wurde er von allen Seiten willig versorgt. Großartig brauchte ja das Gefährt nicht zu sein; wenn die Pferde nur ordentlich laufen konnten, und wenn der Schlitten nnr solange zusammenhielt, bis man wieder zuhause war. Vom jungen Volk fuhren nur Liebes¬ paare zusammen, höchstens daß man hinten auf der Pritsche einen Bruder oder einen Lehrling mitnahm, der mit der langen Schlittcnpeitsche knallen mußte, bis ihm der Arm wehtat, und der infolge des Schlittenrechts auf der Hin- und der Rückfahrt, namentlich aber auf dieser, viel zu sehen und zu hören bekam, was er verschwiegner¬ weise für sich zu behalten hatte. Brüder und Lehrlinge, die sich zu betragen wußten, als wären sie taubstumm geboren, waren für solche Gelegenheiten besonders gesucht, und wenn sie zu wünsche» übrig ließen, wurde ihnen in Stolper mit Grog solange zugesetzt, bis sie so waren, wie sie sein sollten. Aber die alten und die mittelalter¬ lichen Paare — oftmals waren es Vater und Mutter — ließen den Affen ebenso¬ gut los wie die unverheirateten Jungen. Wer, wie Fräulein Mergner, griesgrämig war, blieb zuHanse. So schöne Schlittenbahn wie dieses Jahr hatte es lange nicht gegeben; überall lag der Schnee fußhoch, und da es keinen Wind gegeben hatte, so fehlten die lästigen Schneewehen und die noch lästigern vom Winde bloßgewehten kahlen Stellen. Partien von drei bis vier Schlitten fanden alle Tage statt, aber die große Schlittenfahrt mit Musik kam schon am dritten Feiertage zustande, weil tags daraus die Urlauber wieder «fort mußten." Das Hodewitschische Ehepaar hatte sich getrennt. Frau Hodewitsch fuhr init dem Gevatter Mergner, der alte Hodewitsch fuhr die Wirtin von der Elbterrasse, eine stattliche Witwe, mit der er immer seinen Spaß hatte, und der ihn seine Frau getrost anvertrauen konnte, denn sie kannte seine Schwächen, und wenn er auf der Rückfahrt statt zu kutschieren zu steuern anfing, nahm sie ihm die Zügel aus der Hand und hatte ihn bis jetzt immer wohlbehalten nach Hause gebracht. Heimchen fuhr mit Max, der sich dazu früh in der zehnten Stunde die Erlaubnis der Eltern erbeten hatte und — ein glückverheißendes Zeichen — zum Mittagessen dabehalte» Worden war. Johannes Krüger fuhr mit andern jungen Leuten in einem großen Korbschlitten, worin auch das ihm besonders wohlwollende Gespenst und dessen eigent¬ licher Liebhaber, der Lösersche Knecht, saßen. Die beiden Rivalen hatten sich ver¬ söhnt, das Gespenst gehörte, wie billig, dem Knecht und dem unternehmenden Pon- tvuier wurde» nur die allgemeinen Gunstbezeugungen zuteil, die ein Frauenzimmer einem ehrbaren Urlauber nicht abschlagen konnte. Das Gespenst hätte gern ein wenig über de» Strang geschlagen, aber der Knecht sah ihn, scharf auf die Finger, und da ihm die Prügel, die es auf dem Kirchhof bekommen hatte, noch in lebhaf¬ tester Erinnerung standen, so war es auf seiner Hut und wich Krügers Vertraulich¬ keiten nach Kräften aus, aber psychische Hörner trug der Knecht doch, denn das Ge¬ spenst zog ihm den Poutonier „in Uneform" in seinem innersten Herzen vor und rriev mit verstohlnen Blicke» und Händedrücken arge» Mißbrauch. August, den Merg»ersehen Bootsjungen, hatten Max und Heimchen sehr gegen Mullen Mergners Wunsch als Pritschenreiter mitgenommen. Obwohl er infolge n, s^» er sich durch seine Teilnahme an der Schlittenfahrt schuldig ge¬ macht hatte, für morgen einem völligen Fasttage entgegensehen mußte, klatschte er heute ""t voller Kraft in die sich weiß und weich wie eine Tafel Watte in all- best Steigung nach Stolper hinaufziehende Landschaft hinein und schenkte si^ ^ ^ illo» gemäß dein vor ihn: sitzende» Liebespaar so wenig Beachtung, daß ^„ c,. " S"uz behaglich und unter vier Augen fühlte», und daß Max — der ^'Se schien nicht bloß stumm und taub, sondern auch blind zu sein — seinen n^en Arm um Heimchens rundliche Taille legte: jeder Gefahr, daß sie wie eine i,k Kugel aus dem leichten schillenden hätte herauskollern können, war "Uf diese Weise Vorgebeugt. ^ i ^ ^ Um schönsten nahmen sich die Musikanten in ihren, mit Tannenreis geschmückte»

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/883>, abgerufen am 24.08.2024.